Auf dem Fahrrad in Accra

Während die Benzinpreise steigen, entwickelt sich das Rad in Ghanas Hauptstadt Accra notgedrungen zur Alternative

Accra, Ghana “Wir sollten nicht hier sein.”, sagt Sadat Mumoni. Seine Stimme ist kaum zu verstehen, verschluckt von dem röhrenden Geräusch des Verkehrs in Accra. Er steht am Straßenrand, wartet auf neue Kunden. Wer seinen Laden betritt, löst keine Klingel aus. Mumonis Schaufenster sind die vorbeifahrenden Autofenster. Jeden Morgen holt er seine Fahrräder aus dem Laden, nimmt kleine Steine und stellt sie auf den Fußweg.

Die Nsawam Road in Accra, Ghana ist vierspurig. Wenn die Autos kurz zum Stehen kommen, bewegen sich Fußgänger auf die andere Seite, schlängeln sich unter Hupen an Wägen vorbei. Mit seinem Geschäft ist Mumoni auf einen Trend aufgesprungen, denn in den letzten Jahren tauchen in dem Verkehrschaos immer mehr Fahrräder auf.

Nachdem er sein Studium in General Arts abgeschlossen hatte, machte sich Mumoni auf die Suche nach einem Job. Aufgrund der wachsenden Wirtschaftskrise in dem westafrikanischen Land akzeptierte er gerne, als ein Freund ihm die Stelle in dem Radgeschäft anbot. Jetzt lebt dieser Freund in Deutschland und Mumoni hat die Leitung übernommen. „Ich habe meine Liebe für den Handel gefunden.“, sagt er. Aber es ist eine antrainierte Liebe.

Allein während der letzten Monate, sind Benzinpreise in Ghana von 7 Cedi (umgerechnet etwa ein Euro) auf 11Cedi (umgerechnet etwa Euro) gestiegen. Dazu kommen lange Wartezeiten in Staus.

Man könnte vermuten, dass die Menschen anfangen, Fahrräder zu kaufen, machen sie aber nicht.“, sagt Mumoni lachend. „Wir Afrikaner fahren einfach nicht gerne Fahrrad.“, erklärt er es sich. Selber besitzt er ein Rad, nutzt es aber hauptsächlich für sportliche Sonntagsauflüge zum Meer. Auf dem Weg dorthin muss er nicht nur die gleißende Sonne und ungefähr 30 Grad im Schatten aushalten, sondern auch den Verkehr.

Der Fahrradladen von Cosmos Jui

Allein zwischen Januar 2021 und Oktober 2021 haben 2126 Menschen in Verkehrsunfällen das Leben verloren. Viel für ein Land mit gerade 30 Millionen Einwohnern. Zum Vergleich: In Deutschland verzeichnete das Statistische Bundesamt 2719 Verkehrstote im gesamten Jahr 2021. Ohne Helm, im T-shirt kurvt Abdullah zwischen den Menschen auf dem Fußweg, weicht Ständen für Obst oder Kochbananen aus. Fahrradfahren habe er gelernt, als er nur sieben Jahre alt war. Er erinnert sich nicht, dass es ihm jemand beigebracht hätte. “Ich habe es einfach irgendwie gekonnt.”; sagt er. Gerade ist er auf dem Weg zu einem Freund, per Rad. Um sicher zu sein, fährt er hauptsächlich auf dem Fußweg, solange einer da ist. Angst habe er aber keine. “Ich bin hier aufgewachsen.”, meint er schulterzuckend. Sobald der Verkehr auf der mehrspurigen Nsawam Road steht, beginnen Menschen, hinüberzurennen. 

Mittlerweile begleitet den 19-Jährigen das Fahrrad sogar im Berufsleben. Er geht zur Hand. Seine Aufgabe ist es, die Kunden zu beraten. In der Zwischenzeit sitzt er auf einem Stuhl an der Hauswand. In der Hütte sitzt sein Chef Cosmos Jui auf einem Gartenstuhl, oberkörperfrei. Für das Gespräch zieht er sich noch schnell ein T-shirt über. Um ihn herum liegen ölige Werkzeuge auf dem Boden. Wenn nötig, repariert er selbst. Was, das sind die Fahrräder, die sich hinter ihm fast bis an die Decke stapeln. Kinderräder, Rennräder, manchen von ihnen fehlen die Reifen, andere sind noch komplett intakt. Bis sie hier landen, haben sie einen weiten Weg hinter sich, bezieht sie aus Europa und Kanada. An sein Geschäft angeschlossen ist auch noch ein Motorradverkauf, so eines fährt er auch selber, ansonsten wäre der Weg zu weit. Schon seit 14 Jahren ist er dabei, mittlerweile ist er längst nicht mehr der einzige in seiner Straße. Stattdessen reiht sich Geschäft an Geschäft. Neben Rädern verkaufen viele auch noch Obst und Kleidung.

Cosmos Jui in seinem Fahrrad- und Ersatzteillager

Während die Fahrräder aus Europa und Kanada kommen, fahren auf deutschen Straßen Räder aus Ghana. Bamboo Bike Ghana oder My Boo heißen die Firmen. Ihr Spezialgebiet: Rahmen aus Bambus, der wächst besonders gut im Norden des Landes. Das deutsche „MyBoo“ fertigt zum Beispiel drei Stunden nördlich von Kumasi, der deutsche Sitz liegt in Kiel. Die Bamboo Bike Ghana Intitiative dagegen wurde von lokalen Menschen gegründet. Ein Fahrrad bei ihnen kostet um die 500USD, ein stolzer Preis bei einem durchschnittlichen Jahreslohn im Land von brutto umgerechnet 7000USD.

Neben Mumonis Rädern halten auch noch Trotros, die öffentlichen Verkehrsmittel in Ghana. Kleine Busse ohne Anzeige, stattdessen schreit ein Mensch das Ziel heraus.

Cosmos Jui verkauft seine Räder zum großen Teil an Studenten. „Reiche Menschen kaufen sich vielleicht ein Rad zum Sport, aber arme Menschen fahren damit vermutlich zur Arbeit.“, erzählt er über seine Kunden.

Während des Gesprächs ist ein Kunde auf einem Motorrad herangefahren. Obwohl Jui eigentlich nie Räder verkaufen wollte, erhebt er sich. Bald wird es wohl ein neues Rad auf Ghanas Straßen geben.