Archiv des Autors: Ilka Ruten

Alltagsmomente – Von „A“ wie „Aussicht“ bis „T“ wie „Trinkbrunnen“

Hallo zusammen! 😊

Schon länger habe ich hier nichts mehr von mir hören lassen und möchte das dringend ändern. Viele der „großen Themen“ habe ich mit den letzten, sehr ausführlichen Beiträgen abgehakt und so bleibt nun der Raum für ein paar Alltagsmomente:

„A“ wie „Aussicht“

Am Samstag sind die anderen Freiwilligen aus Yerewan und Sardarapat zu uns nach Gyumri gekommen, um uns zu besuchen und in den Geburtstag meiner Mitbewohnerin Dana reinzufeiern. Außerdem hat uns auch noch Besuch aus Danas Heimat, ihr Bruder und zwei Freunde, beehrt. Sonntags wollten wir uns ein bisschen bewegen und so habe ich vorgeschlagen, zur „Schwarzen Festung“ und der „Mutter Armenia“ zu laufen, die etwas außerhalb von Gyumri auf einer Anhöhe liegen. Gesagt getan und es ging bei 23 Grad und Sonnenschein los zu Gyumris Sehenswürdigkeiten. Die „Mutter Armenia“ ist eine Statue und der Treppenaufgang zu ihr hin ist sehr imposant. Man fühlt sich wirklich klein, wenn man ganz unten steht und zur Statue hinaufblickt. Nachdem wir erst die Treppenstufen geschätzt und dann beim Laufen gezählt hatten (ich glaube, es waren 150), wurden wir oben mit einem wunderbaren Ausblick über Gyumri belohnt. Ich kannte die Aussicht schon, doch war es letztes Mal ein regnerischer und bewölkter Tag gewesen. Um genau zu sein, habe ich das Regenschauer von ganz hinten heranziehen sehen, was mich dann völlig durchnässt hat. Glücklicherweise hatte mich eine junge Frau an ihrem Stand vorbeirennen sehen und mich dann zu sich herein gewunken (zu diesem Zeitpunkt war ich zwar schon komplett nass, aber ich konnte mich wenigstens kurz aufwärmen).

Aber zurück zum Thema: Bei wolkenlosem und strahlend blauem Himmel konnte man super weit gucken und hatte einen fantastischen Blick über Gyumri und den Aragaz, den höchsten Berg Armeniens. Hier offenbart sich wieder einmal die Schönheit Armeniens, an der ich mich einfach nicht sattsehen kann.

Auch in der „Schwarzen Festung“ waren wir drin, die heute als Theater dient.

„B“ wie „bari luis“

Wie jeden Morgen bin ich auch am Montag zur Schule gelaufen und habe den uniformierten Lehrer am Eingang mit einem „Guten Morgen!“ begrüßt. Bei ihm steht meistens noch ein anderer Mann, den ich ebenfalls so begrüße. Doch an diesem Morgen waren die beiden besonders gut drauf und beschlossen, meinen Tag mit einer kleinen Armenisch-Lektion beginnen zu lassen: Sie brachten mir bei, dass „Guten Morgen“ auf Armenisch „bari luis“ heißt. Da ich nachmittags meine erste Stunde Sprachkurs hatte (die armenische Sprache und meine Abenteuer mit ihr werden hier eines Tages auch noch Thema werden, versprochen), hakte ich gleich bei meiner Lehrerin Diana nach. Und so marschierte ich tags drauf auf die beiden zu, um sie auf zwei Sprachen und nicht nur auf einer zu begrüßen. Das Strahlen der beiden ging mir direkt ins Herz und ist einer der vielen Gründe, warum ich mich dazu entschieden habe, Armenisch und nicht Russisch zu lernen (auch wenn Russisch vielleicht auf lange Sicht nützlicher wäre). Mit den Leuten hier auf ihrer Muttersprache sprechen zu können, ist wirklich ein tolles Gefühl und mein Ehrgeiz, Armenisch so gut es geht zu lernen, ist definitiv geweckt! 🙂

„G“ wie „Gyumri-Männchen“

Nach dem Monchik-Essen am Samstag (siehe „M“ wie „Monchik“) wollten sich Lilly, Dana und ihr Besuch noch etwas ausruhen und so habe ich den anderen Freiwilligen die Stadt gezeigt. Nachdem wir in zwei Kirchen und einer Kunstgalerie waren, sind wir im B 612 gelandet.

Wie es der Zufall so wollte, haben wir dort im Souvenir-Shop den Erfinder der Gyumri-Männchen getroffen, dessen Figuren es hier überall zu kaufen gibt. Er hat uns erzählt, wie es dazu kam: Er war als Soldat im Krieg und als er zurück nach Hause kam, wollte er unbedingt etwas Schönes und Positives machen. Also bastelte er ein Männchen und teilte ein Bild auf Facebook. Er hatte sich nichts dabei gedacht, doch sein Post ging viral und hatte nach drei Stunden schon 500 Aufrufe. Viele Leute schreiben ihm, dass sie auch ein Männchen wollten. Auf den Männchen stehen nämlich liebe Worte im Dialekt von Gyumri. Und so kam ihm die Idee, das Ganze auch personalisiert anzubieten. Mittlerweile gibt es für fast alle netten Worte ein Männchen, sogar für die Geburtsmonate. Hierzu erzählte er uns, dass für die Sprüche seine Freunde und Familie als Vorlage für den jeweiligen Monat dienten. Für den Monat Februar ist der Spruch zum Beispiel: „Ein Mensch mit goldenem Herzen“. Dadurch, dass jedes Männchen einzeln per Hand gefertigt wird und es sie nur in Gyumri gibt, sind sie etwas ganz Besonderes und ich werde bestimmt ein paar für meine Liebsten mit nach Hause nehmen.

Hier sieht man einen kleinen Teil des Shops. Mittlerweile gibt es die Männchen auch als Kuscheltiere und Sticker.

Anschließend haben wir noch super leckeren Tee getrunken und der Besitzer hat uns eingeladen, im Juni mit ihm in die Berge zu fahren, um frische Blumen und Kräuter zu sammeln. Die Zutaten für den Tee, den wir genießen durften, stammten übrigens aus dem Garten seiner Oma. Bei schöner Atmosphäre und bester Gesellschaft verging die Zeit dort wie im Flug.

„K“ wie „Käsekuchen“

Am Montag habe ich mich für das Erstellen einiger Tests in mein Lieblingscafé, das „Herbs&Honey“, gesetzt. Hier gibt es ein eigenes Tee-Menü mit ganz verschiedenen Tee-Sorten auf Schwarz- oder Grünteebasis. Dazu gibt es immer den Honig des Tages. Viele junge Menschen kommen hierher, um am Laptop zu arbeiten. Mit der großen Fensterfront sowie den von der Decke hängenden Kräutern ist die Atmosphäre einfach unglaublich entspannt. Dazu tragen mit Sicherheit auch die gemütlichen Sofas ihren Teil bei. Ich habe schon beschlossen, dass ich mich hier im Winter einfach einschneien lasse und die kalten Tage dort verbringe. Doch zurück zu besagtem Montag: Ich wollte eigentlich nur kurz vorbeischauen, da ich anschließend zum Sprachkurs musste. Als ich nach der Rechnung fragte, brachte mir der Kellner zusätzlich noch ein eingepacktes Stück Käsekuchen. Ich wusste schon von meinem vorherigen Besuch, dass der Käsekuchen hier einfach göttlich schmeckt, aber ich war sehr irritiert, da ich eigentlich keinen bestellt hatte. Der Kellner erklärte mir dann, dass der vom Nachbartisch käme, wo ein junger Mann am PC arbeitete. Ich bedanke und entschuldigte mich, dass ich leider nicht länger bleiben konnte, und freute mich den ganzen Weg nach Hause über den Kuchen.

Ein „kleiner“ Tee im „Herbs&Honey“.

„M“ wie „Monchik“:

Nachdem ich die anderen Freiwilligen am Samstag zu ihrer Unterkunft begleitet hatte, haben wir uns mit all unserem Besuch im „Ponchik Monchik“ getroffen. Das ist eines der beliebtesten Restaurants hier in Gyumri und sie sind besonders für eine Sache berühmt: Monchiks. Auf der Karte heißen sie im Englischen „Donuts“, aber sie haben eigentlich wenig mit dem Donut zu tun, den ihr nun im Kopf habt. Sie sind zwar auch aus frittiertem Teig, aber sie haben kein Loch in der Mitte und bestehen eigentlich nur aus Hülle und Füllung. Bei der Füllung gibt es folgende drei Möglichkeiten: Erdbeermarmelade, Vanillepudding oder Nutella. Trotz der Füllung ist ein Großteil des Inneren aber Luft und stellt eine besondere Herausforderung zum Essen da. Erschwert wird das nochmal zusätzlich durch den Puderzucker obendrauf. Wer es schafft, einen Monchik zu essen, ohne sich seine Finger dreckig zu machen oder zu schmieren, dem gebe ich höchstpersönlich einen aus! Mochik-Essen ist die ganz hohe Kunst der Knigge.

„T“ wie „Trinkbrunnen“:

Die gibt es hier überall. In den Städten findet man an jeder zweiten Ecke einen und selbst bei unserer ersten Wanderung sind wir mitten im Nirgendwo auf einen gestoßen. Das ist wirklich toll, da man so viel häufiger zwischendurch etwas trinkt, wenn man unterwegs ist (besonders wenn man wie ich leider viel zu oft nicht genug trinkt). Die Wasserqualität ist hierbei immer gut und gerade bei den immer noch sommerlichen Temperaturen ist das kühle Wasser eine echte Erfrischung. Manche dieser Brunnen werden auch von berühmten Persönlichkeiten gesponsert oder nach deren Tod ihnen zu Ehren errichtet. Hier gibt’s jetzt noch ein schönes Bild von mir und den Armenien-Mädels, wie wir in Gyumri gleichzeitig unseren Durst an einem der größeren Trinkbrunnen stillen konnten:

Das soll´s jetzt aber auch gewesen sein, denn eigentlich sollte das hier nur ein kurzer Beitrag werden. Aber inzwischen kennt ihr mich ja. Ich schicke euch allen ein bisschen Sonnenschein, von wo auch immer ihr das hier lest, solange es den hier in Gyumri noch gibt und der Winter auf sich warten lässt.

Bis bald! 😊

 

Gyumri – Eine Stadt mit zwei Gesichtern

Hallo zusammen!

Eigentlich wäre ich dieses Wochenende mit den anderen Freiwilligen unterwegs gewesen, aber leider habe ich mir den Magen verstimmt und musst so schweren Herzens zu Hause bleiben. Aber so habe ich immerhin Zeit für diesen Blogeintrag. 😊

Ich muss ehrlich sagen, dass mir dieser Eintrag bisher am schwersten fällt. Das ist vermutlich auch der Grund, warum er erst jetzt und nicht schon viel früher kommt. Der Titel verrät auch schon, warum ich nicht so richtig weiß, wie ich beginnen soll. Aber vielleicht fange ich einfach bei meiner Ankunft hier und den ersten Gedanken zu Gyumri an:

Es ist mittlerweile drei Wochen her, dass ich in dieser Stadt angekommen bin. An diesem Tag war ich dermaßen übermüdet, dass ich nur wenig von Gyumri gesehen habe. Nur eine Sache ist mir im Kopf hängen geblieben: Entlang der Bahnstrecke gab es viele zerstörte oder zerfallende Gebäude. Ich habe in einem vorherigen Eintrag schon das schwere Erdbeben von 1988 angesprochen und ich wusste auch vorher schon, dass die Stadt immer noch unter den Folgen leidet. Ich habe das Ausmaß allerdings vollkommen unterschätzt.

Umso schockierter war ich, als ich mich das erste Mal Richtung Innenstadt aufgemacht habe. Neben den schönsten Gebäuden stehen Ruinen. Das Stadtbild ist von Schönheit und Zerstörung geprägt. Beides liegt so dicht nebeneinander, wie ich es noch nie erlebt habe und ist untrennbar miteinander verbunden. Der Kulturschock war für mich so massiv, dass ich nach einer halben Stunde in der Stadt starke Kopfschmerzen hatte und unter Tränen zurück zur Wohnung bin.

Ich möchte an dieser Stelle ganz ehrlich sein: Nach den ersten Tagen wollte ich nur noch zurück nach Deutschland, weil ich mich hier so fremd gefühlt habe. Yerewan hat mich gerettet. Bei meinem Besuch dort habe ich gesehen und erlebt, dass sich Armenien heimisch anfühlen kann. Die Gründe habe ich im „Yerewan-Artikel“ ausführlich erklärt und hinzu kamen natürlich auch die anderen Armenien-Freiwilligen, die mich aufgefangen haben.

Danach hatte ich die Kraft, Gyumri eine zweite Chance zu geben: Und wurde belohnt. Ich bin bei meinem zweiten Ausflug ins Zentrum andere Straßen gegangen und habe die wirklich schöne Seite Gyumris gesehen:

Ich rede hierbei von vielen, super liebevoll gestalteten Läden und Museen. Von Blumen und Architektur. Von armenischer Baukunst und armenischem Handwerk. Ich habe mich verliebt. Doch all das wäre ohne einen bestimmten Punkt nichts wert gewesen: Den Menschen. Egal, wohin ich ging, egal, wie wenig gemeinsame Sprache wir teilten, egal, wie es mir ging. Die Menschen waren immer herzlich zu mir. Ob auf dem Weg zur Schule, wo mich ein Taxifahrer ansprach und wir uns seitdem morgens immer zulächeln, oder unterwegs in der Innenstadt: Nach kurzer Scheu öffnen sich die Menschen und freuen sich darüber, dass man sich für ihre Stadt und ihre Geschichten interessiert.

Besonders hervorheben möchte ich hierbei die Menschen rund um das Berlin ART Hotel. Es ist eigentlich ein „Hotel in einer Galerie“, in der nur Künstlerinnen und Künstler aus Gyumri ausstellen. Ursprünglich war es eine Tagesbettenklinik für die angrenzende Poliklinik, die nach dem Erdbeben vom Deutschen Roten Kreuz aufgebaut wurde. Da es wegen der Ansteckungsgefahr mit der Poliklinik eigentlich keine Tagesbetten geben durfte, entschied man sich, ein Hotel daraus zu machen, um die Gebäude erhalten zu können. Im gleichen Gebäudekomplex gibt es eine deutsche Bücherei mit einer großartigen Sammlung an „Der kleine Prinz“-Büchern in verschiedenen Sprachen und Dialekten. Bei meinem ersten Besuch dort wurde ich gleich von einer super netten Frau mit knapp 20 Lesezeichen versorgt und durfte mir ein Buch mitnehmen. Die gleich Frau arbeitet auch für ein dort ansässiges Reisebüro, das Touren durch Armenien anbietet und auf das ich in Zukunft definitiv nochmal zurückkommen werde.

Eingangsbereich: Links geht es zur Poliklinik und rechts befinden sich die Eingänge des Honorarkonsulats und des Hotels.

Übrigens war das immer noch nicht alles zu diesem faszinierenden Ort: Auch mein Lieblings-Co-working-Space „ROOF25“ befindet sich dort auf der Dachterrasse. Entstanden ist er erst vor Kurzem, weil das Dach marode und einsturzgefährdet war. Da es Gelder nur für Tourismusprojekte gibt, hat man sich kurzerhand dazu entschieden, ein Touristeninformationscenter mit Café darauf zu bauen. Es ist also eigentlich nichts andere als ein „Dachrettungsprojekt“. Außerdem befindet sich ein Biergarten im Hinterhof des Hotels. Und jetzt zum wichtigsten: Das deutsche Honorarkonsulat für die Provinzen Shirak und Lori ist hier ansässig. Im Zuge dessen habe ich jetzt die Ehre, euch den Mann vorzustellen, der hinter all dem steckt: Honorarkonsul Aleksan Ter-Minasyan. Er leitet das Hotel und hat den Ort zu dem gemacht, was er heute ist.

Ich habe ihn bei der Verleihung der DSD-Diplome für einige meiner Schülerinnen und Schüler kennengelernt. Hierbei hat er auch alle oben stehenden Infos erzählt und noch so viel mehr, was hier leider den Rahmen sprengen würde. Er spricht sehr gut Deutsch und ist ein wirklich großartiger und warmherziger Mensch. Ich habe selten jemanden getroffen wie ihn, dem Menschen wirklich am Herzen liegen. Er machte mir klar, dass ich jederzeit herzlich willkommen sei und lud mich glatt zum Abendessen ein. Das Abendessen sei ein „Oktoberfest“ von seinem Rotary Club und als Deutsche müsse ich unbedingt dabei sein. Was wäre ein Oktoberfest schon ohne Deutsche?

So sah ich mich wenige Stunden nach der Verleihung schon wieder im Biergarten zwischen 2 Armenierinnen und 12 Armeniern sitzen. Lediglich der Konsul und mein Koordinator Benjamin, der auch eingeladen worden war, sprachen Deutsch, aber ich habe mich sehr schnell sehr wohlgefühlt. Ich hatte am Anfang ein bisschen Sorge, ob ich nicht fehl am Platz sein würde, aber das war unbegründet. Alle Menschen an diesem Tisch haben dafür gesorgt, dass die Atmosphäre super entspannt und ausgelassen war. Die Burger und das Gläschen Wein haben gut geschmeckt, genauso wie die ganzen Häppchen.

Es war eine einmalige Erfahrung, die mich nochmal in das armenische Beisammen-Sein hat blicken lassen. Die Menschen aus dem Rotary Club haben ganz unterschiedliche Berufe und treffen sich regelmäßig. Dabei bringt immer irgendjemand etwas Besonderes für den Abend mit. An diesem Abend war es ein armenischer Professor, der eine Fragerunde mit ganz unterschiedlichen Fragen veranstaltete. Auch wenn er viele Fragen ins Englische übersetzte, konnte ich kaum folgen, da viele Fragen Wortspiele aus dem Armenischen oder Russischen beinhalteten. Trotzdem war es sehr lustig, dabei zu sitzen und die anderen beim Mitraten zu beobachten.

Ab und zu wurden auch Witze erzählt, die Benjamin oder der Honorarkonsul mir übersetzten. So langsam bekomme ich ein Verständnis dafür, was im Reiseführer mit „Humor von Gyumri“ gemeint ist. Dafür sorgte auch unser Guide auf der Free-Walking-Tour, der uns in die berühmten Spitznamen der Bewohner von Gyumri einführte. Hier in Gyumri lieben es die Leute nämlich, Orten oder Personen Spitznamen zu geben; teilweise nett, aber meistens eher unvorteilhaft.

 

Besonders fasziniert hat mich eine Wand, an der ich bestimmt fünfmal vorbeigelaufen bin, bevor mich eine Armenierin darauf aufmerksam gemacht hat, dass an ihr jede Menge Witze stehen. Das war übrigens eben jene Armenierin, die ich beim Berlin Art Hotel getroffen hatte und die mich für´s Frühjahr zu sich nach Dilidschan eingeladen hat. Einer der Witze, den sie mir übersetzt hat, ist mir gut im Gedächtnis geblieben:

Ein Mann geht zum Zahnarzt, um sich einen Zahn ziehen zu lassen. Während des Ziehens schreit der Mann sehr laut. Im Anschluss sagt ihm der Arzt: „Das macht 30$.“ Der Mann erwidert: „Was für 30$? Ein Zahn kostet 10$!“ „Das stimmt schon, aber Sie haben so laut geschrien, dass zwei andere Patienten vor lauter Angst weggelaufen sind.“

Hier nochmal auf Armenisch. 🙂

Wo ich gerade den Reiseführer und die Free-Walking-Tour erwähnt habe, möchte ich doch noch ein paar generelle Informationen mit euch teilen:

Gyumri ist mit 110000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Armeniens und Hauptstadt der nordwestlichsten Provinz Shirak an der Grenze zu Georgien und der Türkei. Lange Zeit war Gyumri sehr unbedeutend und lediglich eine kleine Siedlung. Erste Erwähnungen gibt es jedoch schon aus der Antike. Anders als Yerewan gibt es bei Gyumri nicht zwanzig verschieden Schreibweisen des Namens, sondern im Verlauf der Zeit gleich ganz verschiedene Namen:

Bedeutsam wurde Gyumri im russischen Kaiserreich, nachdem Kaiser Nikolaus der Erste die Stadt besucht hatte, und sie seiner Frau zu Ehren 1840 in „Alexandropol“ umbenennen ließ. Das währte bis 1924, wo daraus zu Ehren Lenins „Leninakan“ wurde. Während dieser Zeit entwickelte sich Gyumri zur Kunst- und Handwerkshauptstadt des Landes und kam zu Wohlstand. Unser Guide hat uns erzählt, dass Gyumri zeitweise bedeutender als die Hauptstadt war und viele Menschen hierher zogen.

Nach dem schweren Erdbeben von Spitak 1988 und dem Zerfall der Sowjetunion (nachdem Gyumri mit der armenischen Unabhängigkeit auch den jetzigen, an die ursprüngliche Bezeichnung angelehnten Namen erhielt) ändert sich das jedoch: Die Stadt wurde schwer beschädigt und viele Gebäude zerstört. Mit Ende der Sowjetunion fehlte zudem Geld für die Restauration. Auch der Völkermord der Türken an den Armeniern, der seinen traurigen Höhepunkt in den Jahren 1915/1916 fand und bei dem schätzungsweise zwischen 300000 und 1,5 Millionen Menschen zu Tode kamen, sowie der Bergkarabachkonflikt sorgten dafür, dass viele Menschen flohen und das Land verließen. Aus diesen Gründen hat sich die Bevölkerung Gyumris laut unserem Guide im Vergleich zum Anfang des 20. Jahrhunderts halbiert.

Hierin liegt auch eine weitere Begründung für die vielen Ruinen: Einerseits ist die Bevölkerung massiv geschrumpft und die, die geblieben sind, haben meist nicht das Geld, sich die alten Herrenhäuser im Zentrum zu kaufen oder sie geschweige denn zu restaurieren. Heutzutage ist der Trend unter denen, die es sich leisten können, Gyumri zu verlassen und nach Yerewan oder ins Ausland zu gehen.

Das finde ich sehr schade, da diese Stadt wirklich viel Potential hat. Auf der anderen Seite ist es aber auch sehr verständlich, da gerade junge Menschen andernorts mehr Chancen auf ein besseres Leben haben. Umso privilegierter bin ich, dass ich nach diesem Jahr einfach so zurück nach Deutschland kehren werde. Nachdem ich gestern eine Stunde nicht bei meiner Lieblings-Neunten-Klasse war, haben sie sich schon große Sorgen gemacht, dass das jetzt schon passiert ist.

Aber keine Angst: Auch wenn ich einen schwierigen Start mit Gyumri hatte, fühle ich mich hier jetzt wohl und freue mich sehr auf die Zeit in dieser schönen Stadt. In diesem Sinne könnt ihr gespannt sein, was ich noch alles von hier berichten werde.

Bis bald! 😊

 

Meine „Erfrischung des Tages“

Hallo zusammen! 🙂

„Schon wieder ein neuer Beitrag?“, fragt sich vielleicht der ein oder andere von euch. Die Antwort lautet: Ja. Und warum? Ganz einfach: Es macht mir super viel Spaß, meine Erlebnisse hier mit euch zu teilen und euch einen Einblick in meine Welt geben zu können.

Da die letzten Artikel alle etwas länger waren, dachte ich mir, dass eine kleine Erfrischung vielleicht gut tut. Insbesondere im Hinblick auf den bevorstehenden Gyumri-Artikel, den ich hiermit auch wirklich zum letzten Mal angekündigt habe. Die „kleine Erfrischung“ soll ein kurzer Beitrag darüber werden, was mich hier in Gyumri eigentlich gut fühlen und runterkommen lässt, obwohl ich noch nicht mit meinen Hobbys begonnen habe.

Die Arbeit in der Schule ist bei all den schönen Momenten doch meistens anstrengend und ich merke richtig, wie meine Energie abfällt, sobald ich nach Hause komme. Auch das Blog-Schreiben nimmt einiges an Zeit in Anspruch, weil ich Artikel gerne einmal mehr überarbeite, um dann auch wirklich zufrieden zu sein. Dazu kommen das „Alleine-Leben“, Vorbereitungen für anstehende Projekte (seid gespannt!), Telefonate mit den Liebsten und manchmal auch noch Termine, die eben so anstehen. Da bleibt ab und zu doch überraschend wenig Zeit, um einfach mal die Seele baumeln zu lassen.

Darum gehe ich gerne spazieren. Das habe ich auch Zuhause in Deutschland schon immer viel gemacht und ich muss zugeben, dass es mir hier in der Stadt doch manchmal recht schwer fällt, weil mir die Natur fehlt. Trotzdem habe ich mich gestern aufgemacht und folgende „Erfrischungen“ gefunden:

Erst wollte ich zu meinem Lieblings-Co-Working-Space auf einer Dachterrasse, doch der hatte leider zu. Wie der Zufall es aber so wollte, gab es an diesem Ort eine andere Art der Erfrischung für mich: Eine 19-jährige Armenierin hatte im Nachbargebäude einen Workshop und hat mich angequatscht. Das Gespräch mit ihr auf Englisch war total interessant und sehr erfrischend, da es mich aus meinem kleinen grauen „Loch“ herausgeholt hat. Wir haben uns glatt für den nächsten Abend verabredet, um noch etwas gemeinsam zu unternehmen.

Für den Moment hat das richtig gut getan, doch sobald ich weitergegangen war, kam das mulmige, erdrückende Gefühl zurück. Also bin ich weiter gelaufen und auf meinem Weg an einem kleinen Laden vorbeigekommen. Eigentlich war er nicht mein Ziel gewesen, doch ich nehme mir hier oft die Zeit, um einfach überall mal reinzuschauen. Ich war (wie so oft) die einzige „Kundin“. Im Laden selbst fand ich mich zwischen wirklich wunderschönen Bildern wieder. Besonders eines, das armenische Landschaft gezeigt hat, hatte es mir wirklich angetan. Es hat mich richtig runterkommen lassen, wovon ich selbst sehr überrascht war, da ich eigentlich nicht der „Kunst-Mensch“ bin. Ich stand so lange davor, dass mich der Besitzer des Ladens angesprochen hat. Er erzählte mir, dass alle Bilder in diesem Laden von Künstlern aus Gyumri gemalt worden seien und dieses, was mich so angezogen hat, von seinem Vater. Als ich mich endlich losreißen konnte, führte er mich weiter durch den Laden und zeigte mir den Souvenir-Shop, die Töpferwerkstatt und das kleine Café. Alles in diesem Laden sei handgemacht und ich war wirklich von der Atmosphäre dieses eigentlich so unscheinbaren Ladens begeistert. Ich werde dort definitiv nochmal zum Schreiben hingehen und eine Tee trinken.

Der Laden heißt übrigens „B 612“ und ist nach dem Heimatplaneten des „kleinen Prinz“ benannt, was man auch an der Visitenkarte des Laden sehen kann:

Vom Besitzer selbstdesigned.

Dieser Laden hat mir sogar so gut getan, dass ich danach noch in der dazugehörigen Ausstellung am anderen Ende Gyumris war. Auch dort wurde ich wieder nett von einem Angestellten und seiner super süßen Katze begrüßt und durch die Räume des Kellers geführt.

Der wahre Chef des Ladens 🙂

 

Anschließend habe ich mir noch an meinem Stamm-Stand eine heiße Schokolade für knapp einen Euro gegönnt und bin mit bester Laune zurück zur Wohnung gelaufen. Alle Wolken hatten sich verzogen und der Himmel hat strahlend-blau geleuchtet.

Was ich damit sagen will: Wenn es euch schlecht geht, dann wartet nicht darauf, dass ein Wunder geschieht, sondern versucht es selbst in die Hand zu nehmen. Ich weiß, dass das immer einfacher gesagt als getan ist und manche Probleme schlichtweg zu erdrückend sind, aber versucht es wenigstens. Schlimmer kann es davon meistens eh nicht werden. Auch ich hatte eigentlich gar keinen Bock, als ich losgelaufen bin, aber die ganzen schönen Begegnungen waren mein kleines persönliches „Wunder“. In Kombination damit, dass ich mir etwas gegönnt habe, von dem ich wusste, dass es mir gut tut (die heiße Schokolade), waren das Ergebnis meiner Neugierde und die Bewegung meine „Erfrischung des Tages“. Mein Tipp ist also, sich einfach mal aus der eigenen Komfortzone rauszuwagen und den inneren Schweinehund zu besiegen. Aus dem „Grau“ der eigenen vier Wände auszubrechen, kann Farbe ins Leben bringen und lohnt sich meiner Erfahrung nach so gut wie immer. Überraschungen sind dabei vorprogrammiert. Und mit diesen Worten überlasse ich euch euren Gedanken und freue mich auf´s nächste Mal, wenn wieder ein „gewöhnlicher“ Beitrag kommt.

Bis bald! 😊

Schulalltag – Lächeln, Druck und Herzlichkeit

Hallo zusammen! 🙂

Ich möchte diesen Beitrag mit einer Frage starten, die euch bestimmt interessiert: Wie ist mein Schulweg? Die Antwort für die ersten drei Tage lautet: Marschrutka-Fahren, mich verlaufen, Schule, mich verlaufen, Marschrutka-Fahren. Das Photon-Gymnasium (die Schule, an der ich als Assistenzkraft im Deutschunterricht arbeite) liegt etwas außerhalb von Gyumri in einem Wohnviertel. Alle Straßen und Gassen sahen für mich am Anfang gleich aus. Dementsprechend bin ich die ersten Tage trotz Google Maps von der Haltestelle zur Schule und wieder zurück geirrt.

Mittlerweile habe ich aber der Weg herausgefunden und weiß, dass ich eigentlich nur zweimal abbiegen muss, wenn ich an der richtigen Haltestelle aussteige. Die Schule selbst hat (ganz dem Namen entsprechend) einen mathematisch-naturwissenschaftlichen Schwerpunkt und geht von der 5. bis zur 12. Klasse. Das ist für eine armenische Schule nicht selbstverständlich, wie wir Armenien-Freiwillige sehr schnell feststellen durften, als wir uns über unsere Einsatzstellen unterhalten haben. Nila ist beispielsweise an einem College, wo nur Schülerinnen und Schüler der Klassen 10, 11 und 12 sind, während Danas Schule die Klassenstufen 3 bis 10 umfasst. Als wir unsere Koordinatoren danach gefragt haben, hat uns Benjamin erklärt, dass das in ganz Armenien so ist. Es gibt kein einheitliches Schulsystem, sondern jede Schule hat im Laufe der Zeit selbst über die „Form“ entschieden. Meine Schule folgt hierbei dem Schulsystem, was ich selbst auch aus Deutschland kenne.

Am Photon Gymnasium gibt es ca. 900 Schülerinnen und Schüler sowie um die 70 Lehrkräfte. Damit ist die Schule ganz schön groß und ich habe es tatsächlich auch schon geschafft, mich in der Schule zu verlaufen. Mir ist aber zum Glück aufgefallen, dass der Raum, vor dem ich stand, nicht der sogenannte „Deutschraum“ war. Das ist der Raum, in dem die Oberstufe (also 10. bis 12. Klasse) Deutsch hat:

Generell ist es hier so, dass die Schülerinnen und Schüler ab der 5. Klasse Englisch, Deutsch und Russisch lernen. Je nach Schulform werden einzelne Sprachen auch schon früher unterrichtet. Ich finde es ziemlich krass, dass die Schülerinnen und Schüler vier Sprachen mit drei unterschiedlichen Alphabeten gleichzeitig lernen müssen. Später können sie sich dann für ein oder zwei Sprachen entscheiden.

Der Unterricht in den 5. und 6. Klassen ist teilweise recht mühsam, da sie gerade erst mit dem Deutschlernen beginnen und ich kein Armenisch kann, was super nützlich wäre, um ihnen entsprechende Hilfen zu geben. Da mein Sprachkurs aber erst nächsten Monat beginnt, laufen meine Hilfen vorerst mit Händen und Füßen ab. Meistens zeige ich auf den Fehler und male auf, was stattdessen richtig wäre. Besonders viel Spaß hatte ich in meiner allerersten Stunde in einer fünften Klasse: Sie haben das Alphabet gelernt und die Lehrerin hat mich gebeten, ein Lern-Lied rauszusuchen. Also haben wir alle zusammen den ABC-Song gesungen. Auch beim Lernen der Zahlen oder des Genitivs habe ich mich schon durch kleinere Spiele wie Tic-Tac-Toe (selbstverständlich auf das Thema und die Klasse angepasst) einbringen können.

Meine erste richtige eigene Aufgabe: Tic-Tac-Toe auf das Bilden des Genitivs angepasst.

Eine weitere unerwartete Aufgabe: Die Klassenarbeitshefte der Schülerinnen und Schüler zu beschriften.

Ansonsten übernehme ich weitestgehend kleinere Aufgaben, wie zum Beispiel in Arbeitsphasen rumzugehen und Fehler zu korrigieren. Richtig „wichtig“ werde ich erst, wenn es für die älteren Schülerinnen und Schüler auf die DSD-Prüfungen zu geht. „DSD“ steht für „Deutsches Sprachdiplom“ und ermöglicht den Absolventen, in Deutschland eine Ausbildung zu machen oder zu studieren. Die Prüfung besteht aus vier Teilen: Hörverstehen, Leseverstehen, mündliche Kommunikation und schriftliche Kommunikation. Die mündliche Kommunikation inkludiert hierbei eine fünfminütige Präsentation, bei deren Vorbereitung ich die Schülerinnen und Schüler bald bestmöglich unterstützen möchte. Bis dahin gehe ich mit den beiden Deutschlehrerinnen mit, von denen eine meine Ansprechpartnerin ist und die beide mit Vornamen „Hasmik“ heißen. Die zwei sind super lieb und haben mich sehr schnell aufgenommen und in den Unterricht integriert. Mittlerweile weiß ich dank ihnen, wann ich mich wie am besten einbringen kann. Manchmal bitten sie mich auch, z.B. Arbeitsblätter für den Unterricht Zuhause vorzubereiten.

Anfangs haben mich gleich mehrere Dinge in der Schule irritiert, die ich so aus Deutschland nicht gewohnt war: Zum einen sind das die Stundenzeiten oder viel mehr die (nicht vorhandenen) Pausenzeiten. Eine Stunde dauert 45 Minuten und dazwischen gibt es immer 5 Minuten Pause. Selbst vor dem Nachmittagsunterricht sind es nur fünf Minuten. Die Schule beginnt als um 9:00 Uhr und endet um 14:45 Uhr nach der siebten Stunde. Am Photon findet auch samstags Unterricht statt. Als wäre das nicht schon anstrengend genug, haben die Kinder nach der Schule wenig Freizeit, da die meisten nachmittags Nachhilfe haben oder einem Hobby nachgehen. Zum Thema „Hobby“ wurde mir nur gesagt, dass armenische Kinder nichts ausschließlich zum Spaß machen würden, sondern dass immer auch Bestleistungen erwartet werden würden. Diese Einstellung lässt sich auch am Aufstehen im Unterricht (wenn montagmorgens die Nationalhymne gesungen wird,  eine Lehrkraft den Raum betritt oder man etwas sagt) und am härteren Ton feststellen. Ich bin schon das ein oder andere Mal aufgrund von Lautstärke oder Tonfall der Lehrkraft zusammengezuckt. Das bessert sich zwar nach den ersten Stunden, wenn „Gehorsam und Disziplin“ da sind, aber es kam mir dennoch sehr befremdlich und wenig „pädagogisch wertvoll“ vor.

Was mir dann jedoch erzählt wurde, hat den Umgang der Lehrkräfte mit den Schülerinnen und Schülern zumindest etwas verständlicher gemacht:

Armenische Lehrerinnen verdienen im Schnitt nur um die 260 Euro, was vorne und hinten nicht zum Leben reicht. Deshalb müssen viele von ihnen privat Nachhilfe geben und arbeiten dementsprechend nach der Schule weiter. Dazu kommt bei Frauen mit Kindern noch, dass Care-Arbeit hier größtenteils reine Frauensache ist. Diese Frauen arbeiten also quasi nur dann nicht, wenn sie schlafen. Natürlich ist das nicht bei allen so, aber dass das die Lebensrealität vieler armenischer Lehrerinnen ist, hat mich wirklich erschüttert. Was mich ebenso erschreckt hat, war der Grund, warum die Lehrkräfte hier so sehr auf Ruhe in den Klassen bedacht sind: Es kann nämlich jederzeit sein, dass die stellvertretende Schulleiterin hinter der Tür steht und lauscht. Sollte es dann zu laut sein, wird man direkt zur Schulleiterin zitiert und muss sich erklären. Ganz schön heftig.

Trotz des scheinbar immensen Drucks unter dem die Lehrkräfte stehen, laden mich meine beiden Deutschlehrerinnen in den Pausen immer wieder auf Kekse und eine netten Schnack im Deutschraum ein. Was mir auch gleich am ersten Tag aufgefallen ist, ist, dass sowohl die Lehrkräfte als auch die Schülerinnen und Schüler immer sehr schick angezogen sind. Manche sogar mit hochhakigen Schuhen und fast alle mit Bluse und Hemd. Das scheint allerdings kein k.o.-Kriterium zu sein, da ich auch weniger schick angezogen von den mir begegnende Lehr- und Reinigungskräfte immer herzlich gegrüßt werde.

Besonders überrascht hat mich ein Lehrer, der morgens immer in Militäruniform am Eingang steht und von dem ich mich zunächst etwas eingeschüchtert gefühlt habe. Nach meinem dritten Tag und dem dritten freundlichen „Hallo“ meinerseits hat er mir doch tatsächlich anstatt eines bloßen Zunickens ein super nettes „Guten Tag!“ entgegengebracht. Er hat mir dann erklärt, dass er ein Jahr in Deutschland stationiert war und ein ganz bisschen Deutsch spricht. Ich habe mich richtig gefreut und werde seitdem jeden Tag von ihm in meiner Muttersprache begrüßt. Ab und zu erkundigt er sich dann noch nach meinem Wohlbefinden. Ich habe ihn völlig falsch eingeschätzt und finde es umso wertvoller, dass er mich eines Besseren belehrt hat und mir jetzt den Morgen versüßt.

Auch mit den Schülerinnen und Schülern hatte ich schon richtig goldige Momente. Immer wenn ich die Flure entlang laufe, bekomme ich haufenweise „Hallo´s“ von allen Seiten zu hören und sehe überall strahlende Grinsen. Eine paar Fünftklässlerinnen haben mir sogar nach der Stunde Zettel zugesteckt, die ich wirklich sehr süß fand:

Hier an der Schule sind die allermeisten wirklich sehr lieb zu mir. Es motiviert mich und gibt mir Kraft, hier so freundlich aufgenommen worden zu sein. Ich merke zwar, dass die Arbeit an sich für mich nichts Dauerhaftes ist, aber ich kann die Zeit hier richtig genießen und blicke voller Vorfreude auf die weiteren Monate.

Zum Ende dieses Beitrags möchte ich euch folgende zwei lustige Situationen nicht vorenthalten, die beide frisch aus dem heutigen Unterricht in einer siebten Klasse stammen:

  1. Ich habe heute alleine mit einem Schüler gearbeitet, der gerade frisch mit dem Deutschlernen angefangen hat und deshalb im Unterricht mit Sprachniveau A2 nicht so richtig mitkommt. Während er dabei war, ein paar Zahlen aufzuschreiben, habe ich mit halbem Ohr dem Unterricht zugehört, als plötzlich folgender Satz fiel: „Er ist ein fishmaker.“ Ich bin kurz über das „fishmaker“ gestolpert, dachte mir aber nichts weiter dabei, weil ich sowieso nicht richtig aufgepasst hatte. Als die Deutschlehrerin den Satz jedoch korrigiert, fiel es mir (Achtung, Wortspiel) wie Schuppen von den Augen: Nicht „fishmaker“, sondern „Feinschmecker“! Darauf wäre ich im Leben nicht gekommen.
  2. Noch bevor der Unterricht angefangen hat, hat mir ein Schüler einen Muffin geschenkt. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Witzigerweise war er aber an dem Tag nicht der einzige gewesen: Schon auf dem Hinweg zur Schule hatte mir eine Schülerin ein Bonbon abgegeben. Ich muss wohl sehr hungrig ausgesehen haben, dass gleich mehrere Schülerinnen und Schüler ihr Essen mit mir teilen.

Jetzt habe ich aber wirklich genug geschrieben, obwohl es noch so viel mehr zu erzählen gibt. Bestimmt kommt irgendwann noch ein zweiter Teil, wenn ich etwas länger an der Schule gearbeitet habe. Dennoch wollte ich euch diesen Einblick nicht vorenthalten, da meine Arbeit einen großen Teil meines Tages einnimmt. Demnächst kommt dann auch der angekündigte Artikel über Gyumri, versprochen.

Bis bald! 😊

Yerewan – die „rosafarbene“ Stadt

Hallo zusammen!

Eigentlich sollte ich erst von meiner „Heimatstadt“ Gyumri berichten, bevor ich mich irgendeiner anderen Stadt widme, doch Gyumri und ich hatten einen schwierigen Start. Deswegen erhält Yerewan als Hauptstadt Armeniens hiermit den Vorzug. Heute wird es ein bisschen informativer und weniger persönlich, aber ich halte es für wichtig, auch Allgemeines über Armenien zu erzählen.

Es ist schon über eine Woche her, als meine Mitbewohnerin Dana und ich uns aufgemacht haben, um uns mit den anderen Armenien-Freiwilligen und den beiden Koordinatoren für Deutschunterricht in Armenien im Goethe-Institut in Yerewan zu treffen. Das Goethe-Institut ist hierbei ein Sprachlernzentrum mit einer deutschen Bibliothek und jeder Menge netter Leute. Dazu gehören auch die beiden Koordinatoren Benjamin und Yves. Nachdem sie uns herzlich willkommen geheißen und uns jede Menge Tipps und Tricks für Armenien und unsere Arbeit an den Schulen mit an die Hand gegeben hatten, haben sie uns zum Essen eingeladen. Für uns alle war es das erste Mal „echtes“ armenisches Essen und hat uns so gut geschmeckt, dass wir keine Reste übrig gelassen haben. Das Thema „Essen“ möchte ich hier allerdings gar nicht so sehr vertiefen, da das einen eigenen Artikel verdient. 😊

Netterweise durften wir uns für das Wochenende bei Nila, Lilly und Mia einnisten, die in Yerewan wohnen. So ging es am nächsten Tag ausgeruht zum Wandern (aufmerksame Leser meines Blogs werden jetzt wissen, wie lange das schon her ist). Worauf ich aber eigentlich hinaus will, ist der Sonntag: Da haben die drei Yerewan-Mädels und ich nämlich an einer Free-Walking-Tour durch Yerewan teilgenommen.

Wer das Konzept einer Free-Walking-Tour nicht kennt, dem sei hier eine kurze Erklärung gegeben: Free-Walking-Touren werden meist von Einheimischen angeboten, die dann einen Insider-Blick auf die Stadt oder den Ort geben können. Hierbei gibt es keinen vorher festgelegten Preis, sondern man soll am Ende der Tour selbst entscheiden, wie gut es einem gefallen hat und wie viel man bereit ist, zu zahlen. Dementsprechend wird diesen Touren nachgesagt, dass sich die Guides extra viel Mühe geben, um gutes Geld zu verdienen. Außerdem sind sie so für alle Menschen, unabhängig des Einkommens, verfügbar.

Es war das erste Mal, dass ich an so einer Tour teilgenommen habe, und ich war so begeistert, dass ich für meine Mitbewohnerin und mich am folgenden Wochenende auch für Gyumri so eine Tour gebucht habe. In Yerewan waren wir eine bunt gemischte Truppe aus vielen verschiedenen Ländern und unser Guide hat uns mit jeder Menge Informationen über Kultur, Politik und Geschichte sowie Insider-Wissen versorgt. Doch bevor ich darauf im Detail eingehe, hier grundsätzlich ein paar Infos über Yerewan:

Ob Eriwan, Yerewan, Jerewan oder Yerevan – gemeint ist immer die Hauptstadt Armeniens, die mit über einer Millionen Einwohnern die mit Abstand größte Stadt des Landes ist. Aber nicht nur das: Gegründet ca. 782 v.Chr. ist Yerewan sogar 26 Jahre älter als Rom und zählt damit zu den ältesten Städten der Welt. Erste Siedlungsspuren reichen sogar noch weit bis ins 4. Jahrtausend v.Chr. zurück. Immer wieder von unterschiedlichen Herrschern und Ländern besetzt gewesen, ist das Stadtbild heute besonders nachhaltig von der Sowjetzeit geprägt:

Viele Kirchen unterschiedlichster Glaubensgemeinschaften wurden während dieser Zeit vernichtet und der Architekt Alexander Tamanjan erschuf die „rosafarbene Stadt“. So wird Yerewan seither genannt, da er für viele Gebäude rosa Tuff verwenden ließ, als er die Stadt neu designte. Die Veränderungen, die aus dieser Zeit stammen, lassen Yerewan im Vergleich zu Guymri deutlich moderner wirken und sind ein wahrer Schauplatz sowjetischer Baukunst. Das bedeutet aber leider auch, dass aus den vorherigen Epochen nur wenig übrig geblieben ist.

Meine Highlights der Free-Walking-Tour waren die versteckten Orte, die ich allein so nie entdeckt hätte und die richtige Überraschungen waren. Da war zum einen ein Co-Working-Space mit Café und einer Galerie in einem Hinterhof, der super gemütlich aussah:

Oder auch ein weiterer Hinterhof mit einem Restaurant und Garten, zu dem man nur gelangt, wenn man einen Souvenir-Shop durchquert:

Der Souvenir-Shop.

Außerdem gab es noch einen Brunnen inklusive Regenbogen sowie einen Hogwarts-Express-Coffee-Shop, den ich hier nicht erwartet hatte :

Witziger Weise erzählte unser Guide uns bei Gelegenheit, dass Armenierinnen und Armenier nichts lieber täten als zu „gossipen“. Es sei neben Schach so etwas wie ein Nationalsport. „Gossipen“ kann hierbei am besten mit „tratschen“ übersetzt werden. Andere Leute und deren Angelegenheiten seien hier das Hauptgesprächsthema. Im Zuge dessen wurde es leider aber auch ernst: Unser Guide erinnerte uns daran, dass Homosexualität in Armenien zwar nicht mehr strafbar, aber immer noch gesellschaftlich geächtet sei. Auch im Bezug auf Heirat sei das Land eher konservativ eingestellt. Mit einem Augenzwinkern erzählte er uns folgende Anekdote: Wenn eine Frau heiraten solle, bekäme sie in der Nacht von ihren Verehrern Besuch. Sie brächten Geschenke mit und anhand derer suche die Frau sich dann ihren Ehemann aus. Warum bei Nacht fragt ihr euch vielleicht? Nun, ich habe eben das Getratsche erwähnt; damit die Verschmähten nicht selbst zum Tratsch der Woche werden.

Nach all den Eindrücken ist mein Fazit zu Yerewan: Es ist eine faszinierende Stadt mit vielen schönen, wenn auch manchmal sehr versteckten Ecken, in der es viel zu erleben und zu entdecken gibt. Aber es ist eben auch eine Millionenstadt, in der das großstädtische Verkehrschaos Alltag ist und in der es neben all dem Schönen auch arme Wohngegenden gibt. Ein Leben im Zentrum ist lediglich den Reichen vorbehalten und viele Yerewanerinnen und Yerewaner leben außerhalb.

Als Hauptstadt versprüht Yerewan einen Drang nach Modernität und orientiert sich eher am „Westen“. Deswegen war es für mich hier leichter als in Gyumri anzukommen, da sich diese Stadt an vielen Orten „europäischer“ anfühlt und man als Ausländer eher in der Masse untergeht. Dennoch habe ich auch Gyumri lieben gelernt und freue mich schon sehr darauf, euch bald von meiner „Heimatstadt“ zu berichten.

Zum Abschluss gibt es noch ein paar Bilder meiner Mitfreiwilligen Nila aus Yerewan.

Bis bald! 🙂

Armenischer Verkehr – Zwischen Geschick und Wahnsinn

Hallo zusammen!

Ich denke, dass jeder von euch sofort ein bestimmtes Bild im Kopf hatte, als ihr die Überschrift gelesen habt. Und Spoiler: Vermutlich lagt ihr nicht allzu weit daneben. Da ich mich hier in diesem Blog aber darum bemühe, keine Vorurteile zu reproduzieren und Armenien so differenziert wie möglich abzubilden, werde ich mit euch ein weinig weiter in die (Un-) Tiefen des armenischen Verkehrswesens einsteigen. Schnallt euch an und los geht´s…

… nur damit ihr ganz schnell feststellt, dass es grundsätzlich zwar Anschnallgurte gibt, diese aber meist hinter den Sitzen versteckt sind. Wenn ihr sie rausgefriemelt bekommt, gibt es zwei Szenarien, die passieren können:

  1. Ihr kassiert einen bösen Blick eures Taxifahrers (und gegebenenfalls auch ein paar eingeschnappte Worte) oder
  2. Euch fällt auf, dass das Gurtschloss (ja, ich musste die Bezeichnung googlen) nicht sichtbar und ebenfalls unter den Polstern vermauert ist.

Tja, in Armenien gilt die Anschnallpflicht eben nur für den Fahrer und den Beifahrer. Allerdings habe ich es bisher nur selten erlebt, dass sich der Fahrer auch wirklich anschnallt. Besonders amüsant war eine Situation, in der uns auf der Taxifahrt nach Yerewan ein Polizeiauto entgegenkam und der Fahrer hektisch, ja beinahe panisch versucht hat, sich schnell doch noch anzuschnallen (es hat nicht geklappt; war dann aber auch egal, sobald das Polizeiauto an uns vorbeigefahren war).

Wo ich schon bei besagter Taxifahrt bin: Es war die erste Taxifahrt von Dana und mir nach Yerewan. Also haben wir uns ganz bequem über eine App namens „YandexGo“ ein Taxi gerufen und sind für knapp 18 Euro pro Person zwei Stunden nach Yerewan gedüst. Die App funktioniert übrigens wirklich prima und ist super bequem und einfach zu bedienen. Daran könnte sich Deutschland ein Beispiel nehmen, wenn Taxifahren dort nicht ein halbes Vermögen kosten würde. Ein weiterer großer Vorteil der App ist auch, dass die Preise vorher bereits festgelegt sind und man sich je nach Gruppengröße auch einen Minibus rufen könnte. Meistens sind die Fahrer (ich habe noch keine Frauen gesehen) auch schon nach wenigen Minuten bei dir. Genug der Werbung und zurück zur Story:

Diese Taxifahrt hat mich nachhaltig geprägt. Ich hatte keinerlei Vorbehalte, als ich in das Auto stieg. Natürlich hatte ich den rasanten armenischen Fahrstil schon miterlebt, ihn bis dahin aber nicht als besorgniserregend empfunden. Meine Besorgnis wurde jedoch spätestens dann massiv erregt, als unser Fahrer mit 110 km/h durch eine Kurve bretterte, die als „sehr eng“ angekündigt und eigentlich auf eine Geschwindigkeit von 30 km/h beschränkt worden war. Ich hatte ernsthafte Bedenken, dass wir einfach aus der Kurve kippen. Nachdem die Kurve (streng genommen gab es mehrere und in meinen Augen zu viele dieser Kurven) überlebt worden war und ich mich ein wenig beruhigt hatte, fiel ich direkt wieder vom Glauben ab: Mitten auf der Autobahn bei 100 km/h öffnete der Fahrer ganz entspannt seine Tür, um sie dann mit voller Wucht wieder zuzuknallen. Was man halt mal eben so macht.

Auch sein Überholverhalten verdient hier eine Erwähnung: Stellt euch eine zweispurige Straße vor. Auf der einen Seite der eigene Verkehr und auf der anderen der Gegenverkehr. Jetzt stellt euch vor, dass auf der Gegenfahrbahn ein Auto überholt und auch schon ziemlich nah ist. Was würdet ihr tun? Genau! Ihr überholt auch und hupt dabei. Glücklicherweise scheint es in Armenien üblich zu sein, die Standstreifen bei Überholvorgängen mitzubenutzen, aber als da vier Fahrzeuge auf einer zweispurigen Straße nebeneinander waren, habe ich mein ganzes Leben hinterfragt. Generell kam mir der Verdacht, dass unser Fahrer vielleicht irgendeinen Streckenrekord brechen wollte, von dem wir nichts wussten.

Lediglich ein Mal musste er vom Gas runter, was er selbstverständlich erst in aller letzter Sekunde tat: Als plötzlich mitten auf der Straße Kühe standen. Dana und ich konnten unseren Augen kaum trauen, aber hier der Beweis:

Sie ließen sich nicht aus der Ruhe bringen und waren damit wesentlich entspannter als ich. Die Entspannung kam erst, als ich aus dem Taxi aussteigen konnte. Zur Verteidigung aller armenischer Taxifahrer: Es sind nicht alle so wahnsinnig. Wir hatten auch schon Taxifahrer, die sehr rücksichtsvoll gefahren sind. Außerdem verdient es auch ein wenig Bewunderung, dass verhältnismäßig so „wenig“ Unfälle passieren. Man muss schon geschickt sein, um sich derart durch den Verkehr schlängeln zu können. Insbesondere durch den Großstadtverkehr Yerewans.

Wenn ihr mich fragt, fahre ich dennoch wesentlich lieber Marschrutka. Das sind die regionalen Kleinbusse, die hier sehr regelmäßig fahren und sehr günstig sind (23 Cent pro Fahrt). Da ich zur Schule meistens etwas früher als die Schüler und Schülerinnen dran bin, bekomme ich regelmäßig einen Sitzplatz und kann die Fahrt ganz entspannt genießen. Sie haben feste Haltestellen, halten aber auch auf Wunsch überall entlang der Strecke. Was ich an ihnen auch sehr faszinierend finde, ist das Phänomen, dass älteren Menschen grundsätzlich immer einen Platz angeboten wird. Sobald jemand einsteigt, der den Platz dringender braucht, stehen die Menschen auf. Das finde ich wirklich sehr schön. Bei all dem Schwärmen über Marschrutkas sollte ich jedoch auch erwähnen, dass die Dinger bei Überfüllung die Hölle sind. Hier in Gyumri habe ich es noch nicht erlebt, aber bei den Bussen in Yerewan:

Wenn du glaubst, dass der Bus voll ist, beweisen dir die Armenier, dass noch mindestens 25 Personen hineinpassen. Der Bus ist dann so voll gequetscht, dass das Öffnen der Türen kaum noch möglich ist. Und wenn doch, dann nur weil einige Menschen hinauspurzeln. Gepäck wird hierbei übrigens so verteilt, dass es möglichst wenig Platz einnimmt. Einen regionalen Unterschied zwischen Gyumri und Yerewan gibt es übrigens beim Bezahlen der Busfahrten: In Gyumri wird dem Fahrer das Geld meistens beim Einsteigen oder kurz danach gegeben, während das in Yerewan erst nach der Fahrt geschieht. Unabhängig davon ist es aber überall üblich, das Geld Fremden zum Durchreichen in die Hand zu drücken, und niemand kontrolliert, ob du bezahlt hast. Das Ganze basiert auf Vertrauen, was wieder mal ein schöner Gedanke ist. Mein Eindruck wird immer mehr bestärkt, dass wir in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern viel zu oft davon ausgehen, dass uns andere Menschen etwas Schlechtes wollen. Dieser Gedanke scheint hier völlig fern zu sein.

So auch beim Zugfahren, wo man immer jemanden zum Plaudern finden. Auf meiner letzten Zugfahrt von Yerewan nach Gyumri (der Zug fährt dreimal am Tag) saß ich bei einem älteren Ehepaar, zwei älteren Damen und einem Mann, mit denen ich keine gemeinsame Sprache gesprochen habe. Dennoch habe ich mich bei ihnen sehr aufgehoben gefühlt und wir haben gemeinsam herzlich gelacht, als ich das Angebot einer Dame, mich mit einem Wildfremden anhand eines Bildes zu verheiraten, vehement ausgeschlagen habe. Später habe ich von ihr, vielleicht als Wiedergutmachung, ein Bonbon bekommen. Der Zug braucht drei Stunden, ist langsam unterwegs und hält an jedem Dorf, aber dafür hat man Zeit, die armenische Landschaft zu bewundern (dazu wird irgendwann sicherlich auch noch ein Beitrag kommen). Gerade wollte ich auch noch schreiben, dass die Sitze eigentlich echt bequem sind, aber meine Mitbewohnerin musste die leidvolle Erfahrung machen, einen Zug mit Holzbänken zu erwischen. Naja, immerhin kann man sich über den Preis von 1400 AMD (3,26 Euro) für drei Stunden Zugfahrt nicht beschweren.

Zu guter Letzt noch drei schnelle Fakten:

  1. Zebrastreifen werden so gut wie immer beachtet und haben manchmal sogar eigene Ampeln.
  2. Sowohl an den Ampeln für Autos als auch bei denen für Fußgänger laufen die Sekunden der jeweiligen Phase runter.
  3. Die Straßen hier sind teils im besseren Zustand als in Deutschland und teils katastrophal. Letzteres ist aber meistens nur bei Straßen, abseits des Hauptverkehrs der Fall. Da wird dann fleißig „Weich-dem-Schlagloch-aus“ und/oder „Durchschütteln-der-Extraklasse“ gespielt.

Damit ist hoffentlich das Wesentliche zum armenischen Verkehr gesagt und ich kann diesen super lagen Eintrag schließen. Nächstes Mal wird es wieder mehr Bilder und weniger Text geben, also seid auf das Thema gespannt. 😉

Bis bald!

Eine Marschrutka.

Lilly, Nila und ich (von rechts nach links) im Bus in Yerewan.

Der Zug (Gyumri-Yerewan). Quelle: https://www.railway.am/

„Das Wandern ist des Müllers Lust“ – Wenn man vorher richtig liest…

Hallo zusammen! 😊

Wer mich ein bisschen besser kennt oder meine Selbstbeschreibung hier auf diesem Blog bei „Über mich“ gelesen hat, der weiß, dass ich gerne wandern gehe. Und kaum hatte ich in meinem Armenien-Reiseführer ein Kapitel mit der Überschrift „Wanderrouten“ gesehen, stand für mich fest, dass ich diese Seite Armeniens definitiv erkunden möchte, sobald ich da bin. Umso besser, dass meine Mitfreiwilligen alle ebenso wanderbegeistert sind. Damit war unser Programm für den ersten gemeinsamen Samstag in Yerewan gesetzt. Über „Hike-Armenia“, einer Wander-App, die uns empfohlen worden war, suchten wir uns eine mittelschwere Route aus, die dreieinhalb Stunden dauern und knapp 13 km umfassen sollte. Startpunkt war der Tempel von Garni, den wir nach einer wilden Taxifahrt auf Straßen mit den größten Schlaglöchern, die ich jemals gesehen habe, gut durchgeschüttelt erreichten.

Wir ließen es uns nicht nehmen und bezahlten den Eintritt von 3,50 Euro, um ihn uns anschauen zu können. Während die Größe für einige eher enttäuschend war (der Tempel ist nicht sonderlich groß), war ich von der hellenistisch-römischen Bauweise fasziniert. Es hat mir vor Augen geführt, dass es in diesem Land nicht nur sowjetische, sondern noch so viele andere Einflüsse gab, derer ich mir bisher noch gar nicht bewusst war. Da ich euch hier aber nicht allzu sehr mit meiner Liebe für Geschichte langweilen möchte und die Bilder in diesem Beitrag für sich selber sprechen,  schaut euch den Tempel und die grandiose Aussicht vom Tempelgelände aus selbst an:

Unsere Reisegruppe.

Unsere Reisegruppe.

Der Tempel von Garni.

Die Aussicht vom Tempelgelände.

Armenien hat mit diesem Ausflug mein Herz erweicht. Die massiven Gebirgsketten und die weite Sicht waren erst der Anfang unserer Wanderung. Während ich vorher vor allem viele Steine und kahles Land gesehen hatte, präsentierte sich Armenien hier von seiner anderen Seite: Entlang des Azat-Flusses war es sehr grün und nach jeder Biegung wurden wir von neuer Vielfalt und Schönheit der Natur überrascht. Mal fühlten wir uns an Deutschland erinnert, mal an die Toskana oder Spanien. Lediglich die Stromtrassen und gelegentlichen Rohre holten uns aus dem „Natur-pur“-Gefühl raus, konnten unserer Laune allerdings keinerlei Abbruch tun. Ein Highlight unserer Tour war auf jeden Fall das Baden im Fluss. Aufgrund der eisigen Kälte des Flusses, der im Gebirge entspringt, zwar nur mit den Füßen, aber bei 30 Grad Celsius und wenig Schatten doch eine willkommene Abkühlung.

Dort, wo kein kühlendes Wasser oder Schatten war, hielten wir uns durch Singen bei Laune. Angefangen bei Wanderliedern (wo wir allerdings sehr schnell an unsere Grenzen kamen; wir kannten kaum welche) sangen wir uns durch sämtliche deutschen Hits der letzten Jahre und Jahrzehnte. Mal mehr, mal weniger textsicher.

Eine Pause im Schatten ist ein Muss!  🙂

Am Ende unserer Wanderung angekommen, stellte uns Armenien jedoch die nächste Aufgabe: Den genauen Endpunkt finden. Eigentlich war das Azat-Reservoir als solcher angeben, doch wir konnten es auch dann nicht entdecken, als wir uns knappe zehn Minuten weiter durchs Gebüsch schlugen und dabei die ein oder andere Schlange aufschreckten. Nur um dann festzustellen, dass wir schon am „Endpunkt“ vorbeigelaufen waren. Die Wandertour endete nämlich gar nicht wirklich beim Reservoir, sondern ein gutes Stück davor. Wir hatten nicht richtig gelesen und am Endpunkt neben dem Reservoir zu allem Überfluss auch noch eine Straße erwartet, von der aus wir zurück nach Yerewan gelangen könnten. Die gab es dort aber nicht. Stattdessen stand in der Tour-Beschreibung, dass wir 4 km zur letzten Gabelung zurücklaufen müssten und von dort aus nach weiteren 2 km an eine Straße gelangen könnten. Also hieß es umdrehen und das Tal nochmal von der anderen Seite bewundern.

Komplett erschöpft kam uns aber der Zufall und die „armenische Gastfreundschaft“ zur Rettung: Zwei Armenier, die wir vorher schon beim Fischen gesehen hatten, wollten zur gleichen Zeit nach Hause und fuhren mit ihrem alten Truck an uns vorbei. Prompt hielten sie an und bestanden darauf, uns ein Stück mitzunehmen. Wieder kannte ihre Hilfsbereitschaft keine Sprachbarriere. Es beeindruckt mich zutiefst und ich verneige mich vor diesem Land, wenn man bedenkt, wie viele Begegnungen dieser Art ich allein in meiner ersten Woche hier hatte. Das ist definitiv etwas, was ich mit nach Deutschland nehmen möchte: Die Unvoreingenommenheit und Offenheit, auf fremde Menschen zuzugehen, ihnen Hilfe anzubieten und mit ihnen zu teilen.

Mit diesen schönen Worten möchte ich diesen Beitrag über meine erste Wanderung in Armenien beenden und lasse die Bilder für sich sprechen.

Bis bald! 😊

 

Aufregende erste zwei Tage – Von Türen, Stromausfällen und Keksen

Hallo zusammen! 🙂

Seid ihr schon mal mit richtig viel Gepäck unterwegs gewesen? Mit so viel Gepäck, dass es eigentlich zu schwer für euch war? Falls nicht, dann lasst euch von mir sagen, dass das überhaupt keinen Spaß macht und ihr nach wenigen Metern jeden einzelnen Muskel eures Körper spüren werdet. Ihr werdet euch nichts sehnlicher wünschen, als endlich anzukommen.

So ging es auch Dana und mir, als wir den (ebenfalls wieder sehr hübschen) Bahnhof von Gyumri erreichten. Wir hätten uns zwar ein Taxi rufen können, doch nach dem langen Sitzen erschien es mir als die bessere Idee, die relativ „kurzen“ 15 Minuten zu unserer Wohnung zu laufen. Ich mag Spaziergänge sehr und hatte unsere Kraftreserven, die Qualität der Gehsteige ebenso wie die Qualität der Rollen meiner Koffer deutlich überschätzt. Und so kamen wir nach 25 Minuten anstatt nach 15 Minuten völlig verschwitzt und ausgepowert bei unsere kleinen, aber sehr zentral gelegenen Wohnung an. Dort wurden wir nicht vom Vermieter selbst, sondern von dessen Eltern empfangen. Da die beiden kein Deutsch oder Englisch sprachen und weder Dana noch ich Armenisch konnten (noch nicht!), erfolgte die Roomtour mit jeder Menge wilder Zeichen und immer wieder Gelächter, wenn etwas nicht gleich verständlich war.

Unsere Wohnung.

Nachdem wir uns soweit eingerichtet hatten, rief mich der Vater noch einmal zu sich, um mir zu zeigen, dass er noch eine Schublade im Bad reparieren würde und der Strom aus war. Ich interpretierte das so, dass er den Strom eigenständig abgeschaltet hatte. Als wir (nachdem er bereits gegangen war) immer noch keinen Strom hatten, kontaktierte ich unseren Vermieter und fragte nach. Dieser klärte mich daraufhin auf: Ich hatte seinen Vater zu Unrecht verdächtigt und es handelte sich um einen regionalen Stromausfall, was immer mal wieder vorkäme und maximal zwei Stunden andauern würde. Tatsächlich war der Strom kurze Zeit später wieder da und beim nächsten Stromausfall hatte man sich direkt dran gewöhnt. Als wir abends mit den anderen Armenien-Freiwilligen Erfahrungen austauschten, wurde klar, dass es dieses Problem nicht nur in Gyumri gibt: Auch die drei Mädels aus Yerewan hatten schon einen Stromausfall hinter sich, auf den während unseres Telefonats prompt der zweite folgte. Lediglich Samuel in Sardarapat war verschont geblieben.

Aber zurück zu unserem Vermieter: Eigentlich ist unsere Wohnung eine Ferienwohnung auf Airbnb, die wir aber netterweise zu einem humanen Preis für sechs Monate mieten dürfen. Unser Vermieter war hierbei von Beginn an sehr hilfsbereit und zuvorkommenden. Auch dann noch, als ich ihn an unserem ersten Tag zum gefühlt fünften Mal schrieb und um Hilfe bat. Dieses Mal gab es ein Problem mit der Haustür. Wie sich herausstellte war es meine eigene Unwissenheit und nicht die Schuld der Tür, aber von vorne: Als ich versucht habe, die Tür abzuschließen, ist mir das grundsätzlich zwar gelungen, aber ich konnte den Schlüssel nicht mehr aus dem Schloss ziehen. Wenn die Tür offen war, ging es problemlos, aber sobald abgeschlossen war, wollte der Schlüssel auch mit aller Gewalt nicht aus dem Schloss. Kaum hatte ich die Nachricht an unseren Vermieter abgeschickt, bekam ich ein YouTube-Tutorial zum Abschließen von dieser Art von Tür zurück. Zu meinem maßlosen Entsetzen war das Video so hilfreich, dass der Vater nicht nochmal zur Demonstration kommen musste und es klappte. Zur Feier meines Erfolgs schickte mir der Vermieter noch eine lange Liste mit hilfreichen Tipps für Gyumri, die mich in meiner Zeit hier bestimmt noch öfters begleiten werden.

Komplett erschöpft fiel ich nach knapp 28 Stunden auf den Beinen abends ins Bett, nur um am nächsten Morgen schon wieder um 7:30 Uhr aufstehen zu müssen. Ich hatte mit meiner Ansprechpartnerin Hasmik vereinbart, dass ich zum Schnuppern schon einen Tag an der Schule vorbeischauen würde. Sie holte mich mit dem Taxi ab und auf der 20-minütigen Fahrt zur Schule, die ein bisschen außerhalb liegt, bestätigte sich mein erster Eindruck von Gyumri: Die Stadt ist deutlich grüner als Yerewan und kleiner. Es gibt viele schöne Gebäude, aber auch einige Ruinen. Der Verkehr ist stellenweise das pure Chaos, aber man gewöhnt sich schnell daran (wenn ich wieder nach Deutschland komme, werde ich nicht mehr vernünftig Autofahren können). Es waren so viele Eindrücke, dass ich wohl noch etwas brauchen werde, um mich zurechtfinden zu können. Die Schule selbst ist von innen sehr bunt und es gibt viele Pflanzen. Von vielen Lehrkräften und auch einigen Kindern wurde ich mit einem Lächeln oder einem freundlichen Zunicken begrüßt, sodass ich mich schnell wohlgefühlt habe. Das lag auch an der zweiten Deutschlehrerin, die auch Hasmik heißt, und mich sehr warmherzig in Empfang genommen hat. Vom Unterricht und meiner Arbeit werde ich an anderer Stelle erzählen, da ein Tag noch nicht sehr aussagekräftig ist und ich hier lieber noch Anderes berichten möchte. Zu erwähnen sind beispielsweise noch die Kekse und die Busfahrt zurück:

In den Pausen haben mir die beiden Deutschlehrerinnen nämlich jede Menge armenischer Kekse, Süßigkeiten und ein Stück Banane angeboten, was ich dankend angenommen habe. Besonders gut geschmeckt haben mir hierbei Kekse, die fast wie Prinzenrolle nur mit weicherem Keks und weißer Creme waren. Ich habe im Supermarkt bei uns um die Ecke schon nach ihnen Ausschau gehalten, konnte sie leider aber noch nicht entdecken. Ich werde die Suche dennoch weiter fortsetzen oder bei nächster Gelegenheit nachfragen!

Ein weiteres Tageshighlight war die Rückfahrt in einer Marschrutka, einer Art regionalem Linienbus, den ich ab Montag täglich zur Schule und zurück nehmen werde. Völlig überfüllt und mit waghalsigem Fahrstil ging es quer durch Gyumri, sodass ich schon nach wenigen Minuten keinerlei Orientierung mehr hatte. Trotz eines Schreckmoments, als ein Blitz in unmittelbarer Nähe einschlug, erreichte ich meine Haltestelle und stieg sogar richtig aus, was alles andere als selbstverständlich ist, da ich während der Fahrt ungefähr fünfmal dachte, dass wir schon da wäre. Kaum ausgestiegen, wollte ich zu einem Geldautomaten und lief erstmal in die falsche Richtung. Ich fürchte, bis ich mich in Gyumri zurecht finde, wird es wohl noch eine Weile dauern. Am Geldautomaten fand dann die für mich schönste Begegnung des Tages statt: Ich stand nur wenige Minuten dort, schon kamen drei Jungs im Alter von 12-15 Jahren auf mich zu und der Älteste bat mir auf Deutsch Hilfe an. Während sie mir dabei halfen, den Automaten zu knacken, unterhielten wir uns wirklich nett über alles Mögliche. Für einen Lacher sorgte die Entschuldigung eines Jungen für das „schlechte Wetter“, das normalerweise deutlich wärmer und weniger regnerisch sei, woraufhin ich nur erwiderte, dass ich aus Norddeutschland käme und es sich fast wie Zuhause anfühle.

Das war auch einer der Momente an denen ich für mich festlegte, dass „armenische Gastfreundschaft“ als Beschreibung für die Armeniern im Umgang mit „Ausländern“ nach meinen bisherigen Erfahrungen nicht ganz passend ist. Selbstverständlich bin ich zu Gast in diesem Land, doch ist die Hilfsbereitschaft von so vielen Menschen, die ich hier bisher getroffen habe, so viel universeller: Tags zuvor war eine Frau auf der Straße gestürzt und sofort waren ihr mindestens fünfzehn Personen zur Hilfe geeilt. Diese Hilfsbereitschaft hat mich in der kurzen Zeit, in der ich erst hier bin, schon oft überrascht und ich bin sehr dankbar für all die Hilfe, die ich bereits erhalten habe. Das geht für mich über bloße „Gastfreundschaft“ hinaus. Ohne diese Menschen wäre ich in diesem fremden Land mit fremder Sprache schon das ein oder andere Mal verzweifelt.

Dennoch beginne ich langsam, mich einzufinden und alleine zurechtzukommen. Ich habe es sogar eigenständig geschafft, uns Essen zu bestellen, ohne dafür unseren Vermieter fragen zu müssen! Es besteht also noch Hoffnung auf ein selbstständiges Leben hier. Ob und wie schnell das jedoch in Erfüllung geht, wird erst die Zeit zeigen und mit diesen weisen Worten beende ich den heutigen Eintrag. Sobald wieder etwas Spannendes oder Berichtenswertes passiert, wird es hier selbstverständlich weiter gehen. In diesem Sinne:

Bis bald! 😊

 

Prolog meines Auslandsjahres in Gyumri (Armenien)

Hallo zusammen! 😊

Woran denkt ihr, wenn ihr „Armenien“ hört? Vielleicht herrscht erstmal ziemliche Leere im Kopf. Zumindest war es bei mir so. Lediglich die armenische Flagge blitzte vor meinem inneren Auge auf, als ich das Platzangebot von kulturweit für Armenien erhielt. „Armenien“, dachte ich. „Nicht mehr Europa, aber auch nicht allzu weit weg.“ Was genau mich erwarten würde, wusste ich jedoch nicht. Dennoch habe ich nicht gezögert und wage jetzt den Sprung ins „Ungewisse“. Selbstverständlich habe ich mir den Wikipedia-Artikel über Armenien durchgelesen, einen Reiseführer gekauft und einzelne Erfahrungsberichte verschlungen, doch so richtig vorbereitet fühle ich mich auf mein Jahr hier nicht. Ein ganzes Land kann man schließlich nicht aus der Entfernung kennenlernen.

Wenigstens der Wetterbericht für Gyumri, die zweitgrößte Stadt Armeniens mit ca. 100000 Einwohnern und mein baldiges Zuhause, hat mir beim Packen gute Dienste geleistet. Bis zu dem Moment als ich realisiert habe, dass man Kleidung von -20 Grad Celsius bis +30 Grad Celsius unmöglich in einen Koffer + Handgepäck packen kann. Ich reise jetzt mit zwei Koffern und einem großen Rucksack, doch aussortieren musste ich dennoch ordentlich. Besser habe ich mich erst gefühlt, als ich erfahren habe, dass es nahezu allen Mitfreiwilligen genauso ging; unabhängig davon, in welche Weltregion es geht. Packen ist einfach eine Kunst für sich.

Genauso ist es Reisen: Die Bahnfahrt nach Berlin lief überraschenderweise problemlos und so waren wir überpünktlich drei Stunden vor Abflug am Flughafen. „Wir“ sind übrigens meine Mitbewohnerin Dana und die drei Freiwilligen in Yerewan Nila, Lilly und Mia. Der sechste Armenien-Freiwillige Samuel war schon den Tag zuvor geflogen. Nun standen wir also in Berlin am Flughafen und mussten feststellen, dass wir so pünktlich waren, dass wir noch eine geschlagene Stunde darauf warten mussten, dass der Check-In öffnete. Diese Stunde wurde u.A. dafür genutzt, um sich wiederholt Sorgen darüber zu machen, ob unser Gepäck die Gewichtsvorgaben einhalten oder ob es Probleme geben würde. Es gab keine Probleme; weder beim Check-In noch beim Sicherheitscheck. Ebenso problemlos verlief auch unser erster Flug von Berlin nach Warschau, der so schnell vorbei war, dass ich, die eigentlich nur kurz die Augen zu machen wollte, gefühlt nichts vom Flug mitbekommen habe. In Warschau angekommen rätselten wir, ob wir unser Gepäck abholen müssten oder ob es ohne unsere Mithilfe umgeladen werden würde. Nichts zu tun, stellte sich als richtig heraus. Wir hatten uns gerade etwas zum Abendessen geholt, als uns folgende Nachricht erreichte: Unser zweiter Flug von Warschau nach Yerewan hatte anderthalb Stunden Verspätung. Grundsätzlich nicht das Problem, aber Dana und ich mussten an dem Tag noch weiter nach Gyumri reisen und da der Zug nur dreimal am Tag fährt, wollten wir unbedingt den ersten um acht Uhr bekommen. Bei einer halben Stunde Fahrt vom Flughafen zum Bahnhof, Ticket lösen, Gepäckabholung und dem Kauf einer SIM-Karte klang Landung um sechs Uhr doch etwas sportlich. Spoiler: Wir haben es geschafft. Das wäre allerdings ohne zwei super liebe und hilfsbereite Armenier nicht möglich gewesen.

Zuerst half uns die Vermieterin von Lilly, Nila und Mia und besorgte uns ein Taxi. Sie war eigentlich nur gekommen, um die drei abzuholen, aber nahm sich sofort auch unserer an. Im Taxi ging es dann einmal quer durch Yerewan, das gerade malerisch in das Licht des Sonnenaufgangs getaucht wurde. Unter anderen Umständen hätte ich das bestimmt mehr genießen können, aber nach 21 Stunden auf den Beinen und Zeitdruck im Nacken waren Müdigkeit und Anstrengung einfach stärker. Kaum waren wir am Bahnhof abgesetzt worden (der im Vergleich zu den meisten deutschen Bahnhöfen, die ich kenne, übrigens sehr imposant und schön aussah), wollte ich uns über die Seite, die mir die Vermieterin empfohlen hatte, online Tickets buchen. Nach ungefähr fünf Minuten war ich komplett verzweifelt. Das hatte anscheinend ein in der Nähe wartender Taxifahrer gesehen und sprach uns auf Englisch an. Nachdem wir ihm unsere Situation erklärt hatten, nahm er uns jeweils einen Koffer ab und führt uns ins Bahnhofsgebäude zu einem Schalter. Dort erklärte er der dahinter sitzenden Frau, was wir brauchten. Anschließend gab er uns seine Handynummer mit, falls wir weitere Hilfe oder in Yerewan jemals einen Taxifahrer bräuchten. So bekamen wir doch noch unseren Zug und konnten auf der dreistündigen Fahrt etwas die Augen zu machen. Jedoch erst, nachdem wir uns ausgiebig mit einem armenischen Ehepaar aus den USA über Gyumri und Armenien unterhalten hatten. Besonders zwei Aspekte sind mir dabei im Gedächtnis geblieben, die ich euch nicht vorenthalten möchte:

Zum einen erzählte die Frau, dass sie in Gyumri aufgewachsen sei, ihre Heimatstadt heute aber nicht wiedererkennen würde. Grund hierfür sei das schwere Erdbeben, das Gyumri am 07.12.1988 erschüttert und in weiten Teilen beschädigt hat. Das Stadtbild wurde nachhaltig verändert und die Wiederaufbauarbeiten dauern bis heute (über dreißig Jahre später) immer noch an. Die Frau erklärte, dass von ihrer Schule und ihre Wohngegend damals nicht viel übrig geblieben sei. Lediglich das Stadtzentrum habe weitestgehend überlebt. Dennoch versprach sie uns, dass wir Gyumri lieben würden, da die Menschen mit ihrer ansteckenden Herzlichkeit die Gleichen geblieben seien.

Außerdem gab sie uns noch einen Tipp mit auf den Weg: Dass wir unbedingt Aprikosen essen müssten. Diese würden nirgendwo besser schmecken als hier und seien so etwas wie die Nationalfrucht. Es hätte schließlich einen bestimmten Grund, warum die unterste Farbe der armenischen Flagge kein gewöhnliches Orange, sondern ein strahlendes Apricot sei. Das habe ich zum Anlass genommen, um die Bedeutung der Farben der armenischen Flagge zu recherchieren. Hier meine Ergebnisse: Das Rot steht für das Blut, dass im Kampf um die armenische Unabhängigkeit geflossen ist und geopfert wurde. Das Blau symbolisiert den blauen Himmel Armeniens und das Orange bedeutet den Segen, der durch die harte Arbeit der armenischen Bevölkerung beschert wird. Je nachdem, wo man guckt, kann es auch nur für die harte Arbeit stehen. Ich habe zwar nichts über Apricot gefunden, aber finde es trotzdem eine schöne Anekdote, zumal Aprikosen neben Granatäpfeln tatsächlich die Nationalfrüchte Armeniens sind.

So, da dieser Eintrag schon sehr lang ist und ich generell häufig dazu tendiere, zu viel zu schreiben, schließe ich an dieser Stelle. Nächstes Mal soll es dann damit weitergehen, wie die Ankunft in Gyumri verlief und warum ich die Phrase „armenische Gastfreundschaft“ nicht ganz passend finde.

Bis bald! 😊

Die armenische Flagge.

Der Beginn meiner Reise: Der Berliner Flughafen.

Meine Mitreisenden: Mia, Lilly, Dana und Nila.