Ein Schüleraustausch

Werte Leser,

nach langen Wochen des Schweigens gibt es endlich wieder etwas von mir zu lesen. Es ist noch nicht die versprochene Beschreibung dreier weiterer Städte, sondern die Schilderung des Besuchs einer Gruppe von Neunt- und Zehntklässlern aus der baden-würtembergischen Stadt Ditzingen, die etwa fünfzehn Kilometer von Stuttgart entfernt liegt.

Am vorvorvergangenen Donnerstag traf die Schülergruppe abends am Thorner Hauptbahnhof ein. Am darauffolgenden Tage trafen sich die deutschen Schüler wie auch ihre polnischen Partner in der Thoner Innenstadtt. Während die polnischen Schüler Freizeit hatten, gab es für die deutschen eine Stadtführung, die ich begleiten durfte und auf der ich noch einige neue Fakten über Thorn lernen konnte. Danach trafen sich alle im Lebkuchenmuseum, wo unter fachkundiger Anleitung in mittelalterlicher Atmosphäre Lebkuchen gebacken werden konnte. Das restliche Wochenende war frei, sodass die Partner Zeit miteinander verbrachten. Der Montag begann mit einem ausgezeichneten Frühstück in der Schule, danach war es für die Schüler Zeit, sich in einer Gruppenarbeit mit dem Thema „Stereotype“ zu beschäftigen. Stereotype sind einerseits notwendig, weil sie uns Orientierung gegenüber Fremden geben und wir ohne sie völlig verunsichert wären, aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass sie, selbst wenn sie manchmal (nicht immer!) einen wahren Kern haben, über den einzelnen Angehörigen einer Gruppe von Fremden keine Aussage machen können. Es ist eine Binsenweisheit, dass die Verwechslung von Stereotypen mit der Wahrheit schon sehr viel Leid über die Menschheit gebracht hat, und darum halte ich es für wichtig, sich über Stereotype Gedanken zu machen. Weil Stereotype immer auch mit Gefühlen verbunden sind, wäre es möglich gewesen, dass es auch bei der Gruppenarbeit zu emotionalen Meinungsverschiedenheiten kommt, aber die Schüler gingen mit dem Thema sehr entspannt um, offenbar hatten sie die Vorurteile schon überwunden. Sie kannten sie, aber sie glaubten sie nicht. Wenn das kein Anlass zur Freude ist, weiß ich es auch nicht.

Der Dienstag begann sehr früh, nämlich schon um halb sieben, denn auf dem Programm stand eine Reise nach Danzig. Also fuhren wir mit dem Bus in aller Herrgottsfrühe los und erreichten nach zweieinhalb Stunden Fahrt auf einer nagelneuen und wie ausgestorben daliegenden Autobahn Danzig. Danzig liegt an der Ostsee und ist eine Hafen- und Hansestadt. Im Mittelalter war es Hauptstadt des Herzogtums Pomerellens, bevor der Deutsche Orden, der die Stadt eigentlich beschützen sollte, sie 1308 eroberte. 1361 trat Danzig, zu diesem Zeitpunkt schon eine der bedeutendsten Städte des Ostseeraumes, der Hanse bei. Mit dem aus einem anderen Artikel schonbekannten Frieden von Thorn kam Danzig 1466 zu Polen, wobei es sich dabei um keine feindliche Übernahme handelte. Im Gegenteil, zwölf Jahre zuvor hatten die Bürger, die sich vom Ordensstaat emanzipiert hatten und die Kreuzritter als Unterdrücker sahen, dem polnischen König angeboten, über sie zu herrschen. Im Gegenzug verlangten sie, dass es ihre Autonomierechte erhalte und verteidige, was er auch tat. Als 1557 ein anderer König die Stadt unterwerfen wollte, scheiterte er mit seiner Belagerung. Im 16. und 17. Jahrhundert wurde Danzig nicht nur ein bedeutendes Zentrum für Reformation und Humanismus, sondern auch, sondern auch die mächtigste Stadt des baltischen Raumes und die bei weitem größte Stadt Polens. Ihre Unabhängigkeit verlor die Stadt erst 1793 mit der zweiten Teilung Polens, als sie von Preußen annektiert wurde. Der Wirtschaft schadete die neue, nur von Napoleon 1807 bis 1813 unterbrochene Herrschaft aber nicht, Danzig erlebte einen Aufschwung, der nunmehr auf der Industrie basierte. Nach dem ersten Weltkrieg wurde Danzig zu einer Freistadt unter der Verwaltung des Völkerbundes, wobei sich Deutsche und Polen die Regierung teilten. Diese Zeit war problematisch, es gab antipolnische Ressentiments unter der deutschen Mehrheit, sodass in den Dreißigerjahren auch in Danzig die Nationalsozialisten erfolgreich waren. Als Deutschland die Westerplatte angriff, verfuegte der oertliche Gauleiter voelkerrechtswidrig den Anscluss Danzigs an Deutschland. Während des zweiten Weltkrieges wurden viele Polen zur Arbeit in den Werften von Danzig gezwungen oder in die Konzentrationslager deportiert. Bei der Eroberung Pommerns durch die Rote Armee wurde Danzig durch die Kampfhandlungen stark beschaedigt, und als die Sowjets die Stadt endlich eingenommen hatten, brannten sie sie nieder, sodass 90 Prozent der historischen Bausubstanz vernichtet waren. Nach dem Kriege wurden die meisten Deutschen aus der Stadt vertrieben. Schon 1948 wurde entschieden, die Stadt und ihre alten Gebäude zu rekonstruieren. In Danzig begann mit einem Werftaufstand 1970 die Emanzipationsbewegung in Polen, auch die beruehmte Gewerkschaft „Solidarität“ unter Führung des späteren Staatspräsidenen Wałęsa wurde hier gegruendet. Heute ist Danzig mit 460.000 Einwohnern die sechstgrößte Stadt Polens und bildet gemeinsam mit Zoppot und Gdingen die sogenannte Dreistadt mit 740.000 Einwohnern.

Bis heute hat Danzig den größten Hafen Polens. Neue Wirtschaftszweige sind vor allem die Mikroelektronik und die Softwareentwicklung.

Danzig gilt als eine der schönsten Städte Polens, ein Urteil, dem ich mich durchaus anschließen kann. Leider war ich erst einen Tag da, sodass ich noch  längst nicht alles in Augenschein nehmen konnte, aber die prächtigen Bürgerhäuser, die vom Stolz und Reichtum der hanseatischen Kaufleute künden und die Marienkirche, die größte Backsteinkirche der Welt mit weiß gekalktem, lichtdurchflutetem Inneren haben mich sehr beeindruckt.

Noch am selben Tag ging es in das schöne Seebad Zoppot an der Ostsee, der bekannteste Badeort Polens mit klassischer, weißer Ostseearchitektur und einer Seebrücke. Zuerst gingen wir spazieren, anschließend bowlen beziehungsweise schwimmen.

Der Mittwoch begann mit einem Besuch im ethnografischen Museum von Thorn, bei dem einige Schueler traditionelle Trachten anlegen durften und einen traditionellen Tanz tanzten.

Es folgte eine Stadtralley durch Thorn, bei der ich für einen kranken polnischen Schüler einsprang.  Nach weiterer Arbeit an den Stereotypen stellten die Schueler ihre Ergebnisse vor. Die Stereotypen  waen wenig überraschend und bei allen Gruppen mehr oder minder diesselben. Deutsche sind reich, ungehobelt, fahren schnelle Autos und haben hässliche Frauen, Polen haben schoene Frauen, sind gastfreundlich, höflich und stehlen. Zum Glück teilten die Schueler die Stereotypen zumindest nach dem Austausch nicht mehr, im Gegenteil, man war sich darüber einig, dass sich die Jugendkultur in Deutschland und Polen kaum unterscheidet. Diesen Eindruck teile ich: Natürlich gibt es kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und Polen, aber bei der Jugend sind sie vermutlich am geringsten, sie tanzen in den Klubs in beiden Laender zur selben Musik, sehen die selben Filme, spielen die gleichen Computerspiele.

Mit dieser Ansicht möchte ich schließen.

2 Gedanken zu „Ein Schüleraustausch

  1. Hey,

    bin deine Nachfolgerin und habe erstmal neugierig deinen Blog gelesen. Finde das klingt echt spannend, was du machst. So wie es aussieht, werde ich ja in echt große Fußstapfen treten 😉

    Liebe Grüße

    Svenja

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