26 – Zuckerwatte und mehr for free

Der Mai in Tbilissi war ein kulturelles Knallbonbon, es war alles drin, was so geht.

Los gings mit der Mercedes Benz Fashion Week. Vom 3. bis 6. Mai im feststehenden Gebäude des Tbilisi Circus. Ich wusste nur irgendwoher, dass es stattfinden würde. Es wurde gar nicht viel darüber gesprochen und keiner hatte eine Ahnung ob man* Einladungen braucht oder Tickets kaufen musst, es klang einfach nur ziemlich hip, international und richtig crazy. Ganz kurzfristig erfuhr ich von einer offiziellen Stelle, dass der Eintritt wohl frei sei, solange Plätze vorhanden und verabredete mit einem kulturweit-Kollegen spontan nach der Arbeit „mal vorbei zu schauen“.  Ich kann nur sagen, wir kamen einmal rein und dann noch öfter! Es war irgendwie sehr beeindruckend und ein ziemlich cooles Erlebnis.

Dann nahte auch schon der Europatag am 5. Mai. Im Rike-Park gab es jede Menge Buden in denen sich die europäischen Botschaften vorstellten, eine simulierte Europareise, um die jetzt in Kraft getretene Visa-Freiheit und somit die Reisemöglichkeiten zu bewerben, Spielstationen für die Kinder und eine Märchenbühne im Amphitheater. Wir ca. 200 freiwilligen Helfer*innen wurden auf die Stände verteilt und mich erwischte das Amphitheater. – na toll, schon wieder Kinder unter Kontrolle halten und bespaßen, deren Sprache ich nicht spreche – Wir hatten verschiedene Kindertheater-Gruppen, die wirklich talentiert waren und von echten Schauspielern beaufsichtigt wurden, mich brauchte eigentlich keiner. Nur als zuerst die Zuschauer fehlten, stürzte ich mich mit den kleinen Künstlern in eine Advertisment-Kampange. Allerdings wurden wir vom Stand mit der kostenlosen Europa-Zuckerwatte aufgehalten. Europa schmeckt nach Heidelbeere und Zitrone, wer wusste das? Irgendwann kommt die „Schichtablösung“ und fleißige Helfer*innen können sich die reichlichen Essenscoupons gönnen. Den Abschluss machte ein Life-Konzert mit Nino Katamadze, über sie habe ich schon früher geschwärmt, und ein großes Überraschungsfeuerwerk. Es war ein wunderbarer Abend, noch genau richtig warm und wie ein riesiges Straßenfest, jede Menge Leute, die auf der Wiese am Park oder der abgesperrten Straße um die Bühne herum lagerten.

 

Dann war da noch das Kolga Tbilisi Photo Festival was uns mit seinen Ausstellungen in Kunsträumen über die ganze Stadt verstreut, in die versteckteste Seitengässchen führte:

 

Zum Beispiel zeigte Chai Khana, von der ich schon erzählt habe, das Projekt „Shared Waters“ https://chai-khana.org/en/along-borders-with-araks-river, es gab eins über „Sowjet Busstops in Georgia“, eines über Rotkäppchen für Große und viel zu viel richtig interessantes Zeug.

Nicht zu vergessen das „CineDOC“, ein Dokumentarfilm-Festival. Was uns vor allem das ‚Backstage‘ im Vake Park näher brachte, die haben dort eine große halb offenen Terrasse, buchstäblich „hinter der Bühne“ im Backstagebereich, wo man* sitzen kann, lecker essen, einen Gin Toniki trinken und Filme genießen. Wir sahen einen über eine spanische Oma, die einst viele Kinder, einen Affen und ein Schloss besaß, bevor die Familie pleite ging und dann waren da noch irgendwo Wirbel von Urahnen versteckt. Einen weniger lustigen, aber sehr ernsten und interessanten Film „Sunny Nights“ http://www.cinedoc-tbilisi.com/?p=5849 über Geschehnisse in Georgien seid den ersten Unabhängigkeitsbestrebungen von der damaligen Sowjet Union bis zu ganz aktuellen Bildern von der rechten konservativen Bewegung Georgian March und dem gewaltsamen Angriff einer Parade zum Tag gegen Homophobie von 2013.

Außerdem war da der „Market.TLV, ein Künstlermarkt, aus Tel Aviv mit der Idee Künstler aus verschiedenen Bereichen zusammen zu bringen. Bei uns fand der im Hof in der Fabrika statt, es waren auch wirklich israelische Künstler vertreten! https://fabrikatbilisi.com/gallery/?gallery_id=2223

Weil mein neu entdeckter Secondhandshop im Vake-Viertel leider nie das macht, was er über seine Öffnungszeiten veröffentlicht, müssen mein Besuch und ich das neu eröffnete Kaffehaus gegenüber ausprobieren, der Kaffemeister entpuppt sich unendlich talentiert im gefühlvollen Milchschaum anrichten und zum Abschluss führen wir die Gäste nochmal ins Hilltop aus:

 

Der 9.Mai war ein arbeitsfreier Tag. Der Tag des Sieges über den Faschismus. In der Schulwoche davor bekam ich ein bisschen einen Schreck, da an den Wände neue Kinderzeichnungen aufgetaucht waren, die wohl Hitler portraitieren sollten. Ziemlich befremdet – als Deutsche mit einer bestimmten Anzahl an Geschichtsstunden und nun ja, dem kollektivem Empfinden der Deutschen Bevölkerung diesem Thema gegenüber –  ist man* doch sensibilisiert um nicht zu sagen getriggert, auf bestimmte Symbole, Aussprüche oder eben einschlägige Bilder von Männern mit Bärtchen.

Ich fragte im Lehrerzimmer nach, was das denn zu bedeuten habe, aber den meisten Lehrerinnen war es noch nicht einmal aufgefallen. ‚Nun die Kinder lernen das eben in Geschichte, dass wir den Sieg über diese Faschisten, die sie da gemalt haben feiern…‘ Für die Georgierinnen, war es einfach kein großes Thema. Mir fiel einmal mehr auf, wie sich durch das Leben in einer anderen Kultur, das Empfinden für die eigene Herkunftskultur und die eigene Identität -bei mir als Deutsche- formt.

Ich finde das ist schon alein an dieser Aussage „Ich bin Deutsche“ sichtbar. Die hätte ich in Deutschland irgendwie umgangen, ich hätte mich nicht ganz wohl damit gefühlt das zu sagen. Nationalismus ist pfui, bäh, das will keiner haben. Jetzt bin ich aber in einem Land mit ganz anderer Einstellung zur eigenen Nationalität, werde natürlich als Ausländerin erkannt und fast täglich gefragt gefragt:

„kartveli ar xar? – Georgierin bist du nicht?“. Dann kommt mir auf einmal ganz einfach über die Lippen „ara, germaneli var. – Ne, ich bin Deutsche.“

Und immer gibt es immer so Fragen: ‚Wie funktioniert das bei euch? Wie macht ihr das denn? Ist das bei euch anders? Warum?‘ irgendwie muss ich mich abgrenzen und um eine Erklärung ringen. Klar kommen ganz viele Dinge, die ich automatisch  mache, nicht von ungefähr, sondern ganz klar vom Aufwachsen unter Leuten, die eben aus gutem Grund zusammenzucken, wenn irgendwo ein Mann mit Bärtchen hängt.

An diesem schönen freien Tag also, bringe ich meine Landesgenossin, den Deutschen Besuch wieder zum Flughafen und auf dem Rückweg gönne ich mir eine große Tüte echt georgischer Erdebeeren. Die Saison ist nämlich eingeläutet, es gibt sie überall in rauen Mengen, sie schmecken fantastisch und sind ganz billig. Jetzt beim Schreiben steht eine Schüssel neben mir, die hatte ich eigentlich für die ganze WG gedacht…

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