Weihnachtsmann Tours
Wenn meine Kinder mich in zwanzig Jahren fragen sollten, ob es den Weihnachtsmann wirklich gibt, so kann ich jetzt wahrheitsgetreu antworten: ja, natürlich. Das ist ein alter Freund von mir, mit dem bin ich schon Anno 2016 durch Uruguay spaziert, auf der Suche nach der Fiesta del Queso in Ecilda Paullier. Fiesta del Queso heißt „Käsefest“, und nachdem die ganze Region um meinen Einsatzort Nueva Helvecia herum ein Zentrum der Käseproduktion ist, dachte ich, das könnte ja ganz interessant sein. Letztlich entpuppte sich das Fest zwar leider im wahrsten Sinne des Wortes als Käse, aber nebenbei kann man an dieser Geschichte eine Menge über Uruguay lernen.
Disclaimer: Alle Einzelheiten dieser Geschichte sind wahr.
Das fängt schon allein damit an, dass natürlich mal wieder kein Mensch in Ecilda Paullier wusste, wo das Fest beziehungsweise der Festumzug überhaupt stattfand. Der Bus ließ mich auf der falschen Seite der Ruta 1 aussteigen, sodass ich auch zum ersten Mal in meinem Leben eine Autobahn überquert habe – in Uruguay kann man das machen, da gibt es bei nur drei Millionen Einwohnern im ganzen Land sowieso keinen Verkehr. Ich erkundigte mich also bei der Dame der Busfirma, wo’s langgeht, sie wies irgendwo in Richtung Dorf hinein und meinte, ich solle dem Weihnachtsmann folgen. Der wolle nämlich auch zum Käsefest.
Der Weihnachtsmann jedoch wusste ausnahmsweise leider auch nichts, und so trotteten wir gemeinsam bei einsetzendem Nieselregen durch das 2585-Einwohner-Kaff[1] auf der Suche nach dem Christkind an Pfingstsonntag. Ich komme mir so unwirklich vor wie noch nie zuvor in meinem Leben. Alle paar Meter hielt mein Begleiter an, rief laut „Ho-Ho-Ho!“, verteilte ein Bonbon an einen Passanten und fragte dann nach dem Weg. Diese Methode der Orientierungssuche ist an sich schon als typisch uruguayisch zu bezeichnen. Wenn eine Stadt ein großes Fest veranstaltet, zu dem nach Angaben des Kulturministeriums jährlich 5.000 Leute erwartet werden, dann könnte man doch davon ausgehen, dass dieses Fest eine ordentlich gemachte Website besitzt, auf der alle Informationen samt Stadtplan für jedermann zu finden sind. Oder das zumindest auf der Stadthomepage was steht. Oder dass es zumindest einen Wegweiser zum Festgelände gibt. Aber es gab eben: nichts. Von einem Umzug wusste sogar eine Einwohnerin der Stadt nicht, doch in Uruguay gilt es als unhöflich, jemandem, der nach dem Weg frägt, zu sagen, dass man den Weg nicht kennt. Lieber weist man irgendwo hin, egal wo, Hauptsache, irgendein Weg. Ob’s der richtige ist, ist ja eher zweitrangig. Das war schon auf dem Día del Gaucho in San José so und das haben wohl die indígenas schon so gemacht, als die Spanier oben in Venezuela ankamen und „Gold, Gold, Gold!“ riefen. Die Ureinwohner antworteten: Gold? Nee, haben wir nicht. Nie gehört. Aber weiter südlich soll es Gold geben, ganz viel! Hauptsache, ihr lasst uns in Ruhe. Das ging 200 Jahre, so lange, bis die Spanier in Uruguay ankamen hier, wo’s auch kein Gold gab. Aber so wurde ein ganzer Kontinent besiedelt.
Der Weihnachtsmann und ich laufen also so lange ins Dorf hinein, bis wir jemanden treffen, der wieder in genau die entgegengesetzte Richtung weist. Zum Liceo (Sekundarschule), das am Sonntag natürlich geschlossen ist. Wir setzen uns auf die Schulmauer, ich mache ein Beweisfoto für meine noch ungeborenen Kinder, bis wir irgendwann feststellen, dass wir ziemlich in der Nähe vom Beginn des Festumzugs gelandet sind.
Ich schnappe mir meine Kamera, der Weihnachtsmann seinen Bonbon-Korb, und so laufen wir – diesmal mit Festumzug als Begleitung – ungefähr die gleiche Strecke wieder zurück ins Dorf hinein.
Koai Blasmusi aufm Kääsfest
Der Umzug selbst war enttäuschend winzig, von wegen 5000 Besucher. Nicht mal die sonst eigentlich obligatorische Nationalhymne wurde gesungen. Doch danach ging es auch nicht wirklich besser weiter. Angekündigt war ein almuerzo criollo, ein „kreolisches Mittagessen“, und zwar – sinnvollerweise – um zwölf Uhr mittags. Mit Band.
Jetzt ist das in Deutschland (oder in Bayern zumindest) ja normalerweise so, wenn irgendeiner ein Bierzelt aufstellt und sagt, um 12 wird o’zapft, dann ist spätestens um halb zwölf das ganze Zelt schon voll, und allerspätestens um fünf vor zwölf gibt’s Blasmusi, um den Menschen so richtig einzuheizen. Auf diesem Fest dagegen war die Bühne um halb eins noch nicht mal aufgebaut. Und trotzdem stand derjenige, der so aussah wie der Leadsänger der Band, seelenruhig auf der Bühne und schlürfte seinen Mate, als wenn nichts gewesen wäre. Einer Band mit einer solchen Organisation hätte man in Deutschland schon längst gekündigt, aber in Uruguay regt das nicht einmal jemanden auf. Das „Mittagessen“ dann entpuppte sich leider als eine Auswahl der üblichen uruguayischen Fastfood-Klassiker: Choripan, Hamburguesa und Pancho (Würstchen im Brot, Hamburger und Hotdog). Das ist nicht schlecht, aber auf Dauer etwas einfallslos. Je nach Bedarf hätte ich mir dann noch „ein halbes oder ein ganzes Kilo“ (meinte die Verkäuferin ernsthaft zu mir) Asado-Fleisch dazu kaufen können, leider à la uruguaya, also: ohne Beilage und ohne Soße. Ich sollte eigentlich mal einen Beitrag über die uruguayische Küche verfassen, aber die Mühe würde sich wohl nicht wirklich lohnen. Uruguay ist eine kulinarische Wüste, bestehend aus Fleisch, Fleisch und noch mal Fleisch, alles ohne Beilage. Höchstens mal eine Chimchurri-Soße, aber das ist dann schon viel. Sicher, das Fleisch ist nicht schlecht, vielleicht sogar – wie die Uruguayos selbst behaupten – das Beste der Welt, aber ohne Beilagen? Uruguay ist ein Land, in dem man leider sogar Nudeln und Reis „trocken“ ohne Soße isst. Kann diese Geschichte eine wahre sein? 😉
[1] laut Wikipedia. Wer schreibt eigentlich diese ganzen Wikipedia-Einträge?