Ein gespaltenes Verhältnis

Am 21. September 1991 löste sich die Armenische SSR aus der Union der Sowjetrepubliken und erklärte sich damit für unabhängig. Die Republik Armenien feiert somit in diesen Tagen ihre 20-jährige Unabhängigkeit, die auf Grund der Geschichte des Landes einen besonders hohen Stellenwert für seine Einwohner einnimmt. Jahrhundertelange Fremdherrschaft wurde überschattet von einem bis heute kontrovers diskutierten Völkermord.

Flagge Armeniens seit 1991

Flagge Armeniens seit 1991

Sarı Gelin – die ,Blonde Braut‘ –  lautet der Titel eines Volksliedes, das in allen Ländern des nördlichen Mittleren Ostens traurige Berühmtheit erlangte. Es handelt von einem Liebespaar, das sich nicht lieben darf, weil gesellschaftliche Konventionen eine Beziehung unmöglich machen. Es handelt von Kulturen, die sich gegenseitig ausschließen und dennoch eine unsterbliche Liebe hervorbringen: ein türkisch-muslimischer Jüngling erblickt eine bildhübsche armenische Christin; verliebt sich Hals über Kopf und versucht einen Ausweg aus seiner desolaten Situation zu finden. Die Tragik nimmt ihren Lauf.

Obwohl eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Varianten der Geschichte existieren, bleibt ein glückliches Ende einer einzigen Version vorenthalten: Das armenische Mädchen leugnet ihre religiöse Identität und konvertiert zum Islam. Nur auf diese Weise wird den Beiden ermöglicht zu heiraten, um bis ans Lebensende glücklich und zufrieden zusammenzuleben. Auch wenn die Handlung des Volksliedes mit Shakespeares allgegenwärtigen Klassiker Romeo & Julia oder Disney’s Kassenschlager Pocahontas eine weltweit verbreitete und vermarktete Erzählung ist, lässt sich die ,Blonde Braut‘ dennoch als wichtige Metapher für die armenische Identität einordnen.

Kathedrale von Etschmiadsin

Kathedrale von Etschmiadsin, Sitz des Patriarchats

Im Schnittpunkt mehrerer Kulturkreise gelegen, machte das armenische Königshaus das Christentum als erste aller Monarchien zur Staatsreligion. Noch bevor sich der Islam in der Region ausbreiteten konnte, bekehrte der heilige Apostel Gregor Lusarowitsch im Jahre 301. v. Chr. den armenischen König Trdat III. zum Christentum. Der auch Gregor der Erleuchter genannte Apostel wurde zum ersten Oberhaupt der Armenisch-Apostolischen Kirche und Trdat III. zum König von Gottes Gnaden. In den folgenden Jahrhunderten stellte sich jedoch heraus, dass sich der historische Siedlungsraum der Armenier in einer sehr ungünstigen geographischen Lage befand, da von fast allen Himmelsrichtungen die Expansion des Islam vorangetrieben wurde: Vom Süden verbreiteten die Araber ihre neue Religion gen Westen in die heutige Türkei, gen Osten in das Perserreich und gen Nordosten in das heutige Aserbaidschan. Somit war das historische Armenien stets umzingelt von der muslimischen Welt, da es außer den georgischen Königreichen im Norden als christliche ,Insel‘ inmitten einer muslimischen Expansion erhalten blieb. In diesem historischen Kontext muss auch das aktuelle Armenien betrachtet werden, da es seine kulturelle und nationale Identität trotz eines extremen äußeren Drucks erhielt und diese stets aus dem Christentum bezog.

Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/3/3b/Armenia-sb.jpg

Antikes Armenien

Als Folge dieser Entwicklung war die Region Schauplatz zahlreicher kriegerischer Auseinandersetzungen. Während Armenien ein Teil des Byzantinischen Reiches war, diente es den oströmischen Kaisern als Pufferzone zum persischen Sassanidenreich. Nach großen Eroberungen durch die Perser wurde das Land im 7. Jahrhundert von den Arabern invadiert. Als letzte Rettung stellte der byzantinische Kaiser militärische Hilfe in Aussicht, die jedoch an die Bedingung der Annahme der geistlichen Hoheit Konstantinopels geknüpft war. Da die arabischen Invasoren die religiöse Unabhängigkeit Armeniens hingegen anerkannten, akzeptierten die armenischen Machthaber die arabische Oberhoheit. Sie währte bis 1080 die turksprachigen Seldschuken die Region einnahmen. Als Folge dessen gelang es überraschenderweise armenischen Flüchtlingen im Südosten Kleinasiens das relativ stabile Armenische Königreich von Kilikien zu errichten. Die 300 Jahre seiner Unabhängigkeit bilden bis heute die längste Periode armenischer Selbstbestimmung. Allerdings wurde es bereits 1375 von ägyptischen Mamluken erobert, um schließlich 1515 dem Osmanischen Sultan Selim I. in die Hände zu fallen.

Das Genozid-Denkmal in Yerevan am Gedenktag, dem 21. April

Das Genozid-Denkmal in Yerevan am Gedenktag, dem 21. April

Die Fremdherrschaft im Osmanischen Reich ist und bleibt die schicksalhafteste Periode für die Armenier, da sie mit einem Ereignis endete, das sich bis heute trotz massiver Diskussionen einer objektiven Aufarbeitung entzieht: der armenische Genozid der Jahre 1915/16. Zwar sind die Opferzahlen bis heute nicht endgültig geklärt, doch Historiker ordnen das Ereignis mit über einer Million Opfer als einen der ersten geplanten Völkermorde in die Kategorie der Genozide ein. Somit erkannten auch die Vereinten Nationen die Massenmorde der Jahre 1915/16 auf Basis der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes als vorsätzliche Tötungen „in der Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören.“ (Artikel 2 der Konvention)

Auch wenn die Konvention von dem Großteil der Staatengemeinschaft unterzeichnet und ratifiziert worden ist, ringt der Völkermord an den Armeniern bis heute in vielen Ländern um seine Anerkennung. Seit dem Beschluss der Konvention sprechen nur 22 Staaten offiziell von einem Genozid. Die Türkei leugnet die Ereignisse bis heute mit Nachdruck. Eine öffentliche Aufarbeitung des Themas steht bei dem politischen Nachfolger des Osmanischen Reiches unter Strafe und führte bereits zu zahlreichen Prozessen wegen „Öffentlicher Herabsetzung und Beleidigung des Türkentums“; z.B. auch gegen den einzigen türkischen Nobelpreisträger Orhan Pamuk. Allerdings ist die Türkei aus der Sicht vieler Regierungen in ihrer Lage und Funktion zu bedeutend, um politische oder wirtschaftliche Spannungen auf Grund eines ideellen Ereignisses zu riskieren. So verweigern bis heute sogar Israel oder das benachbarte Georgien eine Anerkennung des Völkermords. Auch Deutschland hat noch keine eindeutige Stellung bezogen. Trotz einer bewiesenen Mitschuld durch das Deutsche Reich hat bisher keine deutsche Regierung die Ereignisse als Genozid anerkannt.

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Zeitreisen

Wer sich mit dem Kaukasus beschäftigt, wird unausweichlich mit dem Begriff der politischen Sezession konfrontiert. In keinem anderem Teil der Erde finden sich auf so kleinem Raum derartig viele separatistische Bewegungen, die mehrere gewalttätige Konflikte zur Folge hatten. Interessante kulturelle Einblicke sind auf diesem Terrain undenkbar. Das georgische Tuschetien belehrt Besucher jedoch eines Besseren.

Lada Niva vor zerklüfteter Kulisse

Lada Niva vor zerklüfteter Kulisse

„Mindestens 200 Lari, also über 80 Euro, kostet die Fahrt nach oben. Die Straßen sind vom Schmelzwasser beschädigt und mit Schlaglöchern übersät. Ohne Allradantrieb kommt man da nicht weit,“ erklärt der sonst sehr wortkarge Wascha, Fahrer eines bekannten sowjetischen Allradfahrzeuges namens Lada Niva. Nicht viel für die Strecke, doch zu viel für uns. Als Alternative bleibt nur die Ladefläche eines der wöchentlichen Versorgungsfahrzeuge am Folgetag. Doch Wascha muss herauf, denn sobald die kurze 3-monatige Saison der tuschetischen Schafhirten beginnt, zählt jeder Tag. Das drückt den Preis.

Das Dorf Omalo in Tuschetien

Das Dorf Omalo in Tuschetien

Nur von Ende Juni bis Anfang September ist der 2950 m hohe Gebirgspass befahrbar. Dazwischen versinkt der zu Sowjetzeiten errichtete Verbindungsweg zwischen dem Winterlager Alwani und dem größten tuschetischen Dorf Omalo unter einer meterhohen Schneedecke. Eindrucksvoll offenbart sich schon nach wenigen Kilometern, warum der Kaukasus Jahrhunderte als Hort von Sagen und Mythen galt: Steile und spitze Felswände, durchzogen von hunderten Wasserfällen, bewachsen mit einer dichten Vegetation dominieren die Landschaft so stark, dass eine Erkundung des Gebietes nahezu unmöglich erscheint. Geschweige denn eine Besiedlung.

Kirche in Tuschetien

Kirche in Tuschetien

Doch die Besiedlung der entlegensten Bergregionen hatte für die Tuschen um 330 n. Chr. religiöse Gründe, denn sie konnten auf diese Weise kurzfristig einer Zwangschristianisierung durch die georgischen Könige entfliehen. Langfristig mussten sie jedoch trotzdem zum Christentum konvertierten und wurden so Teil eines georgischen Staates, zu dem die Region bis heute gehört. Ganz im Nordosten Georgiens, wo das Land an die russischen Teilrepubliken Dagestan und Tschetschenien grenzt, findet sich eine interessante Mischung aus georgischer und nordkaukasischer Kultur. Es wird z.B. sowohl die Sprache des Mutterlandes als auch das Batsische, eine nachische, also eine dem Inguschischen oder Tschetschenischen verwandte Sprache gesprochen. Bei genauem Hinschauen finden sich typische Charakteristika nordkaukasischer Völker: vereinzelte muslimische Siedlungen gehören genauso zur Region wie der Erhalt heidnischer Bräuche. So lassen sich in Tuschetien Steintürme mit einem Kristall auf der Spitze beobachten, die in ihrer Heiligkeit auf vorchristliche Religionen hindeuten. Gleichzeitig gibt es jedoch auch eindeutige Unterscheidungsmerkmale: Die Region ist im Gegensatz zu seinen nördlichen Nachbarn von Kirchen geprägt und, zu unserem Glück, befriedet.

Quelle: http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/ha/hannes-kerber/text/regular/340319.jpg

Schamil Bassajew

Dennoch finden sich auch in Tuschetien Auswirkungen der sicherheitspolitisch schwierigen Lage in Tschetschenien und Inguschetien. Nachdem die russische Armee 1999 zum zweiten Mal eine militärische Intervention zur Unterbindung der Unabhängigkeitsbestrebungen und zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus in Tschetschenien startete, mussten mehrere Tausend Flüchtlinge in die umliegenden Gebiete fliehen. Während die meisten Zivilisten nach Westen und Osten flohen, boten die südlichen Grenzregionen zu Georgien besonderen Schutz, den vor allem Rebellen in Anspruch nahmen. Unerreichbar mit militärischem Gerät konnten von dort Militäraktionen und Terroranschläge geplant werden. Somit liegt es nicht fern, dass der russische Inlandsgeheimdienst FSB sowohl den Terroristen und meist gesuchten Mann Russlands Schamil Bassajew als auch eine Reihe ausländischer, islamistischer Mudschaheddin dort vermutete. Als bekanntester unter den „Gotteskriegern“ soll sogar Osama bin Laden im großen Kaukasus Unterschlupf gesucht haben.

Quelle: http://www.abchaseti.de/Bilder/Pankisi-Tal.JPG

Die Lage des Pankisi-Tals

Das im Süden Tuschetiens gelegene Pankisi-Schlucht ist dabei zum Streitpunkt zwischen Georgien und Russland geworden. Wladimir Putin bezichtigte die georgische Regierung den tschetschenischen Rebellen in der Region Unterschlupf zu gewähren und sie von dem dort ansässigen Volksstamm der muslimischen Kisten gesund pflegen zu lassen. Während der Kriege flohen schätzungsweise 7000 Tschetschenen in die Pankisi-Schlucht, die sich wegen der unübersichtlichen Situation in kurzer Zeit zu einem neuen Transitweg für Drogen und Waffen jeglicher Art entwickelte. Als Folge darauf stellte Putin der georgischen Regierung ein Ultimatum zur sicherheitspolitischen Klärung der Lage vor Ort und drohte bei Nichterfüllung mit einer militärischen Aktion. Der georgische Präsident Eduard Schewardnadse hatte sich jedoch bereits der USA angenähert, um im Angesicht der vielen kriminellen Aktivitäten und Sezessionskonflikte auf georgischem Territorium Militärhilfe für die jahrelang vernachlässigte Staatsarmee zu erhalten. Als Teil des Anti-Terror-Kampfes genehmigte die Bush-Administration 2002 unter der Bedingung einer „Null-Toleranz-Politik“ gegenüber terroristischen Rückzugsgebieten eine sofortige Finanzspritze von 64 Mio. US-Dollar für die Ausbildung und Ausrüstung georgischer Streitkräfte. Der pro-westliche Präsident Micheil Saakaschwili behielt diesen Kurs bei und kooperiert militärisch sowohl mit der EU wie auch der NATO.

Traditionelle Schäferhütte in Darklo (Im Hintergrund die Berge Dagestans)

Traditionelle Schäferhütte in Darklo (Im Hintergrund die Berge Dagestans)

Somit finden sich bis heute etwa 40 OSZE-Beobachter im tuschetischen Dorf Omalo um von dort das Pankisi-Tal mit Fußpatrouillen und Helikoptern zu überwachen. Trotz dieser militärischen Bedeutung ist das 1985 zerstörte Stromnetz bis heute nicht instand gesetzt worden. Es gibt zwar Solarzellen, die in den Häusern elektrisches Licht ermöglichen, doch ansonsten bleibt es dunkel in Tuschetien. Die raren Feldwege sind nur mit Geländewagen befahrbar und selbst Einheimische bleiben auf Distanz zu kaukasischen Schäferhunden, die schon seit Jahrhunderten die Herden vor potenziellen Feinden bewachen. Da Tuschetien jedoch gerade auf Grund dieser unangetasteten Einzigartigkeit an Attraktivität gewinnt, kann es als Reiseziel für wandersüchtige Alternativtouristen bedenkenlos empfohlen werden. Man sollte sich bloß nicht verlaufen, denn sowohl Wanderrouten wie auch Grenzen verzichten oft auf Kennzeichnung.

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Die Sprache des Jazz

Musik ist multilingual. Der Wahrheitsgehalt dieser Aussage lässt sich im interkulturellen Dialog am eigenen Leib erfahren. So ist die Musik schon Jahrhunderte ein Mittel der Kommunikation und Identität zugleich. Die Vielfalt an Instrumenten, Klängen und Ideen ist kaum überschaubar und ermöglicht einen scheinbar unendlichen Kreislauf von neuer und neuer Inspiration.

Besonders der Jazz hat sich im Laufe seiner Entwicklung als der ideale Spielplatz für verschiedenste internationale Einflüsse offenbart. Von Beginn an experimentierten kreative Köpfe mit musikalischen Charakteristika aus aller Welt ohne dabei die Essenz des Jazz zu vergessen: Sei offen und interessiert!

Duduk

Duduk

Auch in Armenien lässt sich eine sehr lebendige Jazzszene beobachten. Trotz schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen behält die eigene Kultur in Yerevan ihre hohe Bedeutung: Zahlreiche Jazzclubs zelebrieren eine interessante Mischung aus westlichen und armenischen Einflüssen. Zu den typischen Elementen des Jazz addieren sich Instrumente der sehr alten armenischen Volksmusik, deren Spiel über Jahrhunderte von Generation zu Generation weitergegeben worden ist. Vor allem das Holzblasinstrument Duduk nimmt mit seinem nasalen, melodramatischen Klang einen hohe Bedeutung in der Identität eines von einer tragischen Geschichte geprägten Volkes ein. In seiner traditionellen Verwendung tritt das Duduk meistens paarweise auf: über den Bordun genannten Basistons des einen wird mit dem anderen Duduk soliert. Das eindrucksvolle, häufig melancholische Ergebnis in Form der Duduk-Musik erhielt seine gerechte Würdigung, als es 2005 in die UNESCO-Liste für „Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit“ aufgenommen wurde.

Die Band Katuner

Die Band Katuner

Im ethno-armenischen Jazz-Kontext setzen Bands wie Katuner oder die Armenian Navy Band seit einigen Jahren stetig neue Akzente. Mit einer Vielzahl an traditionellen Instrumenten wie der Flöte Blul oder einer kleinen Kegeloboe namens Zurna zeigen sich diese Gruppen in erfreulicher Regelmäßigkeit den Yerevaner Jazzfans. Das Ambiente ist dabei sehr unterschiedlich: vom edlen Malkhas Jazz Club zur nächsten spontanen Jam-Session im Synkope Art Pub sind es nur 50 Meter. Der einzige Club mit dem berühmten New-York-Feel nennt sich nach seinem Eigentümer Ulikhanyan Club und wertet sowohl mit gutem Jazz wie auch Rock- und Blueskonzerten auf. Ähnliches findet man im Stop Club, der sich zwar nicht auf Jazz spezialisiert hat, doch das musikalisch wohl vielfältigste Programm Yerevans offeriert.

Arto Tunçboyacıyan

Arto Tunçboyacıyan

Wer es noch exklusiver mag, erklimmt die Stufen des Cafesjian Center for the Arts genannten Kunst-Komplex in den Arkaden und erhält neben dem besten Sound der Stadt auch einen atemberaubenden Blick auf Yerevan. Gleichzeitig jedoch auch die teuersten Getränkepreise. Ähnlich wie im Jazz Café Poplavok oder im Mezzo Jazz Club spielen dieselben armenischen Bands, allerdings in einer eher europäischen Atmosphäre. Wer das begrüßt, sollte sich auch ein besonderes Juwel Yerevans nicht entgehen lassen: der Gründer der Armenian Navy Band Arto Tunçboyacıyan entschied sich als Teil der kleinen armenischen Minderheit der Türkei von Istanbul nach Yerevan umzusiedeln, um dort den Avantgarde Folk Club zu gründen. Das Ambiente ist eher schlicht gehalten, doch die Qualität der Musik und die unglaubliche Schaffenskraft des Eigentümers machen einen Besuch lohnenswert. Als Multi-Instrumentalist und Folk-Sänger war er in verschiedensten Projekten tätig: Vom weltmusikalischen Spektrum zur amerikanischen Jazzelite bis zu einer Kooperation mit dem berühmten armenisch-stämmigen Serj Tankian, erhielt er im Jahre 2006 den BBC Radio Award for World Music für seine vielseitige Kreativität, insbesondere mit der Armenian Navy Band.

Somit sei jedem Fan interessanter Jazzmusik ein Besuch des Südkaukasus empfohlen!

http://www.youtube.com/watch?v=pIuVWmbsK7w

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Musik und frischer Wind

Da in den autokratischen Systemen des Realsozialismus der komplette öffentliche Raum staatlicher Kontrolle unterlag, haben bis heute fast alle Ex-Mitglieder des Warschauer Pakts mit einer sehr schwachen Zivilgesellschaft zu kämpfen. Das Tbilisi Open Air vom 11. bis 12. Juni 2011 zeigte jedoch, dass ehrenamtliches Engagement gepaart mit gezielten Fördermitteln auch im Kaukasus Früchte tragen kann.

Tbilisi Open Air 2011

Tbilisi Open Air 2011

Unter dem Slogan „Music breaks free“ vereinten sich ein Wochenende Musikschaffende und Fans, um gemeinsam die Musik als Sprache der Toleranz zu zelebrieren. So vielfältig sich das Programm präsentierte, so zahlreich erschienen trotz vereinzelter Wetterumbrüche die Gäste: ob Punks, Emos, Rocker oder Metalfans; 2 Abende galt es zu tanzen, zu trinken und zu jubeln. In bemerkenswerter Ähnlichkeit zum nahen und doch fernen Europa leisteten Organisatoren wie auch Zuschauer eine gute Arbeit, um die zwei Abende zu einem grandiosen Erlebnis für alle Beteiligten zu machen.

Bühne bei Nacht

Bühne bei Nacht

Als einem aufkommenden Sturm 20 Minuten vor Beginn der Veranstaltung nahezu die Bühne zum Opfer gefallen wäre, lagen die Nerven zwar erst einmal blank, doch glücklicherweise beruhigte sich die Wettersituation im Laufe des Abends. Somit stand der Vielzahl an georgischen Gruppen, die im Vorprogramm die Bühne betraten, nichts mehr im Wege, um dem begeisterungsfähigen Publikum ihre Fähigkeiten präsentieren zu dürfen. Vor allem die Rockmusik scheint es den Georgiern angetan zu haben. Zwar lässt sich die Qualität der kaukasischen Rock-Musikszene nur schwer mit europäischem Niveau bemessen, doch überzeugende Ansätze sind zahlreich vorhanden. Somit haben vor allem Veranstaltungen wie dieses Festival ein stetiges Wachstum der Szene zur Folge, da große Live-Auftritte besonders motivierend wirken.

Im Anschluss gaben die Europäer den Ton an. Das französische Duo Herr Styler überzeugte mit einer modernen Kombination von elektronischer und akustischer Musik, umgesetzt durch einen DJ und einen Schlagzeuger. Ähnlich wie die Berliner Dupstep-Band Braintheft oder die Herren von Feindrehstar aus Jena verbinden sie elektronische Musik mit akustischen Instrumenten, um ihrer Kunst damit eine enorme Tanzbarkeit zu verleihen. Um die Füße dann endgültig in ekstatische Bewegung zu versetzen, nutzte das belgische Stoner-Rock-Trio Wallace Vanborn brachiale Gitarrenwände, energetische Bassläufe und intensive Drums, wie man sie sonst nur von Größen der Szene kennt.

Der zweite Tag zeichnete sich durch reichlich Sonne, fröhliche Gemüter und musikalische Vielfalt aus. Von Funk über Rock bis zu House präsentierten sich bei grandiosen Wetter 9 verschiedene Gruppen und kurbelten dabei den Bierkonsum so stark an, dass die Bestände schon vor dem Hauptact zu Neige gingen. Folglich hatte es das deutsche House-Trio Moodorama nicht ganz so leicht, die Massen in Ekstase zu versetzen. Optisch zeigten sie sich zwar perfekt, musikalisch ist jedoch noch eine Menge Potential erkennbar. Ein bisschen mehr Kreativität und Lust auf Experimente hätte dem Act mit Sicherheit gut getan.

Bühne bei 2 Promille

Bühne bei 2 Promille

Alles in allem lässt sich jedoch von einer sehr gelungenen  Veranstaltung sprechen. Die Veranstalter namens Altervision erhielten finanzielle Unterstützung von der Stadt Tbilisi und mehreren Sponsoren, um den Eintritt mit umgerechnet knapp 2 € für jeden erschwinglich zu machen. Somit konnten an beiden Abenden über 4000 Karten verkauft werden. Natürlich ist diese Zahl im Vergleich zu europäischen Festivals ein Witz, aber kleine Schritte führen bekanntlich auch nach Rom. Die britischen Jungs von The Fades waren zumindest so begeistert, dass sie sich für das nächste Jahr schon vorangemeldet haben…

 

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Der Umwelt zuliebe…

Im Durchschnitt verwendet jeder deutsche Bürger jährlich 65 Plastiktüten. Diese Zahl könnte man in Armenien in der Woche erreichen. Um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, gab es etwas auf die Ohren.

Ob Super- oder Gemüsemarkt, Drogerie oder Apotheke, Bäckerei oder Tante-Emma-Laden: Überall hält das einstige „Wundermaterial“ Einzug und überzeugt mit seinen Eigenschaften, denn es ist leicht, praktisch und vor allem billig. Wer umweltfreundliche Alternativen wie Stoffbeutel oder Korb wählt, erhält oft nur verständnislose Blicke. Dass die beliebte Plastiktüte jedoch auch viele Probleme zur Folge hat, wird in vielen Ländern der Erde weder anerkannt noch wahrgenommen. Somit liegt es auch in der Verantwortung der Bildungsarbeit, Jugendliche über die ökologischen Probleme der nächsten Jahrzehnte aufzuklären, um zumindest in kleinen Schritten eine Besserung der Situation zu ermöglichen.

Fluss bei Goris, Armenien

Fluss bei Goris, Armenien

Dabei sind die Probleme so offensichtlich, dass es wenig Ausreden gibt. Da Mülltrennung, Recycling, Nachhaltigkeit oder Umweltschutz in vielen Ländern entweder Fremdwörter oder schlichtweg zu teuer sind, landet der Müll zwangsläufig in der Landschaft, um sich von dort seinen Weg über Regen, Flüsse und Seen bis hin zum Meer zu bannen. Sobald Plastik erstmal im Meer angelangt ist, richtet er nahezu unsichtbar einen immensen Schaden an: erodierte Teilchen werden von Vögeln, Fischen und Meeressäugern gefressen, um dann das Ökosystem nachhaltig zu beschädigen, indem sie in die Nahrungskette und damit schließlich auch auf unsere Teller gelangen. Man geht davon aus, dass jedes Jahr etwa 1 000 000 Seevögel und über 100 000 Meeressäuger an den Millionen Tonnen Plastikmüll in unseren Weltmeeren zu Tode kommen.

Müllkippe am Rande der Stadt

Müllkippe am Rande der Stadt

Auch wenn Armenien keinen direkten Zugang zum Meer hat, verliert das Problem nicht an Brisanz, da außerhalb von Yerevan eine funktionierende Abfallwirtschaft häufig nicht garantiert ist. Und sobald der einfache Bürger nicht mehr weiß, wohin mit seinem Müll, entsorgt er ihn eben in der nächsten Ecke. Da sich jedoch niemand für die bunten Landschaftsdekorationen interessiert, bleiben sie vorerst an Ort und Stelle. Zumindest bis zum nächsten Regen oder Sturm.

Da sich vor allem die Jüngeren unter uns noch von schlichten Fakten beeindrucken lassen, wurde in der armenischen Hauptstadt für 20 ausgewählte Schüler eine Aufklärungskampagne über die Kunststoffproblematik veranstaltet. Der Workshop bestand aus 2 Teilen: zuerst sollten in Gruppen die Möglichkeiten, Gefahren und Probleme von Kunststoff kennengelernt und erörtert werden, um im Anschluss eine Alternative zur Plastiktüte kreativ zu gestalten. Eine freundliche Spende aus Deutschland ermöglichte es den Teilnehmern, am Ende des Tages einen individuell-bunten Stoffbeutel mit nach Hause nehmen zu können, der nun hoffentlich hilft, hunderte Plastiktüten jährlich in Armenien einzusparen. Vielen Dank allen Beteiligten!

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Land der Freuden, Land der Genüsse

Die Tatsache, dass im transkaukasischen Georgien feucht-fröhliche Genüsse zu einem Teil der jahrhundertealten christlichen Kultur gehören, macht das Land zu einem idealen Gastgeber für (wissens)durstige Touristen. Doch auch mit seiner saftig-grünen Landschaft und einer atemberaubenden Gastfreundschaft weiß das Land Weltenbummler zu verlocken.

„Georgien ist ein ganz typisches Beispiel für eine postkommunistische Systemstransformation“, erklärt mir der junge Irakli und stellt mich dabei schon am Morgen nach der durchzechten Nacht vor neue Fragen: Wieso kann der Junge so gut deutsch und was bitte ist eine postkommunistische Systemtransformation? Nach einer kurzen Bedenkzeit stimme ich ihm jedoch zu. Es ändert sich wirklich eine ganze Menge im nördlichen Transkaukasus.

Saftiges Grün

Saftiges Grün

Nachdem das Land vor 2004 vor allem durch eine blühende Korruption von sich zu reden machte, belegte es bei dem letzten Korruptionsbarometer von Transparency International den 1. Platz bei der Verringerung von Schmiergeld-Zahlungen. Dieser politische Wandel geht einher mit einer Annäherung an die EU und einer Zunahme von westlichen Investitionen, die zwar politisch gewollt sind, das Land jedoch gleichzeitig vor neue Probleme stellen: mit zunehmender Distanz zu Russland, insbesondere nach dem Kaukasuskrieg 2008, rückt auch die Wiederherstellung der territorialen Integrität in unerreichbare Ferne. Abchasien und Südossetien bleiben autonom und werden diesen Zustand mit russischer Militärhilfe auch weiterhin beibehalten können. Somit sieht es so aus, als würden die verarmten Flüchtlinge aus den Konfliktregionen auch weiterhin das Stadtbild Tbilisis mit prägen.

Altstadt von Tbilisi

Altstadt von Tbilisi

Doch gerade dieser Scheideweg macht Georgien so interessant. Immer schon stand dieses Land auf Grund seiner Lage im Einfluss verschiedener Kulturen. Besonders gut ist das an den Gotteshäusern in Tbilisi zu beobachten: zu der Vielzahl an georgisch-orthodoxen Kirchen gesellen sich jüdische Synagogen, Kirchen verschiedener christlicher Konfessionen (darunter auch mehrere der Armenischen), eine sunnitische Moschee und sogar ein Tempel einer antiken persischen Religion, dem so genannten Zoroastrismus.

Botanischer Garten in Tbilisi

Botanischer Garten in Tbilisi

Ansonsten fühlt man sich in Tbilisi jedoch sehr europäisch. Zahlreiche Straßencafés offerieren Köstlichkeiten; es herrscht reges Treiben auf den engen, gewundenen Gassen der historischen Altstadt und auch der Botanische Garten zelebriert eine eher elitär-europäische Verbundenheit zur Natur. Der Blick geht unverkennbar in Richtung Westen. Ob Kleidungsstil, Mc Donald’s oder die Vielzahl an europäischen Automobilen auf den Straßen: wie eine Last soll die sowjetische Vergangenheit abgeworfen werden. Dennoch lassen sich einige Dinge nicht retuschieren. Die Infrastruktur ist marode, das Rentensystem macht alte Menschen zu Bettlern und jenseits von Tbilisi scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.

Überraschenderweise ist jedoch auch der deutsche Einfluss nicht zu unterschätzen. Seit Jahrzehnten genießt die deutsche Kultur in Georgien eine bemerkenswert hohe Wertschätzung, insbesondere nachdem sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts schwäbische Pietisten „fleißig und fromm“ am Aufbau des Landes beteiligten. Nach einigen Jahren der Stagnation der Beziehungen während der Sowjetzeit ist die Bundesrepublik heute einer der wichtigsten Förderer Georgiens. Als Zeichen der Dankbarkeit kann man eine regelrechte „Deutschland-Euphorie“ miterleben: Kinder, die mit Freude Deutsch lernen; spontane Einladungen auf Wein und Wodka und amüsante Gespräche auf Deutsch bereichern die Reise dauerhaft.
Kloster am Fuße des Kasbek

Kloster am Fuße des Kasbek

Georgische Leibspeise: Chinkali

Georgische Leibspeise: Chinkali

Am interessanten gestalten sich jedoch die Gaumenfreuden. Die „Haute Cuisine“ der Sowjetunion zeichnet sich vor allem durch intensive Kräuter, kräftige Gewürze und einen unglaublichen Überfluss aus. Überladene Tische treffen auf literweise Wein, Bier und den Tresterbrand Tschatscha, um alle Beteiligten in kürzester Zeit von scheinkultivierten Europäern zu überzeugten Georgiern zu machen. Dabei gibt es nur wenige Regeln: alles wird geteilt und der Tamada genannte Tischmeister bestimmt, wann das Glas geleert werden sollte. Diese Traditionen könnten neben der atemberaubenden Landschaft Gründe sein, Georgien in den nächsten Jahren zu einem wahren Domizil für Abschluss- und Studienfahrten zu machen. Die Auslandsinvestitionen liegen seit mehreren Jahren stabil über einer Milliarde US-Dollar jährlich und helfen dabei ebenso der Infrastruktur wie dem Tourismus.

 

 

 

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Von Mammut-Projekten im Niemandsland

Ein neues Wochenende in Armenien ließ uns den Südosten des kleinen Landes besichtigen. Nachdem 50 Mio. $ Investitionskapital für den Tourismus dieser Region bereitgestellt wurden, gibt es einige Sehenswürdigkeiten, deren tieferen Sinn es zu hinterfragen gilt.

Armenien als Touristendomizil zu bezeichnen wäre anmaßend. Dafür ist die Infrastruktur viel zu schlecht, da bis heute, 21 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion, der zivile Zugverkehr komplett zum Erliegen gekommen ist und auch die Straßenverhältnisse eher für Gelände- denn für Leihwagen sprechen. Dass das Land dennoch einige interessante Erlebnisse offenbart, beweisen die Stadt Goris und das Kloster Tatev, das mit Hilfe einer nagelneuen Seilbahn zu erreichen ist.

das Kloster Tatev

das Kloster Tatev

Nachdem ich die ganze Autofahrt unterschiedlichste Landschaften und Wetter aller Jahreszeiten am Fenster vorbeiziehen sah, musste ich zwangsläufig überlegen, was sich wohl das Wort „unbeständig“ auf Englisch oder gar Russisch übersetzen ließ. Es verdient eine völlig neue Bedeutung, wenn sich innerhalb von 250 Kilometern regnerisches Aprilwetter in der Araratebene, frühlingshafter Sonnenschein der fruchtbarsten Region „Wajoz Dsor“ oder gar eiskalter Schneesturm auf dem 2480 Meter hohen Tashtunpass die Hand geben.

Wings of Tatev

Wings of Tatev

Mit hoher Beteiligung der Öffentlichkeit ist 2010 die weltweit längste Seilbahn gleicher Bauart zum Kloster Tatev eröffnet worden. Die 5 Touristen, mit denen wir uns die Gondel teilen, zeugen jedoch davon, dass es die Neuigkeit allerhöchstens bis in den Süden Russlands geschafft hat. Es bleibt wohl fraglich, ob sich die 18 Mio. Dollar teuren „Wings of Tatev“ jemals rentieren werden. Die umgerechnet 8 $ für die Tickets sind angemessen, das Kloster ist nett. Für verwöhnte Europäer vielleicht etwas rustikal aufbereitet, doch es wird noch gearbeitet in Tatev. Und auch in das wenige Autominuten entfernte Stadt Goris ist investiert worden.

das Tor zur Stadt

das Tor zur Stadt

Sobald man jedoch die das Tor zur Stadt entert und einen Blick auf die malerisch gelegenen Häuser inmitten eines Talkessels erhascht, scheinen die Strapazen der Hinfahrt vergessen: Goris ist erreicht. Selbst der Rücken erholt sich von der Tortur armenischer Schnellstraßen, wenn man sich den interessanten Fragen zum Beobachteten zuwendet: Wieso ist diese Stadt mit seiner schachbrettartigen Struktur Manhattan näher als es der eigenen Phantasie lieb ist? Wie auf dem Reißbrett entworfen, ziehen sich die Straßen von Nordwesten nach Südosten parallel zum Fluss „Vararak“. In den Bergen aus Sandstein, welche die Stadt umgeben, sind mit bloßem Auge hunderte kleinere und größere Höhlen auszumachen.

Höhle über Goris

Höhle über Goris

Noch vor 70 Jahren dienten die Höhlen den Menschen als Behausung. Somit ist es durchaus empfehlenswert, einige eigenmächtige Erkundungstouren der näheren Umgebung zu unternehmen. Besonders der Friedhof ist mit seiner malerischen Lage am Fuße Stadt von vielen Höhlen umgeben, in denen sich im Sommer mit Sicherheit nette Parties inklusive schauriger Atmosphäre feiern ließen.

Gleichzeitig liegt Goris am Scheideweg. Wer in Richtung Süden fährt, erreicht binnen weniger Stunden den Iran. Wer sich jedoch wenige Kilometer gen Westen wagt, müsste sich eigentlich darauf einstellen, eine internationale Grenze zu überqueren: Goris liegt nicht weit von Aserbaidschan entfernt. Allerdings erreicht man ein besetztes, unabhängiges, international nicht anerkanntes Territorium namens „Republik Bergkarabach“. Man erreicht ein Gebiet, das sich nach dem Zerfall der Sowjetunion zu einem weiteren militärischen Konfliktherd im Kaukasus entwickelte und einen entscheidenden Faktor der armenischen Identität darstellt. Man erreicht den „gebirgigen schwarzen Garten“ (aserbaidschanische Translation), der von Armeniern gerne nach der Provinz eines antiken armenischen Königreiches mit „Arzach“ betitelt wird.

Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/cd/Nagorno-Karabakh_Occupation_Map.jpg

Armenien und Aserbaidschan mit dem früheren Autonomen Gebiet Bergkarabach (dunkelbraun) und den armenisch kontrollierten Gebieten (hellbraun).

Somit gilt es zu hinterfragen, warum die hohe Summe von 50 Millionen US-Dollar gerade in diese Region investiert worden ist. Politische Gründe sind hier weder belegt noch bewiesen, jedoch fließt Geld außerhalb deutscher Steuersünden meistens, um irgendetwas zu bezwecken. Die Republik Karabach kämpft nach wie vor erfolglos um internationale Anerkennung. Nicht mal die inoffizielle Schutzmacht Armenien hat das autonome Territorium bisher anerkannt. Aus politischen Gründen…

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Eine gezeichnete Stadt

Noch über 20 Jahre nach dem schweren Erdbeben von Spitak sind die Auswirkungen auf den armenischen Norden unverkennbar. Ein Besuch in der gezeichneten Stadt Gjumri offenbarte das schwere Erbe des Unglücks und was Deutschland damit zu tun hat.

Die im Norden Armeniens gelegene, zweitgrößte Stadt des Landes mit dem Namen Gjumri ist von Yerevan mit dem Auto in etwa 2 Stunden zu erreichen. Die Fahrt beweiste ebenso die Eigenarten der hiesigen Straßenverkehrsordnung wie die Translation des armenischen Eigennamens „Hayastan“: das Land der Steine. Die ganze Fahrt zeichnen sich die kargen, steinigen Landschaften der nach dem höchsten Berg Armeniens benannten Provinz „Aragazotn“ vor dem Fenster ab. Dem Reiz, den Gipfel des 4090 m hohen Namensgebers zu erklimmen, lässt sich ab Juli Genüge leisten.

die zerstörte Erlöserkirche

die zerstörte Erlöserkirche

Gjumri dient den Eingeweihten als erstes Beispiel einer blockunabhängigen Zusammenarbeit. Nachdem der Erdstoß am 7. Dezember 1988 einen großen Teil der Stadt in Schutt und Asche legte, wurde erstmalig in der Geschichte der Sowjetunion eine umfangreiche humanitäre Hilfe von Staaten außerhalb des Warschauer Pakts zugelassen. Mit großem ausländischen Engagement sind so viele neue Wohnhäuser oder gar ganze Stadtteile nach polnischem, österreichischem oder schweizerischem Vorbild erbaut worden.

"Zum Gedenken an die Opfer des Erdbebens"

"Zum Gedenken an die Opfer des Erdbebens"

Auch Deutschland beteiligte sich am Wiederaufbau der zerstörten Stadt, z.B. finanzierte ein Zusammenschluss unterschiedlicher Hilfsorganisationen West-Berlins das Gästehaus „Berlin“ direkt an der Hauptstraße Gjumris. Der ehemalige stationäre Teil einer Poliklinik wird bis heute vom Deutschen Roten Kreuz e.V. betrieben. Obwohl dieser Fakt vor dem Ausflug bekannt war, geht das plötzliche Auftauchen von allzu Bekanntem schon mit einem merkwürdigen Gefühl einher. Gleichzeitig sollte das nicht das letzte Stück Heimat in Gjumri bleiben.

Die Seltenheit von Touristen in diesem Teil der Welt hat einen sehr positiven Effekt: Es führt zu einem regen Interesse und einer für europäische Verhältnisse fast suspekten Kontaktfreudigkeit. Kaum die Hauptstraße verlassen, wird man sogleich in gebrochenem Englisch oder weniger gebrochenem Russisch angesprochen, woher man denn sei, was man in Gjumri mache und wie man Armenien so finde. Auf diese Weise lernt man Arman kennen: einen Mann überaus sympathischen Mann, der 5 Jahre seines Lebens in Deutschland verbracht hat und sich sogleich mehrere Stunden Zeit nimmt, uns mit Hilfe eines poetischen Deutschs die Eigentümlichkeiten der Stadt zu präsentieren und anschließend auf Rührei und Kaffee einzuladen.

Eine interessante Erfahrung, im Norden Armeniens etwas über die Vergangenheit zu lernen. Von 1988 bis 1990 ist Arman als Soldat der Roten Armee in Bernau bei Berlin stationiert. Ihm gefällt es in Deutschland. Doch währenddessen fällt in Gjumri das Haus seiner Familie dem Erdbeben zum Opfer. Er will zurückkehren, um zu helfen und zu retten, was es noch zu retten gibt. Seine Eltern wohnen in der Zwischenzeit in einem der Container, die bis heute zum Stadtbild Gjumris gehören. Er baut Häuser, für andere, und für sich selbst. Doch das Geld reicht nicht.

aus dem Fotoalbum des Gastgebers

aus dem Fotoalbum des Gastgebers

Somit fällt er die Entscheidung, nach Deutschland zurückzukehren, um Geld zu sparen. Drei Jahre arbeitet er in unterschiedlichen Jobs, lernt deutsches Bier schätzen, erhält eine Sozialversicherung, kann sich eine Wohnung leisten und auch kommunizieren, doch entscheidet sich, in die Heimat zurückzukehren. Der Freunde und Familie wegen. Je länger wir sprechen, desto mehr seiner Erinnerungen werden geweckt. Richtig lebendig wird das Gespräch allerdings erst, sobald Arman seine Fotoalben aus dem Schrank holt. Für den Kaffee jedoch, muss er Wasser im Nachbarhaus holen. Sein Container hat in den letzten 22 Jahren keinen Anschluss erhalten.

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Ein Tag auf dem Land

Passend zum ersten Frühlingswetter trieb es die Stadtbürger heraus aufs Land, um etwas über die armenische Einöde, ökologische Probleme und einzigartige Gotteshäuser zu lernen.

Nachdem in Yerevan erstmalig die 15 Grad Marke geknackt wurde, ging es auf eine Wandertour in entlegene Regionen Armeniens, die mit einem einzigartigen Charme zu überzeugen wussten. Natürlich ist die touristische Absicht dieser Reise unleugbar, doch auch einige Armenier wagten neben US-Amerikanern, Deutschen und einem Inder die Erkundung ihrer Umgebung im Kleinbus.

Sewansee bei Sonnenschein

Ziel der Tour waren verschiedene armenische Kulturgüter, darunter mehrere Kirchen und die so genannte „Altstadt“ Dilijans. Ein kurzer Stopp am Sewansee und der auf Grund der Straßenverhältnisse gescheiterte Versuch, den Pazsee zu besichtigen, vervollständigten den Tag.

Typisches Gotteshaus

Typisches Gotteshaus

Bemerkenswert war dabei schon der Start der Tour. Kaum war die Vorstellungsrunde „gemäß der hiesigen Traditionen“ beendet, streckten sich schon die ersten Ausläufer des Südkaukasus wie Berge aus Zucker gen Himmel. Das Antlitz Yerevans noch im Rücken, zeugen die Berge in all ihrer Pracht von der natürlichen Schönheit des Landes. Getrübt wird diese Stimmung einzig von der Vielzahl an verlassenen Baugerippen, die wie Skelette die Landschaft durchziehen und damit die Erinnerung an den versiegten Bauboom der letzten Jahre wach halten. Nun verenden sie als Ruinen des vorrangig russischen Investitionskapitals. Doch auch der wunderschöne Sewansee hält versteckte Geheimnisse bereit; wie uns vom Reiseführer offenbart wurde.

Nachdem zu Sojwetzeiten horrende Bewässerungs- und Energiepläne den Pegel des Sees um 22 Meter sinken ließen, drohte er Anfang der Achtziger umzukippen. Um diese ökologische Katastrophe des einzigen Wasserreservoir Armeniens zu verhindern, begann man bereits 1961 den Bau eines ersten künstlichen Zulaufs. Nach 1981 sollte ein Zweiter folgen. Auf Grund politischer Probleme, die hier nicht weiter ausgeführt werden möchten, verzögerte sich die Inbetriebnahme beider. Seit 2004 steigt der Wasserspiegel wieder.

Nachhaltigkeit ist hier sowieso nicht mehr als ein gut gemeintes Fremdwort. Die Sammlung an Plastiktüten wächst täglich, weil eine Ablehnung derer einer Beleidigung der Verkäufer gleich kommt. Recycling und Mülltrennung sind im armenischen Wortschatz vermeintlich nicht zu finden. Die Taxis aus russischer Fertigung leiden ebenso wie die landestypischen Marschrutki unter gravierender Öl-Inkontinenz.

Quelle: http://www.chernobylee.com/blog/2008/12/eu-wants-armenian-metsamor-npp.php

Kühltürme des AKW Metsamor

Gleichzeitig tickt  auch hier eine nukleare Bedrohung. Bei den aktuellen Geschehen in Japan sorgt das nur 30 Kilometer von der 1,2 Millionen-Einwohner-Stadt Yerevan entfernte Kernkraftwerk „Metsamor“ für große Beunruhigung: Die Reaktoren vom Typ „Tschernobyl“ liegen in einem akuten Erdbebengebiet. Nicht umsonst fordert die internationale Gemeinschaft seit langem eine sofortige Stilllegung des AKW. In Europa ist eine Abschaltung der Reaktoren gleicher Bauart eine Bedingung für den EU-Beitritt. Nach der Übernahme durch einen russischen Energiekonzern verlängerte die armenische Regierung die Laufzeit 2006 um weitere 10 Jahre.

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Zustandsbeschreibung II

Nach den ersten 2 Wochen im Gastland ist eine merkwürdige Mischung aus Neugier und Distanz die neue Tagesordnung.

Deutschunterricht in Armenien

Der erste Eindruck ist eigentlich nichts weiter als eine Aneinanderreihung von Erlebnissen, die im Schein der Objektivität als besonders intensiv wahrgenommen werden. Somit macht es nicht besonders viel Sinn, ihm zu große Bedeutung zu zumessen. Dennoch weiß ich, dass er mich die nächsten 5 Monate begleiten wird.

So wird mir die Taxifahrt vom Flughafen zur obligatorischen Wohnung ebenso im Gedächtnis verhaften bleiben wie der erste Einblick in das armenische Bildungssystem. Nicht so einfach scheint es hier zu sein. Doch deswegen ist man auch hier.

Wohnblock in Yerevan

Sojwetromantik zwischen Ost und West. Yerevan ist eine Stadt, der man ihre sowjetische Vergangenheit ebenso ansieht wie die problematische politische Situation. Hier trifft der verfallene Plattenbau auf den teuren Neubaublock, der 30 Jahre alte Lada auf den Edel-SUV, der wohlgekleidete Geschäftsmann auf den zahnlosen Straßenmusiker. Eine derartige Divergenz ist erstmal undurchschaubar, besonders bei einer außergewöhnlich auffälligen optischen Homogenität: So sind sich doch 98% aller männlichen Stadtbürger einig, dass schwarze, spitz zulaufende Lederschuhe in Kombination mit dunklen Stoffhosen und Lederjacken der modische Trend dieser Tage ist. Bei den Frauen ist die Orientierung nach Europa unverkennbar. So meint man eine sehr gute Versorgung mit Kosmetikartikeln und Stiefeln feststellen zu können.

Das Gesicht des neuen Yerevans

Gleichzeitig besinnt man sich auf eigene Werte. Besonderes die Gastfreundschaft ist tief im Bewusstsein der Menschen verankert. Die ersten armenischen Bekanntschaften halfen sogleich bei diesem und jenem Problem, ließen die Kontakte spielen und trösteten über sprachliche Differenzen hinweg. Sogar ein Einblick in die Kulturszene des kleinen Landes ist mir bereits ermöglicht worden. Ganz zu meiner Begeisterung scheinen  die Yerevaner Bürger eine hohe Affinität für Kultur zu besitzen: ob Theater, Sinfonieorchester oder Rockbühne; hier treffen ausverkaufte Säle auf eine hohe Qualität zum besten Preis. Und dass der Witz der Komödie unter fehlenden Sprachkenntnissen leidet, lässt sich hoffentlich bald beheben…

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