Im Regenmantel durch Riga

Hinter mir liegt meine erste Woche Ferien hier in Estland. Es war eine Woche voller neuer Eindrücke, diverser Museumsbesuche und ja, leider auch voller Regen. Relativ spontan habe ich mich am Dienstagabend (23:30 Uhr) entschieden am Mittwoch (08:00 Uhr) nach Riga zu fahren. Was eigentlich mit meiner sonstigen Organisationsleidenschaft nicht zusammenpasst, hat sich als eine gute Entscheidung herausgestellt.

Riga empfängt mich zwar mit einem grauen Himmel, aber mit (im Vergleich zu Tallinn sommerlichen) 9°C! Ich werde von den in Riga temporär beheimateten Kulturweitis freundlich aufgenommen und beherbergt (danke an Barbara und Leo, falls ihr das lest!). Dadurch nehme ich am ersten Abend auch an einem Tanzabend in einer Bar teil, bei dem typisch lettische Volkstänze getanzt werden. Obwohl ich mich „nur“ bei drei Tänzen auf die Tanzfläche traue, genieße ich die Stimmung sehr. Letten tanzen mit Internationals, Profis mit blutigen Anfängern; Alter, Geschlecht und Nationalität spielen keine große Rolle. Die lettischen Volkstänze kommen mir geselliger vor als deutsche Tänze, weil die Pärchen miteinander interagieren und auch im Tanz durchwechseln.

Der folgende Tag ist trotz mäßigen Wetters zum Sightseeing bestimmt. Nach einem Frühstück im Lesecafé Kafka lasse ich mich durch die Stadt treiben und bestaune, was der Stadtführer als sehenswert betitelt. Riga hat schöne alte Gebäude und ein nettes Stadtzentrum, das zwar an Tallinn erinnert, allerdings deutlich größer ist.

Aber, macht euch selbst ein Bild:

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Neben dem Sightseeing besuche ich das Museum am Domplatz und zusammen mit Barbara auch das Nationalmuseum Lettlands. Sowohl das lettische, als auch das estnische Nationalmuseum kann ich nur sehr empfehlen. In den Kunstwerken der (Post-)Sowietzeit stellt sich die Geschichte sehr eindrücklich dar. Ein weiteres Highlight ist für mich die Architekturausstellung im Museum in Riga.
Im 5. Stock öffnet sich ein komplett heller Raum, der irgendwie luftleer wirkt. Das Einzige, was ihn füllt, sind die Farben und Gedanken der Besucher.

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Abends werde ich durch einige gemütliche/sehenswerte Bars in Riga geführt. Am nächsten Tag geht es schon wieder nach Tallinn, wobei der Bus während den vier Stunden Fahrzeit die estnische Stadt Pärnu und ansonsten hauptsächlich Felder und Wälder durchquert.

Heute war mein erster Schultag nach den Ferien; auf der Gitarre versuche ich grade „Wish you were here“ von Pink Floyd zu lernen und für meinen Sprachkurs sollte ich mich noch mit den estnischen Bezeichnungen für Lebensmittel auseinandersetzen. Gerade brechen Sonnenstrahlen durch die dichte Wolkendecke, die seit Tagen über Tallinn liegt (lag?). Juhu!

Let the sunshine in! https://www.youtube.com/watch?v=6RmXXTPrOgA
Alles Liebe, head aega und bis bald!

Moor und mehr

Ein weiterer großartiger Artikel aus dem Leben einer Kulturweitfreiwilligen mit den spannenden Themen:
Was habe ich die ganze Zeit so getrieben und bin ich vielleicht an meiner Erkältung gestorben?

Mir geht es gut, ich lebe und ich habe die unbestreitbare Realität in Estland akzeptiert: perfektioniere den Zwiebellook oder sterbe einen schleichenden aber unaufhaltsamen Kältetod (an dieser Stelle mein vollstes Mitgefühl und viele warme Gedanken an meine Mitfreiwilligen in Russland oder der Mongolei!). Ich habe meine Erkältung überstanden ausgestattet mit zwei Hosen, zwei Paar Socken und vier Oberteilen am letzten Wochenende mit Anita und Leo aus Riga das Moor im Lahemaa Nationalpark erkundet. In so einer Landschaft zu stehen kommt mir immer ein bisschen unwirklich vor, als wäre ich versehentlich in ein Kalenderbild gefallen und würde dort jetzt feststecken.

Der Jägala-Wasserfall ist mit 8m Höhe der höchste natürliche Wasserfall Estlands. Im Winter soll das Wasser frieren, sodass man hinter einer Eiswand laufen kann!

Der Jägala-Wasserfall ist mit 8m Höhe der höchste natürliche Wasserfall Estlands. Im Winter soll das Wasser frieren, sodass man hinter einer Eiswand laufen kann!


Zwei Kulturweitler erkunden das estnische Moor. Man beachte die minusgradtaugliche Multifunktionskleidung der Autorin.

Zwei Kulturweitler erkunden das estnische Moor. Man beachte die minusgradtaugliche Multifunktionskleidung der Autorin.


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Impressionen aus dem Moor. Beschreibung kann sich hier jeder individuell denken.

p1090168 p1090180 p1090191 Wahnsinnig schöne Eindrücke, die einen für die kleinen „Was-mache-ich-hier-eigentlich-noch-mal-und-warum-genau?“-Momente entschädigen. Gefehlt zur vollkommenen Perfektion hat eigentlich nur noch ein Elch, der friedlich grasend durch die Weiten zieht. Finden wir schon auch noch!

Ein altes Gebäude eines sowjetischen Armeestützpunkts, den sich die Natur lansam zurückerobert.

Alte Gebäude eines sowjetischen Armeestützpunkts, den sich die Natur lansam zurückerobert.


Spooky House!

Spooky House! credits to Anita, die das Bild gemacht hat (für viele ihrer tollen Bilder: anitarudat auf Instagram)!

Ansonsten habe ich meinen Sprachkurs begonnen und schlage mich mit meiner zu deutschen Aussprache und Verben wie teie töötate (=sie arbeiten) herum. Ich kann mich vorstellen (Mina olen Theresa), erklären, dass ich Deutsche bin (Mina olen Sakslane) und dass ich kein Wort verstehe (Ma ei räägi eesti keelt!). Das zählt schon fast als Konverstation!

Auf der Gitarre kann ich inzwischen schon acht Griffe und in der Stadt verlaufe ich mich immer weniger. Soweit das Neuste aus dem Baltikum, liebe Grüße an euch alle!


When your dreams ‚come alive you’re unstopable – Delacey

Grenzgänge

Meine Füße sind kalt, meine Hände auch, im Wasserkocher sprudelt Wasser für den dritten Tee. Ich glaube, ich werde krank. Edit: Befürchtung hat sich bestätigt.

Diese Woche waren Austauschschüler aus Stuttgart am KSG, was mir die Möglichkeit gab einen Ausflug der Gruppe nach Narva zu begleiten. Narva ist die östliche Stadt Estlands, durch die der gleichnahmige Fluss fließt. Dieser stellt die Grenze zwischen Estland und Russland (und somit die EU-Außengrenze) dar. Ein bisschen verbindet mich auch persönliches Interesse mit der Stadt: ich hatte mich dort auf einen Platz in einer NGO beworben, bevor ich das Angebot von Kulturweit bekam. Wo wäre ich gelandet?

Nach gut zweieinhalb Stunden steigen wir aus dem Zug 220 Tallinn-Narva. Der Zug fährt hier drei mal am Tag, immer auf der gleichen Strecke hin und her. Aus dem Nebel, der uns seit dem Aufstehen begleitet, schaut uns ein gedrungenes Bahnhofsgebäude entgegen. Drinnen mutet es für mein Gefühl noch etwas sovietisch an, auch wenn ich dergleichen nie mit eigenen Augen gesehen habe. In Narva sind ca 90% der Bevölkerung russischsprachig. Narva war dank der günstigen Lage seit dem Mittelalter eine Handelsstadt, wurde aber im zweiten Weltkrieg stark zerstört. In der Sovietunion entwickelte sich Narva zur Industriestadt, es wurden Wohnblöcke für Arbeiter gebaut, die aus Russland und anderen Sovietstaaten einwanderten. Evakuierte Esten durften lange nicht zurückkehren (#shortesterÜberblicküberStadtgeschichteever).

Bahnhof in Narva

Bahnhof in Narva

Den Fluss säumen zwei beeindurckende Grenzfestungen: die estnische auf der einen, die russische auf der anderen. Auf beiden Seiten des Flusses stehen Angler im Wasser und teilen sich in friedlicher Eintracht die Fische der Narva. Sind die eigentlich russisch oder estnisch?

Festungen in Narva (links) und Iwangorod (rechts) gegenüber

Festungen in Narva und Iwangorod gegenüber voneinander. Auf der linken Seite wehen die Flaggen Europas, Estlands und Narvas – rechts (nicht im Bild) weht die Russische.

Angler in der Narva

Angler in der Narva

Die Brücke über die Narva bildet gleichzeitig den Grenzübergang. Für mich, die ich eine wirkliche Grenze innerhalb Europas nie gesehen habe, ist die Situation skurril und schwer greifbar. Ein paar Meter weiter liegt ein anderes Land, in dem andere Bedingungen herrschen als auf dieser Seite der Narva. Die Zäune, Kameras und Schranken verunsichern mich. Aber die Grenze wird überwunden, sowohl durch die Sprache, als auch durch Menschen. Auf der Brücke warten Autos auf die Grenzkontrolle und Fußgänger mit Passierschein wandern zwischen den Ländern hin- und her.

Richtung Stadtzentrum gibt es hauptsächlich Wohnblocks, aber auch den alten Rathausplatz, auf dem eine Außenstelle der Universität Tartu eingerichtet wurde. An der Narva zieht sich eine lange Promenade entlang, die von herbstlich gefärbten Bäumen gesäumt ist. Jogger passieren die Fischer und die wenigen Flaneure auf der Promenade. Trotz all dieser schönen Orte macht die Stadt ohne wirkliches Stadtzentrum einen unvollständigen Eindruck auf mich.

Gegensätze ziehen sich an: die Außenstelle der Universität Tartu als das jüngste Gebäude in Narva, neben dem alten Rathaus von 1671, das erhalten geblieben ist

Gegensätze ziehen sich an: Außenstelle der Universität Tartu als das jüngste Gebäude in Narva neben dem alten Rathaus von 1671, das erhalten geblieben ist

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College am Rathausplatz

Promenade Narva

Promenade