Mit Händen und Füßen

 Deutsch und Vietnamesisch.

Auf den ersten Blick passen diese zwei Sprachen so gut zueinander, wie Pech und Schwefel. Wie soll ich nur jemals einen Zugang zur dieser fremden Sprache finden, dachte ich mir im März. Es schien mir unüberwindbar, genauso wie anfangs der Zugang zum Land überhaupt. Und den habe ich nach und nach ja auch gefunden.
Aber die Sprache – das ist nochmal ein ganz anderer Punkt.
Dementsprechend bin ich tatsächlich ein bisschen neidisch auf die Freiwilligen aus Südamerika, mit einer zweiten oder dritten Fremdsprache zurückkommen, die sie dann wahrscheinlich sogar fließend beherrschen, wohingegen ich nach einem Jahr mit meinen drei Bröckchen – mehr wird es tatsächlich nicht sein – Vietnamesisch heimkomme.
Letztens war ich relativ ernüchtert, als mein Cousin meinte, dass er sich schon darauf freuen würde, vietnamesisch von mir zu lernen und ich im ziemlich direkt beichten musste, dass daraus sehr wahrscheinlich nichts würde.
Nach 40 Stunden Sprachkurs an der Universität und gut acht Monaten Alltagsleben in Vietnam kann ich gefühlt noch immer nicht mehr sagen, als hallo, danke, ja und nein. Den Großteil der Stunden verbrachten wir damit, die Aussprache von einzelnen Wörtern und Buchstaben zu lernen, an der hier alles hängt.
Spricht man zum Beispiel ein a, wie ein a und nicht wie ein oa aus, kann das den Sinn eines ganzen Satzes ändern. Spricht man ein Wort nicht mit einer stetigen, sondern mit einer steigenden Betonung aus, wird aus dem vietnamesischen Nationalgewand versehentlich das männliche Geschlechtsteil. Besonders in der Schule sollte man solche Fehler vor 30 pupertierenden Schülern vermeiden.
Das soll jedoch nicht heißen, dass ich im Sprachkurs nichts gelernt habe oder er keinen Spaß gemacht hat, denn das hat er. Mir macht es großen Spaß, mich mit dieser fremden Sprache auseinanderzusetzen und nach und nach fallen mir dann sogar ein paar Ähnlichkeiten zur deutschen Sprache auf. Cà phê heißt Kaffee, sôcôla heißt Schokolade – das ist doch gar nicht so schwer. Naja, aber das sind auch nur ein paar kleine Beispiele. Größtenteils fällt es wirklich schwer, sich Dinge herzuleiten.
Und auch wenn ich mich im Alltag noch so sehr anstrenge, deutlich, langsam und betont zu reden, scheint meine Aussprache meistens immer noch falsch zu sein. Ich bin und bleibe hier nun mal die Ausländerin, werde durch meinem fremdes Aussehen als Touristin angesehen, egal wie fern ich mich von den typischen Touriattraktionen halte, egal wie lange ich schon hier bin. Und so werde ich von vielen Menschen im Alltag hier auch behandelt. Von mir wird nicht erwartet, dass ich mich in dieser Stadt, die jetzt nach acht Monaten zu meinem Zuhause geworden ist, auskenne, dass ich einen Preis auf vietnamesisch verstehe oder mein Essen ausnahmsweise einmal nicht auf Englisch bestelle, sondern versuche, die korrekten Worte in der korrekten Betonung herauszubringen. Es scheint, als wäre es in den Köpfen oft schon vorprogrammiert: sie ist Ausländerin, sie spricht kein Vietnamesisch, sie versteht mich nicht.
Dagegen gibt es aber natürlich auch unglaublich viele liebenswerte Menschen, die versuchen, mich zu verstehen, die extra langsam reden, die mir auf dem Markt mit Fingern zeigen, wie viel die Mangos, Ananasse oder Maracujas kosten – die mir Tag für Tag das Gefühl geben, dass ich nicht unbedingt Sprache zum Kommunizieren benötige und auch, dass ich doch einiges verstehe.
Ein weiteres Phänomen liegt auch noch darin, dass ich manchmal ohne das Wissen meiner Mitmenschen verstehe was sie grade reden, wie z.B. wenn ich in der Schule auf die vietnamesische Frage, ob die Schüler für eine Aufgabe 5 Minuten Zeit haben, mit Ja und einem Nicken antworte. Oder wiederum wie wenn ich im Supermarkt endlich ganz allein ungesüßten Joghurt finde, weil ich „mit Zucker“, „bisschen Zucker“ und „ohne Zucker“ erkennen kann.
Aber genau so wie ich mit der vietnamesischen Sprache zu kämpfen habe, erlebe ich täglich in der Schule, wie schwer die deutsche Sprache doch ist. Zwar haben die Schüler beim Lernen nicht diese großen Probleme mit der Aussprache, wobei sie vor allen beim „Z“ und den Umlauten Schwierigkeiten haben, aber dafür mit den unzähligen Grammatikregeln, Fällen und Zeitformen.
Und wie unlogisch unsere Sprache ist, zeigt eine Antwort eines Schülers im Unterricht einer Freundin über Zeitbeschreibungen: „heute“ ist zum Beispiel der 14. November, „übermorgen“ ist der 16. und dementsprechend ist der 12. November „untergestern“.
Gut jeden Tag denke ich, wie verdammt kompliziert die deutsche Sprache doch ist und wie froh ich bin, dass ich sie nicht als Fremdsprache lernen muss.
Auch bei der Arbeit mit den Junglehrerinnen im Sprachtraining fällt diese Schwierigkeit deutlich auf. Vier Jahre haben sie an der Uni gelernt, haben Deutsch als Fremdsprache studiert und haben in der Unterrichtsführung nach wie vor einige Probleme. Die deutsche Sprache macht es ihnen einfach sehr schwer. Insbesondere die Artikel und auch häufig die Rechtschreibung bedeuten häufig pures Auswendiglernen. Genau deswegen machen wir kulturweit-Freiwilligen mit ihnen das Sprachtraining – wir üben gemeinsam die Aussprache und unterstützen sie im Unterricht, um so auch den Schülern beim Lernen dieser Sprache zu helfen.
Die Schwierigkeit, die mit einer fremden beziehungsweise neu zu erlernenden Sprache verbunden ist, wird mir hier Tag für Tag in meinem Schul- und Privatalltag vor Augen geführt. Die unterschiedlichen Sprachen sind eine Barriere, die zwischen den Schülern, den vietnamesischen Lehrerinnen, den Verkäufern auf dem Markt und mir stehen. Eine Barriere, die mir den Alltag auf der einen Seite oft sehr viel schwerer macht, die uns im Weg steht und vieles schwieriger macht als es eigentlich ist. Beinahe jede Aktivität im Alltag bedeutet eine Herausforderung, zu verstehen und anders herum natürlich auch, verstanden zu werden – eine Herausforderung für beide Seiten.
Andererseits glaube ich, genau diese tägliche Herausforderung wird mir nach meiner Rückkehr aus Vietnam in Berlin fehlen. Auf einmal werde ich beim Einkaufen, ohne Probleme um genau das bitten können, was ich möchte. Ich werde mich nicht mehr kreativ durchbeißen müssen, damit andere mich verstehen – nein, ganz im Gegenteil werde ich sogar aufpassen müssen, was genau ich so rede, da mich dann ja wieder jeder versteht…
Natürlich ist es im Alltag sehr praktisch, wenigstens ein paar Grundvokabeln zu können. Was ich aber in diesem Jahr wirklich gelernt habe: irgendwie, mit Händen und Füßen und mit ein paar Einbußen, funktioniert es immer.

Hier noch ein paar schöne Eindrücke aus Schülertexten…

Ein Gedanke zu “Mit Händen und Füßen

  1. Schöne Beschreibung der Schwierigkeit, sich in und mit einer Sprache zurechtzufinden, die unterschiedlicher nicht sein könnte. RESPEKT.

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