Es ist kurz vor 18.00 Uhr und ich kann von meinem Fenster aus den Sonnenuntergang beobachten. In Tallinn wäre es, rein zeittechnisch betrachtet, schon seit einer guten Stunde dunkel. Doch tatsächlich wird in Tallinn die Sonne erst in ca. 3h untergehen. Das ist doch verrückt. Ich glaube in den letzten Tagen habe ich erst verstanden, wie genau das mit der Zeitumstellung auf der Welt funktioniert, was der Nutzen davon ist und aber vor allem auch, wie kompliziert das ganze sein kann:
Als ich letzte Woche Montag von Walodia zum Zug nach Moskau gebracht wurde, stand auf dem Ticket, dass der Zug um 12.58 Uhr losfahren würde. Nun ist wichtig zu wissen, dass bei Zugtickets immer die Moskauer Zeit geschrieben steht. Also fuhr mein Zug 14.58 Permer Zeit los. Noch bevor ich in den Zug gestiegen bin, wurde von der Schaffnerin ein Blick in meinen Reisepass geworfen und mir mein Zugticket abgenommen. Eine Weile dachte ich leicht verwundert, ich würde es nie wieder sehen, doch irgendwann nachdem der Zug (sehr pünktlich) losgerollt war, bekam ich es dann doch zurück. Walodia hatte die Schaffnerin, sowie die Dame die auch ein Bett im selben Kupe hatte, gleich vorgewarnt, dass ich zwar Russisch verstehen würde, aber naja… halt eine Deutsche sei, die zum ersten mal allein mit dem Zug unterwegs wäre. Dadurch waren, wie sonst wahrscheinlich auch, alles sehr lieb. Die Dame in meinem Kupe interessierte sofort, woher ich denn genau kommen würde, was ich hier machen würde und ob Walodia denn mein Geliebter sei. Ein schöner Einstieg für die Reise.
Im ersten Zug saß bzw. lag ich ganze 21h. In dieser Zeit gesellte sich zu uns ein Pärchen, dass als die Dame ausstieg auch über mich informiert wurde, und später dann noch ein einzelner Herr. Ich fand die Zugfahrt wirklich schön. Das Bett war wunderbar hart, die Toilette eigentlich immer frei und das kostenlose warme Wasser sehr heiß. Da ich nicht wirklich etwas zu tun hatte, hab ich mich an Harry Potter auf Russisch ran gewagt, Russisch gelernt und viel geschlafen. Beim Frühstück wollte das Pärchen unbedingt sein Essen mit mir teilen und so gab es etwas kaltes Hühnchen, was am Morgen eigentlich nicht so mein Ding ist. Doch die beiden waren sehr nett.
In Moskau angekommen durfte ich zum ersten Mal meine Uhr umstellen; 2h minus. Den anderen Bahnhof fand ich schnell und da ich noch um die 7h Zeit hatte, bin ich einfach los gelaufen. Nach einer Weile kam ich zu McDoof, wo ich das letzte Mal in Deutschland saß und wo es Internet gab. So konnte ich sehen, dass ich genau in Richtung `Roter Platz` gelaufen war. Nachdem ich mich ein wenig aufgewärmt hatte ging es also weiter zum `Roten Platz` und zum GUM. Dort wurde gerade der Weihnachtsmarkt aufgebaut, wodurch man nicht ganz so viel vom Platz gesehen hat, aber es war trotzdem ein tolles Gefühl dort zu sein. Vor allem, weil ich mich auch noch an eine Menge von dem Kurzurlaub mit Mama und Papa vor 3 Jahre erinnern konnte.
Während der Wanderung durch die Stadt hatte ich die ganze Zeit den Rucksack auf dem Rücken dabei und auch wenn er nicht voll war, habe ich meine Beine, als ich im zweiten Zug auf meinem Bettchen lag, deutlich gespürt! Kurz vor dem Einsteigen hatte ich noch den kulturweit Freiwilligen aus Moskau getroffen, der wie ich auf dem Weg nach Tallinn war. Doch da wir in verschiedenen Wagons saßen, haben wir und die ganze Fahrt über nicht mehr gesehen. Eigentlich hab ich bei der zweiten Fahrt sowieso fast nur geschlafen. Im Kupe waren wir dieses Mal nur zu zweit; ein älterer Herr und ich. Überhaupt war der Wagon sehr leer. Ich denke, dass wir gerade mal 6 Persönchen waren.
Gegen 2 Uhr morgens kam dann die Grenze und die damit verbundene Passkontrolle. Das war schon eine merkwürdige Sache, vor allem wenn die Beamten einfach mit dem Pass verschwinden, oder ein Zollbeamter mit einer Taschenlampe mal schnell in alle Ecken leuchtet. Das Ganze natürlich zwei Mal. Erst mit den Russen und dann mit den Esten.
In Tallinn musste die Uhr dann noch einmal um 2h zurückgestellt werden. Dort kamen wir nach 15h Fahrt bei Nieselregen-Regen an. Auf dem Bahnhof setzte ich mich erst mal hin und wartete auf Chris. Der hatte nur eine Platzkarte gehabt, ohne Bett, und deshalb eine nicht ganz so gute Fahrt hinter sich. Er musste sich dann auch bald auf die Suche nach der russischen Botschaft machen, da er sein Visum verlängern wollte/ sollte/ musste. Irgendwie war ich nicht ganz so scharf darauf mit zur Botschaft zu latschen und so ging wieder auf gut Glück Richtung Innenstadt. Immerhin hatte ich dieses Mal eine Karte auf dem Handy dabei, da ich sie mir bei Chris abfotografieren durfte. Aber der Regen war sehr unschön und der Handy-Akku nach 2 Tagen so gut wie alle und so begab ich mich ins erst beste Einkaufszentrum, das gerade um 9 Uhr aufmachte. Dort stand ich erst ein Weilchen im WC-Bereich, während mein Handy sich auflud und saß dann später bei einer heißen Schokolade und einem Tee mit „Garry Potter“ in einem Cafe.
Ich hab nach ein paar Stunden sogar noch ein wenig die Stadt erkundet, aber Regen, Gepäck und Müdigkeit sind keine gute Mischung. Also bin ich schon 2h früher als gemusst zum Hafen. Nach und nach wurden wir immer mehr und zusammen ging es dann auf die Fähre nach Stockholm.
Die Fährenfahrt war toll, die Kajüten sehr eng und kuschelig, doch irgendwie hat man da auch zu viert Platz gefunden. Wir haben uns während der Zeit auf dem Schiff viel unterhalten; über unsere Einsatzstellen, über die Menschen mit denen wir viel oder auch weniger zu tun haben und überhaupt darüber wie es uns allen so geht. Doch auch das Schiff an sich war eine interessante Sache. Was man dort überall so finden konnte. Vor dem Abendbrot sind ein paar von uns zum Beispiel in die Sauna, was wirklich gut tat und (ganz nebenbei) das Abendbrotbüfett war der Wahnsinn…
Am nächsten Tag in Stockholm (mussten wir die Uhr wieder eine Stunde zurück stellen, wer mitgerechnet hat, weiß, dass wir somit die deutsche Zeit hatten) hat es auch geregnet, was der Stadt sicher etwas von ihrem Charme genommen hat. Schön war es trotzdem und unser Grüppchen ist tatsächlich 5h am Stück durch die Gegend gelaufen. Überhaupt haben wir in den letzten Tagen viel gesehen und die schönsten Dinge sind, so im Rückblick, meiner Meinung nach die Aussicht von der Fähre aus und die Altstadt von Tallinn gewesen (und der Blick beim Rückflug auf Perm, aber dazu komme ich später vlt.).
Zurück in Tallinn haben wir die Uhr wieder eine Stunde vorgestellt und uns im Hotel direkt am Bahnhof eingenistet, was einem das Gefühl gab immer noch auf dem Schiff zu sein, da ALLE Wände sehr hellhörig waren und die Bahnhofsgeräusche in etwa dem Schiffgeratter entsprachen. Dann ging es weiter mit dem Seminar und dem Reden. Am Abend sind wir in die Altstadt und zum Weihnachtsmarkt. Samstag war auch noch Seminar und am Sonntag sind wir zum Schluss alle zusammen sowas wie Crêpes essen gegangen (Manche Gerichte scheint es überall, bloß mit anderen Namen, zu geben). Danach haben wir uns aufgelöst und meist neue kleine Grüppchen gebildet. Ich bin mit zwei anderen Mädels in ein Hostel und das war wirklich lustig und sehr sehr nett! Inzwischen finde ich die Vorstellung 3 Tage allein in Riga zu sein gar nicht mehr so schlimm (auch, weil eine andere Freiwillige in Riga ist, noch eine ca. 2,5h entfernt und beide sehr lieb sind). Vom Hostel aus sind wir noch einmal über den Weihnachtsmarkt, haben in einem Cafe ein paar Karten geschrieben und dann zusammen eingekauft. Im Hostel wurde dann gekocht: Typisch deutsche Nudeln mit Tomatensoße. Wie ich das vermisst habe! Denn auch, wenn wir hier in Perm oft Nudeln essen, dann schmecken die irgendwie anders.
Am nächsten Morgen hab ich schnell allein gefrühstückt und bin dann zum Flughafen. Erst mit dem Trolleybus, dann mit der Straßenbahn und dann noch (länger als gedacht) zu Fuß. Mensch war ich froh, als ich endlich beim Flughafen ankam!
In Moskau, wo ich die Uhr wieder 2 Stunden vorstellen durfte, saß ich letztendlich 8h aufm Flughafen, doch das wusste ich ja schon vorher. In der Zeit habe ich vor allem Menschen beobachtet und mehr oder weniger belauscht, mich irgendwie mit dem Flughafeninternet arrangiert und die November_NEON gelesen, die mir von einer Freiwilligen weiter vererbt wurde.
Interessanter Weise habe ich wirklich überall deutsche Menschen getroffen. Im Flughafen hab ich es geschafft mich irgendwann direkt neben eine deutsche Gruppe zu setzten. Im Flugzeug nach Perm waren schon wieder mindestens 5 Deutsche, die nicht unbedingt alle zusammen gehört haben und natürlich saßen diese nicht mehr als 2 Reihen vor bzw. hinter mir. Selbst im Zug, bei der Fahrt nach Moskau, stiegen am späten Abend, direkt in das Kupe neben meinem, 3 Deutsche und eine deutsch sprechende Russin ein. Soweit ich das mitbekommen habe, waren alle aus irgendwelchen Arbeitsgründen in Russland unterwegs.
So, inzwischen ist es schon wieder halb 9, das Abendbrot vorbei und draußen zappel duster angesagt. Ich bemerke auch gerade, dass ich ganze 2 Wordseiten vollgeschrieben habe und nur noch hoffen kann, dass ihr beim Lesen ein wenig Spaß habt. Ich will auch nur noch ein paar Sätze schreiben und dann muss ich mich noch ein wenig auf den Russischunterricht morgenfrüh vorbereiten.
23 Uhr Moskauer Zeit stieg das Flugzeug in den wolkig, nebligen Moskauer Himmel und landete 2h später um 3 Uhr morgens Permer Zeit in Perm. Die Stadt sah von oben so wunderschön aus! Alles hat geleuchtet und gefunkelt. Ich konnte sogar einige Orte, wie das Hotel Ural, erkennen und so überlegen wo denn die Schule und unsere Wohnung sein könnten.
Abgeholt wurde ich von Walodia. Er rief mich auch gleich ganz ungeduldig an, als wir gerade gelandet waren, ich aber noch im Flugzeug saß. Auf der Rückfahrt haben wir uns ein wenig unterhalten. Größenteils habe ich jedoch bei der Fahrt aus dem Fenster geschaut und die Sterne und den Halbmond bestaunt.
Heute am Tag schien die Sonne, wie zur Begrüßung und nachdem ich kurz in der Schule war bin ich noch ein wenig spazieren gewesen, mal eine ganze andere Strecke, in eine andere Richtung. Ich denke, das werde ich jetzt öfter machen, oder es zumindest versuchen. Mir ist nämlich aufgefallen, dass ich in den letzten Tagen ständig durch andere Städte gelaufen bin um diese kurz näher kennen zu lernen und von Perm, wo ich ja jetzt doch schon seit 3 Monaten wohne, noch so wenig gesehen habe.
A propos 3 Monate. Die Hälfte der Zeit hier ist jetzt vorbei. Und obwohl ich mich sehr auf Berlin freue und auch wirklich gern in das Flugzeug, das gestern von Moskau aus nach Berlin geflogen ist, gestiegen wäre, wünsche ich mir, dass die Zeit aufhört so zu rennen. Ich mein, wieso muss es denn schon wieder 21 Uhr sein?
P.s. ein paar Bilder folgen noch