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Der wahrscheinlich schönste Tag meines Lebens…

Der wahrscheinlich schönste Tag meines Lebens…

Mir ist aufgefallen, dass es mir nicht gelingt, meinen alten Schreibrhythmus auf diesem Blog beizubehalten, was manchmal dazu führt, dass ich ungeduldige Nachrichten von treuen Lesern bekomme, wann es denn mal endlich weitergehe. Es berührt mich, dass manchen von euch dieser Blog etwas bedeutet, das ist einfach nur schön und ermutigend! Ich entschuldige mich, wenn ich das Schreiben manchmal etwas verschieben muss, aber im Moment passiert vieles gleichzeitig, sodass ich erstens schlichtweg keine Zeit zum Schreiben finde und zweitens das Erlebte nicht ausreichend für mich selbst reflektieren kann, sodass sich alles immer weiter hinauszögert.

Nachdem wir aus Freudenstadt zurückkamen, gab es einige Baustellen zu beackern.

Für die Zweitklässler stand die DSD1-Prüfung unmittelbar bevor. Die letzten Fragen wurden beantwortet, alles nochmal geübt, Präsentationen getestet und gestern, heute und morgen war bzw. ist es dann soweit. Ich habe noch nichts gehört, aber da ich meine Schüler kenne, brauche ich mir größtenteils keine Sorgen zu machen.

Unser neu geschaffener Deutsch-Stammtisch fand das zweite Mal statt, diesmal sogar mit 7 Leuten, aber es sind jetzt schon mehr auf unserer Liste, das ganze könnte ein Erfolg werden! Ich arbeite daran, unseren E-Mail-Verteiler auszubauen und alle möglichen Leute, die Deutsch sprechen, einzufangen.

Zwei Tage nach uns kam Julia in Ulcinj an. Sie studiert in Deutschland Grundschullehramt und macht hier für 3 Wochen ein Praktikum, da sie sich sowohl für andere Schulsysteme als auch für DaF (Deutsch als Fremdsprache) interessiert. Da sie natürlich die Zeit hier nutzen will und viel unternimmt, bin ich auch immer relativ viel auf Achse. Wir waren am großen Strand, in Valdanos, einem kleinen Strand jenseits des Berges, wo wir fast zwei Hundewelpen gekauft hätten und immer wieder im Plaza, unserem Stammrestaurant. Es ist natürlich wundervoll, dass das Wetter seit einigen Tagen auch mitspielt. Am Anfang war es nämlich ganz düster, es gewitterte, regnete und windete die ganze Zeit. Da eine stürmische See aber auch ihre schönen Seiten hat, gingen wir einmal gegen Abend an den Strand, weil Julia sich ein Foto mit Wellen im Hintergrund wünschte. Wir witzelten, dass ich genau dann abdrücken sollte, wenn eine Welle sie trifft. Dann stellte sie sich aber natürlich doch etwas weiter vorne hin, für eine Dusche ist es dann doch noch zu kalt. Also lieber in Sicherheit. Dachten wir…

Um diese Geschichte zu erzählen bedarf es keiner weiteren Worte:

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Um die Relationen dieser Monsterwelle zu verdeutlichen, ich habe die Fotos geschossen und war dann auch klatschnass! Es war sehr lustig und der schlimmste Lachanfall der letzten Zeit.

Zusätzlich zu Julia gab es aber noch weiteren Besuch aus Deutschland! Meine liebe Vorvorgängerin Alex, die meine Leidenschaft für Ulcinj aber sowas von teilt, besuchte uns und die Stadt und versüßte mir so manchen Tag.
Meine liebe Schwalbe, ich wünsche dir alles Gute in Namibia, viele tolle Erfahrungen, man sieht sich in Ulcinj!
PS: Ich steige bei der gendergerechten Schusswaffentechnik für Mali nicht so ganz durch, aber auf jeden Fall interessant! 🙂
PPS: Die beste Barfußwanderung am Strand ever!

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PPPS: Auf das unsere (streng geheime) Geschäftsidee irgendwann Realität wird!

Am 8.März begrüßte uns der Platz vor der Schule mit Blumenständen, die es vorher nie gab. Ich kramte in meinem Gedächtnis, was der Anlass sein könnte. Weltfrauentag! Praktischerweise wird der Weltfrauentag in Montenegro gleich mit dem Muttertag zusammengefeiert, aber wie! Die Lehrerinnen bekommen alle Blumen geschenkt. Auch ich entkam dem nicht, Kurt schenkte mir und Julia jeweils ein Blümchen und auch in unserem Stammcafé gab es nochmal eine:

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Auch die Mamas bekommen von ihren Kinder Blumen und von ihren Ehemännern Ausgang. Ich war an diesem Tag abends in der Stadt, sämtliche Cafés, Bars und Restaurants waren bevölkert von Frauengruppen. Einige hatte ihre Ehemänner dabei, die aber lediglich die Bestellungen an die Kellner weiterleiten durften und sonst den Mund halten mussten. Schön, dass es so etwas gibt! 😀 Schade, dass sich die Wertschätzung der Frauen und Mütter scheinbar auf einen Tag im Jahr beschränkt!

Weil ich am Donnerstag bei den Prüfungen nicht gebraucht wurde, konnte ich beginnen, unsere 30 Kisten Bücher in der Bibliothek zu sortieren. Ich hatte mich mit Zenepa, der stellvertretenden Bürgermeisterin, und Ardita, der Bibliothekarin getroffen und besprochen, wie es weiter geht. Es wurden emsig Pläne gesponnen, manchmal auch Luftschlösser gebaut, aber es ist toll zu sehen, wie viel Engagement es hier doch gibt, denn alle städtischen Bediensteten arbeiten weiter, obwohl sie seit 10 Monaten (!) keinen Cent mehr bekommen haben. Ich habe das nicht verstanden, aber Ardita meinte nur, sie lebe für diese Bibliothek, sie liebe Bücher und deshalb macht sie weiter. Zenepa brennt sowieso für alle ihre Projekte und ist immer wieder eine Inspiration! Es ist ein Privileg, dass ich solche Menschen kennenlernen darf und dass ich mit ihnen zusammenarbeiten darf!
Ich ging davon aus, dass ich fürs Sortieren Wochen brauchen würde. Ich kenne mich viel zu gut und weiß, dass ich mich in jedes Buch einzeln verlieben würde. Die Bibliothekarinnen schätzen mich aber scheinbar recht gut ein, sodass sie ein gutes System entwickelten, mich von diesen Ausschweifungen abzuhalten. Sie standen an den Kartons, gaben mir jedes Buch einzeln in die Hand und fragten: Skola or here? So war ich gezwungen, in ein paar Sekunden zu entscheiden, wo das Buch hin soll und ich kam nicht in Versuchung, anzufangen zu lesen, sonst hätten die Damen so lange warten müssen, das wäre mir unangenehm gewesen. Und so trug es sich zu, dass wir heute, an einem Vormittag, mit dem Sortieren fertig wurden. Morgen werde ich mit dem Katalogisieren weiter machen, aber ein großer Teil ist schon geschafft.

Ein Bruchteil, bestimmt nicht mal 10%, gehen an die Schule.

Ein Bruchteil, bestimmt nicht mal 10%, geht an die Schule.

Es war tatsächlich einer der schönsten Tage meines Lebens! Es war auch der schrecklichste, weil ich so viele wunderbare Bücher achtlos aus der Hand legen musste, aber dass das Wissen von Jahrhunderten heute durch meine Hände ging, macht mich irgendwie ganz demütig. Da ist so viel Literatur in der Welt, die noch gelesen werden muss, eigentlich dürfte man sein ganzes Leben nichts anderes mehr tun.
Bücher haben immer noch etwas Magisches für mich. Ich bin mittlerweile auch un-stolze Besitzerin eines Ebook-Readers, weil man (bis jetzt) hier nicht an deutsche Bücher kam. Das ist als Ersatz ganz nett, weil die Bücher überall auf der Welt verfügbar sind, aber etwas zutiefst Unrationales und Emotionales treibt mich immer wieder zum gedruckten Wort. Das Rascheln des Papiers, der Geruch, das Gewicht in der Hand, das lässt sich durch so einen blöden Computer nicht ersetzen. Es erforderte höchste Selbstbeherrschung und Disziplin, aber es ist mir tatsächlich gelungen, nur ein Buch zu stehlen und rauszuschmuggeln, weil es auf meiner „Noch-zu-lesen-Liste“ ohnehin ganz oben stand und mich einfach angelacht hat. Ein undefinierbares Glücksgefühl hält sich bis zu diesem Augenblick in meinem Herzen und ich versuche, es möglichst lange nicht mehr gehen zu lassen.
Wer also mal einen ruhigen Strandurlaub in schöner Umgebung verbringen will und dabei keinen Koffer voller Bücher mitschleppen will, sollte den Weg nach Ulcinj finden!

Sowieso sollte jeder seinen Weg nach Ulcinj finden, denn es lohnt sich einfach! Ich habe überrascht festgestellt, dass es noch nicht mal eineinhalb Wochen sind, bis meine Eltern nach Ulcinj kommen. Das ist ganz toll, denn dann verstehen sie endlich mal, wovon ich genau rede, wenn ich mal wieder ins Schwärmen gerate!

Neue tierische Freunde und neue tierische Feinde

Neue tierische Freunde und neue tierische Feinde

Es war soweit: Ein halbes Jahr, nachdem uns eine Gruppe deutscher Schüler aus Freudenstadt im Schwarzwald in Ulcinj besucht hat, stand (endlich) der Gegenbesuch an. Das hieß für mich im Vorfeld, dass viel zu erledigen und zu organisieren gab, z.B. mussten alle Schüler krankenversichert werden, wir mussten alle Passnummern und auch das Geld einsammeln. Doch dafür war die Vorfreude dann umso größer. Hauptgrund dafür war, dass ich mich am Wochenende mit meiner Familie und meiner besten Freundin in Karlsruhe bei meinem Bruder zum Geburtstag-Feiern verabredet hatte. Wenn es dieses Jahr schon keinen unserer legendären Casa-Abende geben sollte (Gruß an meine Mädels nach Deutschland!), wollte ich doch an meinem Geburtstag nicht ganz alleine da sitzen, also nutzte ich mein freies Wochenende perfekt aus.

Vorher gab es allerdings noch die eine oder andere Hürde zu nehmen. Ich war schon fasziniert bis begeistert, dass alle Schüler pünktlich und mit Reisepass am Bus erschienen. Nach langen Verabschiedungszeremonien und einem kurzen Tetris-Spiel der Busfahrer, um das Gepäck unterzubringen, ging es auch schon los. Die Wettervorhersage prophezeite Schnee für Freudenstadt. Das erwähne ich nur, um das Opfer deutlich zu machen, das ich zu bringen bereit war, fuhren wir doch bei etwa 20°C und strahlendem Sonnenschein in Ulcinj los.
Egal, in Aussicht einer 28h-Busfahrt machte ich es mir bequem. Ich stellte mich auf das Schlimmste ein, wird mir doch beim Busfahren für gewöhnlich schlecht. Wohlweislich hatte ich nur wenig zu essen dabei, denn im Normalfall denke ich auf solchen Busfahrten an vieles, nur nicht ans Essen. Der kurvenreiche Anfang unserer Reise entlang der atemberaubend schönen montenegrinischen Küste schien mich in diesem Plan zu bestätigen, doch als wir erstmal die Autobahn erreicht hatten, fuhren die Busfahrer so sensationell gut, dass ich doch ein bisschen hungrig in FDS ankam.
Sonstige Erkenntnisse der Busfahrt: Es gibt keine Schlaf- oder Sitzposition in der nicht mindestens ein Körperteil wehtut, Tee an Raststätten trinken ist ein Teufelskreis, verursacht das doch nur immer häufigere Stopps, es gibt auf der ganzen Welt kein ekelhafteres Klo als das auf der Fähre in der Bucht von Kotor, aber wenn es dringend ist, hört man schlagartig auf, wählerisch zu sein, in Kroatien ist es nicht ratsam, mit einem abgelaufenen Feuerlöscher im Bus zu fahren, es könnte sein, dass der Fahrer für eine halbe Stunde verhaftet und von Polizisten im Auto weggefahren wird ( war so, kein Witz 😀 ), in der Zwischenzeit sollte man für Passkontrollen mehr Zeit einplanen, wurden wir doch um 5 Uhr morgens an der österreichisch-deutschen Grenze von zwei bemitleidenswerten Polizisten aufgeweckt, weil sie unsere Pässe kontrollieren mussten. Witzige Anekdote am Rand: Als sie die Schüler fragten, wer wir sind und was wir machen, gerieten sie an Schüler, die so gut Deutsch sprechen, dass die Polizisten glaubten, wir kämen vom Austausch von irgendwo her zurück nach Hause. Trotzdem war es insgesamt ziemlich unlustig.

Während der gesamten Zeit in Deutschland sind mir immer wieder Sachen aufgefallen, die sich verändert haben oder die ich nicht mehr verstehe. Das bereitet mir großes Unbehagen, so großes, dass ich in Kürze darüber einen eigenen Blogeintrag verfassen will, sofern es mir gelingt, nicht allzu dramatisch zu werden.

Wie dem auch sei, als wir um ein Uhr mittags des darauffolgenden Tages dann endlich in unserem Hotel gelandet waren, war meine Devise „Duschen-Mama anrufen-Oma anrufen-Schlafen-Essen-Schlafen“. Das führte ich genauso durch, sodass ich am nächsten Tag einigermaßen wiederhergestellt war.

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Das war auch, wie sich herausstellte, bitter nötig, beginnt doch die Schule in FDS um 7.35 Uhr. Weil unsere Schüler logischerweise mit ihren Austauschpartnern kamen, hieß das für uns, dass wir um 5.30 Uhr aufstehen mussten. Eigentlich unmenschlich, aber das wundervolle Frühstück in unserer Pension (mit angeschlossener Bäckerei! DEUTSCHES BROT!!!) schaffte es immer wieder, die Lebensgeister auch am frühen Morgen zu wecken.

Am ersten Tag stand zuerst einmal die Begrüßung durch die Schulleiterin auf dem Programm.
An dieser Stelle müsst ihr mir einen Einschub gestatten, über ein Thema, welches mich die ganze Zeit über begleitet hat. Damit ich es nicht immer wieder erklären muss, werde ich an den entsprechenden Stellen immer nur mit dem Schlagwort „baden-württembergisches Schulsystem“ auf die Problematik verweisen. Ich weiß nicht, was normal ist, aber ich erinnere mich an einige Austausche an meiner alten Schule. Egal ob ich daran teilgenommen habe oder nicht, ich erinnere mich ziemlich genau, dass ich meine teilnehmenden Mitschüler in dieser Zeit nur in großen Ausnahmen in der Schule gesehen habe. Sie machten gemeinsame Ausflüge, organisierten irgendwelche Sachen und mussten anschließend wie die Verrückten lernen, um den verpassten Stoff nachzuarbeiten. Das ging aber auch immer irgendwie, weil die Lehrer größtenteils Verständnis hatte und man bei uns auch erkennt, welchen Wert solche transkulturellen Erfahrungen haben. Man lernt sich gegenseitig kennen, kommuniziert in allen Sprachen, zur Not mit Händen und Füßen und freundet sich mit Menschen an, denen man vor ein paar Jahrzehnten vielleicht noch auf dem Schlachtfeld gegenüber gestanden hätte. Nicht so in diesem Fall. Ich muss vorneweg sagen, dass ich von den deutschen Schüler nicht so begeistert war und bin, sodass ich es für mich persönlich nicht schade fand, dass sie genau einen Ausflug mitmachten. Aber das entspricht doch absolut nicht dem Sinn eines Schüleraustauschs, für den immerhin von den Schülern aber auch von den entsprechenden Stellen beider Staaten, viel Geld bezahlt wird. Als wir an einem Tag Projektarbeit hatten, für die die Schüler eigentlich freigestellt waren, mussten einige trotzdem in die Schule, weil sie irgendeinen Test schreiben mussten und der Lehrerin die Freistellung egal war. Ich weiß nicht, ob es an G8 liegt, am Zentralabitur, das sowohl Lehrer als auch Schüler unter Druck setzt, oder an anderem Kram, den wir in Rheinland-Pfalz Gott sei Dank nie hatten, aber ich wurde von Tag zu Tag dankbarer, dass ich nicht in Baden-Württemberg in die Schule gehen musste. Die Stimmung in der Schule war allgemein schlecht, die Lehrer überarbeitet, die Schüler ohne Hobbys und Leidenschaften, weil dafür keine Zeit ist. Ich weiß, dass ich mal wieder alles über einen Kamm schere, dass ich von einer Schule auf alle schließe, ich sehe aber deutlich den Vergleich von meiner eigenen Schulerfahrung zu dem, was ich in Freudenstadt gesehen habe.

Damit kommen wir auch zurück zum Programm. Am ersten Tag sollte uns also die Schulleiterin begrüßen. Ich weiß nicht, was ich mir vorgestellt habe, es muss ja kein Staatsempfang sein, aber dass man uns einfach in ein Klassenzimmer setzt, die Direktorin mit dem Schlüssel in der Hand reinkommt, weder mir noch Luljeta, der montenegrinischen Deutschlehrerin, die Hand gibt, fünf Minuten ein paar Floskeln und Allgemeinplätze in den Raum stellt und dann sofort wieder verschwindet, habe ich dann doch nicht erwartet. Mir wurde hinterher noch mitgeteilt, sie hätte einen guten Tag gehabt, dann will ich nicht wissen, was passiert wäre, wenn es ein schlechter gewesen wäre. Dass der Austausch von der Schulleitung nicht sonderlich unterstützt wird, wusste ich vorher schon, deshalb steht die Zukunft des Austauschs auch momentan in den Sternen.

Wie auch immer, ich wollte mich nicht gleich am ersten Tag entmutigen lassen, guter Dinge besuchten wir noch die Experimenta in FDS, eine Art Mitmachmuseum, das den Schülern sehr gefallen hat. Zwischendrin hatten wir eine kleine Pause, in der es uns, wie noch öfter in diesen Tagen, in eine kleine Bäckerei am Marktplatz verschlagen hat. Einige Schülerinnen waren auch da, und als sie sich auf Montenegrinisch unterhalten haben, wurde eine Gruppe von alten Männern aufmerksam. Da saßen doch tatsächlich fünf Serben am Nachbartisch, die unsere Mädels direkt ausquetschten, wo sie denn her kämen und was sie hier machten.

In derselben Bäckerei hatte ich einige Tage später eine nette Begegnung. Ich saß mit Kurt am Tisch und wir unterhielten uns über Gott und die Welt und im Besonderen über Deutschland, deutsche Politik und die Problematiken, über die ich im bereits versprochenen nächsten Eintrag berichten möchte. An diesem Tag trug ich meinen Abipullover mit der Aufschrift „Abitur 2015 – Karolinen-Gymnasium Frankenthal“. Wir diskutierten so vor uns hin, als mich plötzlich ein Mann ansprach, der die ganze Zeit zwei Tische entfernt seinen Kaffee getrunken hatte. Er fragte mich, ob ich auch auf meinem Pullover stehe, zwischen den Namen aller meiner Stufenmitglieder. Ich bejahte das und er sagte nur: „Herzlichen Glückwunsch! Ich wünsche Ihnen alles Gute auf Ihrem zukünftigen Lebensweg!“ Ich war ein bisschen perplex, bedankte mich artig und der Mann ging. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich das einordnen konnte, was da passiert war. So eine Begegnung wäre für Ulcinj absolut typisch gewesen, da passiert mir sowas öfter. In Deutschland rechnet man jetzt nicht unmittelbar damit, aber es hat mich im Nachhinein so gefreut, dass ich feststellen konnte, dass es auch in Deutschland total nette Menschen gibt, die vor allem auch zu Wildfremden nett sind. Kurt vermutete, der Mann hätte unser Gespräch mitbekommen und war froh, dass es auch noch ein paar „Gutmenschen“ in Deutschland gibt, denen ja neuerdings viel weniger Gehör geschenkt wird als den Brandstifter, ob real oder geistig. Ich war auf jeden Fall entzückt und konnte bei all den nicht so tollen Sachen noch ein bisschen von dieser Begegnung zehren.

So eine nicht so tolle Sache ereignete sich am Donnerstag, als wir nach Stuttgart fuhren. Ich war bisher nicht durchgängig Fan dieser Stadt, was sicherlich total ungerecht ist, aber ich habe in Stuttgart bisher nun mal nichts anderes gemacht, als im Stau zu stehen. Nachdem wir das Mercedes-Museum besichtigt hatten, das wirklich toll war, ließen wir die Schüler von der Leine, zum Shoppen gehen, und ich spazierte ein bisschen durch die Innenstadt. Ich ahnte nichts Böses, genoss die Sonne und war gerade dabei, meine Antipathie gegen diese Stadt zumindest zu relativieren, als es RUMMMS machte. Leute, die mich kennen, könnten vermuten, dass ich mal wieder gegen ein Straßenschild gelaufen bin, wäre ja nicht das erste Mal, aber diesmal war ich völlig unschuldig! Mir war doch tatsächlich eine Taube vollkaracho gegen den Kopf geflogen! Mal davon abgesehen, dass Tauben als „Ratten der Lüfte“ bezeichnet werden und dass es echt weh getan hat, war die Situation auch sehr peinlich, so dass ich es versäumte, mit der Taube Versicherungsnummern auszutauschen und nur schaute, dass ich weiterkam. Tja, Stuttgart, du hast mal wieder eine Chance versäumt, dich bei mir beliebt zu machen, mir scheint, du willst mich von dir fernhalten. Kannst du haben! Tauben füge ich unterdessen auf meine Liste der gehassten Tiere hinzu, auf der schon Mäuse, Ziegen mit Bart und Kellerasseln stehen.

Während der Fahrt im Zug kamen unsere Schüler mit einem dunkelhäutigen Mann aus dem Senegal ins Gespräch. Er erzählt, woher er kommt, und ein Schüler fragte ganz naiv: „Senegal, wo liegt das, auf welchem Kontinent?“ Hier zeigt sich mal wieder, aus welchem Holz meine Schüler geschnitzt sind. Dass der Mann schwarz war, ist für sie so wenig von Bedeutung, dass sie dadurch nicht auf die geographische Lage seines Heimatlandes schließen können. Das finde ich irgendwie beeindruckend.

Am nächsten Morgen wurden wir vom Bürgermeister begrüßt. Ein netter Mann, der uns einiges über Freudenstadt erzählte und auf die Frage, wie das denn hier mit den Flüchtlingen sei, antwortete: „In Freudenstadt leben über 3000 Menschen ohne deutschen Pass, die super integriert sind, da werden wir die 450 Flüchtlinge auch noch unterbringen können.“ Schön, so eine Stimme zu hören!

Dann war auch schon Wochenende. Mein Chef hielt mich netterweise immer über die Wetterlage in Ulcinj auf dem Laufenden („die Narzissen blühen… 23 Grad“) und erwiderte auf meine Antwort „Du bist gemein, wir rutschen hier über gefrorene Straßen“ nur ein freches „Guten Rutsch“. Trotz aller Widrigkeiten entschloss ich mich, am Samstag wandern zu gehen. Ich kann euch sagen, es war wirklich wunderschön. Ich lief erst von Baiersbronn, wo unsere Pension war, 4km nach Klosterreichenbach, wo der Rundweg, den ich mir ausgesucht hatte, losging. Dann stapfte ich ca. 13 km durch den wundervoll verschneiten Schwarzwald.

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Um mich herum war keine Menschenseele, den Spuren im Schnee nach zu urteilen, hatten gerade mal ein paar Rehe an diesem Tag den Weg gekreuzt. Sonst war ich die erste, die ihre Fußstapfen im ca. 10cm tiefen Schnee hinterließ. Eine zauberhafte Ruhe umgab mich, ich war zwar klitschnass und abgekämpft als ich wieder zurück kam, meine Schuhe haben den Ausflug nicht überlebt, aber das war es trotz allem wert.

Am nächsten Morgen machte ich mich früh auf den Weg nach Karlsruhe zu meinem Bruder. Als ich dort ankam, waren auch meine Eltern schon da. Wir feierten erstmal Wiedersehen, ich bekam meine Briefwahlunterlagen und konnte meiner demokratischen Pflicht nachkommen (im Übrigen immer noch ein erhebendes Gefühl!), dann trafen wir uns mit meiner besten Freundin und ihrer Mutter zum Mittagessen…

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…und gingen dann noch ein bisschen spazieren. Als alle wieder gefahren waren, blieb ich noch bei meinem Bruder. Da ich am nächsten Morgen sowieso nach Karlsruhe gemusst hätte, übernachtete ich bei ihm. Wir redeten über Studium und solche Sachen und da ich akut auf der Suche nach meiner Zukunft bin, googleten wir ein bisschen rum und fanden, tadaaa, den perfekten Studiengang: Wissenschaft-Medien-Kommunikation. Vereint alle meine Leidenschaften, von Chemie bis zum Schreiben! Ich warte mit meiner endgültigen Entscheidung noch, bis sich die Euphorie gelegt hat, aber es passt wirklich beängstigend gut!

Montags fuhr ich mit der Bahn zum Zoo, wo ich mit meinen Kollegen und meinen Schülern verabredet war. Da ich ein bisschen zu früh war, setzte ich mich auf eine Bank und beobachtete die Flamingos. Das nahm mich anscheinend so in Beschlag, dass ich nicht merkte, was sich hinter mir zusammenbraute. Meine Schüler, die sonst in keiner Situation wirklich hundertprozentig still sein können, stellten sich hinter mir auf und fingen plötzlich in einer unfassbaren Lautstärke an, „Zum Geburtstag viel Glück“ zu singen. Ich erlebte den Schock meines Lebens, freute mich dann aber doch sehr!

Im Zoo entdeckte ich meine Leidenschaft für Seelöwen, die aber nur so lange vorhielt, bis mich einer sowas von nass gespritzt hatte, dass ich echt getropft habe. Ich schloss ewige Freundschaft mit einem Affen, der durch die Glasscheibe seine Hand gegen meine legte und alle Grimassen nachmachte, die ich ihm schnitt.

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Dann beobachtete ich noch einen Eisbären, der einen enormen Bauchklatscher machte, dann war die Zeit auch schon rum und wir fuhren in die Innenstadt.

Shopping ist für die Schüler eine ganz wichtige Sache in Deutschland, gibt es hier doch viele Sachen, die man in Montenegro nicht so ohne Weiteres kriegt. Wir gingen aber nicht davon aus, dass wir uns mit etwas beschäftigen müssen, dass verursacht, dass wir zwei Schülerinnen auf der Polizeiwache abholen mussten. Der Sachverhalt ist nicht zu hundert Prozent geklärt, aber die eine wollte auf jeden Fall aus jugendlichem Übermut einen Lipgloss klauen, die andere packte ein Parfum aus der Verpackung, weil sie es kaufen wollte. Das ist in Montenegro wohl so üblich, wirkte aber in Zusammenhang mit dem geklauten Lipgloss nicht unbedingt vorteilhaft. Sie haben anscheinend keine größeren Konsequenzen zu befürchten, aber es machte natürlich keinen guten Eindruck. Es tat ihnen alles schrecklich leid, wir werden in den nächsten Tagen mit den Eltern reden, aber die Polizisten meinten, das Verfahren würde wahrscheinlich eingestellt werden.

Nach dieser Geschichte waren wir einigermaßen froh, dass wir am nächsten Tag (fast) frei hatten. Die Schüler sollten ihre Projekte bearbeiten. Beim Blick aus dem Fenster entschloss ich mich, zu Hause zu bleiben, zu lesen, zu schreiben und nichts zu tun, denn einmal vom Schnee, einmal vom Seelöwen nass zu werden, reichte mir vorerst aus. Abends mussten wir dann in die Schule zur Präsentation. Wir hatte ja wirklich nichts Tolles erwartet, da die deutschen Schüler vorher schon angekündigt hatte, dass sie keine Lust haben und da ja eh nur unsere Schüler Noten bekommen sollten, hielten sie es nicht für nötig, sich groß mit den Themen zu beschäftigen. Es gab einige mittelmäßige bis erträgliche Präsentationen übers Kochen oder über Sagen und Märchen des Schwarzwalds. Dann gab es aber zum Beispiel die Gruppe „Sport in Freudenstadt“, in den eine Schülerin folgenden Vortrag hielt: „Ich habe hier vier Tennisplätze an die Tafel gemalt, in Freudenstadt kann man Tennis spielen, dafür muss der Ball von der einen auf die andere Seite.“ Das war das Projekt, für das sie einen ganzen Tag Zeit hatten. Sie war auch noch stolz darauf. Andere Gruppen waren nicht viel besser, so dass am Ende die Nerven bei allen blank lagen. Die Schüler schnauzten die Lehrer an, die Lehrer schnauzten die Schüler an, wir schnauzten uns gegenseitig an und keiner hatte mehr auf irgendwas Lust. Nachdem sich die Gemüter ein bisschen beruhigt hatten und wir auf dem Heimweg waren, bekam ich die Aufgabe, für die Projektarbeit ein neues Konzept zu entwerfen, weil die deutsche Lehrerin ankündigte: „Für sowas stelle ich meine Schüler nicht mehr frei, das kann ich nicht verantworten.“ Mit dieser Aussage kann ich nicht so viel anfangen, erstens, weil ich nicht weiß, was daran so schlimm sein soll, aber: „baden-württembergisches Schulsystem“, und zweitens, weil doch ihre Schüler alleine schuld an diesem Ausmaß an Blödheit und Unmotiviertheit waren. Wie auch immer, ich werde mir was überlegen, denn noch so eine Präsentation will ich weder meinem Nachfolger/meiner Nachfolgerin noch meinen Kollegen zumuten.

Ich versuchte wirklich, mir nicht die Laune verderben zu lassen, aber meine Lust auf den gemeinsamen Ausflug mit den Deutschen nach Baden-Baden hielt sich ehrlich gesagt in Grenzen. Im Vorfeld bat mich Kurt, mir eine kleine Stadtführung zu überlegen. Hätte ich auch sehr gerne gemacht, nur schrieb die deutsche Lehrerin auf diese Ankündigung hin, sie hätte jetzt auch mal nachgeschaut, man könne dies und dies und das machen und anschauen, sie könnte auch zu allem was sagen. Ich fragte Kurt, ob ich denn jetzt noch was machen sollte, er meinte, das würde ja reichen, also freute ich mich stattdessen über einen freien Nachmittag. Als wir dann in Baden-Baden ankamen, fragte sie mich, was ich mir denn jetzt überlegt hätte. Ich sagte (noch ganz ruhig), dass sie das doch machen wollte. Jaaaa, das wäre ja nur ein Vorschlag gewesen, sie dachte jetzt, dass ich das machen würde…
Ich fing an, die Faust in der Tasche zu ballen. Erst nimmt sie mir meine Aufgabe weg, weil sie es mir scheinbar nicht zutraut und dann macht sie mir Vorwürfe, weil ich mir nicht trotzdem was überlegt hatte. Auf meinen vorsichtigen Vorschlag hin, wir könnten es doch einfach bleiben lassen, die Schüler hätten sowieso keine Lust, meinte sie, sie bräuchten eine Rechtfertigung für diesen Ausflug („baden-württembergisches Schulsystem“). Es scheint nicht auszureichen, dass wir nachmittags den SWR besichtigten, Einblicke bekamen, die man sonst nie bekommt und wirklich was gelernt haben. Mit einer mir neuen Weisheit beschloss ich, dass es keinen Sinn macht, mit ihr zu streiten. Also ertrug ich Schimpf und Schande, wusste, dass ich nicht schuld an dem ganzen Schlamassel war und genoss den Rest des Ausflugs, bei dem ich immerhin ein Foto für meine Oma in den Kulissen der Fallers schießen konnte.

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Ich war aber trotzdem irgendwie froh, wieder zurück zu fahren. Ich war eben versucht, „nach Hause“ zu schreiben. Das trifft zwar ein bisschen das Gefühl, das ich hatte, als wir nach einer erneut anstrengenden Busfahrt wieder in Ulcinj ankamen, aber es kommt mir trotzdem (noch?) nicht über die Lippen, um nicht zu sagen, über die Finger.
Die Schüler vergossen einige Tränen, als sie sich in der großen Pause von ihren Austauschpartnern verabschiedet haben. Es war leider nicht viel Zeit dafür, die Schüler mussten ja pünktlich wieder in den Unterricht und durften nicht mal mit zum Bus („baden-württembergisches Schulsystem“). Einige taten es trotzdem, was mir außergewöhnlich sympathisch war.

Die Rückfahrt verlief ohne weitere Zwischenfälle. Am Anfang standen wir im Stau, überraschenderweise auf der Höhe von Stuttgart, doch dieser Stau hielt noch zwei schöne Erkenntnisse bereit. Um mir die Zeit zu vertreiben, notierte ich alle Länder, aus denen ich Autos sah. Es waren in dem kurzen Stück in Deutschland sage und schreibe 26 Länder. Offene Grenzen und Reisefreiheit sind einfach eine tolle Sache!

Außerdem wurde mir wieder einmal die wundervolle Internationalität des Lachens bewusst, von der sich schon mal erzählt hatte. Die beiden Busfahrer konnten zusammen noch weniger Deutsch als ich Montenegrinisch, eine Unterhaltung, die über „Dobro jutro“ bei der morgendlichen Begegnung im Frühstücksraum hinausging, war also nicht möglich, obwohl es zwei echt nette Kerle waren. Als wir allerdings im Stau standen und in Schrittgeschwindigkeit an einem auf dem Seitenstreifen geparkten Auto vorbeifuhren, aus dem gerade eine Frau ausstieg, überwanden wir ratzfatz alle Sprachbarrieren. Die Frau hielt nämlich die Büsche neben der Leitplanke für blickdichter als sie tatsächlich waren, sie stand wohl auch schon etwas länger im Stau. So kam es, dass sie uns ihren nackten Hintern entgegenstreckte. Ich saß relativ weit vorne, die Busfahrer vergewisserten sich mit einem Blick über die Schulter, dass ich das auch gesehen habe und dann kicherten wir los, als wären wir Fünftklässler, die mal ein bisschen in ihrem Biobuch geblättert haben. Total albern, aber es war schön zu sehen, dass man nicht eine Sprache sprechen muss, um miteinander zu lachen und sich sympathisch zu finden.

Als wir gestern nach diesmal nur 25h in Ulcinj ankamen, wiederholte ich meine Devise nach der Hinfahrt: Duschen-Mama schreiben-Schlafen-Essen-Schlafen. Heute schleppten wir mit Hilfe einiger Schüler die 30 Kisten Bücher, die wir vom SWR geschenkt bekommen hatten, in die Bibliothek, wo ich sie in den nächsten Wochen (oder Monaten oder Jahren oder Jahrzehnten) sortieren werde, damit die Schule welche bekommt und in der Bücherei eine deutsche Abteilung angelegt werden kann. Kurt lud die Jungs (und mich) noch zum Pizzaessen ein und wir unterhielten uns über ihren Eindruck von Deutschland, was sehr spannend und sehr interessant war.

Jetzt kann ich entspannt auf dem Sofa sitzen, der Koffer ist ausgepackt, die Wäsche gewaschen und ich kann in aller Ruhe im Frühling ankommen! 🙂

Wie erklärt man Blumenkohl, sodass man es sich merken kann?

Nachdem die Ferien jetzt seit gut zwei Wochen vorbei sind und die zweite Hälfte meines Freiwilligendienstes anbricht, habe ich festgestellt, dass es höchste Zeit ist, einen Blogeintrag über meine Schüler_innen zu verfassen. Es dürfte in vorangegangenen Einträgen schon einige Male aufgetaucht sein, dass ich im Großen und Ganzen ein großer Fan meiner Schüler bin. Über das erste halbe Jahr haben sich viele erzählenswerte Anekdoten ergeben, aber ich möchte hauptsächlich aus den letzten zwei Wochen erzählen, um die Dichte an tollen Erlebnissen deutlich zu machen.

Die ersten Tage nach den Ferien waren anstrengend, die Schüler, insbesondere in der Grundschule, waren noch nicht so recht im Schulalltag angekommen, sodass es permanent unruhig war und an normalen Unterricht eigentlich nicht zu denken war. Doch langsam aber sicher bemerkten sie, dass da einer vorne steht, der ihnen gerne was erzählen möchte und sie mäßigten sich wieder. Sie fingen auch wieder an zu arbeiten, erstaunlicherweise. Aber wie! Ich durfte wieder einige Male feststellen, dass in den Schulen, vermutlich nicht nur in Montenegro, sondern überall auf der Welt, so viel ungenutztes Potential schlummert, das durch einen zu strengen und engen Lehrplan nicht zur Entfaltung kommen kann. Wenn man den jungen Leuten dann aber mal die Möglichkeit gibt, zu zeigen, was sie können, wenn sie merken, dass das was sie tun auf Anerkennung bzw. Begeisterung sowohl bei Mitschülern als auch bei Lehrern trifft, dann sind sie kaum zu halten.

Da geben wir eine Hausaufgabe auf, irgendjemanden zu interviewen, was er/sie in seiner/ihrer Freizeit macht. Die meisten interviewen sich gegenseitig und schreiben einen kurzen Dialog, doch dann gibt es tatsächlich zwei Mädels, die mit dem Smartphone losziehen, Jugendliche in der ganzen Stadt und darüber hinaus auf Deutsch interviewen und dann vier Stunden zu Hause sitzen und einen Film zusammenschneiden, was man in Ulcinj denn so in seiner Freizeit macht. Ein anderes Paar nimmt ein Radiointerview auf und gibt sich ebenfalls viel mehr Mühe als erfordert war.

Das zeigt sich auch in meinem neuesten Projekt, im Deutsch-Klassenzimmer eine kleine Bibliothek anzulegen. Nächsten Montag fahren wir zum Schüleraustausch nach Deutschland und Kurt hat in seinem Bekanntenkreis Bücher sammeln lassen, damit die Stadtbücherei eine kleine deutsche Abteilung bekommt. Da die Schüler aber nicht gerne in die Bücherei gehen, haben wir entschieden, einen Teil der Bücher (30 Kisten insgesamt!!!), die wir dann mit dem Bus aus Deutschland mitbringen, in einem kleinen Regal im Deutschkabinett zu lagern, damit die Hürde für die Schüler gesenkt wird, sich einfach mal ein Buch mitzunehmen. Um die Lesemotivation zusätzlich zu steigern, habe ich von Armin die Möglichkeit bekommen, dass die Schüler sich Bücher wünschen können, die wir kaufen und die sie dann umsonst ausleihen können. Das stieß erst nicht sonderlich auf Gegenliebe, weil sie, wie ein Schüler richtig feststellte, ja gar keine deutschen Bücher kennen. Doch als sie dann merkten, dass sie mir auch sagen können, sie hätten gerne ein Buch über Autos oder über griechische Sagen oder eine romantische Tragödie, kamen nach und nach mehr Wünsche, sogar von Schülern, von denen ich das nicht so erwartet hätte. Eine traumhafte Arbeit, sich stundenlang durch Bücherlisten und Angebote zu wühlen, um das richtige Buch zu finden! Das hat wirklich Spaß gemacht und wenn es die Schüler zum Lesen bringt, kann das nur der richtige Weg sein!

Ein weiteres Beispiel für große Motivation bei Schülern ist ein Mädchen aus der ersten Klasse (in Deutschland 10.Klasse). Sie lernt seit vielleicht vier Jahren Deutsch und hat vor kurzem einen Text geschrieben, freiwillig und ohne, dass wir sie dazu angestiftet hätten. Sie hat ihn mir zum Lesen gegeben und er war unfassbar gut. Es ging um das Thema „Teenager sein“, wie man sich in dieser Zeit fühlt, was es für Probleme gibt, usw. Natürlich machte sie ein paar kleine sprachliche Fehler, was will man erwarten im fünften Jahr Deutsch, mit einer Gruppe, mit der wir noch nie Texte schreiben geübt haben. Der Text war aber nicht einfach nur gut, er war sprachlich besonders. Ich fand es immer schon faszinierend, Bücher von Autoren zu lesen, die auf Deutsch schreiben, aber eine andere Muttersprache haben. Durch den auswärtigen Blick auf die Sprache entsteht eine neue Art von Poesie, entstehen ganz neue Metaphern, die nicht alle schon hunderte Mal verwendet wurden. Bestes Beispiel hierfür sind die Bücher von Rafik Schami (die ich allen nur wärmstens an Herz legen kann!), der vor 40 Jahren aus Syrien nach Deutschland kam und die meiner Meinung nach schönsten Romane schreibt. Man kann jetzt diesen kurzen Text nicht wirklich mit einem Roman vergleichen, aber man merkte, was da für ein Talent schlummert, weil die Schülerin nicht einfach nur sprachlich korrekt und vor allem auch außergewöhnlich komplex schreiben kann, sondern weil es auch noch schön und spannend zu lesen ist, weil sie ein Gefühl für Sprache zu haben scheint, egal ob es ihre Muttersprache oder einen Fremdsprache ist.

Normalerweise werden solche Schüler immer besonders gefördert. Es gibt einen ganzen Sack voll Programm von allen möglichen Kultur- und Bildungsinstitutionen aus Deutschland, die es Schüler_innen, die besonders begabt sind, ermöglicht, nach Deutschland zu kommen, eventuell eine Ausbildung zu machen oder zu studieren, oder einfach nur mal das Land zu besuchen. Bei uns geht das immer mit dem Schüleraustausch mit Freudenstadt los, dann gibt es für einen Schüler/eine Schülerin das Preisträgerprogramm der ZfA im Sommer, es gibt verschiedene Workshops, wir versuchen gerade eine Art Infrastruktur für Praktika an deutschen Firmen aufzubauen, das geht diesen Sommer mit erstmal zwei Drittklässlern (12.Klasse) los und soll auf jeden Fall weitergeführt, wenn möglich ausgebaut werden. Nach der Schule gibt es für die Jahrgangsbesten die Chance auf ein DAAD-Stipendium, mit dem man, in Deutschland studierend, finanziell unterstützt wird. Diese Bewerbung haben wir gerade mit zwei Schülern aus der vierten Klasse (13.Klasse) durchgeführt und hoffen auf positive Rückmeldungen.
Ich habe mir lange und oft Gedanken gemacht, was von diesen Stipendien zu halten ist. Es gibt immer wieder den absolut nicht unbegründeten Vorwurf, Deutschland würde sich die Besten der Besten abgreifen und vielen Ländern die qualifizierten Leute wegnehmen. Das stimmt auch, aber ich habe diese Meinung relativieren müssen. Ich habe meine beiden Bewerber kennengelernt und kenne aus vielen Erzählungen die wirtschaftliche Lage in Montenegro. Natürlich ist es schwierig, als Land auf die Beine zu kommen, wenn die Fachkräfte größtenteils abwandern, aber dafür müssten erstmal Voraussetzungen geschaffen werden, die es ermöglichen, auch ohne Beziehungen einen Job zu finden, der ansatzweise der Ausbildung entspricht. Das ist hier aber nicht der Fall und ich bin zu sehr Individualistin, als dass ich es für richtig halten könnte, diesen beiden speziellen Menschen auf Grund eines politischen Dogmas ihre beste Zukunftsperspektive zu versauen. Man kann und soll und muss weiterhin über eine gute und angemessen Kultur- und Bildungspolitik im Ausland diskutieren, aber ich kann meine politische Einstellung nicht über die Menschen stellen, die ich hier kennenlerne.

Es ist mal wieder mit mir durchgegangen, eigentlich wollte ich über meine schreibende Schülerin schreiben. Sie wäre also normalerweise die erste Kandidatin für alle diese Sachen, hat uns aber jetzt schon mitgeteilt, dass sie nächstes Jahr nicht mit nach Freudenstadt kommen wird, weil ihr Vater das nicht erlaubt. Ich habe schon des Öfteren festgestellt, dass ich mit einer speziellen Sache der montenegrinischen Gesellschaft schwer umgehen kann, und zwar mit der fehlenden Emanzipation der Kinder von ihren Eltern. Ich werde es nicht ändern können, es steht mir nicht mal zu, darüber zu urteilen, weil man das alles wieder relativieren und im Zusammenhang der Gegebenheit sehen muss, dass es fast unmöglich ist, einen Job zu finden, ohne die Beziehungen seiner Eltern, es ist für mich aber einfach schwer zu akzeptieren, wenn Kinder dadurch in ihrer Entwicklung und in ihrer Entfaltung behindert werden. Es tut im Herzen weh, zu sehen, dass so ein selbstbewusstes, kluges Mädchen so davon abhängig ist, was der Vater entscheidet. Ich kenne zu wenige Hintergründe, als dass ich es wirklich objektiv einwandfrei beurteilen könnte, aber auf der emotionalen Ebene macht mich das wütend. Aber trotzdem lässt sie sich davon nicht hemmen, lernt in ihrer Freizeit Fremdsprachen, schreibt weiter und wir versuchen sie jetzt in PASCH-Projekten wie der Online-Schülerzeitung unterzubringen, die sie von zu Hause machen kann, einfach um das Talent nicht ungenutzt und unbelohnt zu lassen.

Ein weiteres kleines Beispiel von freiwilliger Arbeit kommt aus der Grundschule. Ein Schüler, der nie, wirklich NIE, seine Hausaufgaben macht, kam heute zum ersten Mal seit langem mit Hausaufgaben in die Schule. Die Aufgabe war, eine Tabelle zu erstellen, mit vorgegebene Wörtern aus dem Bereich der Medien, und zwar auf Deutsch, Englisch und Albanisch/Montenegrinisch, um zu sehen, wo die Wörter herkommen und ob sie ähnlich sind. Kurt hatte letzte Stunde gewitzelt: „Ihr macht Deutsch, Englisch, Albanisch oder Montenegrinisch und Chinesisch.“ Alle lachen, Ende der Geschichte. Dachte ich, denn heute kam dieser Schüler und hatte eine feinsäuberliche Tabelle: Deutsch, Englisch, Albanisch und Chinesisch. Ich weiß nicht, ob er Chinesisch spricht oder ob er das extra gesucht hat, aber es war sehr faszinierend.

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Es sind aber auch immer wieder kleine Geschichten, die mich an meinen Schülern entzücken. In der 7. Klasse, von der ich sowieso der größte Fan bin, hat Kurt letzte Woche in einfachstem Deutsch erklärt, dass man die Fenster nicht aufmacht, wenn die Heizung an ist, damit man nicht so viel Energie verbraucht. Das Umweltbewusstsein ist bei den Schülern oft nicht sehr ausgeprägt, es haben auch nicht alle verstanden, warum der Herr Schlegel da jetzt so einen Aufstand macht, weil die Fenster offen sind. Aber heute kam einer der Schüler rein, sah, dass die Fenster offen sind, ging ohne den Ranzen abzulegen sofort zur Heizung, fasste sie kurz an, um zu sehen ob sie an ist, und schloss dann sofort die Fenster, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Ich kann gar nicht rational erklären, warum mich das so begeistert, vielleicht klingt das von außen betrachtet ziemlich unspektakulär, aber es war ein besonderer Moment, in dem man merkte, dass die Schüler doch noch etwas mehr aus dem Unterricht mitnehmen als nur das reine Fachwissen.

Ebenfalls außerordentlich entzückend sind die kreativen Worterklärungen meiner Schüler. Unser Unterricht ist komplett auf Deutsch, und wenn jemand ein Wort nicht versteht, dann sollen die anderen es möglichst auch auf Deutsch erklären. Das klappt natürlich nicht immer, es wird auch viel übersetzt, aber manchmal kommt es doch zu sehr lustigen Situationen. Wenn einer eine Wolke als Regenmaschine bezeichnet, ist das noch nachvollziehbar, aber die Erklärung für Blumenkohl war wirklich einmalig. Der Schüler war sich nicht ganz sicher, ob er wirklich weiß, was das ist und versicherte sich mit einer Nachfrage: „Blumenkohl, das ist doch Albino-Brokkoli, oder?“
Je länger ich darüber nachgedacht habe, desto toller fand ich den Gedankengang. Da muss man erstmal drauf kommen! Müsste ich das Wort neu lernen, ich würde es danach nie mehr vergessen!

Man sieht also, meine Schüler sind lustig, motiviert, klug und kreativ. Natürlich nicht alle und nicht immer, aber es gefällt mir immer wieder, die einzelnen Charaktere kennenzulernen und es macht mich auf eine gewisse Art und Weise stolz, dass ich ein winziger Teil ihrer Entwicklung sein darf. Ich freue mich jedes Mal festzustellen, dass sie nicht nur im Unterricht gute und kluge Sachen machen, sondern auch so einfach sympathische Leute sind.
Da ist ein Schüler, der in den Weihnachtsferien in New York war, große, weite Welt, für Ulcinj ein Riesending. Er hält ein Referat darüber und fragt am Ende, was wir denn glauben, wie sein Eindruck war. Alle glauben, dass er es ganz toll fand, er hat ja auch vorher viel erzählt, von Sehenswürdigkeiten und Starbucks, von amerikanischen Hochzeiten und McDonalds, aber er sagte nur: „Mein Eindruck war nicht so toll, die Leute sind viel kälter dort, sie müssen so viel arbeiten und haben nie Zeit, das Leben zu genießen. Ein Freund wollte mich eigentlich sehen als ich dort war, aber er hatte dann keine Zeit, weil er arbeiten musste. Das war enttäuschend.“ Das muss man sich mal vorstellen, da fliegt so ein junger Mensch aus einer bescheidenen Welt nach Amerika, in das Paradies für Überfluss und Konsum, aber fühlt sich dort nicht wohl und kehrt gerne in seine kleine Welt zurück. Diese Größe muss man mit 16 Jahren erstmal haben.

Auch weil ich oft Freude daran finden kann, schwierige Schüler zu beobachten und vielleicht zu erkennen, mit welchem Thema, mit welcher Arbeitsweise man sie aus ihrem Panzer locken kann, tendiere ich im Moment wieder dazu, Lehrerin zu werden. Ich werde immer öfter und in immer kürzeren Abständen von allen möglichen Leute gefragt, ob ich mich dann jetzt schon entschieden hätte und was und wie und warum und so weiter…
Nein, ich habe mich noch nicht entscheiden!

Ein bisschen Zeit ist ja auch noch. Jetzt bringe ich erstmal den Schüleraustausch hinter mich, der zwar bestimmt spaßig, aber sicherlich auch anstrengend wird und dessen Vorbereitung mich schon einige Nerven gekostet hat, wenn ein Schüler zwei Wochen vorher feststellt, dass er ja gar keinen Reisepass besitzt, dann lerne ich weiter Montenegrinisch, die Sprache, die ich eigentlich wirklich gern mag, die mich aber manchmal doch zur Verzweiflung treibt, wenn ich z.B. erfahre, dass es ein Wort für Onkel mütterlicherseits und eins für Onkel väterlicherseits gibt, weil das ja zwei grundverschiedene Dinge zu sein scheinen, und wenn ich dann damit fertig bin, dann weiß ich vielleicht auch endlich, ob der Lehrerberuf das Richtige für mich ist.

„Können wir danach wieder Justin Bieber hören?“

„Können wir danach wieder Justin Bieber hören?“

Nachdem ich mehrere Monate fast wöchentlich einen Blogeintrag verfasst habe, bekam ich während der Weihnachtsferien beinahe Entzugserscheinungen, sodass ich alle möglichen Geschehnisse oder Zitate auf ihre Eignung als Titel meines Blogs über meine Weihnachtsferien testete. Nach langem Abwägen hat das obige Zitat sich doch sehr deutlich durchgesetzt. Ich muss ganz am Anfang beginnen, möchte nur an dieser Stelle schon mal zu Protokoll geben, dass dieser Ausspruch ganz sicher nicht von mir stammt! 😀

Mein letzter Beitrag liegt schon über einen Monat zurück und kündigte meinen Besuch in Deutschland an. Viel zu früh (5.00 Uhr) machte ich mich mit dem Bus auf den Weg zum Flughafen. Am Flughafen musste ich noch lange warten, was mich einerseits wegen meiner Flugangst, andererseits wegen meiner freudigen Erwartung immer hippeliger werden ließ. Irgendwann war es aber dann so weit und wir verließen montenegrinischen Boden gen Heimat. Das ist nämlich trotz allen Einlebens und Wohlfühlens immer noch der Ort, wo meine Familie und ein Großteil meiner Freunde leben. Es ist einfach eine Definition, die ich für mich gefunden habe, die Montenegro nicht abwertet, sondern nur den Stellenwert zu verdeutlichen versucht, den meine Heimatstadt Frankenthal und die Pfalz für mich haben. Ich wurde in Frankfurt von meiner besten Freundin abgeholt (Danke nochmal! 🙂 ) und wir düsten so schnell es ging nach Hause. Ich feierte Wiedersehen mit meiner Familie und in den folgenden Tagen auch mit vielen meiner Freunde.

Ich will nicht detailliert über die einzelnen Ereignisse berichten, allgemein kann ich aber sagen, dass die Zeit zu Hause ereignisreich, manchmal turbulent, unerwartet stressig, alles in allem aber sehr schön war. Ich war überrascht bis schockiert, was sich in meiner Abwesenheit verändert hatte. Man ist zwar oft via Internet mit der Heimat in Verbindung, bekommt aber doch nicht alles mit. Auch wenn nicht alles immer nach Plan verlief, überwogen aber doch die schönen Erlebnisse, wie zum Beispiel, dass mich einige Leute aus meinem Orchester an der Weihnachtsfeier nur mit einem schlichten „Hallo Jana“ begrüßten, weil es für sie, wie sie mir hinterher berichteten, irgendwie ganz selbstverständlich war, dass ich da war. Im Verlauf der Feier blickte mich immer mal wieder jemand plötzlich ganz erstaunt an und fragte mich, was ich denn eigentlich hier machen würde… Schön, dass ich immer noch dazugehöre 🙂

Nach Weihnachten war es aber dann doch mal Zeit, mir über meine Rückkehr Gedanken zu machen. Seit Sarah, die Freiwillige aus Tirana, mich vor dem Zwischenseminar besucht hatte, war eigentlich klar, dass es einen Gegenbesuch geben soll. Kompliziert wurde das Ganze nur, weil Sarah leider nur ein halbes Jahr in Tirana ist, also war jetzt die letzte Gelegenheit. Da ich mir aber sicher war, dass ich mit dem Bus fahren will, plante ich bei Christina, der Freiwilligen in Sarajevo, einen Zwischenstopp ein. Eine dreifach gute Sache: Ich hatte keine sooooo lange Busfahrt vor mir (NUR 23h…), ich traf Christina wieder und bekam eine Stadt gezeigt, die sowieso auf meiner Liste stand. Ich machte mich also am 9. Januar auf die Rückreise.

Die ersten Schwierigkeiten hatte ich in Mannheim am Busbahnhof. Wo fährt welcher Bus ab? Warum zeigt die Anzeigetafel nur bereits abgefahrene Busse? Warum fahren zeitgleich vier Busse nach Bosnien? Woher soll ich wissen, welcher der Richtige ist? Warum sprechen die Busfahrer nur Bosnisch? Nach langem Hin und Her saß ich dann aber doch im richtigen Bus. Los ging die wilde Fahrt. Anfangs war es ganz nett. Der Bus hatte WLAN, war nicht zu voll, ich hatte Kekse und die Mitreisenden schnarchten nicht. Es war zwar ein bisschen unkomfortabel, aber bis zu dieser einen Raststätte irgendwo an der österreichisch-slowenischen Grenze nachts um 12 ging es mir eigentlich ganz gut. Doch dann hatte ich, frierend und essend an dieser Raststätte, plötzlich eine Eingebung. Leider fiel mir nicht der Plan für die Weltrettung ein, ich wusste nicht plötzlich wie ich die Quadratur des Kreises beweisen kann oder wie man Schokolade herstellt, die nicht dick macht, nein, es war ein Wort, das sich erst langsam, dann immer schneller durch meine Synapsen quälte, bis es in meinem Bewusstsein ankam: „SCHLÜSSEL“.
Ich hatte meinen Wohnungsschlüssel zu Hause vergessen. Meine deutschen Kollegen weilten noch in Deutschland, meine Vermieter konnte ich nicht erreichen. Was tun? Früher oder später würde ich den Schlüssel brauchen. Die Antwort war nach einigen mittelschweren Panikattacken relativ schnell gefunden. Sie hieß: „Balkan.“ Ich hatte in vorangegangen Berichten schon mal erwähnt, dass die Post hier nicht so wirklich existent ist, und wenn ja, dann unzuverlässig und vor allem LANGSAAAAAAM!!! Bestes Beispiel ist eine Postkarte, die Sarah mir am 8. Dezember aus Tirana geschrieben hatte, und die ankam, nachdem ich aus Tirana zurückgekehrt war, also am 19. Januar. Post war also keine Alternative. Da die Menschen hier dieses Problem ja kennen und trotzdem ab und an etwas verschicken müssen, haben sie sich im Laufe der Zeit eigene Lösungsansätze entwickelt. Wenn etwas wirklich wichtig ist, wichtig und eilig, dann gibt man es einem Busfahrer mit. Ein Glück, dass jeden Tag ein Bus von Mannheim nach Sarajevo fährt, sodass ich meine Mutter mit dem Schlüssel und ein paar Euro nach Mannheim schicken konnte, wo sie ihn einem nur Bosnisch sprechenden Busfahrer übergab, der ihr eine Nummer gab, die ich am nächsten Morgen anrufen sollte, um, selbstverständlich auf Bosnisch, zu erfahren, wann der Bus genau in Sarajevo ankommen würde. Als Kundin der Deutschen Bahn ist man relativ selten mit diesem Problem konfrontiert, aber auf dem Balkan kommen Busse manchmal früher an, als es im Fahrplan steht. Ich kam also sonntags relativ heil in Sarajevo an, wurde von Christina und ihrem Freund am Busbahnhof abgeholt und schlief dann erstmal 2 Stunden, da ich in der Nacht dann doch nicht mehr so viel Schlaf gefunden hatte.
Am nächsten Morgen riefen wir mit unseren kümmerlichen Bosnisch-/Montenegrinischkenntnissen den Busfahrer an, der uns schon im zweiten Anlauf verstand und uns die Ankunftszeit nannte. Wir gingen hin und Gott sei Dank war der Schlüssel an Bord. Ab jetzt konnte ich die Zeit genießen.
Wir besichtigten ein bisschen die Stadt, unter anderem die Moschee, in der ich feststellte, dass ich über meinen Atheismus sehr froh bin, fing ich doch schon nach ein paar Sekunden unter meinem Kopftuch so dermaßen an zu schwitzen, dass ich froh war, als mir wieder der eisige Wind um die Ohren wehte.

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Wir gingen ins Museum der örtlichen Brauerei und anschließend in den dazugehörigen Pub, der den wohl stylischsten Bartisch der Welt beherbergte,

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und tranken Kaffee in einem Schaufenster, durch das man vorzüglich Leute beobachten konnte! Abends trafen wir uns mit Freuden von Christina in einer Bar, die in einem alten Kino betrieben wird. Dort lernte ich einen Haufen Leute aus Sarajevo, aber auch aus vielen anderen Ländern kennen, die aus verschiedenen Gründen gerade in Sarajevo leben. Besonders interessant war die Unterhaltung mit Šejla, einer Bosniakin, die mir viel über bosnische Politik und Mentalität erzählen konnte. Völlig verräuchert kehrten wir zu Christina zurück, wo wir über Nacht erstmal unsere Jacken lüften mussten. Man muss sich erst daran gewöhnen, dass Rauchen auf dem Balkan in Bars und Restaurants erlaubt ist. Mein Passivrauchpegel ist hier so hoch wie sonst nur im Fußballstadion.

Am nächsten Tag erklommen wir die Festung, von der man einen wundervollen Blick über die gesamte Stadt hatte. Da ich mit meinem sonnigen Gemüt den Smog direkt bei meiner Ankunft vertrieben hatte ( 😉 ), konnten wir einen schönen Sonnenuntergang genießen und Seifenblasen über die Stadt schweben lassen.

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Am Mittwoch wollten Christina und ich uns morgens mit dem Bus in Richtung Podgorica aufmachen, um nach einem kurzen Zwischenstopp bei mir weiter nach Tirana zu fahren. Der Plan war eigentlich sehr gut, wir waren nur leider am falschen Busbahnhof. Ich wusste nicht, dass es zwei Busbahnhöfe gibt und so mussten wir eine völlig überteuerte Taxifahrt auf uns nehmen, um noch rechtzeitig den Bus zu erwischen. Das klappt gerade noch so und obwohl wir danach 20 Mark ärmer waren, waren wir froh, im richtigen Bus zu sitzen. Und die Fahrt lohnt sich wirklich. Nachdem wir die Grenze zwischen Bosnien und Montenegro hinter uns gelassen hatten, wurde die Landschaft (mal wieder) richtig spektakulär. Leider konnten wir nur aus dem fahrenden Bus durch schmutzige Scheiben ein paar Fotos schießen, sie geben nicht annähernd die Schönheit der Tara-Schlucht wieder.

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Die Tara-Schlucht ist nach dem Grand Canyon mit 1300m Tiefe die zweittiefste Schlucht der Welt und wir haben nur den unteren, wohl weniger spektakulären Teil gesehen. Die montenegrinische Landschaft kann mich immer wieder beeindrucken und begeistern, weil man immer etwas noch Schöneres entdecken kann als das, was man schon kennt.

Nachdem wir dann in Podgorica in den Bus nach Ulcinj umgestiegen waren, kamen wir abends schon etwas erschöpft in meiner Stadt an. Jetzt hieß es allerdings noch Bergsteigen und das mit einem unmenschlich schweren Rucksack, in dem sich immerhin mein Saxophon, das ich dann doch nicht noch ein halbes Jahr missen wollte, und noch eine Menge anderer Kram befand. Nachdem ich wider Erwarten doch nicht rückwärts den Berg runtergekullert war, konnte ich mit MEINEM SCHLÜSSEL die Wohnung aufschließen!
Ich zeigte Christina am nächsten Tag meine Stadt, den leider total vermüllten Strand und alles, was es sonst so zu sehen gibt, bevor wir es uns abends in meiner leider ungeheizten und damit etwas ungemütlichen Wohnung bequem machten und dem Regen zuhörten. Am nächsten Tag wollten wir uns mit dem Bus auf den Weg nach Tirana machen. Vorher wurden meine eigentlich nicht existenten Kochkünste dann nochmal endgültig überstrapaziert, was beinahe die Zerstörung meiner Bratpfanne zur Folge hatte und mich zu der Erkenntnis gelangen ließ, dass Teflon die großartigste Erfindung der Menschheit ist, weil man dann seinen Schafskäse auch essen kann und ihn nicht nur als angebrannte Schutzschicht benutzt, damit die anderen Sachen nicht auch noch in der Pfanne festkleben.
Naja, wie auch immer, wir machten uns also auf den Weg zur Busstation. Dort angekommen, überraschte uns die Frau am Schalter erstmal mit der Ankündigung, heute gäbe es keinen Bus nach Tirana. Wir blickten uns ratlos an, dann erlöste sie uns aber auch gleich und meinte wir könnten nach Shkodra fahren und dort umsteigen. In Albanien ist das so eine Sache, es gibt keine zentralen Busstationen wie in Montenegro, die Busse fahren einfach irgendwo los. Wir waren voller Sorge, doch da dieser kleine Kamerad dringend jemanden zum Spielen brauchte, konnten wir uns keine Gedanken machen.

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Interessanterweise wollte an diesem regnerischen Abend keine andere Menschenseele von Ulcinj nach Albanien, sodass wir ganz alleine im Bus saßen.

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Hatte auch Vorteile, die Grenzkontrolle verlief ausnehmend angenehm und der Busfahrer fuhr uns in Shkodra direkt zu einem Kleinbus, der weiter nach Tirana fahren sollte. Das klappte ganz vorzüglich, sodass wir nach einem wilden Ritt über die zum Teil katastrophalen Straßen Albaniens einigermaßen heil in Triana ankamen. Sarah hatte uns vorher versichert, sie würde wissen, wo die Kleinbusse immer ankommen, aber als wir ausstiegen, war da keine Sarah. Wir sahen wohl etwas verloren aus, also fragte uns der Busfahrer direkt, wo wir denn jetzt hinwollen würden. Er erklärte uns den Weg und so fanden wir Sarah doch recht schnell, weil natürlich ausgerechnet wir nicht an der üblichen Haltestelle ankamen.

Bei Sarahs Wohnung angekommen, führten wir sie erstmal in unseren schon einige Tage anhaltenden Ohrwurm ein: „Nur nicht aus Liebe weinen, es gibt auf Erden, nicht nur den einen. Es gibt so viele auf dieser Welt, ich liebe jeden, der mir gefällt!“ Sie stieg freudig mit ein und so sollten uns dieses und viele andere Lieder die folgenden Tage zuverlässig begleiten. Leider entdeckten meine beiden Reisegefährtinnen auch ihre Leidenschaft für einen gewissen kanadischen Jungpopstar, womit wir bei der Erklärung meiner Überschrift angelangt wären. Wir spielten uns gegenseitig unsere favorisierte klassische Musik vor, von Tschaikowsky über Vivaldi bis zu Smetana. Irgendwann hatte Christina wohl genug, weshalb sie sich wohl zu diesem erschreckenden Ausspruch genötigt sah. Zu ihrer Verteidigung muss ich sagen, dass ihr Musikgeschmack bis auf diesem Ausrutscher exzellent ist, auch das, was sie musikalisch selbst so von sich gibt, klingt immer mehr nach einer akustischen Umarmung als nach einfachem Gesang. Man traut sich als Normalsterblicher gar nicht mitzusingen, weil das ist, als würde man der Mona Lisa einen Schnurrbart malen. In perfekten Kunstwerken pfuscht man einfach nicht herum. Seit ich sie jedoch Justin Bieber singen gehört habe, habe ich weniger Hemmungen 😀 Nur in dem kurzen Moment, in dem sie mit „Atemlos“ den Gipfel der Entsetzlichkeit erreicht hatte, wünschte auch ich mir kurzzeitig Justin Bieber zurück. Aber auf Grund einer Unvorsichtigkeit kenne ich jetzt Christinas wunden Punkt und sollte sie mich jemals wieder mit „Sooooorryyyhihhyy“ oder ähnlichem traktieren, werde ich mit voller Härte und Herbert Grönemeyer zurückschlagen! Sei gewarnt! 😀

Sarah führte uns in Tirana ein bisschen herum, zeigte uns die wichtigsten Sehenswürdigkeiten und die schönsten Cafés. Wir schauten Star Wars mit albanischem Untertitel, fuhren mit der Gondel auf den verschneiten Hausberg Dajti und zerstörten beim Versuch, Schokofondue zu machen, beinahe Sarahs Wohnung. Es waren sehr schöne und vor allem sehr lustige Tage, von einer genaueren Beschreibung möchte ich allerdings aus Gründen der Privatsphäre Abstand nehmen 😀

Weil Sarah leider nicht mit so einem ausgedehnten Winterurlaub gesegnet ist wie Christina und ich, mussten wir die Rückfahrt am Dienstag selbst bewältigen. An der Stelle, die Sarah uns gezeigt hatte, waren leider keine Busse zu sehen. Wir standen ein bisschen rum wie bestellt und nicht abgeholt, bis uns ein freundlicher Herr erklärte, dass die Busse zwischenzeitlich woanders halten. So fanden wir doch noch einen fahrbaren Untersatz nach Shkodra. Im Bus trafen wir einen lustigen Mann, der uns, als er hörte woher wir kamen, fragte, ob wir denn Angela mit Vornamen hießen, wir kämen ja schließlich aus Deutschland. Dann zeigte er uns noch Fotos mit seiner Nichte im Disneyland, gab uns umfassende Infos über die wirtschaftliche Lage in Albanien und stieg dann aus, nicht ohne uns noch Urlaubtipps in Südalbanien zu geben.

In Shkodra angekommen gurkten wir ein bisschen durch die Stadt, versuchten unsere letzten Lek unter die Leute zu bringen und suchten dann einen Bus nach Ulcinj. Das gestaltete sich allerdings ein bisschen schwieriger als gedacht. Laut eines Taxifahrers fährt nämlich ein Bus am Tag nach Ulcinj, aber von der Festung außerhalb der Stadt. Also liefen wir dort hin und machten es uns in der Sonne bequem. Christina sprach ein paar etwas zwielichtige Gestalten an, ob sie denn wüssten, ob und wann ein Bus nach Ulcinj fahren würde. Leider sprachen sie nur Albanisch, boten uns aber an, uns für 15€ nach Ulcinj zu fahren. Das war uns zu viel, also setzten wir uns wieder. Dann kam der Mann nochmal, zeigte uns 10€ und wir waren, begeistert über unser Verhandlungsgeschick (hüstel, hüstel…), einverstanden. Und so fuhren wir, günstiger und schneller als es mit einem Bus jemals gegangen wäre, die relativ kurze Strecke über die Grenze nach Ulcinj.

Auf dem Weg zu meiner Wohnung liefen wir in die Armen eines etwas seltsamen, aber doch liebenswürdigen Zeitgenossen, der uns auf der Straße anquatschte, uns zum Tee einlud und eigentlich hauptsächlich über Handball sprach. Als er uns dann doch mal zu Wort kommen ließ, erzählte ich, dass Fußball „much bigger“ in Deutschland ist. Oh Wunder, auch damit kannte er sich aus, erkundigte sich nach meinem Lieblingsklub, rief den Bruder eines Ex-FCK-Spielers aus Montenegro an, um mir ein Trikot zu besorgen, was aber leider nicht direkt klappte. Dann redete er wieder viel, fragte uns, ob wir Martin Luther oder Adolf Hitler lieber mögen (???), zahlte unseren Tee und entließ uns dann wohlwollend in Richtung zu Hause.

Dort angekommen kuschelten wir uns wieder in unsere Betten, da es leider nicht wärmer geworden war. Nach einem kurzen Nachmittagsschläfchen wachte ich allerdings mit den schlimmsten Halsschmerzen auf, an die ich mich erinnern kann. Unseren eigentlich geplanten Ausflug nach Kotor am nächsten Tag konnte ich vergessen. Nachdem mich auch noch die ganze Nacht der Schüttelfrost geplagt hatte und ich somit morgens um 6 ein wenig unausgeschlafen war, fuhr Christina alleine. Netterweise spielte sie am Abend dann noch meine Krankenschwester, kaufte für mich ein, kochte mir Tee und bemitleidete mich ausführlich. Ein Jammer, dass sie am nächsten Morgen nach Belgrad weiterfuhr. Denn wenn man krank ist, aber keiner da ist, der sich dein Gejammer anhört, fängt man an sich selbst zu bemitleiden. „Ich wäre jetzt gern zu Hause, wo meine Mama mir Tee bringt, mir meinen Apfel in dünne Scheiben scheidet und mir in tiefstem Mitleid die kühle Hand auf die Fieberstirn legt.“
Tja, da kann man leider nichts machen, jetzt liege ich noch ein bisschen schniefend und hustend auf dem Sofa, ernähre mich von Tee und Hustenbonbons und freue mich auf das halbe Jahr, dass mir hier noch bleibt.

Ich freue mich auch tatsächlich wieder auf die Schule, auf neue Herausforderungen, auf den Austausch im Februar, auf eventuelle weitere Reisen in der Region (als wären vier verschiedene Währungen im Geldbeutel noch nicht genug), auf hoffentlich viele Besucher, kurz, einfach auf eine geile Zeit!

I’m flying home for christmas…

Ja, tatsächlich, es sind nur noch drei Tage, dann ist Freitag und ich mache mich in aller Herrgottsfrühe auf den Weg zum Flughafen, um zum ersten Mal seit September meine Familie und meine Freunde wiederzusehen. Es ist immer noch ein total surreales Gefühl, dass ich schon so bald in Frankfurt aus dem Flugzeug steigen werde, meine allerbeste beste Freundin der Welt, die mich extra abholt, in die Arme schließen darf und dann nach Hause fahren werde. Meine geliebte Linsensuppe, die ich so vermisst habe, ist bestellt und wird fix und fertig auf dem Tisch stehen und ich schaffe es sogar noch pünktlich zu meiner alljährlichen Weihnachtstradition, jeden Freitag vor Weihnachten „Der kleine Lord“ im Fernsehen anzuschauen. Am Sonntag kann ich zur Weihnachtsfeier meines Musikvereins gehen und darf das erste Mal seit viel zu langer Zeit wieder in mein Saxophon pusten.

Die Vorfreude ist groß, wie ihr vielleicht gemerkt habt, und während ich hier sitze und die Zeit plötzlich viel zu langsam vergeht, habe ich ein bisschen Raum, um zurückzublicken, auf das, was so passiert ist. Ich habe mich fast ohne Schwierigkeiten in einem fremden Land eingelebt, angefangen, die Sprache zu lernen, Unterrichtsstunden gehalten und mich in meine Stadt verliebt. Ich habe gelernt, selbstständig zu leben und den Alltag zu organisieren. Ich bin ein bisschen im Land rumgekommen und habe zumindest versucht, die Menschen hier kennenzulernen. Ich habe kurze Abstecher nach Albanien und Serbien gemacht, mich an Grenzkontrollen gewöhnt und festgestellt, dass ich noch nirgendwo so zuverlässig Bus und Bahn gefahren bin wie auf dem Balkan. Ich habe viele Vorurteile verloren und ich trauere ihnen nicht nach. Ich habe von meinen Schülern Toleranz gelernt und Zuversicht und Zufriedenheit. Alles in allem ist also ganz schön viel passiert.

Die letzten Tage waren sehr ereignis- und auch arbeitsreich. Zur mündlichen DSD-Prüfung fuhr ich mit meinem Mentor in den Norden Montenegros, nach Berane. Wir fuhren hier bei 15°C los und kamen in Berane bei 0°C an. Warum bin ich nochmal mitgefahren? Von der Stadt kann man jetzt nicht wirklich sagen, dass sie sehenswert ist, zumindest das, was ich durch den dichten Nebel erkennen konnte. „Der Weg ist das Ziel“ hat wohl noch nie so gut gepasst wie für diese Autofahrt. Die Straße führte uns durch tiefe Schluchten und hohe Berge, durch verschneite Wälder und über wilde Flüsse und Bäche. Diese Landschaft ist eigentlich das Unglaublichste, was ich je gesehen habe. Dieses winzige Land Montenegro bietet auf so wenig Fläche eine wunderschöne Küste, eine breite Ebene um die Hauptstadt Podgorica herum und hohe Berge mit ungezähmten Landstrichen. Da ist für jeden was dabei und es ist nicht verwunderlich, dass Montenegro schon seit Längerem zu den Top-5 der am schnellsten wachsenden Länder in der Tourismusbranche gehört. Die Menschen lassen sich das Erlebnis, dieses Land bestaunen zu dürfen, eben nicht mehr durch haltlose Vorurteile, hier wäre ja überall Krieg, verderben. Denn Krieg ist auf dem ganzen Balkan nicht mehr, und in Montenegro gab es ihn auch nie. Als die ganze Region sich gegenseitig in Schutt und Asche legte, fanden auf montenegrinischem Boden nie Kampfhandlungen statt. Da das Land ja trotzdem ein Teil Jugoslawiens war und die Armee somit Teil der von Serbien geführten jugoslawischen Volksarmee, nahmen auch montenegrinische Soldaten am Krieg teil, das kroatische Dubrovnik wurde z.B. von Montenegro aus beschossen. Aber die Zivilbevölkerung lebte weiter nebeneinander her und die Montenegriner scheinen eine ganz eigene Erklärung für dieses Phänomen zu haben.

Innerhalb der Balkan-Region gelten die Montenegriner als faul und ich habe es immer wieder erlebt, dass sie selbst mit diesem Vorurteil spielen. Ich bekomme zu wenig vom Alltagsleben mit, als dass ich das wirklich objektiv beurteilen könnte, aber ich denke, dass sie nicht mehr arbeiten als nötig. Die meisten Menschen hier, insbesondere die Frauen zu Hause, arbeiten unglaublich hart, weil es nötig ist, aber eben immer nur so viel wie man muss. Meiner Meinung nach ein äußerst sympathischer Wesenszug! Wenn man jetzt also die Montenegriner nach dem Grund für den ethnischen Frieden in weiten Teilen des Landes befragt, bekommt man nicht selten die Antwort, die Montenegriner seien eben zu faul für Hass. Klar, da muss man sich ja erst mal einen Grund aus den Fingern saugen, warum man den anderen nicht leiden kann, dann muss man den Hass am Leben halten und dann müsste man ja auch noch danach handeln. Viel zu anstrengend! Da sitzt man doch lieber mit dem Feind zusammen, raucht und trinkt Kaffee und schimpft über die Regierung und die schlechten Zeiten.

Ich bin froh, heute mit einem Augenzwinkern über diese Dinge schreiben zu können. Ich weiß natürlich um die Spannungen, die es in der ganzen Region und auch in Montenegro immer noch gibt, ich weiß um die Probleme der Bevölkerung mit den Politikern, weil sie eigentlich nur zwischen korrupten, in mafiöse Strukturen verflochtenen Altkadern und radikalen serbischen Nationalisten wählen kann. Aber trotzdem kann ich hier leben und eine tolle Zeit verbringen, ohne dass ich mir um mich persönlich große Sorgen machen muss.

Und trotzdem freue ich mich auf zu Hause, denn da ist es ja bekanntlich am schönsten…

An den verbleibenden Tagen werde ich mich, wie auch schon die gesamte letzte Woche, nochmal intensiv mit Noten eintragen und Tests korrigieren auseinandersetzen. Es ist jedes Mal eine mühsame Arbeit, die Noten sowohl ins Klassenbuch als auch online einzutragen. Besonders lustig wird es, wenn danach Schüler kommen und noch über die Noten diskutieren wollen. Dann muss ich alles nochmal ändern und ärgere mich die ganze Zeit, weil ich weiß, dass das in ca. drei Monaten wieder auf mich zukommt. Wenn dann auch noch ein Klassenlehrer kommt und uns sagt, wir sollen die Noten doch bitte eindeutig geben, also nicht schriftlich eine 3 und mündlich eine 4, damit man nicht zwischen zwei Noten steht, dann ist es mit meinem Verständnis ganz vorbei und ich schimpfe auf das montenegrinische Schulsystem.

Doch ich habe mittlerweile gelernt, das alles mit stoischer Gleichgültigkeit zu ertragen, weil ich ja weiß, dass ich bald Urlaub habe und ein bisschen Abstand gewinnen kann. Bis auf die paar Schüler, mit denen ich wegen Stipendien oder Ausbildungsplätzen in Kontakt stehe, habe ich dann mal zwei Wochen meine Ruhe und kann alle Verwandten und alle Freude abarbeiten und mein seit dem Zwischenseminar schon wieder sehr geleertes Kuschelkonto auffüllen. Also liebe Freunde in Deutschland, macht euch auf groß angelegte Umarmungsattacken meinerseits gefasst!

Bis demnächst 🙂

Eine Woche Lach- und Sachgeschichten mit der besten Balkan-Truppe!

Eine Woche Lach- und Sachgeschichten mit der besten Balkan-Truppe!

Es war soweit, das Zwischenseminar, mal gefürchtete, mal herbeigesehnte Markierung auf meiner einjährigen Wegstrecke, stand an. Ich wusste nicht so recht, was mich erwartete. Die Infos im Vorfeld waren ziemlich dünn und ich war mehr damit beschäftigt, panisch die Anreise zu planen, als mich damit zu beschäftigen, wo ich eigentlich hinreise. Ich war von Kopf bis Fuß auf Chaos eingestellt!

Und das ging auch schon bald los: Damit ich mich auf der langen Fahrt nicht so einsam fühle, bestellte ich mir moralische Unterstützung aus Tirana. Meine liebe Kollegin Sarah wollte am Samstag anreisen, eine Nacht hier schlafen und dann gemeinsam mit mir den Bus Richtung Serbien besteigen. Der Plan war ausgefeilt, ich kannte die genaue Ankunftszeit, versicherte mich mehrmals ob das auch stimmte und stand pünktlich um 12 in Ulcinj am Busbahnhof, um sie abzuholen. Doch ich durfte feststellen, dass die Ankunftszeit recht wenig nützt, wenn man den Ankunftsort nicht kennt. Der Busfahrer war nämlich ein ziemlicher Depp, er setzte Sarah an irgendeiner Tankstelle ab… Nach viel Verwirrung, viel Hin- und Hergelaufe und teuren Handytelefonaten, fanden wir uns und traten den Heimweg an. Wir schafften es gerade noch, ein festliches Mahl zu zaubern, bevor es den nächsten obligatorischen Stromausfall gab. Voller Tatendrang gingen wir ins Bett.

Am nächsten Tag fuhren wir gegen Mittag mit dem Bus nach Podgorica. Wir waren mit Dragana verabredet, einer Französisch-Lehrerin aus Podgorica, die ich beim Video-Workshop kennengelernt habe. Sie zeigte uns ein bisschen die Stadt, wir besuchten erst eine winzige Kirche aus dem 13. Jahrhundert, bevor wir, um den Kontrast zu erhöhen, einen modernen orthodoxen Tempel aufsuchten, der uns mit seinen bunt bemalten Wänden und Kuppeln auf der Grundfarbe Gold fast erschlagen hat.

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Dann gingen wir in eine Bar namens „Munchen“. Sie sollte nach der berühmten Landeshauptstadt mit dem unsympathischen roten Fußballclub benannt sein, aber für Ü-Punkte war wohl kein Geld mehr da. Das Innere der Bar überraschte mich allerdings. Ich fand eine moderne, aber trotzdem gemütliche Kneipe vor, die einzigen typischen Deutschland-Klischees, die dargestellt wurden, waren die Lederhosenschürzen der Kellner und die Bierdeckel mit deutschen Biermarken. Weil es aber sehr laut war zog es uns schnell weiter. Wir schauten uns noch einige Sachen an, ich stellte überrascht fest, dass das serbische Wort für Esskastanien exakt das pfälzische ist und ich polierte mein Französisch ordentlich auf. Nach dem Abendessen setzten Sarah und ich uns erwartungsfroh in den Bus Richtung Belgrad.

Doch leider gibt es in Montenegro nicht nur nette Menschen. Die Herrschaften vor uns stellten die Sitze trotz Beschwerden unsererseits so weit zurück, dass ich mir das erste Mal wünschte, vom Busfahren wirklich kotzen zu müssen, ich hätte der Frau nämlich direkt ins Gesicht gespuckt. Zehn Stunden saßen wir eingequetscht in einem vollen, überheizten Bus, das Highlight war die Pause nachts um 3 an einer Tankstelle irgendwo in Serbien, weil wir mal aussteigen konnten, sodass das Blut wieder in unsere Füße kam. Da es dem Mann hinter mir nicht zuzumuten war, seine Gitarre im Gepäckfach unterzubringen, konnte ich auch nicht nach hinten ausweichen, sodass wir eingerostet und vollkommen übermüdet um 7 Uhr morgens in Belgrad ankamen.
Wir gingen erstmal Geld wechseln, dann Kaffee trinken und dann spazieren, bis wir um 9 Uhr auf die Freiwilligen aus Slowenien treffen sollten, die die Nacht in Belgrad verbracht hatten. Nachdem wir uns verlaufen hatten und mit Mühe den Busbahnhof wiedergefunden hatten, frühstückten wir und stiegen dann in einen Bus nach Sremski Karlovci, wo unser Seminar stattfinden sollte. Durch eine Mischung aus Übermüdung und elendem Geschaukel im Bus wurde mir erneut so schlecht, dass ich die aus dem Flugzeug geklaute Kotztüte schon griffbereit hatte. Ich überstand alles ganz gut, doch als wir mittags im Eco-Centar ankamen, wollte ich am liebsten nur noch schlafen.
Das durfte ich aber erst nach dem Abendessen, denn vorher stand ausgiebige Wiedersehensfreude mit den anderen Freiwilligen auf dem Programm. Einige kannte ich schon vom Vorbereitungsseminar, andere lernte ich jetzt kennen. Auch unsere wunderbaren Teamer, Amelie und Nenad, standen bereit, begrüßten uns und stellten den Plan vor. Klang sehr vielversprechend, aber ich konnte mich eigentlich auf nichts konzentrieren. Ich war dankbar als der Tag vorbei war, ging um 8 Uhr ins Bett und schlief durch bis zum nächsten Morgen.

Die nächsten Tage waren vollgepackt mit Highlights. Wir beschäftigten uns zunächst mit einem Rückblick auf unsere Tätigkeiten in der Einsatzstelle, was wir bis jetzt so gemacht haben, was es vielleicht für Probleme gab. Auch für uns selbst schauten wir zurück. Sind wir zufrieden mit dem bisherigen Verlauf unseres FSJs, was läuft gut und was nicht und wie geht es mir eigentlich wirklich? Diesen ausgedehnten Raum zur Selbstreflexion fand ich schon auf dem Vorbereitungsseminar so angenehm, weil man ohne Druck ehrlich zu sich sein kann. Am Dienstagabend gab es z.B. noch die Möglichkeit, alle möglichen heiklen Themen in geschlechtergetrennten Gruppen zu besprechen.

Am Mittwoch setzten wir uns kritisch mit unserem Freiwilligenprogramm Kulturweit auseinander. An dem immer wieder aufkommenden Vorwurf des Kulturimperialismus ist eben doch mehr dran, als ich mir zunächst eingestehen wollte. Deutschland hat das Geld und auch die strukturelle Macht, seine Sprache, seine Kultur und seine Werte z.B. über die Goethe-Institute oder den Auslandsschuldienst zu verbreiten. Als Freiwillige ist man zwangsläufig Teil dieses Systems. Doch die oft gezogene Schlussfolgerung, nämlich dass man kulturweit abschaffen sollte, teile ich absolut nicht. Wir Freiwillige werden wirklich intensiv darauf vorbereitet, alles kritisch zu hinterfragen. Was ich aus meinem Freiwilligendienst mache, ist meine Sache und ich denke nicht, dass ich ohne zu hinterfragen, die Agenda des Auswärtigen Amtes übernehme und willfährig das ausführe, was sich die unglaublich wichtigen Damen und Herren des Außenministerium da so überlegt haben. Das finde ich auch ganz wichtig, denn was diese wichtigen Herr- (und Frau-)schaften sich sonst so zu Schulden kommen lassen, erfuhren wir dann am Donnerstag.

Zunächst will ich aber noch vom Mittwochnachmittag erzählen. Es stand ein Ausflug auf dem Programm. Wir fuhren nach Novi Sad und bekamen eine unkonventionelle Stadtführung von Miloš, einem politischen Aktivisten aus Serbien, der sich stark antifaschistisch engagiert und gegen den gesellschaftlich großflächig anerkannten Nationalismus in Serbien kämpft.

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Antifaschismus in Serbien lässt sich nicht vergleichen mit dem in Deutschland. Die Antifaschisten hier sind die Buhmänner. Sie müssen im Untergrund und oft in der Illegalität agieren und werden häufig auch von Staat und Polizei behindert, wenn nicht gar attackiert. Miloš zeigt uns einige wichtige Gebäude der Stadt, führte uns an der Donau entlang bis zu einem Denkmal für die Opfer der Naziverbrechen in Novi Sad.

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Ich war wieder erschüttert, wie wenig man in der Schule lernt. Wir haben uns ausführlich mit Nationalsozialismus beschäftigt, auch mit den Gräueltaten, aber die einzelnen konkreten Massaker sind einem doch weitestgehend unbekannt. Die Nazis hackten im Winter Löcher in die zugefrorene Donau und trieben tausende Menschen in den entsetzlichen Tod unterm Eis. Allein die Vorstellung war so furchtbar, dass ich sehr froh war, dass es bis zum nächsten Ort unserer Führung zwei Kilometer Fußmarsch an der Donau waren, weil man sich dann mal so seine Gedanken machen konnte.
Nach diesem nachdenklichen Spaziergang kamen wir im Hauptquartier der Antifaschisten an. Das „social center“, ein ehemaliges, soweit ich das verstanden habe besetztes, Fabrikgebäude. Ziemlich runtergekommen, aber absolut authentisch.

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Leider auch sehr schwer zu heizen, was wir in den folgenden Stunden bibbernd feststellen konnten. Wir durften nämlich jetzt alle möglichen Fragen stellen. Über die Unterstützung der Gruppe für die Vertriebenen aus Syrien und anderen Kriegsgebieten, die seit Monaten auf der Balkanroute unglaubliches Leid ertragen müssen, über politisches Engagement in Serbien allgemein und über die wichtigen Diskurse der serbischen Gesellschaft. Ich lernte in dieser kurzen Zeit mehr über politische und gesellschaftliche Strukturen als in meiner gesamten Zeit bisher in Montenegro, weil ich in meinem kleinen, idyllischen Ulcinj von solchen Themen eher weniger berührt werde. Einzig die Demonstrationen in Podgorica gaben mir das Gefühl, dass die Probleme und die Zerrissenheit des Balkans irgendwie näher kommen. Auch hierzu konnte Miloš mir gute Auskünfte geben. Er stammt selbst aus Montenegro und weiß deshalb genau, welcher Natur diese Demonstrationen waren. Er erklärte uns, dass Montenegro eine Art Sonderfall ist, weil die Nationalisten in Montenegro die Serben sind. Große Teile der Bevölkerung sehen sich nicht als Montenegriner, sondern als Serben, und kämpfen deshalb gegen die Ausrichtung des Landes gen Westen, weil Serbien traditionell eher an Russland orientiert ist. Miloš sagte aber auch, dass man die Proteste nicht überbewerten darf, die Leute dort hätten einfach eine Menge Böller gezündet und es so in die Tagesschau geschafft.

Nach dem langen Gespräch wollten wir noch etwas essen, es verschlug uns in ein serbisches Fast-Food-Restaurant, das wirklich nett war. Die böse Überraschung wartete auf die Mädels auf der Toilette. Die Innenseite der Tür war wirklich unkonventionell dekoriert und so durfte uns dieser sympathische Zeitgenosse beim Pinkeln zusehen.

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Nach unserer Rückkehr verschlug es uns mit Vlada, dem Mann vom Hotel, noch in eine Sportbar. Er versuchte verzweifelt, uns Mädels Darts beizubringen, was damit endete, dass ich oft nicht mal das Brett traf, Ann-Kathrin, die als einzige die Regeln bis zum Schluss nicht wirklich begriffen hatte, gewann und Vlada und Lena, die im Team spielten, eigentlich dauerhaft ins Zentrum trafen, die anderen Felder aber nie trafen. Naja, er hat sein Bestes gegeben und kann wirklich nichts dafür, dass es uns schlussendlich doch wieder an den Kickertisch verschlug, wo wir uns allerdings nicht wirklich besser anstellten.

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Der Donnerstag war für Themen-Workshops reserviert. Nenad beschäftigte sich mit uns mit dem Thema Flucht&Asyl, und zwar nicht nur auf dem Balkan, sondern besonders auch in Deutschland. Zuerst gab es einige Zahlen und Fakten, die die zuweilen hysterische Berichterstattung der letzten Monate in einem ganz anderen Licht darstellte. So nahm Deutschland zu Zeiten des Balkan-Kriegs in den neunziger Jahren wesentlich mehr Flüchtlinge auf als heute. Und an alle die, die mit erschreckender Regelmäßigkeit den Untergang unserer Kultur und unserer Gesellschaft heraufbeschwören, sollte sich mal fragen, was für eine Kultur das ist, die Kriege verursacht, sich auf dem daraus entstehenden Wohlstand ausruht und den leidenden Menschen, denen wir mit unserer Außenpolitik die Heimat geraubt haben, dann nicht mal hilft, sondern sie den nationalistischen Strömungen in Ländern wie Serbien und Ungarn aussetzt, sie in Zelten erfrieren und verhungern lässt und glaubt, dass man, wenn man sagt, nur soundso viele dürfen kommen, das Problem löst.
Wir haben uns ausführlich mit Fluchtursachen beschäftigt und ich kann deutlich sagen: Wir sind schuld. Ich sprach oben bereits von meiner persönlichen Abgrenzung zur deutschen Außenpolitik und wenn man sich ein bisschen tiefer in die Thematik begibt, weiß man warum. Ich will dafür nicht verantwortlich sein. Unabhängig von Kriegen und Kriegsflüchtlingen, was gerade so in Afrika abgeht, ist wirklich erschütternd. Noch erschütternder ist allerdings, dass so wenig bekannt ist. Über all den (sehr berechtigten) Protest gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP haben wir nämlich übersehen, dass die EU mit fast allen afrikanischen Ländern ein solches Freihandelsabkommen hat. Die Länder, die die Unterzeichnung verweigerten, wurden mit Strafzöllen belegt, bis sie keine Wahl mehr hatten und ihre Wirtschaft noch mehr am Boden lag, als sie es ohnehin schon tat. Man muss sich mal bewusst machen, was Freihandel bedeutet. Export wird, durch die Abschaffung von Zöllen, billiger und einfacher, Import wird teurer, weil man eben die Einnahmequelle des Zolls verliert. Das mag für ein Land wie Deutschland ganz toll sein, es mehrt den Wohlstand, von dem wir glauben, dass wir ihn uns mühsam erarbeitet haben. Für die afrikanischen Länder, die kaum exportieren, sondern durch historischen und modernen Kolonialismus von Importen abhängig sind, ist das ein klares Verlustgeschäft. Die Märkte werden mit billigen europäischen Produkten geschwemmt, die einheimischen Produktionen gehen kaputt und den Menschen wird die sowieso schon dünne Lebensgrundlage entzogen. Sie haben die Wahl, sterben oder fliehen. Und obwohl das zweite mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem ersten zusammenhängt, entscheiden sich immer mehr Menschen verständlicherweise, ihrer Heimat, die sie wahrscheinlich nie verlassen wollten, den Rücken zu kehren und an unserem Wohlstand teilzuhaben.

Ich möchte versuchen, zu erklären, warum ich in diesem Blog, der sich ja mit meinem Auslandsaufenthalt beschäftigt, so ausführlich über dieses Thema berichte. Zuallererst beschäftigt es mich natürlich auch außerhalb von Deutschland als Mensch, wenn andere Menschen auf meine Kosten so leiden müssen. Ich nehme mich von der Kritik nicht aus, auch ich profitiere tagtäglich vom Wohlstand unserer Gesellschaft. Außerdem bin ich mir durch kulturweit meiner Privilegien sehr bewusst geworden. Ich bin innerhalb der deutschen Gesellschaft privilegiert, weil so ein Auslandsaufenthalt natürlich nicht für alle erschwinglich ist. Meine Eltern können es sich leisten, mich zu unterstützen. Ich stelle hier dann natürlich fest, dass jeder Deutsche im Vergleich zu den Menschen in Montenegro privilegiert ist. Wir haben Zukunftsperspektiven, Bildung hilft uns, soziale Gräben zu überspringen und wenn wir scheitern, fängt uns ein soziales Netz auf. All das haben die Menschen hier nicht und sie sind trotzdem so wunderbar. Das macht mich demütig, denn es zeigt, dass Glück nicht mit Geld zu tun hat und Freundlichkeit schon gar nicht. Es bereichert mich zu sehen, mit wie wenig man zufrieden sein kann.
Das kann aber trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich dringend etwas ändern sollte, denn in der bewegten Geschichte des Balkans hatte Deutschland auch gehörig seine Finger im Spiel, was mich zu unserem zweiten Workshop bringt. Antiziganismus, klingt erstmal nicht wie unser dringendstes Problem. Jeder weiß, man soll nicht mehr Zigeuner sagen, es heißt jetzt Sinti und Roma. Das war’s dann aber in den meisten Fällen auch schon mit unserer Auseinandersetzung mit diesem Thema. Auch hier nehme ich mich nicht aus, ich habe mich auch nie intensiv damit beschäftigt und war dementsprechend gespannt, was mich erwartete. Und das war erschreckend. Wir beschäftigten uns mit der Geschichte der Roma, was macht diese Gruppe aus, was sind das eigentlich für Leute. Dazu lasen wir Lexikonartikel aus verschiedenen Jahrhunderten und stellten fest, dass sich die Situation nicht wirklich gebessert hat. Die Diskriminierung wird nur nicht mehr so offen zur Schau gestellt, sondern offenbart sich in Vorwürfen, wie z.B. dass die Roma unser Sozialsystem ausnutzen würden. Dieser Standpunkt, von gewissen bayerischen Parteien immer wieder erfolgreich vertreten, ist genauso haltlos wie diskriminierend. Doch auch große, eigentlich für seriös gehaltene Medien wie der Spiegel gingen dem auf den Leim, wie ein Spiegel-TV-Beitrag aus dem Jahr 2011 zeigt. Offen wird behauptet, Roma kämen nur in unser Land, um Sozialhilfe zu kassieren. Sie würden alle Gewerbe anmelden, um in Deutschland bleiben zu dürfen und alle ihre Kinder zum Betteln schicken. Diese Vorurteile treffen vielleicht teilweise auf die Roma zu, die man auf der Straße an ihrer Kleidung erkennt, weil man, aus welchem Grund auch immer, ja anscheinend genau weiß, wie Roma auszusehen haben, davon abgesehen, dass die bettelnden Roma das ja auch nicht freiwillig machen, sondern weil sie einfach von keinem Arbeitgeber eingestellt werden und in der Arbeitswelt so strukturell benachteiligt sind, dass Integration kaum möglich ist. Dass viele aber integriert sind, ein ganz normales Leben leben, arbeiten und Geld verdienen, nehmen wir nicht war, weil sie nicht unserem Stereotyp von Roma entsprechen. Und so breiten sich diese Anschauungen immer weiter aus und werden in der Politik hoffähig und zum Wahlkampfthema. Dieser Sachverhalt erscheint uns vielleicht nicht so schlimm und dringend, aber für die betroffenen Personen muss es der Horror sein. Viele verheimlichen ihre Identität, weil sie Benachteiligung fürchten und allein diese Tatsache sollte uns zu denken geben.
Hier kommen wir auch wieder auf die unrühmliche Rolle des deutschen Staats zu sprechen. Als im Kosovo nach dem Zerfall Jugoslawiens Unabhängigkeitsbestrebungen aufkeimten, wurden diese von Deutschland unterstützt. Wir erkannten den Kosovo auch sofort als eigenen Staat an, als die Loslösung von Serbien offiziell wurde. In einem Atemzug damit schlossen wir dann sofort ein Rückführungsabkommen, nach dem Motto, wir haben euch anerkannt und unterstützt, jetzt tut auch mal was für uns, was es Deutschland erlaubt, Vertriebene des Krieges, darunter viele Roma, in den Kosovo zurückzuschicken, wo sie immer noch schlimmsten Schikanen ausgesetzt sind. Diese Art von Politik, aus dem Auge, aus dem Sinn, ist so furchtbar und hat so viele schreckliche Folgen, dass ich mit aller Kraft versuchen muss, mich ideologisch von meinem „Arbeitgeber“ zu entfernen und zu zeigen, dass Deutschland mehr ist als diese imperialistische Machtpolitik.
Die Berichte über die Workshops sind ein bisschen ausgeufert, das tut mir leid, Glückwunsch, wer bis hier durchgehalten hat, aber man sieht, wie mich diese Themen beschäftigen und wütend machen. Ich war ziemlich aggressiv, nachdem wir so viel Themeninput bekommen hatten, und ich will versuchen, diesen Zorn in etwas Konstruktives umzuwandeln, um die Welt zu verbessern. Ich glaube nämlich nach wie vor fest daran, dass das geht, und das Wundervollste an unserem Seminar war, dass keiner, weder Teamer noch Teilnehmer, versucht haben, mir meinen Idealismus kaputt zu machen. Oft wurde ich noch bestärkt und das ist meiner Meinung nach der richtige Weg, denn der naive Idealismus der kommenden Generation ist unsere letzte Hoffnung, das Ruder noch rumzureißen und die Welt zu retten. Man darf ruhig ein bisschen spinnen und träumen, vielleicht ist das das beste Klima für tolle Ideen.

Diese tollen Ideen brauchten wir auch, als es darum ging, unsere Freiwilligenprojekte zu planen. Eine große Brainstormoffensive half, sich zu überlegen, was möglich ist, und was Spaß macht. Hier mal kompakt die Ergebnisse: Ich möchte die Fußballszene auf dem Balkan kennenlernen, verschiedenen Stadien und Mannschaften besuchen und Fanschals sammeln. Ich bin gespannt, inwiefern sich das verwirklichen lässt, kostet das doch schon eine Menge Zeit und Geld, doch ich bin hochmotiviert und auf akutem Betze-Entzug. Das muss ich irgendwie kompensieren und so sammele ich gerade Infos über alle mögliche Ligen und Vereine und werde mich hoffentlich bald auf mein erstes Abenteuer begeben können.
Des Weiteren schreibe ich auch weiterhin Gedichte, die eigentlich ganz gut widerspiegeln, was ich so erlebe und wie es mir geht, das wäre also auch eine Möglichkeit.
Auch mit den Schülern kann ich mir einiges vorstellen. Es dürfte in früheren Artikeln bereits durchgesickert sein, dass ich ein großer Fan meiner Schüler bin. Ich würde sie z.B. gerne zu verschiedenen Themen Aufsätze schreiben lassen, um zu sehen, wie sie z.B. Themen wie Frieden, Freiheit oder Liebe definieren. All das steckt noch in den Startlöchern, aber ich werde weiterhin fleißig berichten.

Das Seminar war alles in allem sehr anstrengend, aber wirklich bereichernd. Es hat mir für meine verbleibende Zeit noch einige Anstöße gegeben, ohne alles in Frage zu stellen, was ich bisher gut fand. Der Austausch mit meinen Mitfreiwilligen war auch sehr hilfreich, man konnte reflektieren und auch kleinere Probleme schnell lösen.

Da wir uns neben allem anderen auch wirklich gut verstanden haben, verbrachten fast alle das Wochenende noch gemeinsam in Novi Sad. Wir schauten uns einiges an, quatschten viel und hatten einfach Spaß. Es war toll, mal wieder Zeit mit Gleichaltrigen zu verbringen, denn das fehlt mir schon ein bisschen. Wir waren einfach eine tolle Truppe und es hat sehr viel Spaß mit euch gemacht!!! Wiederholung dringend erforderlich!

Am Sonntag hieß es dann aber Abschied nehmen. Da unser Zug morgens in Belgrad abfuhr, mussten wir um halb 5 aufstehen, um rechtzeitig mit dem Bus da zu sein. Der Zug überraschte uns positiv. Er war sehr komfortabel, nur ein bisschen überheizt. Die 11 Stunden-Fahrt durch hohe Berge und tiefe Täler ließ sich aber wirklich gut ertragen. Der Ausblick war spektakulär bis atemberaubend, der Zug pünktlich (!) und der Schaffner freundlich. Sieh hin, Deutsche
Bahn, und lerne!

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Nur die Fenster dürften mal wieder geputzt werden… 😀

Ziemlich übermüdet kamen Sarah und ich etwa um 10 Uhr abends in Ulcinj an. Wir stiegen aus und wurden vom milden Wetter überrascht. Es war zwar auch kalt, aber wirklich erträglich im Vergleich zu Serbien. Mir war nicht klar, wie sehr ich Ulcinj vermisst hatte. Ich ahnte es schon, da ich die ganze Woche in der Mittagspause, wenn andere ein Schläfchen hielten, spazieren ging, weil mir das Laufen fehlte. Aber als wir die große Straße entlang gingen, wurde es mir plötzlich sehr deutlich, denn eine Frau kam uns entgegen. Ich kannten sie nicht, hörte nur, wie sie uns ansprach. Da ich mittlerweile ein absoluter Serbisch-Profi bin, brauchte ich nur einige Minuten, bis ich verstand, was sie von uns wollte. Sie fragte, ob wir denn schon einen Schlafplatz hätten, weil wir so spät mit viel Gepäck durch die Straßen liefen und sie machte sich Sorgen um uns. Das ist Ulcinj pur! Und als ich am nächsten Morgen von der Oma meiner Vermieterfamilie zwei riesige Killerzitronen geschenkt bekam, einfach so und ohne großen Kommentar, war es vollends um mich geschehen.

Nur zum Einordnen, die kleine Zitrone hat die normale Größe :D

Nur zum Einordnen, die kleine Zitrone hat die normale Größe 😀

Ich bin wieder angekommen, ich rieche das Meer und höre den Muezzin und fühle mich zu Hause.
Zum Schluss eine sehr gute Nachricht: Der Film, der in unserem Videoworkshop entstanden ist, ist endlich hochgeladen und ist hier zu sehen.

PASCH-Video-Workshop: Montenegro als multikultureller Staat

Wie funktioniert das Leben in einem multikulturellen Staat? Dieser Frage sind 18 PASCH-Schülerinnen und -Schüler aus verschiedenen Regionen Montenegros nachgegangen. Das Video entstand im Rahmen eines interkulturellen deutschsprachigen Video-Workshops in der multiethnischen Stadt Ulcinj.

Posted by PASCH-net on Freitag, 20. November 2015

Ich kann jedem nur empfehlen, ihn sich anzuschauen. Er gibt neue Hoffnung in die Menschheit, die Menschlichkeit und die Jugend. Und vielleicht versteht ihr ein bisschen besser, warum ich immer so euphorisch werde, wenn es um diese meine Stadt geht. Teilen ist ausdrücklich erwünscht, damit unsere Botschaft noch mehr Menschen erreicht 🙂

Warum die Realität einfach passiert und sich nicht planen lässt!

Juhu, ich habe es geschafft, ich habe meine erste eigene Unterrichtswoche überlebt. Ich muss dazu sagen, es war eigentlich keine ganze Woche, die Achter wurden mir ja erlassen und auch den Nachmittagsunterricht durfte ich ausfallen lassen. Aber trotzdem ist es ein gutes Gefühl. Das Gefühl, etwas geschafft zu haben. Ich durfte mich eine Woche als Lehrerin fühlen. Wie mag das wohl sein? Ich stehe vorne und muss die ganze Chose leiten, alle warten darauf, was ich sage, was zu tun ist. Liebe noch von der Schule gequälte Seelen, ich sage euch, das reine Konsumieren von Unterricht ist angenehmer.

Jetzt lastete auf meinen Schultern ja nicht mal die Verantwortung, diesen Schülern etwas beibringen zu müssen. Ich bin nicht verantwortlich, dass sie eine komplette neue Sprache lernen, Fortschritte machen und am Ende noch ihr DSD-Examen schaffen, was ihr Leben für immer verändern könnte ,um vielleicht in Deutschland zu studieren, weil sie dann in Deutschland sind und mein Land besser machen und AM ENDE VIELLEICHT EINER VON IHNEN DIE WELT RETTET??? Puuuuh, ich stelle fest, ein Lehrer hat schon eine enorme Verantwortung. Nein, für mich ging es in erster Linie darum, die Stunden zu füllen, mit irgendwas, was Spaß macht und im besten Fall noch etwas mit der deutschen Sprache zu tun hat. Ich erarbeitete mit Kurt einen Masterplan, aber wie das mit Plänen so ist, meistens sind sie bei mir ausschließlich dazu da, mich im Vorfeld zu beruhigen, dass ich mir nicht so viele Gedanken mache.
In meinem Leben ist wahrlich noch nicht viel Elementares schief gelaufen. Das war meistens Glück oder der Verdienst anderer lieber Menschen, aber jede noch so verzwickte Situation ließ sich irgendwie bereinigen. Ich habe gelernt, dass das Leben immer weitergeht, dass zwar blöde Sachen passieren und immer wieder passieren werden, aber dass man nach vorne schauen muss, anstatt sich sein ganzes Leben Gedanken über seine Misserfolge zu machen.

Und die Wochen fing wahrlich alles andere als gut an.

Wir hatten fast allen Klassen vorher gesagt, dass sie nächste Woche bei mir Unterricht haben. Das hatte zum einen zum Ziel, gezielte Drohungen aussprechen zu können, was passiert, wenn sie sich nicht benehmen, zum anderen sollten Situationen wie die Folgende verhindert werden.

Die Siebtklässler waren letzte Woche nämlich nicht da, weil sie drei Tage in einer Jugendherberge in Cetinje waren. Also konnten wir sie nicht vorwarnen. Wenn Kurt nämlich normalerweise fehlt, gehen die Schüler in den Deutschunterricht der montenegrinischen Deutschlehrer, der immer zeitgleich stattfindet. Jetzt hatte sich bis zu den Schülern rumgesprochen, dass Kurt nicht da ist, aber dass der Unterricht trotzdem stattfand, wussten sie nicht. Und so saß ich am Montag plötzlich mit drei Schülern da. Ich wollte eigentlich mit ihnen singen, was ich dann aber, aus wohl verständlichen Gründen, spontan bleiben ließ. Stattdessen spielten wir „Ich-sehe-was-was-du-nicht-siehst“, um die Vokabeln für die Zimmereinrichtung zu wiederholen, und anschließend Galgenmännchen. Ich weiß, nicht sehr kreativ und auch pädagogisch eher weniger wertvoll, aber die Kinder hatten Freude und das hat mir dann in dem Moment auch gereicht. Ich hatte übrigens auch meinen Spaß, da ich mich die ganze Stunde göttlich darüber amüsieren konnte, dass Almir, mein geheimer Lieblingsschüler, mich mit einem donnernden, aber unfassbar herzlichen „Guten Morgen, Herr Schlegel“ begrüßte. Er merkte schnell, dass irgendetwas nicht stimmen konnte, und brach, gemeinsam mit mir, in schallendes Gelächter aus.

Ich stellte wieder fest, dass nichts so verbindend ist, wie Lachen. Denn obwohl ich aus einem anderen Land komme, eine andere Sprache spreche, einige Jahre älter und ganz anderes sozialisiert bin, lachen wir alle in derselben Sprache. Die schönsten Momente mit meinen Schüler empfinde ich dann, wenn wir gemeinsam lachen, weil wir dann über Landes-, Sprach- und Kulturgrenzen hinweg Verbündete sind.
Vielleicht ist das das einzig probate Mittel gegen den Terrorismus und alle Kriege in der Welt: Wir sollten die schlechten Menschen alle gemeinsam auslachen. Die, die noch zu retten sind, werden mit einsteigen, weil ihr Herz dem Schönen irgendwann nicht mehr widerstehen kann, und die anderen, deren Seelen schon tot sind, kann man dann
behutsam abschöpfen und die Menschheit vor ihnen schützen.

Aber ich schweife ab, zurück zu meinem harten Alltag als Lehrerin. Nach den Siebenern kamen nämlich die Neuner. Und es kamen viele Neuner, zu viele! Ich schaute, ich staunte und stellte fest, dass ich die Hälfte noch nie gesehen hatte. Nach viel Verwirrung meinerseits und verzweifelten Aufklärungsversuchen von Seiten der Schüler, stellte sich heraus, dass Artans Klasse mal eben mitgekommen ist, weil er ja auch in der Schweiz war und sie nicht wussten, wo sie hinsollten. Tja, ich leider auch nicht, und so fiel mir nicht Schlagfertigeres ein, als sie einfach stumpf wegzuschicken. Sie haben ihre eigentliche Vertretungslehrerin dann aber scheinbar noch gefunden.

Mit den Neunern wollte ich eigentlich einen Film kucken, musste aber schnell feststellen, dass der Film auf dem Laptop leider nicht existierte. Also musste ich nochmal improvisieren und schaute stattdessen ein kleines Filmchen über Berlin und das Wachsfigurenkabinett, das wir in der Woche zuvor schon mit den Achtern geschaut hatten, und ließ die Schüler dazu Aufgaben lösen. Erkenntnis: Die Schüler kennen ausnahmslos alle Angela Merkel, wissen aber nicht, was sie genau macht, und keiner kannte Franz Beckenbauer, Olli Kahn war aber zumindest einigen bekannt.

Nach diesem Chaos-Tag nahm ich mir vor, dass am nächsten Tag im Gymnasium alles ein bisschen geordneter ablaufen sollte. Ich bereitete mich akribisch vor, um allen Eventualitäten vorzubeugen. Ich hatte einen Plan, wenn die Technik nicht funktionieren sollte, wenn nur wenige Schüler da sein sollten, wenn die Schüler keine Lust auf meine Ideen haben sollten. Also konnte ja nichts schiefgehen. Dachte ich, bis ich ein paar Minuten vor Beginn der zweiten Stunde vor der Schule auf eine Schülerin aus der zweiten Klasse traf, die mir zu erklären versuchte, was mich heute heimsuchen sollte. Aus mir unerklärlichen Gründen gab es Kurzstunden, das heißt, die zweite Stunde war schon so gut wie vorbei, meine Schüler weg und den Plan für die kommenden Stunden durfte ich auch mal wieder umwerfen, weil jede Stunde nur 30 Minuten hatte. Mit fast schon stoischer Gleichgültigkeit nahm ich es zur Kenntnis, spielte mit beiden ersten Klassen Tabu und machte mich wieder ein bisschen geknickt auf den Heimweg.

Weil es statistisch gesehen eigentlich unmöglich ist, dass noch mehr Chaos entsteht, verliefen die drei verbliebenen Tage etwas ruhiger. Ich konnte meinen Plan eigentlich ganz gut durchziehen, die Neuner durften „MfG“ von den Fantastischen Vier bearbeiten und den fehlenden Film, den ich mir vom Laptop im Gymnasium kopiert hatte, anschauen, die Siebener schauten ebenfalls einen Film und waren erstaunlich leicht dazu zu bringen, mit Enthusiasmus und Hingabe „Marmor, Stein und Eisen bricht“ zu schmettern, die Einser durften im Gymnasium das grandiose Gedicht „Ein schlechter Schüler“ bearbeiten und die Zweier bearbeiteten und sangen „Meine Deutschlehrerin“ von den Wise Guys.

Ich habe keine Ahnung, ob meine Schüler in dieser Woche etwas dazugelernt haben, ob es ihnen Spaß gemacht hat und wie ich mich so geschlagen habe, aber im Nachhinein bin ich eigentlich ganz zufrieden mit mir. Ich bin zwar mit meiner Entscheidung „Lehrer werden-ja oder nein?“ noch nicht so richtig weitergekommen, aber es war auf jeden Fall ein tolles Gefühl, mal Master of Desaster sein zu dürfen, völlig frei zu sein, was man tun will und Menschen etwas beizubringen, sie zu beobachten und sich auch mit ihnen zu freuen. Ich bin ja nicht wirklich Lehrerin, gerade im Gymnasium, wo die Schüler vielleicht zwei oder drei Jahre jünger sind als ich, fühle ich mich oft mehr so als „Erste unter Gleichen“. Ich sage, was wir tun, aber bei der Ausführung des Ganzen sind wir ein Team und arbeiten zusammen auf das große Ziel hin, nämlich gut Deutsch zu sprechen.

Jetzt freue ich mich erstmal auf eine Woche Seminar in Serbien. Ich freue mich darauf, mal wieder ein neues Land, zumindest ansatzweise, kennenzulernen, meine bisherige Zeit ein bisschen zu reflektieren und vor allem meine Mit-Balkan-Freiwilligen wiederzusehen! Auf eine geile Zeit!

Wie ich mit meinen Fußnägeln die Zeit messe

Zeit ist relativ, das ist allgemein bekannt. Manchmal vergeht sie schnell, manchmal sehr langsam und es ist immer verkehrt. Sitze ich in einer tollen, spannenden Unterrichtsstunde, gehen die 45 min viel zu schnell rum, man würde gerne noch bleiben und so viel besprechen. Sitze ich allerdings bei den schrecklichen Achtklässlern, denen pädagogisch nur mit Abschreiben beizukommen ist, so fließen die Minuten zähflüssig von der Uhr.

So geht es mir auch mit der Zeit insgesamt. Ich bin seit gut zwei Monaten hier. Das bedeutet zwei Mal Miete zahlen, zwei Mal Zwischenresümee ziehen. Man hangelt sich an diesen herkömmlichen Zeitmessungen entlang, die Zeit vergeht und man kann sie nicht fassen. In manchen Momenten denke ich: „Was, ich bin schon zwei Monaten hier, wo ist die Zeit geblieben?“. Es gibt aber auch Tage, an denen ich denke: „Erst zwei Monate rum? Ich bin doch schon ewig hier!“ Und ich habe ja auch tatsächlich schon wahnsinnig viel erlebt, das hätte auch für einen längeren Zeitraum gereicht.
Diese Ambivalenz, diese Unsicherheit, bringt meine Fußnägel ins Spiel. Die hatte ich mir an meinem ersten Tag hier rot lackiert. Das Wetter war hier noch gut, ich konnte in Flipflops rumlaufen, während ich in Deutschland schon länger nicht auf die Idee gekommen wäre, länger als zum Duschen unbedingt nötig, barfuß durch die Gegend zu stolzieren. Leider bin ich aber ein fauler Mensch und kümmerte mich im weiteren Verlauf meines Aufenthaltes nicht mehr darum. Bei aller Liebe, aber dafür ist in meinem Kopf wirklich kein Platz mehr.

Jetzt fügt es sich aber, dass das Wetter nach einer kurzen Regen- und Gewitterperiode seit mehreren Wochen so wunderschön ist, dass selbst die Ulcinjer ihre Nasen verwundert in die Sonne stecken, weil sie so etwas noch nicht erlebt haben. Und weil mir zugetragen wurde, dass es auch in Teilen Deutschlands noch ganz nett sein soll (O-Ton Mama: „Du wirst es nicht glauben aber auch wir liegen hier an der deutsch-franz. Grenze in der Sonne, Papa mit freiem Oberkörper und schwitzen. […]), musste ich natürlich noch einen draufsetzen und bin schwimmen gegangen. Kurt erzählte mir schon seit Wochen beinahe täglich, dass es gar nicht so kalt ist, aber ich wollte nicht so recht glauben. Als ich jedoch am Mittwoch mal wieder völlig verschwitzt den Berg hochgestampft kam, sagte ich mir, das ist der Moment, jetzt geht’s los. Und es ging los. Es war wirklich nicht kalt, wenn man sich im Wasser ein bisschen bewegt hat, hätte es auch noch August sein können. Der einzige Unterschied war, dass der Strand menschenleer war, die Umkleidekabinen schon abgebaut, was lustige Verrenkungen meinerseits beim Umziehen nach sich zog, und die Blicke der Leute, als ich mit nassen, verwuschelten Haaren den Heimweg antrat, eine Mischung aus Mitleid und Befremden beinhalteten. Doch selbst in diesem Moment, in dem ich im Traum nicht darauf kommen würde, mit meinem nassen Lautern-Trikot, meiner alten Hose und meinen abstehenden Haaren so auszusehen, dass man mich ansprechen würde, kam ich nicht um einen weiteren Handkuss und einer von mir ausgeschlagenen Einladung herum. Und diesmal war es wirklich hartnäckig. Er gab sich nicht mit meinen halbherzigen Ausreden zufrieden, ich wolle mittags um 2 keinen Traubenschnaps trinken. Das Problem ist, dass ich zu ehrlich bin, um zu behaupten, ich hätte keine Zeit und nicht ehrlich genug, um zu sagen, dass ich einfach nicht will. In diesem Fall gelang es mir aber, ihn zu vertrösten und zu versprechen, dass ich irgendwann mal wieder komme.

Zurück zu meinen Fußnägeln: Als ich nach dem Schwimmen noch ein bisschen in der Sonne vor mich hin trocknen wollte, besah ich meine Füße und stellte fest, dass der Nagellack, den ich seit meiner Ankunft nicht erneuert habe, in etwa zu einem Viertel rausgewachsen ist. Ich wusste nicht so recht, und weiß es eigentlich immer noch nicht, was ich mit dieser Erkenntnis anfangen soll, aber sie beruhigt meine in Aufruhr geratene Seele, was die Dauer meines Aufenthalts betrifft. Ich weiß, dass noch viel Zeit vergehen wird, bis der Nagellack ganz weg ist. Diese Zeit lebe ich mal so vor mich hin und schaue, was noch so passiert.

Zum Beispiel nächste Woche, in der ich, weil Kurt in der Schweiz ist, ganz alleine den Unterricht übernehmen darf/soll/muss. Immerhin wurde ich von den Achtklässlern befreit, aber ich habe drei Stunden bei den Siebtklässlern, drei in der Neunten, zwei bei jeweils einer ersten Klasse und zwei Stunden in der Zweiten. Ich habe zumindest mal einen Masterplan, was ich ungefähr mit den Schülern anstellen werde, aber die genaue Planung wartet noch auf mich. Ich drücke mich irgendwie davor, weil ich Angst habe, festzustellen, dass es irgendwie doch nicht aufgeht, dass irgendwas schieflaufen wird und dass ich es einfach nicht hinkriege. Ich bin gespannt, wie ich mich so als Lehrerin mache, wenn es mal länger ist als nur eine Vertretungsstunde. Ich veranstalte ja keinen richtigen Unterricht, sondern beschränke mich auf Lieder, Filme und Spiele, aber das ist natürlich alles pädagogisch aufgearbeitet. Ich sehe es einfach mal als Chance, ins kalte Wasser geschmissen zu werden und zu sehen, ob es wirklich eine gute Idee ist, Lehrerin zu werden.

Und das Gute ist, dass ich, obwohl mir die kommende Woche ein bisschen Unbehagen bereitet, eine Art Ziel vor Augen habe. Wenn die Woche nämlich vorbei ist, werde ich zusammen mit Sarah, die wahrscheinlich schon am Freitag kommt, nach Serbien zum Zwischenseminar aufbrechen. Wieder was ganz Neues, wie ein Erlebnis, dass ich dann gerne mit euch teilen werde.

Sonnenbrand im November

Das hätte ich mir auch nicht träumen lassen (und ich bin sicher, ein Großteil meiner Freunde wird mich für diese Information hassen), aber es ist eine Tatsache: Ich hatte einen Sonnenbrand.
Ich war am Montag bei strahlendem Sonnenschein und etwa 20°C mit Gästen von Kurt unterwegs, die für eine Woche in Montenegro sind und mit einem Leihwagen einen Ausflug machten. Eigentlich wollten wir nach Kotor, aber weil wir die schönere Strecke durch die Berge nahmen, mit vielen Serpentinen, rostigen Leitplanken und rasendem Gegenverkehr auf einer einspurigen Straße, mussten wir dementsprechend vorsichtig und langsam fahren, sodass wir nur bis Budva kamen. Doch auch die Altstadt dort ist wirklich sehenswert.

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Und die Strecke hat sich wirklich gelohnt. Man fährt erst von Ulcinj Richtung Podgorica, biegt aber vorher in die Berge ab. Dann schlängeln sich enge Kurven an steilen Wänden vorbei, ab und zu durchquert man ein einsames Bergdorf, aber die Sicht ist wirklich atemberaubend.

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Die Straße führt nach Cetinje, der ehemaligen Hauptstadt Montenegros. Kurz vor der Stadt stoppten wir zum Fotografieren kurz in einem kleinen Dorf im Tal. Wir waren mitten im Nationalpark und das Dorf lag an einem kleinen Fluss. Eigentlich wollten wir Kaffee trinken, leider gab es aber mal wieder keinen Strom, das passiert hier ausgesprochen oft, sodass wir uns nur kurz umsahen. Ein Mann bot uns für 25€ eine zweistündige Bootsfahrt an, aber wir hatte leider keine Zeit. Ich war persönlich auch dafür, den Ort so schnell wie möglich zu verlassen, denn wenn ich mal einen Horrorfilm drehen wollte, wäre das der ideale Schauplatz. Die Uferpromenade ließ den Charme längst vergangener Tage nur noch vereinzelt aufblitzen, die herrschaftliche Treppe, der Brunnen und die Geländer bröckelten und wurden von verfallenen Häusern eingerahmt.

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Die Hauptstraße, früher wohl von vielen Geschäften gesäumt, ist nur noch eine Ansammlung dreckiger Schaufester, die Natur hat schon begonnen, sich die Häuser zurückzuerobern.

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Und trotzdem leben hier noch Menschen, auch junge Menschen, Kinder. Die Perspektivlosigkeit ist atemberaubend und passt zu einem Gespräch, das wir gestern mit den Schülern am Gymnasium hatten. Es ging ums den Unterschied zwischen Freundschaften früher und heute und in Deutschland und Montenegro. Ein wichtiger Aspekt war, dass viele Freundschaften heute am Leistungsdruck in den Schulen und in der Gesellschaft zerbrechen, weil der Konkurrenzkampf so groß ist. Wir fragten die Schüler, ob sie auch Leistungsdruck haben. Einige bejahten das, ihre Eltern würden schon darauf achten, dass die Noten in Ordnung sind. Viele sagten aber, dass es ihren Eltern egal sei, weil der Vater manchmal selbst zwei Universitätsabschlüsse hat und heute in Ulcinj Taxi fährt. Als Akademiker hat man keine Zukunftsaussichten in diesem Land. Ich kann natürlich nicht wirklich beurteilen, woran das liegt. Das ist alles nur gefährliches Halbwissen, aber ganz offensichtlich spielt die Korruption eine große Rolle. Wenn man jemanden kennt, der jemanden kennt, dann kann man vielleicht einen Job bekommen, aber ohne Beziehungen hat man fast keine Chancen. Und Änderung ist nicht in Sicht. Es gab zwar in den letzten Wochen immer mal wieder Proteste in der Hauptstadt, die zum Teil auch gewalttätig wurden, wahrscheinlich der einzige Grund, weswegen die Tagesschau berichtet hat ( http://www.tagesschau.de/ausland/montenegro-107.html ), diese richteten sich zwar auch gegen die zutiefst korrupte Regierung, waren allerdings von radikalen Serben initiiert, die eine Öffnung des Landes gegenüber dem Westen, der EU und speziell einen NATO-Beitritt verhindern wollen. Man kann darüber denken, was man will, speziell die expansive Politik der NATO und die damit verknüpfte Eskalation des Ukraine-Konflikts, ist durchaus stark anzuzweifeln und zu kritisieren. Die von der radikalen serbischen Gruppierung gewünschte Annäherung an Russland ist aber wohl auch keine zufriedenstellende Alternative. Der Tagesschau-Bericht zeigte mal wieder eindrucksvoll, wie vorsichtig man mit solchen stark verkürzten Darstellungen sein muss. Ich reihe mich nicht ein, in die Strömungen, die der Presse Lügen und Manipulation vorwerfen, die Berichte waren ja auch nicht falsch, sie zeigten nur keinerlei Hintergründe oder Motivierung der Beteiligten, da sie sich ausschließlich auf die gewalttätigen Ausschreitungen konzentrierten, ohne die die Proteste vermutlich nicht erwähnenswert gewesen wären. Man kann die kompakten Nachrichten der Tagesschau oder jeder anderen Nachrichten-Sendung also nur als Anstoß nehmen, sich auf anderen Kanälen weitergehend zu informieren und sich so eine fundierte Meinung zu bilden.

Als der Beitrag ausgestrahlt wurde, bekam ich sofort nervöse Nachfragen von zu Hause, ob denn hier in Ulcinj alles in Ordnung sei. Ja, hier ist alles in Ordnung. Ich hatte jetzt zwei Monate Zeit, zu versuchen, das Wesen dieser Stadt zumindest ansatzweise zu begreifen und ich denke, ich kann sagen, dass sich die Bewohner hier niemals wegen solch banalen Dingen wie Politik oder auch Religion die Köpfe einschlagen würden. Auch die Menschen hier leiden unter der schlechten wirtschaftlichen Lage, unter der Korruption der Staatslenker und der Verwaltung, aber es scheint so, als beschränkten sich die Menschen hier auf Kritik und auf ihre tägliche Arbeit, mit der sie der Perspektivlosigkeit zu entgehen versuchen. Und die Schüler strengen sich in der Schule natürlich trotzdem an. Gerade in Deutsch. Denn obwohl man hier mit einem Abitur oder gar einem Uniabschluss nicht so viel anfangen kann, bestenfalls einen Job als Kellner, ist die Situation in Deutschland ganz anders. Das Land debattiert im Zuge der Flüchtlingskrise über Zuwanderung aller Art, erklärt Montenegro und Albanien, in denen Homosexuelle und Sinti und Roma aufs Schlimmste diskriminiert werden, wenn sie nicht gar in Lebensgefahr sind, mal eben so im Vorbeigehen zu sicheren Herkunftsländern, um den Zuzug aus diesen Gegenden zu verhindern. Unabhängig von Asylanträgen gibt es ja aber auch noch einige andere Kanäle, über die Jugendliche hier in Deutschland eine Zukunft suchen können, seien es Stipendien für ein Studium oder, wie es jetzt bei zweien unserer Schüler der Fall ist, Praktika bei deutschen Firmen, die händeringend qualifizierte Mitarbeiter suchen und sich mangels Alternative im eigenen Land, weil die Flüchtlinge ja unerklärlicherweise lange nicht arbeiten dürfen, eben woanders umsehen. Für die Beiden ist das eine wahnsinnig tolle Chance, die Kurt ihnen vermittelt hat, weil sie erstens für kurze Zeit in Deutschland leben können und zweitens zumindest mal einen Fuß in der Tür haben, die sie nach Deutschland führt. Denn obwohl es sich aus meiner total egozentrischen Perspektive hier sehr angenehm leben lässt, ist das für die Jugendlichen, die hier bleiben müssen und nicht nach einem Jahr wieder ins behütete Deutschland zurück dürfen, keine gute Alternative.
Doch auch in dieser tollen Stadt ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Ich habe bereits viel von Toleranz berichtet. Das stimmt auch alles, doch es gibt auch immer mal wieder dunkle Seiten. Von der vorherrschenden Homophobie habe ich ja schon geschrieben. Jetzt ist nochmal etwas passiert, was mich wirklich erschüttert hat. Thomas, einer von Kurts Gästen, mit denen ich den oben beschriebenen Ausflug machte, hat eine körperliche Behinderung. Ich weiß nicht, was es genau ist, aber er ist sehr klein und hat außergewöhnliche Augen. Man sieht ihm die Behinderung an, ich konnte aber in der kurzen Zeit, die ich mit ihm verbrachte, keine Einschränkungen feststellen. Als er aber einmal alleine in der Stadt unterwegs war, wurde er von Kindern mit Steinen beworfen. Natürlich, dieses Phänomen kennt man, das gab es bei uns vor vielleicht hundert Jahren auch, aber ich bin es ehrlich gesagt leid, solche Ereignisse mit einer irgendwie gearteten Rückständigkeit einer Gesellschaft zu entschuldigen. Das ist so abstoßend und widerlich, dass man es nicht erklären und schon gar nicht entschuldigen kann, das kann man nur verurteilen und sich fragen, was das für eine Erziehung ist, die diese Kinder genossen haben, wenn sie einen Menschen, den sie nicht kennen, von dem sie nichts wissen, nur auf Grund seines Aussehens nicht mal mehr diskriminieren, sondern ganz bewusst dessen Verletzung in Kauf nehmen. Wie kann man auf solche Ideen kommen?

Es fällt mir schwer, solche Dinge auszublenden, wenn ich am Strand spazieren gehe, mit einem kosovarischen Architekten aus Deutschland auf der Terrasse des höchsten Hauses der Altstadt in der Mittagssonne Tee schlürfe, von einem Wirt den dritten Schnaps ausgegeben bekomme, weil ich ihm die Rechnung zusammengerechnet habe, vor Stolz kaum an mich halten kann, weil ich schon auf Montenegrinisch Käse kaufen kann oder mich mit einem alten Mann über Gott und die Welt unterhalte, ohne dass wir uns gegenseitig verstehen, weil er nur Montenegrinisch spricht und meine zwei Sprachstunden mich noch nicht so weit gebracht haben. Das sind wundervolle Dinge und ich muss mich zwingen, sie nicht in Frage zu stellen, weil Einzelne nicht in diese Idylle passen. Genauso wenig, wie ich alles beschönigen will, will ich negative Erlebnisse auf die Gesamtheit beziehen, denn das hat dieser Ort nicht verdient.

Warum ich schon so gut wie verheiratet bin…

Als ich mich für den Freiwilligendienst beworben habe, kamen bei meinen Verwandten schnell Bedenken auf. Was, wenn ich nicht mehr zurück komme? Was, wenn ich, O-Ton Mama, einen mongolischen Bergbauern heirate, oder, O-Ton Oma, mich in einen Afrikaner verliebe?

Jetzt bin ich ja weder im kalten Asien noch im heißen Afrika gelandet, sondern im wunderschönen Montenegro. Ich machte mir bisher wenig Gedanken übers Heiraten, es gab auch absolut keinen Anlass. Bis jetzt! Am Dienstag wartete ich nach dem Unterricht etwa zwei Stunden, bis mein Sprachunterricht anfangen sollte. Weil ich keine Lust hatte, nach Hause zu latschen, den Berg hoch, nur um dann vielleicht eine halbe Stunde zu Hause zu sein, und den ganzen Weg dann wieder zurück zu laufen, suchte ich mir eine nette Bank am Straßenrand und lernte meine Vokabeln. Das hatte ich nämlich mal wieder vergessen. Meine Schulzeit holt mich ein, es war eine gute, alte Tradition, dass ich die Französisch-Vokabeltests in beängstigender Regelmäßigkeit aus meinem Bewusstsein gestrichen habe und die Philosophie-Doppelstunde vorher dann mit Bulimie-Lernen zubrachte. Was soll ich sagen, es hatte immerhin für 13 Punkte im Abi gereicht.

Lange Rede, kurzer Sinn, ich saß also mit gesenktem Kopf unter einem Baum in der Sonne und nahm um mich herum nicht mehr allzu viel wahr. An mir gingen ständig Leute vorbei, aber ich beachtete sie nicht weiter. Doch dann blieb ein alter Mann plötzlich vor mir stehen. Ich hob den Kopf und schaute ihn an. Er sagte etwas auf Albanisch. Ich zuckte nur mit den Schultern und sagte ihm mit meinen drei Brocken Montenegrinisch, dass ich Deutsche bin und kein Albanisch spreche. Er antwortete dann mit einem herzlichen „Kako si?“, ich sagte „Dobro“. Dann nahm er meine Hand, gab mir einen Handkuss und ging weiter. Ich blickte ihm ungläubig nach.
Als ich mich gerade noch von diesem Erlebnis erholte, kam eine alte Frau und sagte etwas auf Montenegrinisch, das ich nicht verstand. Ihre Handbewegung deutete ich aber so, als würde sie mich fragen, ob sie sich neben mich setzen darf. Ich sagte ja und erklärte auch ihr, woher ich komme und dass ich kein Montenegrinisch spreche. Als ich nemački sagte, fingen ihre Augen an zu leuchten und sie begann, mich regelrecht zuzutexten. Sie hatte vor 50 Jahren in Deutschland als Gastarbeiterin in einer Kleidungsfabrik als Näherin gearbeitet. Die Frau war ein Phänomen, sie sah aus wie 60, war aber schon 78. Sie erzählte mir, dass sie im Sommer jeden Tag Schwimmen geht und im Winter würde sie jeden Tag 6 km durch die Gegend laufen, um sich fit zu halten. Am Anfang holperte ihr Deutsch ein bisschen, weil sie seit 50 Jahren nicht mehr in Deutschland war, aber nach und nach fand sie immer mehr zurück in diese Sprache. Und als sie nach etwa einer Viertelstunde ihren Enkel anrufen wollte und etwas mit ihrem Handy nicht klappte, saß sie so neben mir und fing an, ihr Handy auf Deutsch zu beschimpfen: „So eine Scheiße, warum geht das denn nicht? Scheißdreck!“. Wir quatschten eine ganze Weile, bzw. sie quatschte und ich hörte zu, und irgendwann schaute sie mich wie aus dem Nichts an und sagte: „Du bist sehr hübsch!“. Ich bedankte mich artig für das Kompliment und dachte mir nichts weiter dabei. Mir passiert das hier nämlich öfter, dass wildfremde Menschen mich auf der Straße ansprechen, um mir zu sagen, wie schön ich bin. Nach ein paar Minuten wiederholte sich das Schauspiel: „Du bist wirklich sehr hübsch. Am Ende vom Jahr wirst du verheiratet sein!“ Ääääääh, Moment mal, da habe ich ja vielleicht auch noch ein Wörtchen mitzureden. In unserem etwa halbstündigen Gespräch erwähnte sie etwa zehn Mal wie hübsch ich doch bin und etwas fünf Mal, dass sie sich sicher ist, dass ich hier heiraten werde. Ich wurde ein bisschen misstrauisch, als sie immer mehr von ihrem Enkel erzählte, der wohl gar nicht ihr echter Enkel ist, sondern ein bosnischer Flüchtling der Balkankrieges, den sie bei sich zu Hause aufgenommen hat. Ich ahnte die Richtung, die das Gespräch nehmen würde und verabschiedete mich artig, ich müsse jetzt gehen, weil mein Unterricht anfing. Das stimmt auch, ich kam sogar zu spät und hatte mir schon einen Spruch zurecht gelegt, mit dem ich mich entschuldigen würde („Tut mir leid, dass ich zu spät bin, aber eine Frau wollte mich mit ihrem Enkel verheiraten“), aber mein Lehrer war auch zu spät, also blieb mir die Ausrede erspart.

Weil mich diese ständigen Komplimente ein bisschen verunsicherten, versuchte ich bei meinen Mit-Balkan-Freiwilligen Sarah und Christina zu erfahren, ob es ihnen auch passiert, aber sie antworteten beide, dass das wohl was mit mir zu tun haben muss. Ich scheine hier irgendein sehr seltsames Schönheitsideal zu erfüllen. Sehr mysteriös…

In der Schule ist gerade eine sehr stressige Zeit zu Ende gegangen. Weil das Noten eintragen so Spaß macht, darf man es gleich doppelt, online und in den Klassenbüchern, und auch gleich dreimal im Jahr machen. Elend nervig! Bis ich das serbische Computerprogramm verstanden hatte, und das auch nur mit Hilfe der Liste von Übersetzungen, die mein Vorgänger angefertigt hat (Danke!), vergingen viele Stunden. Die Klassenbücher delegierte ich einfach mal gleich an die Schüler und kontrollierte nur, dass sie sich nicht alle eine 5 eintragen. Und ganz wichtig, die schriftliche Note in Blau, die mündliche in Rot und die Endnote auf jeden Fall mit Bleistift! Warum erschließt sich mir nicht ganz, aber ich habe aufgehört, nachzufragen. Zusätzlich dazu durfte ich noch eine ganze Menge Tests korrigieren. Jetzt weiß ich auch, warum alle Lehrer das Korrigieren hassen. Am Anfang kann man sich noch mega wichtig fühlen mit seinem Rotstift, aber die Spannung lässt sehr schnell nach und man beginnt, die Schüler zu schätzen, die Lücken freilassen, wenn sie sie nicht wissen und nicht auf gut Glück irgendwas reinschreiben, das ich dann wieder korrigieren muss. Aber das ist Gott sei Dank erst mal geschafft, wobei meine Kollegen meine Euphorie gleich dämpften und mir begreiflich machen wollten: „Nach dem Zeugnis ist vor dem Zeugnis!“. Egal, jetzt genieße ich erstmal die zwei Ausgleichstage am Montag und Dienstag, an denen der Unterricht ausfällt, weil die Lehrerkonferenz, zu der wir gar nicht hinmüssen, heute am Samstag stattfindet.

Die Zeit muss ich nutzen, um umzuziehen. Meine Vermieter haben gerade irgendwelche Bauarbeiten und stellten mir in Aussicht, dass es einen Monat elend laut sein wird. Sie boten mir an, in das andere Haus gegenüber zu ziehen, das ihnen auch gehört. So bin ich jetzt gerade am Koffer packen, was sich irgendwie seltsam anfühlt, weil ich ja noch bleibe und nicht nach Hause fahre. Das andere Apartment ist zwar größer, ich verliere aber meinen hammergeilen Meerblick. Deshalb hoffe ich, dass ich in einem Monat wieder zurück darf.

Der Meerblick lohnt sich nach wie vor total, das Wetter ist nämlich nach einer kurzen Regenphase wieder wundervoll. Es ist über 20°C, die Sonne scheint und im Laufe der nächsten Woche werde ich mich auf jeden Fall nochmal zum Schwimmen aufraffen, nur damit ich sagen kann, ich war im November im Meer schwimmen. Das Wasser ist angeblich noch warm genug, ich lasse ich überraschen!

Ich habe überrascht festgestellt, dass das Zwischenseminar ja gar nicht mehr lange hin ist. Ich bin schon knapp zwei Monate hier und habe immer noch nicht das Gefühl, dass Normalität eingekehrt ist. Eigentlich ist das ganz cool, weil es dann auf keinen Fall langweilig wird. Ich bin gespannt, was die nächsten Monate so bringen werden, was in der Schule passiert und was sonst so los ist. Es gab die Idee, dass ich z.B. für schlechtere Schüler irgendeine Art von Förderunterricht geben könnte. Das ist bedingt durch ein wiederum unglaubliches Erlebnis, das ich mit einer Schülerin hatte. Wir wollten in der ersten Klasse anhand der Zeugnisnoten ein bisschen sortieren. Einige Schüler sind in der Deutschklasse, in der ja nur die besten unterrichtet werden sollten, eindeutig falsch, weil sie nichts verstehen. Diese Schüler sollen lieber wieder in ihre eigentlich Klasse zu einem montenegrinischen Deutschlehrer gehen, damit sie nicht bei uns durch die vom höheren Niveau bedingten, schlechteren Noten demotiviert werden. Wir sagten es den betreffenden Schülern und sie waren größtenteils enttäuscht. Natürlich würden sie lieber bleiben und bettelten auch ein bisschen, aber die meisten sahen es dann ein, dass es so besser ist. Nur ein Mädchen kam nach der Stunde nochmal. Sie erklärte uns, dass ihr die Noten egal sind, sie will einfach Deutsch lernen. Und wenn sie bei uns eine 2 kriegt, wäre das vielleicht bei einem anderen Lehrer eine 4, aber sie will lieber mehr lernen als für nichts gute Noten zu bekommen. Diese Denkweise hat mich persönlich beeindruckt, dass eine 15-jährige in diesen Dimensionen denkt und so entscheidet. Sie durfte bleiben, weil sie sich bewusst ist, dass sie viel arbeiten muss und wir ihr das auch zutrauen, auch wenn die Noten schlecht bleiben werden, weil sie in der Verhältnismäßigkeit mit anderen, die z.T. perfekt Deutsch sprechen, einfach nicht mithalten kann. Für diese Schülerin und auch andere, bei denen es knapp ist, wäre so ein Förderunterricht natürlich hilfreich, mal sehen ob es zustande kommt.

So, dann werde ich noch ein bisschen vor mich hin packen, mein Orchester, das gerade auf Orchesterfreizeit ist, vermissen (Gruß!) und mich freuen, dass ich hier sein darf!

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