Ein letzter Wink.

Wie ist es, einen Flug um 6 Uhr morgens zu haben?
Eigentlich nicht anders als einen um 12, 17 oder 19:53 Uhr.
Der einzige Unterschied ist, dass man, statt einem halben Liter Kaffee, 3-4 Liter braucht, um auch nur auf die Idee zu kommen, sich Reise bereit zu machen….
Außerdem muss man seine Lieben aus dem Bett prügeln, damit sie einen am Flughafen gebührend verabschieden.
Nach einem letzten Mal Vollkornbrot mit Käse geht es los.
Bis zum Flughafen betäubt der Schlaf mein Knäuel aus Gefühlen. Ruck zuck steh ich in der Schlange zur Sicherheitskontrolle.
Langsam kommt es. Es fängt im Bauch an und dreht deinen Magen dreimal um die eigene Achse. Danach wandert es weiter zum Herzen, das sich langsam zu einem matschigen Brei verwandelt.
Und erst ganz spät registriert dein kleines dummes Hirn: „Ich gehe ab hier alleine weiter…“
Am liebsten würde ich durch die Sicherheitskontrolle fliegen.
Jede weitere Sekunde fordert eine weitere Träne und die Schlange vor mir schrumpft nur langsam.
„So ein Jahr geht verdammt schnell rum“ – jemand der schon zuhause ist oder keine Ahnung hat.
Endlich bin ich durch.
Ein letzter Wink.
Jetzt bin ich alleine unter Fremden und mit jedem Schritt entferne ich mich von meinen Lieben.
(Was ich da noch nicht weiß: mit jedem Schritt nähere ich mich etwas Neuem – vielleicht sogar etwas Besseren?)

Wenn man versucht seine Gefühle in dieser Situation zu erklären, kommt man nicht wirklich zum Punkt. Was wird sein, wenn ich wiederkomme? Werden mich meine Leute vermissen? Werden sie mich ersetzen?
Man will sich davon lösen, um sein Jahr zu genießen und trotzdem ist da eine gewisse Angst.
Doch man sollte immer im Hinterkopf behalten, dass man die Zeit der anderen nicht anhalten kann und man sich das nicht wünschen sollte, denn so ein Jahr kann Beziehungen auch bereichern, neue Ideen einbringen. Und wer einen nach einem Jahr ersetzt hat, ist nicht weiter der Rede wert und man sollte froh sein, denjenigen als Freundschaftsschwindler entlarvt zu haben.

HAN -> AMS
Ich fühle mich wie in einem dieser tragischen Filme, die, die jeder kennt.
*Der Wind peitscht ihr den Regen ins Gesicht und ihre Tränen fallen fast gar nicht mehr auf.
Die feuchte Morgenluft schmeckt frisch und doch voller Trauer.
Ein letzter Blick über die Schulter auf die Silhouette des hannoverschen Flughafens, der in einem romantisch orangenem Licht in der Dunkelheit liegt, während sie im Regen das Treppchen zum kleinen Flugzeug hinaufsteigt…*
Könnte im Drehbuch stehen.
Was dort jedoch nicht stehen würde, wären die vergleichsweise kleinen Reifen, die so viel Metall und so viele Menschenleben tragen sollen, und mich extrem beunruhigen.
Ich bin schon öfters geflogen, doch habe ich mir eher Gedanken gemacht, ob es kostenlose Kopfhörer gibt und warum Leute immer diesen widerlichen Tomatensaft trinken.
Doch hat schon mal jemand seine Aufmerksamkeit diesen kleinen Reifen geschenkt?

Die Flugmaschine gehört zu den kleineren Modellen und jeder Windstoß lässt die Köpfe der Passagiere vor mir auf eine surreale Art und Weise im gleichen Takt und vollkommen synchron tanzen. Ab und zu kommt es zu einer Bewegung, die mein Herz für eine Sekunde aussetzen lässt und tragische Bilder von abstürzenden Flugzeugen tauchen in meinem Kopf auf.
Zum Glück sitzt neben mir eine redebedürftige junge Dame, die mich mit einem interessanten Smalltalk ein wenig von dem turbulenten Flug ablenkt.
Und erst bei der holprigen Landung in Amsterdam wandern meine Gedanken zurück zu den kleinen Reifen, die letztendlich die beste Lösung für eine sichere Landung im Zielhafen sind.

!Tipp! Meine Sitznachbarin meinte, dass man bevor man fliegt, die krassesten Achterbahnen fahren muss. Dann hat man auch keine Angst, wenn das Flugzeug ungesunde Geräusche und Bewegungen macht!

AMS -> LIM
Ungeduldiges Schnurren.
Man weiß, es geht gleich los.
Immer schneller und schneller.
Erste träge Versuche abzuheben.
Und… es gelingt.
Ich spüre diesen Sprung im Herzen, den, den man spürt, wenn man voller Vorfreude, Angst, Glück oder Liebe ist.
Man spürt es auch, wenn man fällt, doch ich hebe grade ab.
Eine Rechtsneigung. Ein letzter Blick auf die Niederlande. Eine Linksneigung.
Und jetzt schwebt man mit diesem Koloss von Flugzeug einfach in der Luft.
Es geht los!

2 Gedanken zu “Ein letzter Wink.

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