In Sneakern durch den Colca Canyon

10. – 11. Oktober 2017, Arequipa

1100 Meter Höhenunterschied.

Hoch, wieder runter und wieder hoch.

Das erste, das mir auffiel, war, dass es eine Schande ist, dass es nur 7 Weltwunder gibt und diese auch noch vom Menschen geschaffen wurden.

Schön immer sich selbst zu loben, während das wirklich Beeindruckende schon seit tausenden von Jahren einfach vor sich hin existiert.

Wunderschön ohne sich anzustrengen.

Einfach nur Stein und Gestrüpp.

Während ich unten im Colca Canyon nach vier Stunden wandern – gestartet sind wir vom verschlafenen Dörfchen Cabanaconde – ein kleines Päuschen auf Steinen, die von heißen Thermalquellen erhitzt wurden, machte, sah ich hinauf. Bis zur Spitze.

Es war magisch.

Beim Anblick dieses gigantischen, majestätischen Mineralienhaufen vergaß ich nicht nur die Blasendeko an meinen Füßen, sondern auch die Zeit.

Der Anblick war wie eine Droge. Jedes mal, wenn ich wegguckte spürte ich Verlustängste. Wenn ich hinguckte, wollte ich mehr.

Höhe gewinnen.

So war es auch nicht schlimm, dass meine Füße in meinen zum Wandern eher ungeeigneten, gewöhnlichen Sneakern, hin und her rutschten. Oder, dass meine Finger so stark angeschwollen waren, dass ich Angst hatte, mein Ring würde demnächst abspringen. Ich wusste zu diesem Augenblick nicht, dass so etwas tatsächlich passieren kann (kommt dadurch, dass die Hände durchgängig nach unten hängen und das Blut sich in den Fingern sammelt, wird durch falsch eingestellte Schultergurte, die die Blutzufuhr abschnüren, noch verstärkt.)

 

Es war sogar irgendwie schön zu sehen, wie der Körper auf diese neue extreme Situation reagierte. Ich konnte mir auf dem gesamten Weg ein Lächeln nicht verkneifen.

Mehr!

Es war etwa 17.00 pm und die Sonne hatte sich verabschiedet.

Aber der Schleier aus orangeroten Strahlen, den sie immer abends anlegt, zeigte einem, dass Abschiede nicht immer traurig sind.

Es schien so, als wären die Berge so atemberaubend groß, weil sie diejenigen sein wollen, die das letzte bisschen Sonne aufnehmen.

Wenn ich mich noch ein bisschen strecke und recke, dann kriege ich sie noch. Bitte, nur noch fünf Minuten!

Wenn diese an Lamarck angelehnte Theorie stimmt, würde das auch erklären, warum ich so groß geraten bin.

Nur noch ein bisschen Sonne.

Und dann passierte es.

Ich sah die Berge atmen.

Als wäre die Oberfläche der Berge aus Wasser. Ich konnte Wellenbewegungen erkennen.

Der eine oder andere mag das auf die Hitze und den Wassermangel schieben wollen, aber ich glaube tief und fest an Pachamama, die Muttererde.1

In diesem Moment hat sie mir etwas von ihrer Macht gezeigt.

Ich kann ihr dafür nur aus ganzem Herzen danken.

Doch man muss sich drauf einlassen.

Denn es ist klar, dass die oben benannten Spielverderber so etwas nicht ernst nehmen würden, Angst haben würden etwas zu sehen, das in ihrer Welt nicht möglich ist und es eben auf den Wassermangel schieben würden.

Unnötiger Aufwand.

Jedenfalls kamen wir irgendwann in der Llahuar Loge an.

Noch so ein besonderer Ort.

Die Zimmer waren einfache Bambushütten mit Wellblechdach und Strom gab es nicht wirklich. Dafür gab es eine beeindruckende Flora.

Darunter eine, die „Anti-Moquito“ wirkte.

Und beim Essen saßen wir auf einer kleinen Terrasse über dem Fluss. Umringt von den riesigen, atmenden Bergen.

Man konnte runter zum Fluss – falls der Muskelkater einem das erlaubte – und traf auf Thermalbecken.

Da saßen wir in den Becken und entspannten unsere treuen Laufglieder.

Die Sonne war nun vollkommen verschwunden.

Und plötzlich saß man mitten in der Milchstraße.

Es gab fast gar keine Lichtverschmutzung und man sah Sterne, die sonst völlig im Schein der Stadt untergehen.

So stell ich es mir im Schoß meiner Mutter vor.

Nur, dass ich dort wohl kein kühles Bier in der Hand hatte…

Es war einfach nur angenehm seinen eigenen Körper zu fühlen, zu wissen, dass er zu mehr zu gebrauchen ist, als morgens zum Bäcker zu laufen.

Bis dahin war der angenehme Teil der Tour.

Dann ging es in die Hölle. Doch musste man dafür nicht runter, sondern nach gaaanz oben.

Nach einem super nährreichen Frühstück (Schokocornflakes mit Milch) ging es gute drei Stunden im ZickZack den Berg hoch.

Das war wirklich die bisher krasseste körperliche Erfahrung in meinem Leben.

Da half der schöne Ausblick auch nicht mehr.

Meine Schritte waren eher eine Art Schleifen.

Ich versuchte mich auf jeden dieser (Schleif-)Schritte zu konzentrieren.

Ein Fuß vor dem anderen.

Nach der Hälfte des Weges konnte ich nicht mehr. Ich setzte mich auf einen großen Stein und schloss die Augen.

Bestimmt fünf Minuten saß ich einfach nur da und hoffte in meinem Bett aufzuwachen.

Irgendwann wurde mir klar, dass Hoffen nichts bringt.

Ich musste oben ankommen, muss. Muss. MUSS.

Ich nahm alle meine Kräfte zusammen und … musste mich nach zehn Metern wieder hinsetzen.

Mir schwirrte durch den Kopf, dass ich mich wegen des Kreislaufs nicht hinsetzen darf, aber das war in diesem Moment nur bla, bla, bla.

(Kleine) Pause.

In diesem Tempo – Schleifschritt, sitzen, Schleifschritt, sitzen, … – kam ich irgendwann oben an.

Ein paar Schritte noch durch ein kleines Dorf, wo ich meine letzten Soles (peruanische Währung) für das Zuckerhaltigste ausgab, das ich finden konnte.

Leute, ein Brunnen,…

Und dann kam es. Freude.

Simple Freude und Stolz.

Meine erste Trecking Tour.

Plötzlich war die Energie wieder da. Wir fingen an zu singen und zu tanzen.

Bis in die Nacht hinein war ich mit Freude erfüllt und mir wurde bewusst, wie sehr ich das Leben liebe.

 

Hier möchte ich noch liebe Grüße an die anderen zwei Mädels schicken. Paula, die das Ganze mit einem fast gebrochenen großen Zeh und Sofie, die den ganzen Weg hoch den schwersten Rucksack getragen hat.

 

 

1>>Die Göttin Pachamama oder Mama Pacha (Quechua:“Mutter Welt, Mutter Kosmos“) gilt einigen indigenen Völkern der Anden Südamerikas als personifizierte Erdmutter, die Leben in vielfacher Hinsicht schenkt, nährt, schützt und zu ritueller Kommunikation fähig ist. Pachamama ist vermittlerin zwischen Ober- und Unterwelt. […] Das Wort pacha gibt es sowohl im Quechua als auch im Aymara, wo es das gleiche Bedeutungsfeld umfasst. Der Begriff pacha umfasst in beiden Sprachen seit jeher und bis heute sowohl Zeit als auch Raum, damit also die Gesamtheit des Seins, die Totalität.<< ~ Wikipedia