Drei weitere polnische Städte

Werte Leser,

bereits im Januar habe ich angekündigt, Krakau, Schneidemühl und Posen zu beschreiben, aber dann kamen andere Themen dazwischen und so komme ich erst jetzt, nach dem Nachbereitungsseminar dazu, mein Versprechen einzulösen. Ich bitte um Nachsicht angesichts der Verspätung.

Krakau ist die alte Hauptstadt Polens.

Der Legende nach wurde sie vom Fürsten Krak auf dem Wawelhügel gegründet, nachdem er den dort hausenden Drachen getötet hatte. Tatsächlich ist die Gegend wohl schon seit 20.000 Jahren besiedelt. Zu Polen kam die Stadt mit der Eroberung durch den Piastenfürsten Mieszko I. Im Jahre 990. Nachdem die polnische Hauptstadt Gnesen von einem tschechischen Fürsten zerstört worden war, verlegte Kasimir I. die Hauptstadt im Jahr 1038 nach Krakau. Ende des 11. Jahrhunderts wurde die Hauptstadt nach Plock verlegt, aber das blieb eine kurze Episode. 1241 zerstörten die Mongolen die Stadt, doch schon 1257 erhielt die wiederaufgebaute Stadt das Markteburger Stadtrecht. In der Burg auf dem Wawel ließ sich Wladislaw I. zum König krönen. Bis 1796 blieb Krakau die Krönungstätte der polnischen Könige. Kasimir III. gründete 1364 die Universität Krakau, die zweitälteste in Mitteleuropa. Nikolaus Kopernikus studierte hier. Ab 1430 war Krakau außerdem Mitglied der Hanse. 1596 wurde die polnische Hauptstadt nach Warschau verlegt und Krakau erlebte danach einen Abstieg. Dazu kamen noch zwei Verwüstungen durch die Schweden in den Jahren 1655 und 1702. Mit der dritten Teilung kam Krakau zu Österreich, aber nach dem Wiener Kongress 1815 wurde Krakau zum Freistaat unter Aufsicht der Teilungsmächte. 1846 endete diese Zeit aber schon wieder, weil es infolge eines Aufstandes von Österreich annektiert wurde. Unter der Herrschaft der Österreicher entwickelten sich Kunst und Kultur wie auch zuvor stetig weiter, so entstand zum Beispiel die Künstlergruppe „Das junge Polen“.

Nach der Unabhängigkeit Polens wurde die Infrastruktur der Stadt ausgebaut und sie wuchs stark. Während des zweiten Weltkriegs befand sich in der Wawelburg der Sitz der deutschen Besatzungsregierung, die in Krakau eines der größten Ghettos Polens errichten ließ und das gesamte Personal der Universität ermorden ließ. Zum Glück für die heutige Erscheinung zerstörten weder die Deutschen noch die Sowjets die Stadt. Nach dem Kriege wurde Krakau einerseits zur Industriestadt, andererseits wieder zur Künstlerstadt.

Heute ist Krakau mit an die 800.000 Einwohnern eine der größten Städte Polens, außerdem eine der wirtschaftlich erfolgreichsten Städte des Landes, ein kulturelles und wissenschaftlichen Zentrum.

Schon oft haben mir in Thorn Leute gesagt, Krakau ähnele Thorn. Das ist insofern richtig, als beide ein klar abgegrenztes Stadtzentrum haben. Die Architektur der Altstadt ist zu einem großen Teil barock oder klassizistisch, und verbreitet mit ihrem hellen Verputz, den flachen Dächern und den vielen Fensterläden ein beinahe medditeranes Flair. Das Zentrum des Zentrums von Krakau ist der Marktplatz. Mit zweihundert mal zweihundert Metern ist er einer der größten Marktplätze Europas. Wie auf vielen polnischen Marktplätzen steht mitten auf dem Platz ein Gebäude, das ihn optisch teilt. Im Falle Krakaus ist das die Tuchhalle, eigentlich eine riesige, türmchenbekrönte Arkade, unter deren Säulen verschiedene Marktstände mit allerlei Kunsthandwerk Platz finden. Die Vielfalt der angebotenen Dinge ist so groß, dass ich mich nicht einmal mehr ansatzweise erinnern kann, aber ich weiß noch von Schneekugeln, geschnitzten Schachspielen, Nussknackern, Spielzeugautos, Holzpuppen, Marionetten, Tassen, Krügen, Hüten, Körben, Kartenspielen, Schalen, Porzellanmännlein, Holzeisenbahnen, Schnapsgläsern und den dazugehörigen edlen Schnäpsen. Auf dem Platz stehen noch zwei weitere, kleine Gebäude. Das eine ist eine Kapelle, das andere ein Turm, der an Flickwerk erinnert, weil er mehrere Arten von Mauerwerk enthält. Die Häuser, die sich um den Platz herum gruppieren, sind allesamt groß und prächtig. In einer Ecke des Marktplatzes steht die Marienkirche, eine große, gotische Backsteinkirche mit zwei unterschiedlich hohen Türmen. Einer Legende zufolge geht die unterschiedliche Turmhöhe auf einen Wettstreit der beiden Baumeister, die obendrein noch Brüder waren, zurück, welcher mit dem Tode eines der beiden Kontrahenten beendet wurde. Jeden Tag spielt vom höheren der beiden Türme ein Trompeter eine Melodie in alle vier Himmelsrichtungen, die abrupt abbricht. Damit wird einem legendären Trompeter gedacht, der Krakau bei der Belagerung durch die Mongolen 1241 mit seinem Warnruf gerettet haben soll, aber selbst vom Einschlag eines Pfeils in seine Kehle jäh unterbrochen wurde. Das Innere der Kirche ist bunt bemalt und herrlich ausgeschmückt, aber ohne die Geschmacklosigkeit, die vielen Barockkirchen anhaftet. Detailreiche Bilderzier mag in einer gotischen Kirche ungewöhnlich scheinen, ist sie aber eigentlich nicht. Früher waren die meisten der himmelstürmenden Kirchenschiffe gotischer Kathedralen (die damals auch noch nicht „gotisch“ hießen, denn dieser Begriff wurde ihnen erst in der Renaissancezeit gegeben, um sie in die Nähe der vermeintlich barbarischen Goten zu rücken) im Inneren bemalt, aber als in späterer Zeit das Hauptaugenmerk auf andere Kirchen gerichtet wurde, ließ man die Malereien in den alten Kirchen abblättern oder überstrich sie, als sie verblasst waren. Daher rührt die kühle, schlichte Ästhetik, die heute in vielen gotischen Kirchen anzutreffen ist. In der Nähe des Marktplatzes findet sich das jüdische Viertel, in welchem Mareike und ich eigentlich eine Synagoge besichtigen wollten, aber als wir dann dort waren, fiel uns auf, dass wir in unserer Torheit nicht bedacht hatten, dass Juden ja am Samstag nicht arbeiten, sodass alle Synagogen geschlossen waren und die Gassen wie ausgestorben schienen. Dennoch war es interessant, die Synagogen von außen zu sehen und an auf hebräisch beschrifteten Läden und Restaurants (selbstverständlich mit koscherer Küche) vorbeizugehen. Über der Altstadt thront der Wawel, eine trutzige Burg

Posen ist die Hauptstadt der Wojewodschaft Großpolen und hat etwa 560.000 Einwohner.

968 wählte der Piastenfürst Mieszko I. Posen als Regierungssitz des Piastenreiches aus, damit gilt es als die erste Hauptstadt Polens. 1253 bekam Posen das Stadtrecht, im 13.Jahrhundert wurde auch der Marktplatz angelegt, im 16. Jahrhundert wurde Posen durch die Gründung einer Akdamie und einer Jesuitenschule zu einem Kulturzentrum. Mit den Schwedenkriegen begann ein Verfall der Stadt, die 1793 zu Preußen kam. Die Preußen versuchten im 19. Jahrhundert die Stadt zu germanisieren, aber viele Polen reagierten mit der Gründung von nationalen Vereinen, sodass Posen zu einem Zentrum der polnischen Nationalbewegung wurde. Im Posener Aufstand 1918 brachte die polnische Bevölkerung die Stadt unter ihre Kontrolle. Im Zweiten Weltkrieg gliederten die Deutschen Posen in das Reich ein und deportierten viele Polen. Bei der Eroberung der Stadt richtete die Rote Armee bei der Eroberung der Stadt massive Schäden an. Posen war die Stadt, in der 1956 der Polenaufstand begann. Auch im Zuge der Solidaritätsbewegung gab es Aufstände in Posen.

Von Posen kannte ich für lange Zeit nur den Bahnhof. Als ich an eben jenem Bahnhof endlich eintraf, um dort nicht umzusteigen, sondern mit Jenny und Mareike die Stadt zu besichtigen, regnete es in Strömen, wobei der Regen von Eispartikeln durchsetzt war und der brausende Wind eine hübsche Begleitmusik spielte. Erster Eindruck dreier Touristen: „Die Stadt gibt sich Mühe.“ Auch wenn das Wetter etwas besser wurde, blieb es das ganze Wochende über bei Sprühregen und schneidendem Wind. Ansonsten gefiel uns die Stadt jedoch gut. Wie auch in Krakau, Breslau und Thorn steht auf dem Marktplatz ein Gebäude. Es ist das Rathaus, welches nicht nur erstaunlich bunt ist, sondern vor allem von einem seltsam orientalisch anmutenden Turm bekrönt wird. Direkt neben dem Rathaus findet sich eine Reihe schmaler, quietschbunter und äußerst niedlicher Häuschen. Etwas außerhalb der vor allem durch barocke Ziergiebel und noch barockere Kirchen hervorstechenden Innenstadt findet sich ein erstaunliches Bauwerk: Das Kaiserschloss. Kenner der polnischen Geschichte werden einwenden, das Polen nie ein Kaiserreich war, aber Kaiser Wilhelm II. von Deutschland ließ sich in der Zeit, als Posen von Preußen beherrscht wurde, hier ein großes, graues Schloss im romanisierenden Stil erbauen. An welche Tradition hier angeknüpft werden sollte, war sofort klar, denn die Fenster der Hauptfassade erinnern verdächtig an die Fenster der Kaiserpfalz in Goslar. Auch der Dom (übrigens der älteste in Polen) ist sehenswert, eine gotische Backsteinkirche mit barocken Türmen, die sich interessanterweise nicht in der Innenstadt, sondern auf einer Insel befindet

Schneidemühl ist beträchtlich kleiner als die vorgenannten Städte, findet hier aber Erwähnung, weil ich es besichtigt habe, als ich Jenny dort besucht habe. Schneidemühl wurde 1380 gegründet und kam 1772 mit der Ersten Teilung an Preußen. Einen Aufschwung erlebte die Stadt mit der Eröffnung einer Eisenbahnlinie von Berlin über Bromberg und Thorn ins südliche Ostpreußen. Mit der Eisenbahn kam auch ein industrieller Aufschwung, so wurde 1914 eine der größten Flugzeugfabriken Deutschlands hier eröffnet. Als das Deutsche Reich aufgrund des Versailler Vertrages die Provinzen Posen und Westpreußen abtreten musste, wurde Schneidemühl zur Grenzstadt und zur Hauptstadt der neu geschaffenen Provinz Posen-Westpreußen, die sich aus Resten der alten Provinzen zusammensetzte. Da die Zentren Posen und Bromberg nun zu Polen gehörte, wurde das kleine Schneidemühl mit deren Aufgaben betraut und beträchtlich ausgebaut. Es entstanden gewaltige Verwaltungsgebäude nun neue Wohngebiete, Schulen und ein Konzerthaus. Hintergrund war auch, die grenznahe Stadt zum Vorposten des „Deutschtums“ zu verstärken. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Provinz Posen-Westpreußen aufgelöst und Schneidemühl zur Hauptstadt eines gleichnahmigen Regierungsbezirkes. Die Juden der Stadt wurden deportiert. Dem zweiten Weltkrieg fielen drei Viertel der Stadt zum Opfer, die Innenstadt wurde sogar zu neun Zehnteln zerstört. Nach dem Krieg wurden die Deutschen aus der Stadt vertrieben und Schneidemühl zur Hauptstadt der gleichnamigen Woiwodschaft gemacht, bevor es 1999 zur Woiwodschaft Großpolen kam.

Schneidemühl hat 75.000 Einwohner und ist eine größtenteils neue Stadt. Nachdem ich Vorkriegsfotos gesehen hatte, war ich entsetzt, nun fast keine alten Gebäude mehr vorzufinden. Breite Straßen, Plattenbauten und Mehrfamilienhäuser prägen das Bild. Alles ist großzügig und gepflegt, aber städtischen Charme sucht man vergeblich. Als Sehenswürdigkeit habe ich lediglich eine barocke Kirche in Erinnerung.

In Kürze wird mein Abschlussartikel folgen, denn mein Freiwilligendienst ist nun zuende.