Am 12. April 2023 war es endlich soweit. Fast ein halbes Jahr, nachdem ich meine Bewerbung auf dem kulturweit-Onlineportal eingereicht hatte, erhielt ich endlich die langersehnte E-Mail mit dem Platzangebot. Für mich sollte es nach Uruguay gehen. In Anbetracht der Tatsache, dass ich schon seit einigen Jahren den Wunsch verspürte, nach Südamerika zu reisen, war ich somit unglaublich glücklich über diese Möglichkeit. Zugegebenermaßen kam zunächst jedoch auch erst etwas Enttäuschung auf, da ich eigentlich damit gerechnet hatte, durch meine NatCom-Einsatzstelle in der Hauptstadt zu landen und ich mich schon auf das Großstadtleben gefreut hatte, das einen willkommenen Kontrast zu meinem Leben in Deutschland in einem 2000-Seelen-Dorf dargestellt hätte.
Meine Einsatzstelle ist allerdings keine klassische NatCom-Stelle, was ich dann nach etwas Recherche herausgefunden habe. Vielmehr bin ich hier in der sogenannten „Fray Bentos Industrial Landscape“ eingesetzt, eine ehemalige Fleisch-und Konservenfabrik aus dem 19. Jahrhundert, die 2015 zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt wurde. Hier wurden von 1861 bis 1979, erst unter deutscher, dann unter englischer Führung, Fleischextrakt nach dem Verfahren des deutschen Chemikers Justus von Liebig, Corned Beef und allerlei andere Konservenprodukte hergestellt. Hierbei handelte es sich nicht nur um Fleisch, sondern auch eingelegtes Obst und Gemüse oder Marmeladen gehörten zum Produktionskader. Insgesamt wurden in der Geschichte der Fabrik mehr als 200 verschiedene Produkte hergestellt.
Dementsprechend liegt meine Einsatzstelle nicht in einer lebendigen Millionenstadt, wie ich mir erst erhofft hatte, sondern in der beschaulichen 24.000 Einwohner*innenstadt Fray Bentos, in der das Leben „tranquilo“ ist, wie hier im Gespräch mit Einheimischen ständig betont wird.
Aber nochmal ganz von vorne, offiziell begann mein FSJ ja bereits am 1. September. In diesen Tag bin ich nach kaum 2 Stunden Schlaf aus dem Nachtzug aus Karlsruhe nach Berlin gestartet. Der Dienst begann schließlich mit einem 10-tägigen Vorbereitungsseminar in der Nähe der Hauptstadt und zu spät kommen wollte ich da natürlich nicht. Wir wissen schließlich alle, wie zuverlässig die Deutschen Bahn ist, wenn es darauf ankommt und deswegen entschied ich mich, bereits am 31. August um 23 Uhr in den Zug zu steigen. Nachdem ich im Anschlusszug nach Eberswalde bereits Bekanntschaft mit einigen Mitfreiwilligen machen konnte, wurden wir dort am Bahnhof von Shuttlebussen abgeholt und zur Tagungsstätte gebracht. Ich hatte mich schon gefragt, wo 315 Freiwillige + Trainer*innen untergebracht werden sollten, aber das „Seezeit Resort am Werbellinsee“ hatte sogar noch Kapazität für weitere Gruppen, so weitläufig ist das Gelände. Und so verbrachten wir die kommenden Tage besonders mit dem Kennenlernen unserer „Homezone“, die meist aus Freiwilligen bestand, die in das gleiche Einsatzland bzw. die gleiche Region reisen, und die besonders in unserer 12-köpfigen Uruguay-Gruppe bereits nach einigen Tagen zu Freundschaften geführt hat und wir das Gefühl hatten, uns schon viel länger zu kennen. Außerdem nutzten wir das wunderschöne Gelände, um im Werbellinsee baden zu gehen oder abends auf dem Steg zu sitzen und zu quatschen. Zudem wurden jeden Tag verschiedene Workshops zur Vorbereitung auf den Vorbereitungsdienst angeboten, die sich mit Begebenheiten vor Ort und persönlichen Aspekten wie der Rolle als Freiwillige beschäftigten. Wir besuchten zudem Einheiten über Kolonialismus und möglichen Schwierigkeiten im Freiwilligendienst sowie eine Infoveranstaltung unserer jeweiligen Partnerorganisation (z.B. die Nationalkommissionen, der Pädagogische Austauschdienst oder das Goethe-Institut). Für mich war das Seminar durch den intensiven und wunderschönen Austausch mit den anderen Freiwilligen die perfekte Einstimmung auf den Dienst und bestärkte mich noch mal mehr, die Entscheidung für diesen sehr großen Schritt aus der Komfortzone getroffen zu haben. Getrübt wurde diese Erfahrung jedoch durch einen großen Corona-Ausbruch unter den Freiwillige. Eigentlich war das doch etwas, womit man mittlerweile nichts mehr am Hut haben will… Einige mussten deshalb früher abreisen, im Speisesaal wurden Masken getragen und auch die Tests am Morgen wären etwas gewesen, das man sich gerne hätte ersparen können. Ich kann mir auch nicht erklären, wie das möglich war, aber ich hatte das riesige Glück, dass ich mich nicht infiziert habe und somit meine Reise ohne Verschiebung und topfit antreten konnte.
Nach einem letzten ganzen Tag zurück zuhause, an dem noch einmal die ganze Wäsche gewaschen wurde und die letzten Dinge erledigt wurden, ging es für mich nach vielen Verabschiedungen auf den Tag genau 5 Monate nach meiner Platzzusage von kulturweit gegen 15:30 auf den Weg zum Frankfurter Flughafen. Zufälligerweise hatte ich den gleichen Flieger wie 3 weitere Freiwillige gebucht und so war ich nach der finalen Verabschiedung von meiner Familie doch nicht ganz auf mich alleine gestellt. Eigentlich hätte das Flugzeug um 21:25 den deutschen Boden verlassen sollen, aufgrund eines starken Gewitters verzögerte sich unser Start leider jedoch um fast 3 Stunden. Auf dem Flug über dem Atlantik konnten wir immerhin noch etwas Zeit aufholen und wir landeten um kurz vor 6 Uhr morgens Ortszeit in São Paulo, Brasilien. Man würde denken, 1h15 Umstiegszeit sollten noch reichen, wenn man sich beeilt, allerdings durften wir ärgerlicherweise über eine Stunde das Flugzeug nicht verlassen und somit verpassten wir den Anschlussflug nach Montevideo. Ich hatte Glück und erhielt kurz darauf eine E-Mail der Fluggesellschaft, dass ich den nächsten Flug gegen 14 Uhr nehmen kann und wartete dementsprechend mit einem Mitfreiwilligen, der diesen Flug von Anfang an gebucht hatte. Die anderen beiden mussten eine Nacht in São Paulo verbringen und konnten erst am nächsten Morgen fliegen…
Und so betraten wir am 13. September gegen 17 Uhr Ortszeit nach 31 Stunden Reise endlich uruguayischen Boden! Nach einer kurzen unkomplizierten Sicherheitskontrolle und ausgestattet mit einer SIM-Karte und einigen bunten uruguayischen Peso-Scheinen verließen wir das Flughafengebäude und waren erstaunt darüber, wie kalt es war. Aber logisch, auf der Südhalbkugel wird es ja gerade erst Frühling. Dadurch, dass wir zu viele Koffer hatten, war es uns leider nicht erlaubt, einen Bus in die Innenstadt zu nehmen und wir stiegen letztendlich in ein Uber, um endlich zur Unterkunft zu gelangen. Die 10 darauffolgenden Tage versuchten wir uns nämlich an einer 9-Personen-WG mit dem Großteil der anderen uruguayischen Freiwilligen, um die Stadt zu erkunden und unseren verpflichtenden Sprachkurs zu absolvieren. Die Tage in Montevideo waren sehr schön und wir unternahmen bereits einen ersten Ausflug nach Punta del Este, einen bekannten Badeort an der Atlantikküste. Der Sprachkurs war sehr hilfreich, um in die Sprache reinzufinden, die viele von uns zwar schon in der Schule gelernt hatten, Konversationen allerdings bisher eher vermieden haben. Hier kamen wir auch das erste Mal in den Genuss des „Mate“, den die Uruguayos hier wie Wasser trinken.
Nach dieser schönen Zeit in Montevideo ging es für meinen Mitfreiwilligen Emil und mich am 23. September dann endlich mit dem Bus nach Fray Bentos, das wir für die nächsten 10 Monate unser Zuhause nennen werden.