Woher kommt die Energie um einen Blogeintrag zu schreiben? Wenn man sich nicht zum Schreiben zwingen möchte und auf den richtigen Moment wartet, dann kann das dauern und zwar so lange bis plötzlich jemand an die Tür klopft. Genau das ist heute passiert. Heather und ich hatten ein gemeinsames Abendessen geplant. Dafür war ich heute капуста kaufen und tobte mich dann bei Heather im Zimmer beim Zubereiten aus. Als Nebenspeise hatte Heather unsere Lieblingsblinis gefüllt mit творог gekauft. Man glaubt es kaum, doch капуста und Blini passen tatsächlich zusammen, wobei unsere Meinung ist, dass diese Blinis immer und mit allem gegessen werden können. Nach dem Essen fingen wir wie gewohnt mit dem Abwasch an, als es plötzlich leise klopfte. Vor der Tür stand ein russischer Student mit einer kleinen Schüssel in der Hand und fragte: „Можно?“, was so viel heißt wie „Ist es möglich?“. Er bat um Zucker und kaum in unseren `Apartment` stellte sich heraus, dass er uns auch um Hilfe bitten wollte. Im Laufe des Gesprächs fanden wir heraus, dass er eine Freundin hat, welche kommenden Montag eine Englischprüfung schreibt und mit unserer bzw. mit Heathers Hilfe cheaten will. Bis die Gute, die via Telefon mit unserem Gast in Kontakt stand, jedoch antwortete und verriet an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit das ganze stattfinden solle verging sicher eine Stunde. So hatten wir eine Menge zu lachen. Ruslan stellte vor allem Heather eine Menge Fragen über amerikanische Basketballstars, Basketballmanschaften und andere Dinge, zu denen sie nicht so viel sagen konnte. Auf jeden Fall steht für ihn fest, dass er sie besuchen wird, wenn er endlich in Amerika ist, natürlich nachdem er in New York war und ein MBA Spiel gesehen hat. Da er einen burjatischen Hintergrund hat, fasste er spontan den Plan, dass er in Heathers Heimatstadt Greenville ein kleines Cafe aufmachen wird, in dem er Позы, eine traditionell burjatische Speise, für 50 Dollar das Stück verkauft. Wir einigten uns dann darauf, dass 5 Dollar ein angemessener Preis wäre. Währenddessen hörten wir Vivaldis vier Jahreszeiten und andere energetische Klassikmusik, was das Ganze noch absurder erscheinen ließ. Als er sich von uns verabschiedete warf er noch einen Blick in mein Zimmer, um dann Heather zu fragen, ob sie etwas dagegen hätte, wenn er einzieht, sobald ich weg bin. Das Zimmer gefalle ihm nämlich, da könne man gut wohnen. Wieder zu zweit konnten wir uns nur noch angrinsen. In den inzwischen mehr als drei Monaten hier hatten wir nur dreimal Besuch, Heathers amerikanische Freunde nicht mitgezählt. Mit Leuten von unserem Flur kommunizierten wir zum ersten Mal, als es plötzlich vor ein paar Wochen hieß, dass heute Putztag sei und wir, wie alle anderen, am Abend anfingen die Flurwände und unsere Zimmertür zu wischen. Sonst ergab sich nie eine Möglichkeit, oder besser gesagt nie ein Grund für ein Gespräch. Irgendwie ist es Schade, dass wir das nicht auf die Reihe bekommen haben, doch andererseits fand ich es immer schön, so einen kleinen englischen Rückzugsort zu haben.
Jetzt wo ich angefangen habe zu schreiben, kann ich auch gleich weiter machen. Bis zum Ende des Semesters sind es tatsächlich nur noch anderthalb Wochen. Das bringt Tests und Abgabetermine mit sich. Ich schreibe an meinem Marketing-Projekt über das Festival in Sochi und hoffe, dass ich diese Arbeit am Freitag beenden kann. Es fehlt dann nur noch die Präsentation nächste Woche. Der erste Test für Stilistika ist schon geschrieben, am Freitag schreiben wir Mediensprache. Nächste Woche stehen Branding und für mich Politologia an. Diesen Freitag halte ich mein drittes und letztes Referat bei Sprachwissenschaften. Vor zwei Wochen referierte ich auf Russisch über Ivrit, also Hebräisch, was mir bei der Erarbeitung des Textes verrückt erschien. Das kommende Referat beschäftigt sich ganz klassisch mit den morphologischen Kategorien der russischen Sprach. Für die Vorlesung über die internationalen Wirtschaftsbeziehungen muss ich zum Glück keine Prüfung ablegen, da reicht es, dass ich immer brav anwesend war und mitgeschrieben habe. Nächste Woche heißt es dann zu jedem Fach unser `Studienbuch` mitzubringen und unsere Noten einzusammeln.
Letzte Woche war noch nicht geprägt von der Semester-Endstimmung, sondern stattdessen von der Vorbereitung für die Universitätskonzerte am Donnerstag und Freitag. Nun, nachdem ich zweimal das gleiche Lied bei zwei verschiedenen Konzerten gesungen habe, bin ich stolze Besitzerin von wunderschönen Diplomen, mit Unterschifft und Stempel wie es sich für ein ordentliches Dokument gehört. Vor den Konzerten war ich ziemlich aufgeregt und überhaupt war das ganze gut nervenaufreibend. Besonders meine schicken schwarzen Schuhe, mit dünnem hohem Absatz machten mir Sorgen. Doch es lief alles und inzwischen bin ich in Gedanken schon beim anstehenden PoleDance Examen diesen Sonntag.
Letzte Woche am Freitag kam unerwartet eine wunderschöne Postkarte von Rosa an! Nach dem emotionalen Konzerttag war das ein traumhafter Tagesabschluss. Am Montag derselben Woche erst konnte ich ein Paket von Hannah von der Post abholen! Wir waren beide erstaunt, wie schnell es seinen Weg nach Irkutsk fand. Beides war wie ein kleines Weihnachtsfest! Sowieso ist die Stimmung sehr weihnachtlich. Nachdem Kristina und Killian für zwei Wochen auf Reisen waren, besuchte ich sie ebenfalls am Freitag in ihrem Hostel um ihnen einen kleinen selbstgebastelten Adventskalender zu überreichen. Heathers Kalender hing da schon in ihrem Zimmer. Diesen Sonntag erzählte ich Heather von der Adventstradition und wir stellten fest, dass ich vergessen hatte mir einen Adventskranz zu basteln. Als ich am Montag vom Chor nach Hause kam, überraschte Heather mich mit einem von ihr gezauberten Kranz. Da wir bis jetzt beide vergessen haben ein Feuerzeug oder Streichhölzer zu besorgen erfreut er vor allem durch den Geruch der Tannenzweige. Morgen fährt Heather mit ihren amerikanischen Freunden zu METRO und bringt höchstwahrscheinlich einen kleinen Tannenbaum mit. Weihnachtstechnisch also alles palletti.
Eigentlich wollte ich noch von der letzten Wanderung berichten, doch diese scheint nun schon lange vorbei. Obwohl die Zeit vergeht wie im Flug kommt es mir so vor, als ob in den letzten Wochen, wenn nicht sogar Tagen unheimlich viel passiert ist. Uni, Hausaufgaben, Singen, PoleDance und das spazieren von A nach B füllt die Tage. Das Ganze erscheint inzwischen so alltäglich, dass es mir schwer fällt den Blog regelmäßig zu bereichern. Immer häufiger werde ich gefragt, ob ich mich darauf freue, wieder nach Hause zu fahren und ja, ich freue mich. Doch ich weiß genau, dass ich die Zeit hier vermissen werde. Das Leben hier verläuft in einem nun gewohnten Gang und es gibt so viele kleine Momente und Begegnungen die es immer wieder bereichern. Und wer hätte Gedacht, dass ich bei meinem Auslandssemester in Irkutsk endlich einen Grund finde, um doch einmal nach Amerika zu fahren.