„Rumänien ist ein wunderschönes Land, aber als Urlaubsland einfach zu unbekannt“ – soweit das Fazit meiner Mutter nach knapp zwei Wochen Besuch hier. Ich selbst kann mich dieser Meinung nur anschließen. Denn hätte mich kulturweit für meinen Freiwilligendienst nicht ausgerechnet ins wunderschöne Oradea geschickt, so wären vermutlich weder sie noch ich in absehbarer Zeit nach Rumänien gereist. Was uns beiden bloß alles entgangen wäre…
Unsere Reise beginnt an einem Mittwochnachmittag bei strahlendem Sonnenschein. Mit allerhand wichtigen und unwichtigen Sachen ausgestattet machen wir uns auf den Weg in den Kreis Maramureș. Von dieser Region Rumäniens wird gerne behauptet, dass sie die ursprünglichste und traditionellste des Landes sein soll. Wir sind also sehr gespannt darauf, was uns an unserem Ziel, dem kleinen Dorf Săpânța, erwartet. Die Straßenqualität wird umso schlechter, je weiter wir uns der ukrainischen Grenze nähern. Auch die Sonne geht so langsam aber sicher unter und als wir endlich in unsere Zielstraße einbiegen, erwartet uns das beeindruckende Panorama einer Holzkirche vor rötlich-blauem Himmel. Mit diesem Bild im Kopf schlafen wir beide glücklich früh ein, um am nächsten Tag so richtig ins Entdecken zu starten.
Die allererste Attraktion unseres Aufenthalts in der Maramureș ist der „Cimitirul Vesel“, der „Fröhliche Friedhof“. Dort gibt es viele blaue Grabsteine mit Bildern und bunter Schrift zu sehen. Als „lustig“ gilt der Friedhof deswegen, weil auf den Gräbern unterhaltsame Sprüche darüber informieren, wie das Leben der jeweiligen Verstorbenen enden musste. Auch wenn ich bei Weitem nicht alles verstehen kann und teilweise auch der Übersetzer nicht helfen kann (altes und umgangssprachliches Rumänisch), ist der Friedhof seinen Besuch wert und wir verlassen ihn mit einem für Friedhofsbesuche eher untypischen Lächeln auf den Lippen. Weiter geht es zur näheren Besichtigung der Holzkirche des vorherigen Abends und zu anderen Holzkirchen, die unter UNESCO-Weltkulturerbe stehen. Diese Kirchen bestechen mit ihrer interessanten Bauweise und den im Inneren vorzufindenden Fresken. Wirklich schön ist es auch, dass sich die Führer*innen Zeit nehmen und sehr langsam auf Rumänisch erklären, was genau zu sehen ist.
Auch unsere zweite Nacht verbringen wir noch in der Maramureș, aber diesmal in dem Städtchen Vișeu de Sus. Die wohl einzige Sehenswürdigkeit dort: „mocaniță“ – die Wassertalbahn. Was gibt es an einem Regentag Schöneres, als in einem historischen Wagon zu sitzen und immer tiefer in die Karpaten hinein zu fahren? Bei dem gleichmäßigen Pfeifen der Eisenbahn und dem rhythmischen Platschen der Regentropfen können wir beide Kraftreserven für die nächsten Tage und die noch vor uns liegende Strecke tanken. Schließlich fahren wir noch am selben Tag knappe 200km in die Bukowina und beenden den Tag mit „Humor“.
Am nächsten Morgen stehen einige Moldauklöster auf dem Programm: Zuerst besichtigen wir das Kloster Voroneț und seine berühmten Fresken. Der als „Voroneț-Blau“ bekannte Farbton erschließt sich uns mangels Sonnenlichtes zwar nicht in seiner vollen Intensität, trotzdem sind die Darstellung des Jüngsten Gerichtes und die Bilder verschiedener Heiliger beeindruckend. Auch Moldovița und Sucevița können in Sachen Ikonen und Fassadenmalereien mithalten. Doch je weiter der Tag voranschreitet, desto stärker verschwimmen die Eindrücke aus den verschiedenen Kirchen in meinem Kopf zu einem einzigen riesigen Kloster – höchste Zeit für einen Ortswechsel. Unser Auto windet sich Serpentinen hinauf und hinunter, es wird kälter und nebliger, Felsen ragen immer weiter über die Straße. Wir durchfahren die Bicaz-Klamm und als wir bei unserem Ziel ankommen, liegt ein wahres Winterwonderland vor uns.
Es ist Ostersonntag und wir machen einen Schneespaziergang, wie er an Weihnachten nicht möglich war. Die Welt in weiß sieht wunderschön aus und ich bin ganz verzaubert von unserer Umgebung. Einziger Nachteil ist, dass wir außer Schnee, Schnee und nochmal Schnee nicht wirklich etwas sehen können. Deswegen bleibt auch der Grund unserer Anfahrt, der Lacul Roșu („Roter See”),unter einer weißen Decke vor unseren Augen verborgen. Also schnelle Fahrt nach Brasov, ausführlicher Stadtspaziergang und Pizza.
Der Ostermontag bringt Sonnenschein und Schlösser. In Sinaia bewundern wir die wunderschön verspielte Außenfassade und den Skulpturengarten des Schlosses Peleș. In Kontrast dazu steht das als „Draculaschloss” bekannte Schloss Bran. Das düster wirkende Gebäude auf dem Felsen vermittelt mir persönlich aber keine vampirische Atmosphäre – vielleicht ja, weil Vlad Țepes es vielleicht niemals betreten hat. Die Bauernburg in Râșnov inklusive Hollywoodsign hat nichts mehr mit der touristischen Ausgestaltung des Draculaklischees zu tun und ist schon eher wieder nach meinem Geschmack. Auch die Kirchenburg der Siebenbürger Sachsen in Hărman überzeugt mich mit ihrer wohldurchdachten Architektur und dem netten deutschsprachigen Führer.
Endlich sehe ich Braunbären. Zum Glück weder in freier Wildbahn noch im Zoo, sondern im Bärenreservat Zărnești. Dort leben Bären, die früher in Käfigen eingesperrt waren und z.B. zur Belustigung von Tourist*innen als Fotomodell dienen mussten. In dem Reservat jedoch stehen eindeutig die Tiere (es gibt auch Rehe oder Wölfe) und nicht die Menschen im Mittelpunkt. So können wir sogar beobachten, wie einer der Bären in ungefähr Lichtgeschwindigkeit einen Baum hoch- und runterklettert. Gegen dieses Tempo und diese Geschicklichkeit sehen sämtliche menschliche Kletterversuche echt alt aus… Wir verbringen eine Stunde in dem Reservat, machen dann einen (zum Glück negativen) Coronatest, schauen uns noch eine weitere Kirchenburg in Tartlau an und fahren dann weiter nach Sibiu. Dort gibt es nochmal einen abendlichen Spaziergang durch die Stadt, die ich schon vor einem halben Jahr besucht habe.
Doch auch für mich ist Sibiu im Schnee unbekannt. Denn am nächsten Morgen bekommen wir nochmal eine ordentliche Ladung gefrorenes Wasser ab. Die bunten Häuser Sibius sehen aber auch unter einer weißen Schicht hübsch aus. Und bis wir dann in Alba Iulia ankommen, ist der Schnee auch schon wieder verschwunden. Die historisch bedeutsame Festung der Stadt können wir also in aller Ruhe erkunden. Danach brechen wir schon zu dem letzten Ziel unserer Rumänientour auf: Castelul Corvinilor in Hunedoara. Ein letzter gemeinsamer Rundgang mit meiner Mama durch altehrwürdige Mauern, ein letztes Mal gemeinsam Infoschilder lesen und Fotos machen.
Am nächsten Morgen heißt es auch schon Abschied nehmen. Für meine Mutter geht es nach Timișoara und dann nach Deutschland, ich fahre über Deva nach Oradea.
Aller Abschied ist hart. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich nicht wenigstens kurz darüber nachgedacht hätte, alles abzubrechen und einfach auch zurückzufahren. Trotzdem bin ich im Nachhinein froh, dass ich es nicht gemacht habe. Ich fühle mich, als wäre ich momentan genau am richtigen Platz. Ich möchte die Zeit hier weiterhin so gut wie möglich auskosten. Ich will die Abenteuer und die Kraft, die der Besuch meiner Mama mir gebracht hat, für die nächsten Monate nutzen. Und damit sie und ich auch nicht so schnell vergessen, was wir alles gesehen haben, schreibe ich es hier auf.