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Hier war ich

Aserbaidschanische Sommer

Da sich meine Zeit hier dem Ende zuneigt, habe ich begonnen über mein Fazit, meine Haltung zu Baku nachzudenken.

Zusammen mit einer amerikanischen Freundin bin ich zu dem Schluss gekommen, dass irgendetwas ganz besonders ist, etwas das in jedem, der die Stadt wirklich kennt auffällt und nie wieder loslässt, etwas dass ein ganz bestimmtes Gefühl auslöst. Vor allem der Sommer zwischen Ölfeldern und dem Kaspischen Meer ist besonders.

Es ist sehr schwer greifbar warum ich mich hier so wohl fühle, besonders wenn man sich die einzigen Dinge, die es aus Aserbaidschan in westliche Medien schaffen durchliest: Krieg, Korruption und ein autoritäres Regime. Natürlich stimmen diese Vorwürfe alle mehr oder weniger, aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Je länger ich hier bin, desto kleiner erscheint dieser Anteil. Er wird überprägt durch die Menschen, die ich inzwischen kenne und liebe, durch all die positiven Erfahrungen, durch die Schönheit und seltsame Ästhetik.

Selbst mir fällt es schwer zu begreifen warum ich das Land und seine Menschen so liebgewonnen habe, warum ich den Sommer hier so genieße. Dieser Text ist nur einer von vielen Versuchen die spannende Stimmung hier zu beschreiben:

 

Anfang Juni beginnt Baku sich zu verändern, die Hitze legt sich wie eine unsichtbare Wolke über die Stadt, und die Oberschicht verlässt die Stadt, um den Sommer in ihren Datschen zu verbringen, Schulen und Universitäten schließen, das Verkehrschaos legt sich etwas. Es wird bis Oktober fast nicht mehr regnen.

Die krassen Gegensätze fallen so noch mehr ins Auge, auf alte sowjetische Ladas ohne Motorhauben folgen teure Luxuskarossen, die schicken Fassaden der alten Häuser stehen in Kontrast zu ihren Treppenhäusern und Wohnungen.

In meinem Viertel kann man bei Spaziergängen den Alltag in Baku beobachten; in den verwinkelten Innenhöfen wird Samovarçay getrunken, Männer grillen Kebap und Schaschlik über alten Ölfässern. In den Schatten und auf den Autos liegen Katzen, von ihren windschiefen Balkonen beobachten alte Frauen die Straßen.

Gegenüber von einer Moschee wird Bier und Kvas aus einer Garage an die Betenden verkauft, über der Straße wehen Wäscheleinen.

Auch die Sonne ist im Kaukasus besonders, ein warmes, gelbes Licht liegt über der ganzen Region und leuchtet alle meine Eindrücke aus der Stadt perfekt aus.

Abends fahre ich im Sommer oft ans Kaspische Meer um den Sonnenuntergang anzuschauen.Das Meer ist an sonnigen Tagen sehr intensiv blau, vielleicht wegen des vielen Erdöls in der Bucht von Baku. Nachts fliehen viele junge Menschen vor der Hitze in der Stadt an den Strand um zu grillen und zu baden, insgesamt verlagert sich das Leben immer mehr in die Abendstunden. Diese Momente fühlen sich an wie im Film, ich empfinde mich als Zuschauer in einer riesigen Kulisse.

Und natürlich sind es meine Freund*innen, die diese Kulisse mit Leben füllen, die mir einen Zugang verschaffen, durch sie wurde Baku erst ein Zuhause für mich.

 

Deutsche fragen mich oft wie das Leben in einer Diktatur ist, ich glaube oft verstehen sie nicht, dass es abseits davon natürlich auch eine reiche Geschichte und Kultur geben kann, dass auch die Menschen auch hier ein normales Leben führen. Außerdem sind die Möglichkeiten, wenn man sich nur traut, viel größer als man erwarten würde.

Baku, Juni 2023

Lankaran

Nach vier Wochen fahre ich mit dem Taxi nach Lankaran, an der Grenze zum Iran, 30 Euro für 3,5 Stunden Taxifahrt, wie ich später herausfinde viel zu viel.

Wir fahren durch die Wüste, dem Sonnenuntergang entgegen. Es läuft orientalische Musik, mein Fahrer raucht und telefoniert. Ich betrachte die Ölpumpen am Straßenrand und die felsigen Hügel im Hintergrund, es fühlt sich sehr nach nahem Osten an. 

Kurz vor dem Ziel sieht man die Lichter im Iran, ich fühle mich weit weg von zuhause und frei. 

Baku, Oktober 2022