Die Aussichten in Cuzco
Was soll ich noch schreiben über diese Stadt, was noch erzählen? Cuzco ist sicher das größte Highlight eines jeden Perúbesuchs, neben dem Titicacasee und Machu Picchu. UNESCO-Weltkulturerbe, natürlich, „Nabel der Welt“ wie das Alte Rom, Hauptstadt und Herz des untergegangenen Inkareiches, in Form eines Pumas angelegt und der Legende nach angeblich vom ersten Inka Manco Cápac, dem Sohn der Sonne, persönlich gegründet. Spanische Kolonialstadt, reich geschmückte goldene Kirchen, Sitz des Cuzqueño-Stils und meiner ganz persönlichen peruanischen Lieblingsbäckerei. Und ein paar weitere Sätze ist diese Stadt immer noch wert.
Zum Beispiel über die Frage: „Nabel der Welt“ – warum eigentlich? Man muss dazu wissen, dass das Inkareich auf Quechua Tawantinsuyu hieß, „Land der vier Teile“, nach den vier Provinzen, in die das Reich von Cuzco ausgehend aufgeteilt war: zwei größere Provinzen im Norden und Süden, und zwei kleinere im Westen und Osten der Stadt. In Cuzco selbst, dort, wo heute die Plaza de Armas ist, liefen die vier Lebensadern des Landes zusammen: das inkaische Straßensystem Qhapaq Ñan.
Das Quechua ist, wie dieses Schild beweist, eine Sprache, die es heute noch gibt. Zwar streiten sich die Sprachwissenschaftler, inwiefern es sich wirklich um eine Sprache mit vielen Dialekten oder um eine ganze Sprachfamilie handelt, doch neben dem dominierenden Spanisch ist Quechua in Perú und auch in den Nachbarländern immer noch bedeutsam. Qhapaq Ñan, die „Königsstraße der Inkas“, war eigentlich nur die bedeutendste und wichtigste aller Straßen, die als pars pro toto für ein weiteverzweigtes Straßennetz von über 30.000 Kilometern auf dem südamerikanischen Kontinent steht. Der bekannteste Straßenabschnitt ist heute vielleicht der „Inka Trail“, die Strecke, auf der man innerhalb von vier Tagen nach Machu Picchu laufen kann – so wie die alten Inkas selbst. Denn Pferde oder gar Räder waren im Gegensatz zu den Römern den Inkas unbekannt. Trotzdem war das Straßensystem schnell und effizient genug für ein Großreich: einzelne, trainierte Läufer, wechselten zwischen über das gesamte Wegsystem verteilten Posten hin und her, so wie früher die Pferde der Postkutschen an den Poststationen ausgetauscht wurden. Heute geht man einfach Tanken. So jedoch war es möglich, auch wichtige und eilige Botschaften, die die Regierung des Reiches betrafen, durch die Knotenschrift mit dem Läufersystem in kürzester Zeit vom einen Ende zum anderen zu transportieren.
Dieses Inkareich ist, allen Legenden zum Trotz, natürlich nicht vom Himmel gefallen. Traditionellerweise gilt Manco Cápac, der Sohn der Sonne, höchstpersönlich als der erste Inkaherrscher, der modernen Wissenschaft ist der Ursprung des Inkavolkes bis heute tatsächlich immer noch unbekannt. Als wirklich erster Inka im eigentlichen Sinne gilt jedoch jemand anderes: Pachacútec Yupanqui. Ihm setzte die moderne Stadtverwaltung von Cuzco anlässlich des 500. Jahrestags der „Entdeckung“ Amerikas ein Denkmal an exponierter Stelle: genau dort, wo früher die „Schwanzspitze“ des Pumas im Grundriss Cuzcos zu erkennen war. Der „Veränderer des Angesichts der Erde“ gewann eine bedeutende Schlacht um Cuzco, baute die Stadt mit dem Sonnentempel Qorikancha und sein Reich mit den vier Teilen aus und thront nun auf einem gewaltigen Sockel als vergoldete Statue über seiner alten Hauptstadt.
Im Inneren des Denkmals befindet sich ein Museum, das sich etagenweise bis zur Aussichtsplattform nach oben schlängelt. Dort kann man insbesondere die gigantischen Füße des Inka bewundern:
Die Aussicht ist dank der ungünstigen Lage auf einem Verkehrskreisel leider nicht so toll:
Am interessantesten jedoch fand ich die oberste Etage des Turmmuseums, die neben dem mythologischen Hinweis, dass kurz nach Einweihung des Monuments ein Blitz die Statue getroffen hat, was von der örtlichen Bevölkerung als Zeichen des Dankes des gottgleichen Inka Pachacútec interpretiert wurde[1], einen Blick auf die Tatsache wirft, dass die Nachfahren Pachacútecs heute noch leben. Das Inka-Erbe Cuzcos besteht also nicht nur aus halb verfallenem Gemäuer, sondern – vor allem – auch aus echten, lebenden Menschen.
[1] vielleicht hat sich das aber auch nur ein findiger Tourismusmanager ausgedacht, um mit der Story Touris anzulocken