Allein allein, wir sind allein

Willkommen in Santa Cruz

Manchmal ist Reisen und Freiwilliger sein unschön.
Die ersten zwei Tage in Santa zum Beispiel waren so richtig scheiße.
Ich kam an, wurde auf charmante Art von meinem Taxifahrer über den Tisch gezogen, und bat den Wachmann vor dem Hotel, mir einen neuen Pferdeschwanz zu machen, weil ich dank dieser nicht so grandiosen Idee, aka „dem misslungenen Sprung über die Hängematte“ nur noch einen Arm zur Verfügung habe. Der andere macht Pause und blockiert mich mit seinem gebrochenem Ellenbogen.


Mit einem Arm kann man keine Pferdeschwänze machen, mit einem Arm wird das Öffnen von Flaschen zur Krisensituation und mit einem Arm verzweifle ich an Dingen, an die ich normalerweise keinen Gedanken verschwenden würde.


Und dann war ich alleine. Da war niemand, der diese kleinen Dinge für mich übernimmt. Ich fand „alleine sein können“ immer sehr wichtig. Und überhaupt sind Leute, die gut alleine sein können viel ausgeglichener und zufriedener, weil keine Bespaßung von Außen nötig haben und sowieso unabhängig und stark sind … Alleine sein, wenn man es sich selbst nicht ausgesucht hat, schmeckt eher bitter und fühlt sich gar nicht unabhängig und stark an. Vor allem dann nicht, wenn man alleine zum Arzt geht und eine, zugegebenermaßen, übergroße Angst vorm nach einer OP hat. Dann fühlt sich alleine sein eher so an, wie als vom Kinderhort abgeholt zu werden oder nachts den Bus in einer fremden Gegend verpasst zu haben.

Dann habe ich gemerkt, dass dieses „alleine sein“ mir logischerweise, immer dann bewusst wird, wenn ich davor fast keine Minute alleine war. Eine Woche nach Schulende, der erste Tag wieder zu Hause nach einer aufregenden Reise und eben diese Tage zwischen Urlaub und Umzug mit einem Arm..


Jetzt, wo ich hier an meinem Schreibtisch in meinem neuen Zimmer sitze, meinen Mitbewohner in der Küche summen höre, und genervt von dem Hund bin, der sich immer auf meine Füße setzt und abschleckt, jetzt wo ich nicht mehr alleine bin, ist mir klar, dass ich viel zu dramatisch war, dass Wasserflaschen keine Hürden mehr darstellen, weil man in Santa das Leitungswasser trinken kann und überhaupt kommt mir meine düstere Gedankenwelt von vor ein paar Tagen albern und unnötig stressig vor.

Was hab ich gelernt? Vielleicht Geduld, vielleicht Vertrauen in Veränderung. Vielleicht aber auch nur, dass Wachleute keine Profis im Pferdeschwanz zaubern sind. Wahrscheinlich werde ich noch öfter alleine sein und mal sehen, wie albern mir meine Reaktion dann vorkommt.
Aber wahrscheinlich werde ich besser im Alleinsein. Und wer weiß, vielleicht finde ich alleine sein dann so toll, dass ich mit zwanzig in eine einsame Hütte im Wald ziehe und dann nur noch als die Einsame Aissata bekannt bin.

Hm, wahrscheinlich eher nicht.

Tschüss Oruro

Jaja, das waren noch Zeiten. Damals, als ich es noch erklärt habe, warum ein Wochenende fehlt. Das war zwar erst Mitte Oktober, aber es fühlt sich Lichtjahre entfernt an. Es ist viel passiert: dies das, Zwischenseminar, bisschen Cochabamba, Reisen in Peru und Kolumbien, Handy verlieren… und dann wollte ich über eine Hängematte springen und bin mit einem gebrochenem Ellbogen im Krankenhaus gelandet, blabla Kolumbien ist wunderbar, Umzug nach Santa Cruz.

Als ich noch in Oruro war wollte ich nichts über Oruro schreiben, weil ich dort nicht umbedingt die beste Zeit hatte und nichts negatives in diesen Blog schreiben wollte. Das entsprach am ehesten meinem Verständnis von „fair berichten“. Denn ich dachte, das Negatives schreiben unfair berichten ist, weil es subjektiv ist und nur auf den Erfahrungen einer Person basiert. Weil es vielleicht ein schlechtes Bild vom Land vermittelt. Weil ich nicht die Freiwillige sein wollte, die keinen riesigen „Spaß“ an ihrem Einsatzort hat. Weil ich dachte, eher hoffte, dass es besser wird und mir Oruro am Ende so gut gefällt, dass ich es bereuen würde etwas unschönes über die Stadt geschrieben zu haben. Weil ich es einfach zerdacht habe.

 

Und was denke ich jetzt über Oruro?

 

Oruro is dirty, crowded, the food sucks and there’s not much to do outside of Carnaval season. Yet, there’s something about this gritty place, the largest berg in the region, that endears it to visitors. A miners’ city that takes no slack from anyone, it makes for an oddly atavistic experience that some may find intoxicating.

-lonley Planet

https://www.lonelyplanet.com/bolivia/the-southwest/oruro

 

Ich denke Oruro ist nicht repräsentativ für Bolivien und auch nicht die schönste Stadt, aber ich denke auch, dass die Stadt es nicht verdient hat von einem der meistgelesen Reiseführer so beschrieben zu werden. Überall wo ich hinkam und erzählte, dass ich in Oruro wohne, bekam ich die gleiche Reaktion: mitleidiges Lächeln oder ein verbindliches Lachen, auf das irgendetwas in die Richtung „jaja, da muss nun wirklich niemand hin“ folgt. Oruro ist ein bisschen wie das Bielefeld von Bolivien, ein Ort von dem jeder schon gehört hat, aber an dem nur wenige schon einmal waren.

Oruro ist kein Paris oder Florenz, aber das will es auch gar nicht sein. Seine freundlichen Bewohner*innen sind stolz darauf sich Orurenos*as zu nennen und teilen ihre Kultur gerne mit den wenigen Touristen, die meistens auf der Durchfahrt zum Salar de Uyuni sind. Und dann gibt es eben noch den Karneval. Ich hab ihn noch nicht erlebt, aber er muss gigantisch sein, wenn sogar die größten Oruromobber*innen von ihm schwärmen.

Ich denke über Oruro, dass es gut ist, um zu verstehen was diese bolivianische Vielfältigkeit, von der vor allem Boliviens eigene Werbung so oft spricht, eigentlich ist, dass ich Pech hatte, weil ich die meiste Zeit krank war, dass das mein Bild von Oruro maßgeblich geprägt hat und dass ich, als profitierende Deutsche im Freiwilligen Dienst, aufhören sollte schlecht über einen Ort zu reden der mir nichts getan hat außer in 3700m Höhe zu liegen und keine Großstadt zu sein.

 

danke Oruro,

vielleicht sieht man sich ja an Karneval wieder 😉