Schönheit, die

  1. das Schönsein
  2. etwas, was [an einer Sache] schön ist; das Schöne
  3. schöner Mensch

Plötzlich fühlst du dich gemustert, wirst durchlöchert, wie ein schweizer Käse. Mit neugierigen, staunenden, aber auch abwertenden Blicken. Wenn du jemandem hier nicht gefällst, er dich hässlich, groß, dick findet oder einfach anders findet, kriegst du das schnell zu spüren. Dann kann es auch mal sein, dass dir auf der Straße Wörter hinterhergeworfen werden, die ich, wahrscheinlich manchmal zu meinem Glück, nicht verstehe. Eine Bekannte hat mir letztens erzählt, dass mit einer Jeans zur Arbeit kam, in der man die Form ihrer Beine deutlich sehen konnte. Ein Kollege sprach sie daraufhin an und empfahl ihr, dass sie sich doch lieber anders anziehen und Sport treiben sollte. Ähnliche Situationen sind mir auch schon persönlich begegnet, als ich in Hanoi von einer älteren Vietnamesin an den Arm gefasst wurde und sie sich mit offensichtlichen Gebärden und Mimiken sehr erstaunt über dessen Dicke zeigte.
So kommt es auch vor, dass man am Strand sehr wenige Menschen im Bikini sieht. Obwohl Menschen im Wasser sind. Sie gehen tatsächlich mitsamt all ihren Klamotten, in Jeans und Jacke ins Wasser. Was zum einen daran liegt, dass es sich für Frauen ohne den „perfekten“ Körper, den nun mal niemand hat, nicht schickt, einen Bikini zu tragen. Viele Frauen schämen sich vor den Blicken und den Meinungen der anderen Menschen.
Zum Anderen liegt es an der Sonne. Diesem tödlichen Feind, der täglich vom Himmel auf die Erde herunter schaut. Der das Leben aller hier erschwert und beeinflusst. Lange Jacken, lange Hosen, riesen Hüte, Sonnenbrillen, das Gesicht bedeckende Mundschutze, Handschuhe und tatsächlich extra Flip-Flop-Socken. Zum Teil dienen die Accessoires dem Schutz gegen die unglaubliche Luftverschmutzung im Verkehr, aber vieles wird nicht getragen, weil es trotz der Sonne kalt ist, in erster Linie auch nicht, um sich vor Sonnenbrand zu schützen oder aus masochistischen Gründen. Nein, es wird alles getan, um bloß keinen Strahlen der Sonne abzubekommen und braun zu werden. Das hat die Modeindustrie auch erkannt und verkauft an jeder Ecke Handschuhe, Hüte und Socken, die es selbst in Flip-Flops ermöglichen, nicht braun zu werden.
Und wenn dann doch ein Sonnenstrahl die Haut erreicht oder man sich für die hier sehr wichtigen Selfies oder Fotos am Strand mit einem kurzen Kleidchen vor die Kamera stellt, ist das auch nicht mehr so schlimm. Cremes, Duschgels, Seifen – alles was das Herz begehrt, mit Whitener erhältlich, so dass man gar nicht erst das Risiko eingeht, braun zu werden. Und wenn das alles nicht genug ist, habe ich von meinen vietnamesischen Kolleginnen gehört, gibt es sogar Whitening-Solarien, die einen nicht bräunt, sondern „weißt“.

Verrückt, habe ich im ersten Moment gedacht. Bräune ist doch schön. Ihr habt doch eine tolle Hautfarbe. Warum lasst ihr euch durch den Wunsch nach Weißheit so einschränken und quälen?

Dabei ist es beim westlichen Schönheitswahn genau das Gleiche, nur andersherum. Warum legen sich Deutsche Monat für Monat auf die Sonnenbank, riskieren mit den langen Sonnenbädern Hautkrebs, nur um braun zu werden? Weil es für uns ein Zeichen für Wohlstand, für Gesundheit ist. Je wohlhabender man ist, desto öfter können wir dem kalten, nassen Deutschland entfliehen und in Thailand, auf den Malediven oder Bali Sonne tanken.
In Vietnam ist die Begründung ganz anders. Hier steht möglichst helle Haut für Wohlstand. Reiche Menschen können sich ein Auto leisten, in dem sie, im Gegensatz zu Mofafahrern vor der Sonne geschützt sind. Zudem haben sie wahrscheinlich einen Bürojob, bei dem sie viel verdienen und sich nicht nach draußen wagen müssen. Gebräunte Haut steht da doch eher für die armen Arbeiter, die Tag für Tag auf dem Feld schuften müssen.

Um die Frage von eben wieder aufzugreifen, warum man sich diese Umstände antut.
Der Mensch will das, was er nicht hat. Hört sich erstmal komisch an, ist aber ziemlich logisch. Da denke ich nur mal zurück an meine Kindheit, in der ich immer genau das Spielzeug haben wollte, das sich mein Bruder gerade gekrallt hatte. Sehr runtergebrochen, aber das gleiche Prinzip. Mit dem, was ich habe, gebe ich mich selten zufrieden, dabei könnte ich schon damit so glücklich sein.
Ich schaue viel zu oft darauf, was andere Menschen machen, was sie haben, was sie tragen, was sie denken. Ich lasse sie mein Leben bestimmen, lasse sie wählen, ob ich schön oder eben nicht bin, ob ich mich mit meinem Körper zeigen kann, ob ich mich in meinem Körper wohlfühle. Anderen könnte ich nicht gefallen? Na, dann verändere ich mich eben. Dabei sollte doch gerade hier der Gedanke sein, dass mir egal ist, was die Anderen sagen, dass mir nur wichtig ist, wie wohl ich mich selbst fühle. Der Schönheitswahn, von dem ich hier schreibe, der leider immer größer, mächtiger und gefährlicher wird, entsteht nicht, weil wir es wollen. Er entsteht aus den Meinungen der anderer Menschen, die Schönheit als Massenabfertigung sehen und nicht als Individualität, die jeden Menschen auf seine eigene Art schön macht.

Immer mehr wird mir klar, dass der Schönheitswahn zu einem Massenprodukt geworden ist, das von der Gesellschaft bestimmt wird und mich, ob ich will oder nicht, in meinem Alltag beeinflusst. Wie ich mich kleide, wann ich mich wohlfühle und wann ich endlich mal mit mir zufrieden bin.

Und so werde ich weiterhin die für Vietnam typischen vermummten Gestalten auf der Straße sehen, werde mich an den Tagesrhythmus der nur am Morgen oder in der Dämmerung Sport treibenden Menschen gewöhnen, werde am Strand in erster Linie vollkommen angezogene Vietnamesen in der Sonne im Wasser plantschen sehen und mir darüber klar werden, dass wir Deutschen so ähnlich ticken.
Dass wir unsere Gesundheit gefährden, nur um in bräunenden UV-Strahlen zu brutzeln, um auf der Arbeit mit dem wundervollen Wochenendurlaub nach Mallorca (auf die Sonnenbank) zu prahlen. Und auch ich erwische mich immer wieder bei dem Gedanken, wie ich noch so viel Sonne und Bräune wie möglich mitnehmen kann, bis ich wieder im kalten Deutschland sitze. Ich kann doch nicht aus einem Jahr am anderen Ende der Welt wiederkommen, an dem es gefühlt durchgehend 30° waren und aussehen, wie meine Freunde in Deutschland, die dieses Jahr den kürzesten Sommer hatten und die eingefangenen Sonnenstunden an zwei Händen abzählen können.
Aber genau das kann ich.
Es ist mir EGAL!

2 Gedanken zu “Schönheit, die

  1. Sehr „schöner“ Eintrag – gefällt mir!
    Nur eine Frage habe ich noch: Darf ich dir weiterhin Komplimente machen oder sind diese auch nur ein Ausdruck meines subjektiven Schönheitsempfindens und darum für dich irrelevant?

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