27 – Tanz in den Mai, politisch

Am Wochenende nachdem unsere Gäste abgereist waren, erlebten wir ganz konkret was schon das Ende des Films „Sunny Nights“ assoziiert hatte. Nichts ist zu Ende im Land, alles ist im Aufbruch, im Wandel. Es gibt starke Gegensätze, die Zusammenstöße und Veränderungen voran treiben.

Ich war am Abend vom Freitag den 11. Mai mit Freunden in der Altstadt und dann in der Fabrika gewesen. Wir hatten noch überlegt wo wir sonst hingehen könnten: Die Fabrika schließt irgendwann, ich wäre gerne ins Cafe Gallery gegangen (ein kleiner Techno-Club mit WG-Party-Atmosphäre, tagsüber ist da ein Café drin und es wird Kunst ausgestellt). Irgendwie hatte aber sonst niemand richtig Lust, wir trödelten in der Fabrika herum und gingen irgendwann nach Hause. Bis ich im Bett lag, war es irgendwas zwischen 3 und 4, ich guckte routinemäßig nochmal kurz auf meine Whatsapp und Facebook-Nachrichten und viel vor Schreck fast aus dem Bett, weil das Bassiani – ein großer, international berühmter Techno-Club, befindet sich unter dem Fußballstation Dinamo in Tbilissi- vor ca. 1h eine Warnmeldung gepostet hatte.

Bassiani und Cafe Gallery waren von einer speziellen Polizeieinheit, mit Maschinenpistolen bewaffnet, gestürmt worden. Die panischen Gäste wurden raus gescheucht, der Club geschlossen. Es gab Proteste, die teilweise in Handgemenge zwischen Polizisten und Tänzern ausarteten und einige Verhaftungen. Darunter auch zwei der Mitbesitzer des Clubs. Es soll eine Drogenrazzia als Maßnahme nach 5 Drogentoten in Tbilissi kurz hintereinander gewesen sein. Noch in der Nacht zogen die entgeisterten Gäste der Clubs bis zum Parlament auf der Rustaveli Avenue um zu protestieren.

Am Morgen waren wir alle ganz erschüttert und googelten fieberhaft, was zum Teufel da los ist. Noch in der Nacht hatten die Besitzer anderer Clubs ihre Gäste dazu aufgerufen auch zum Parlament zu gehen um Bassiani und Gallery zu unterstützen. In den Morgenstunden löste sich die Demo auf und wurde erneut gegen 3 Uhr am Nachmittag angesetzt.

Es kamen wirklich viele Leute, die Menge füllte den Platz vor dem Parlamentsgebäude und blockierte zeitweise das ganze angrenzende Stück des Rustaveli Boulevards davor. Man* tat genau das, was in der Nacht davor verboten worden war. Irgendjemand sorgte für Musik und dann wurde auf der Straße getanzt, unter dem Motto „we dance together, we fight together“ und „let the people dance“. Die Demo war friedlich, es gab einige Kundgebungen, ansonsten Techno-Musik und die Leute tanzten auf der Straße, ‚wen ihr uns das Bassiani zu macht, den safe-space, wo wir unter uns sein können, wems nicht gefällt, der brauch nicht hin zu gehen,  bringen wir das Bassiani auf den Rustaveli, mitten in die Stadt, wo uns jeder sieht.

Natürlich ging es nicht allein ums Tanzen, Mitglieder des „White Noise Movement“ forderten die Lockerung von Georgiens sehr strenger ‚zero tolerance Drogenpolicy‘.

Das Bassiani spielt eine wichtige Rolle für die, sich seit einigen Jahren entwickelnde LGTBQ Szene, die von einigen Mitgliedern der Georgisch Orthodoxen Kirche und stark rechten, konservativen Bewegungen wie dem „Georgian March“ nicht gern gesehen wird. Das Bassiani ist viel mehr als ein Club, es ist ein Zeichen für die Freiheit, Selbstbestimmung, Förderung einer diversen Gesellschaft und auch für eine Entwicklung weg von Russland und dem Osten, Richtung Westen und die inhaltliche Annäherung an Europa und Nordamerika.

Die Regierung ist zur Zeit sehr um ein offenes Bild von Georgien bemüht, vor allem auch der neue Bürgermeister Tbilissi’s, Kakha Kaladze von der Partei Georgischer Traum, plante das Nachtleben weiter auszubauen. Deswegen verwundert dieses plötzliche radikale Vorgehen.

Vielleicht nur Zufall: kurz vor der Razzia hatte der Gründer der Partei, Bidzina Ivanishvili, angekündigt wieder in die Parteiführung zurück zukehren. Sicher ist, sein Sohn, ein bekannter georgischer Sänger, hat lustigerweise aus Solidarität mit den Protesten einen Song mit dem Titel „Legalize“ veröffentlicht… .

Durch die Menge zu laufen, war wie Espresso trinken. Nach den schrecklichen Aufnahmen des Antihomophobie Tages 2013 in Sunny Nights – die gewaltsame Unterdrückung von Diversität und Meinungsfreiheit bleibt fast ungestraft und wird von einer Mehrheit unterstützt – war es genial zu sehen, wie viel Unterstützung der Club als Symbol eben dieser Werte 5 Jahre später bekommt. Und zwar von verschiedensten Seiten, nicht nur aus der Clubszene.

Die Stimmung war unsicher, es gab einiges an Polizeipräsenz und es war unklar, ob nicht jeden Moment der Befehl gegeben würde den Platz zu räumen. Das war auch der Punkt, der meine Lehrerinnen am nächsten Montag am meisten erstaunte. Die Polizei beobachtete, mir wurde erklärt, wie man in der Menge einen Polizisten in zivil erkennt, die gab es also auch und ansonsten versuchten sie den Verkehr auf der Rustaveli aufrecht zu erhalten. Außerdem schirmten sie am zweiten Tag der Proteste, Sonntag der 14., erfolgreich die friedlichen Demonstranten vom aggressiven Aufmarsch einer kleineren Gegendemo des „Georgian March“ ab. Auf Facebook haben sich Demonstranten bei den Polizisten bedankt und es gab Fotos von Protestlern, die ihnen Wasser gebracht haben.

Nicht nur dieses Verhalten überraschte, es gab auch aus eine offizielle Entschuldigung aus dem Ministerium für das aggressive Vorgehen in der Nacht.

Der Club blieb zwei Wochen wegen Untersuchungen geschlossen, gegen Ende drohte ihm schon die Pleite. Dann wurde die Wiedereröffnung bekannt gegeben.

Die Gefühle sind gemischt. Wenn ich daran denke, wie oft ich mich im Unterrichtsgespräch oder allgemein mit Georgier*innen, sehr als verwöhnte, naive Europäerin gefühlt habe, weil der Grundtenor wirklich war: Die Leute können eh nichts verändern. Viele gehen nicht wählen, weil die Alternativen fehlen. Öffentliche Meinung kundtun oder ziviler Ungehorsam kann gar nicht funktionieren. Und jetzt sieht es so aus, als könnten sie doch etwas bewirken. Vielleicht sieht es nur so aus, aber vielleicht ändert es sich ja auch, vielleicht liegt doch ein wenig Macht bei den Leuten.

1 Comment

  1. Anne

    Geduld, 70 Jahre Fremdbestimmung schüttelt man nicht eben mal so ab. Das hat in Deutschland auch gedauert und dauert leider noch an.

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