Ich bin ja nicht (nur) hier um Urlaub zu machen, sondern um zu arbeiten und so zwei Kulturen miteinander in Verbindung zu bringen, die doch eigentlich so wenig mit einander zu tun haben.
Hätte ich vor ein paar Monaten gesagt, dass ich das Arbeiten dem Urlauben vorziehe, hätte ich mir selbst nicht geglaubt. Aber so ist es eben zum Teil. Meinen Aufenthalt im Ausland kann und will ich natürlich auch zum Reisen nutzen und so das Land kennenlernen, das mir bis vor sechs Monaten noch so fremd war. Ich will mit der hiesigen Kultur, dem Land und den Leuten in Kontakt kommen. Nicht umsonst habe ich mich dafür entschieden, ein ganzes Jahr in ein und dem selben Land zu verbringen und mich so noch viel mehr und viel tiefer mit diesem Land zu beschäftigen. Aber nicht umsonst habe ich mich auch dafür entschieden, mein Jahr nicht nur mit Reisen zu verbringen, sondern hier vor Ort zu arbeiten. Meine ganz persönlichen Eindrücke in der Schule zu sammeln, die sich in manchen Dingen gar nicht so sehr von denen in Deutschland unterscheidet, in anderen Dingen jedoch Unterschiede vorweist, an denen man überhaupt nicht daran vorbeischauen kann (offensichtlichster Punkte: Schuluniformen und ein Ho-Chi-Minh Bild in jedem Klassenraum). In meinem Freiwilligenjahr an der Schule, geht es mir vor allem darum, den Schülern die deutsche Sprache möglichst leicht und mit Spaß zu vermitteln und mich dabei auch selbst auf einer ganz anderen Ebene mit dieser Sprache zu beschäftigen. Außerdem finde ich es super interessant, die Verschiedenheiten zwischen Deutschland und Vietnam auch in der Schule kennenzulernen und diese dann sowohl aus der Schüler- als auch der Lehrerperspektive zu entdecken.
Aber Lehrerin, das wollte ich doch nie werden.
Habe ich vor dem Freiwilligendienst gesagt; und sage es nach wie vor. Nun ist es aber ziemlich genau das, was hier zu meinen Hauptaufgaben gehört.
Seit Mitte März bin ich an einer vietnamesischen Mittelschule tätig, an der Deutsch als zweite Fremdsprache angeboten wird. Mit einer vietnamesischen Deutschlehrerin, die vor Kurzem erst ihr Studium an der Uni abgeschlossen hat, bin ich in den sechsten bis neunten Klassen tätig. Vor allem unterstütze ich sie beim Korrigieren der Schüler, leite Phonetikübungen an oder übe das Hörverstehen anhand von Diktaten oder Ankreuzaufgaben.
Da ich im März, also mitten im Schuljahr und pünktlich zur Prüfungsphase gekommen bin, war es eine meiner ersten Aufgaben, den Schülern die Hörverstehenstexte für die A1 Prüfungen vorzulesen. Wer sich das nicht so direkt vorstellen kann: ich stehe gut eine Woche jeden Tag vor insgesamt vier Klassen, denen ich ein und den selben Text (ein paar schöne Beispiele für die Sinnhaftigkeit dieses Textes: Karl will heute Fisch mit Vanillesoße kochen, sie trinkt sehr gern Schokoladenlimonade, Hamster Karl will Fahrrad fahren) jeweils immer zwei mal laaaaaangsam und deutlich und im besten Fall mit Betonung, Mimik und sogar Gestik vorlese. Ja, ziemlich eintönig, aber für die Schüler unglaublich hilfreich. Dass mein Arbeitsbeginn mitten im laufenden Schuljahr lag, ist für das Kennenlernen mit den Schülern und dem Platz finden im Schulalltag nicht besonders ideal. Da leider freie Zeit fehlte, weil sie zur Prüfungsvorbereitung genutzt werden musste, wurde ich in jeder Klasse vorgestellt und mit Fragen, die die Schüler mir stellen durften, direkt als Prüfungsvorbereitung genutzt. In der Anfangszeit habe ich wirklich viel hospitiert, habe beobachtet und wurde für Phonetikübungen genutzt.
Neben dieser Arbeit gab es an der Schule direkt leider nicht viel, was ich tun konnte, abgesehen von der „Verschönerung“ der Deutschräume. Das heißt, dass ich Bilder aufhängen, Wortkarten entwerfen, laminieren oder Karten aufleinen sollte. Im Endeffekt hat all die Mühe nichts gebracht, da uns Deutschen ein paar Wochen vor Sommerferienbeginn eröffnet wurde, dass die Schule umzieht und sich ab dem neuen Schuljahr, das nun von Mitte August auf Mitte September verschoben wurde, ein Gelände mit der Uni teilt. Eine Spontanität, die man sich in Deutschland überhaupt nicht vorstellen kann, an die man sich hier jedoch schnell gewöhnen muss.
Und das musste ich auch in dem, während der Sommerferien laufenden, Sommerkurs. Hier wurde ich in der aller ersten Woche an einer neuen Schule mit unbekannten Schülern ziemlich ins kalte Wasser geworfen. Ins eiskalte, rückwärts, ohne Ankündigung. Da eine der beiden Lehrerinnen krank geworden ist, was ich eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn erfahren habe, habe ich allein ihre Klasse übernehmen müssen. Ohne Vorbereitung, ohne Erfahrung. Und das eine ganze Woche lang. Aber die, denen ich jetzt vielleicht Leid tue, die denken, dass es mir keinen Spaß gemacht hat, muss ich enttäuschen. Diese Woche ist die erste in meinen bisherigen sechs Monaten gewesen, in der ich tatsächlich dachte, dass der Lehrerberuf ja doch etwas für mich sein könnte. Dass er gar nicht so schrecklich, angsteinflößend und einfach gar nichts für mich ist. Es hat mir tatsächlich Spaß gemacht! Ich hatte Spaß dabei, mit den Schülern zu arbeiten, mit ihnen zu lernen, ihnen etwas beizubringen, ihren Fortschritt zu sehen. Und genau dieses Erlebnis hat mir sehr dabei geholfen, jetzt auch in der Schule meinen Platz zu finden. Ich weiß, wo ich mich einklinken und welche Aufgaben ich übernehmen kann und die vietnamesischen Lehrerinnen, die ich unterstütze, wissen mittlerweile auch, wie sie mich einsetzen können.
Neben all dem Schulischen, war es bisher meine Aufgabe, drei der vietnamesischen Junglehrerinnen (sogenannte Trainees) innerhalb eines Sprachtrainings zu betreuen. Da sie ihr Deutschlehramtsstudium zwar abgeschlossen haben, jedoch noch nicht auf dem Niveau sind, das sie als Deutschlehrerin eigentlich haben sollten, habe ich mich zwei Mal die Woche mit ihnen getroffen, um genau daran zu arbeiten. Hierbei ging es vor allem darum, mit ihnen ins Gespräch zu kommen bzw. sie zum Diskutieren zu bringen, an der Aussprache zu arbeiten und das Hör- und Leseverstehen zu verbessern. Bestenfalls sollen sie das dann auch im Unterricht anwenden können. Die Arbeit mit den Dreien hat sich zu einer wirklich spannenden, liebgewordenen Aufgabe entwickelt, die ich im kommenden Schuljahr hoffentlich weiterführen kann.
Und jetzt: das neue Schuljahr. Neue Schüler, neue Kollegen, neue Aufgaben, neue Herausforderungen, neue Projekte, neues Glück…