Buenos Aires, die Dritte

Buenos Aires, die Dritte

Argentinien steckt mal wieder in der Krise. Das ist nichts Neues, sondern kommt alle paar Jubeljahre öfters mal vor, aber es kann ja nicht schaden, den deutschgeblasenen Tellerrand mal etwas zu erweitern und einen Blick an das andere Ende der Welt zu werfen, um zu sehen, was die Menschen dort bewegt. So komme ich also dazu, mittlerweile schon meinen dritten Blogbeitrag über Buenos Aires zu schreiben. Damit´s nicht allzu theoretisch wird, verspreche ich noch Informationen über Buenos Aires´ Chinatown und seine Moschee dazu.
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Argentiniens neuer Präsident Maurico Macri hatte ja angekündigt, den von seiner Vorgängerin künstlich auf 1:10 im Vergleich zum Euro gedrückten Peso-Wechselkurs freizugeben, den Peso dadurch zu schwächen und argentinische Exporte im Ausland billiger zu machen. Eine Weile noch schien es so, als würde sich der Markt auch an das präsidentielle Wahlversprechen, den Kurs bei 1:14 zu stabilisieren, halten, doch mittlerweile befindet sich der argentinische Peso im freien Fall. Und zieht den uruguayischen mit ins Loch. Mittlerweile kann ich zuschauen, wie der Kurs fällt. Vor einem Monat, als ich das letzte Mal in Buenos Aires war, bekam ich für einen Euro noch 13 argentinische oder 30 uruguayische Pesos. Mittlerweile bekomme ich für den eigentlich schwachen Euro schon 16 argentinische oder 35 uruguayische Pesos. Doch diese Kursentwicklung spiegelt eigentlich nur die enorm hohe Inflation wieder, die in Argentinien bis zu 30 Prozent pro Monat beträgt – und die ich auch in meinem Geldbeutel spüre. Während ich vor einem Monat noch mit 600 Pesos in der Tasche eine gute Weile lang auskam, muss ich heute 1000 Pesos beim Geldautomaten abheben – der mercado azul ist praktisch nicht mehr existent, immerhin. In der Folge jagt eine Kirsensitzung in der Casa Rosada die Nächste, und die Gewerkschaften fordern eine allgemeine Lohnerhöhung um 30 %. Argentinien befindet sich in einer klassischen Lohn-Preis-Spirale, die normalerweise mit einer Schwächung des Binnenkonsums, Massenentlassungen und einer handfesten Wirtschaftskrise endet. Das klassische geldpolitische Mittel dagegen wäre ein Währungswechsel, nicht der erste in der Geschichte des Landes. Für die Darstellung dieser Zusammenhänge hätten wir damals in Wirtschaft und Recht eine Eins bekommen. Macri kennt sie auch und findet doch keine Lösung.
Auf der Plaza de Mayo stehen sie also mal wieder und protestieren. Ich frage mich, ob ich so bald wieder nach Buenos Aires kommen kann.

Chinatown

So, nach diesem wirtschaftspolitischen Exkurs hatte ich ja noch ein paar interessantere Dinge versprochen. Zum Beispiel das Barrio Chino, also Buenos Aires´ Chinatown. Ich wusste gar nicht, dass es das überhaupt gibt. Buenos Aires liegt ziemlich genau am anderen Ende der Welt, ist also die Antipode von Peking. Soll heißen, wenn hier einer beim Eingangstor des Barrio Chino ein Loch durch den Erdkern bohrt, kommt er am anderen Ende genau auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking raus. Na ja, vielleicht auch in irgendeinem Vorort, bei rund 40.000 Kilometer Erddurchumfang kann da schon mal die Genauigkeit verlorengehen, wenn man die Wasserwage falsch anlegt oder so.


Woran ich ebenfalls nicht dachte, ist, dass die Chinesen ja auch an einem anderen Tag Neujahr feiern als im Westen. Toll. Das war doch neulich, oder? Ja. Am 30. Januar. Mist. Aber die Taiwanesen, die haben doch auch noch mal einen eigenen Neujahrstermin. Das wusste ich zwar auch nicht, ein Plakat am taiwanesischen Kulturzentrum dagegen schon. Das Plakat wusste jedoch leider auch zu berichten, dass das Fest wegen des Erdbebens in Taiwan abgesagt wurde, und damit musste ich mich mit diesen Eindrücken aus Chinatown begnügen:

Das ist dann wohl der sprichwörtliche Sack Reis, der in Taiwan umfällt und dazu führt, dass ich kein chinesisches Neujahrsfest miterleben kann.

Allah u akbah!

IMG_7815Was auf dem einen Ende der Welt passiert, hat auf dem anderen also ganz unvorhersehbare Auswirkungen. Dieser sogenannte Schmetterlingseffekt ist eine Folge der Globalisierung und der Tatsache, dass alles immer stärker mit allem verknüpft ist – noch ein Grund dafür, warum wir nicht einfach den Nationalstaat wiederbeleben können, wie gewisse momentan leider erstarkende politische Gruppierungen in Europa und Anderswo behaupten.
Ein ähnliches Erlebnis hatte ich einige Tage später erneut, beim Besuch der Moschee von Buenos Aires. Ja, die argentinische Hauptstadt hat eine Moschee, und über zwanzig Flugstunden vonihrem Heimatland entfernt kann man sich diese saudi-arabisch finanzierte Moschee ja auch mal anschauen. Es gibt hier ja auch deutsche Bäckereien, vierzehn Flugstunden von Deutschland entfernt, warum also nicht.
Am Eingang also treffe ich zwei ältere Herren und beginne den üblichen Smalltalk. Woher kommst du, wohin gehst du, und so weiter. Ich erfahre, dass einer der beiden gebürtiger Italiener ist, die argentinische Staatsbürgerschaft besitzt, aber in den Vereinigten Staaten wohnt. Soso. Wo in Italien ist er denn geboren? Im Süden. Wo denn genau, im Süden? In Kalabrien. Siehe da: aus Kalabrien stammt auch mein Großvater, dem ich meinen italienischen Nachnamen verdanke. Ob er ein kleines Bergdorf namens Chiaravalle kenne? Ja, aber nur vom Namen her. Trotzdem unglaublich. Da fliegt man ein Mal um die halbe Welt und dann trifft man Dienstags beim Moscheebesuch einen Mann, dessen Eltern die Nachbarn von meinen Großeltern hätten sein können.
Die umgekehrte Fragerunde förderte ebenfalls erstaunliche Erkenntnisse zutage: normalerweise ist die erste Reaktion auf die Information, dass ich aus Bayern käme: “Ah, Bayern Munich, Bier, Oktoberfest!” (insbesondere bei Amerikanern natürlich). Diesmal war die Reaktion mal eine andere: “Ah, der Zugunfall!” Ein weiterer Beweis dafür, dass die Single Stories nur bestimmte Nachrichten über ein Land international bekannt machen.
Ein bisschen Aufklärung ist da dringend nötig. Auch beim Islam, noch so ein Thema. Wir begannen also unsere Führung, der Führer war auch sehr zuvorkommend und forderte uns auf, offen Fragen zu stellen, es gebe keine Tabus. Nach einer Weile fiel mir auf, wie “einfach” die Fragen waren. Zu den fünf Säulen des Islams, was der Muezzin vom Minarett ruft und warum es in der Moschee getrennte Gebetsräume für Männer und Frauen gibt. Fragen, die in Deutschland jeder Grundschüler beantworten können sollte. Am Ende stellte ich daher auch eine Frage, aber nicht an den Führer, sondern in die offene Runde: ob es in Argentinien denn einen schulischen Religionsunterricht gebe. Und wenn ja, ob man in diesem auch über andere Religionen etwas lerne als nur über das Christentum. Denn so bin ich aufgewachsen: mit katholischer Religionslehre an einer staatlichen Schule, in der wir nicht nur über das Christentum in all seinen Konfessionen, sondern auch der Reihe nach über das Judentum, den Islam, den Hinduismus, den Buddhismus und sogar über die atheistischen Religonskritiker und Philosophen ein fundiertes Grundwissen vermittelt bekamen, Moscheebesuch im Nachbarort inklusive. In Argentinien, so erfuhr ich, gibt es das nicht. An öffentlichen Schulen gibt es sowieso keinen Religionssunterricht, und an kirchlichen Schulen nur in der Religion, deren Kirche dort das Sagen hat. Das ist sehr Schade, denn ich habe meinen Religionsunterricht immer als sehr bereichernd wahrgenommen. Man hat uns die Religione, egal welche, nie als die allumfassende Wahrheit dargestellt, sondern uns aufgeklärt, was es gibt, was die Leute glauben und uns dann gesagt: jetzt seid ihr dran. Das Richtige für euch müsst ihr euch selbst suchen. So wurden wir zu toleranten, mündigen Bürgern herangezogen, während die erste Begegnung mit dem Islam hier offensichtlich nur dann stattfindet, wenn man sich als Erwachsener dazu entscheidet, mal eine Moschee zu besuchen. Das Werben für religiöse Vielfalt ist eigentlich eien Aufgabe, die wir hier nicht jedem Einzelnen oder den Kirchen selbst überlassen sollten. Sondern es ist eine Aufgabe, die der Staat wahrnehmen sollte.

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