Gedanken vor dem Abflug

Ich laufe über Erde, Steine, springe über Wurzeln. Ich spüre den Wind in den Haaren und auf meinem Gesicht. Neben mir schäumt der Werbellinsee, peitscht eine Welle nach der anderen an die Bucht, unaufhörlich, unendlich.

Plötzlich werden meine Beine immer langsamer. Ich muss stehen bleiben, die kalte Luft brennt in meinem Hals. In meinem Kopf schwirren Gedanken und Gefühle durcheinander.

Nach 9 Tagen Vorbereitungsseminar sind anscheinend sogar meine Beine von all dem Input verwirrt.

In den letzten Tagen wurde ich konfrontiert, mit Gedanken, denen ich bisher geschickt entkommen bin. Ich wurde hineingeschmissen in Gefühle, die ich so noch nicht kannte. Und ich hatte unterschiedlichste Begegnungen, flüchtige, ehrliche, inspirierende, überraschende.

Gleichzeitig sind auch viele Zweifel in mir aufgekommen. Ein Fragezeichen reiht sich nach dem anderen in meinem Kopf. Plötzlich bröckelt meine Vorstellung eines kulturellen Austausches durch uns Freiwillige. Wie sollte dieser Austausch glücken, indem wir „Deutsche“ ins Ausland reisen und dort Jobs ausführen, die Einheimische mindestens genauso gut erfüllen können? Warum haben wir die Chance auf diese bereichernde Auslandszeit und andere nicht? Wo sind die Freiwilligen IncomerInnen hier in Deutschland? Reproduzieren wir mit diesem Programm nicht eben diese Strukturen, die wir in unseren Diskussionen so verteufeln.

Als meine Beine vor ein paar Tagen beim Joggen im Wald versagten, überwältigten mich diese Fragen und Zweifel. Dennoch werde ich morgen im Flieger nach Myanmar sitzen. Denn ich glaube an die Kraft der Begegnung zwischen Menschen, den Willen etwas gemeinsam zu erfahren und sich auf Augenhöhe austauschen. Strukturell gesehen scheint das FSJ einseitige Machtstrukturen zu reproduzieren. Aber kommt es nicht auch darauf an, was wir Freiwillige daraus machen? Das FSJ, es ist nur der Rahmen. All unsere einzelne Geschichte, sind viel entscheidender (natürlich ist es weiterhin extrem wichtig das Modell des Auslands-FSJ kritisch zu hinterfragen und zu reformieren). Aber diese Geschichten sollen keine Geschichten von Stereotypen sein. Es sollen keine einseitigen Geschichten sein. Und vor allem sollen es keine Geschichten sein, die als Mittel zum Zweck dienen. Vielmehr sollen unsere Geschichten von einem bedingungslosen Austausch, von aufrichtiger Weltoffenheit und gegenseitigem Interesse erzählen!

Mit all dem im Kopf wird mein Aufenthalt noch mehr zur Herausforderung. Und gleichzeitig auch zum Aufruf an alle über die eigene Denkweise und Ausdrucksweise konsequenter nachzudenken.

Und hier noch ein Einblick in die Inhalte der letzten Tage:

Gruß aus Berlin!

P.S: Neben all diesen Gedanken wächst natürlich gerade auch meine Aufregung und Vorfreude! Der Flughafen ist in Greifweite, über meinem Kopf schießen schon die Flugzeuge geräuschvoll in die Luft.

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