Halbzeit

Ein Ausflug zu den Dinosauriern. Eine Bibliothek auf deutsch. Umziehen. Buntglasfenster. Geburtstage. Reiten mit Cowboys. Oder: Was in den letzten beiden Wochen so passiert ist.

Zwei Wochen ist es erst her, es fühlt sich schon viel länger an, da fuhren wir nach Kutaissi. Das heißt: Nach dem Sprachkurs beeilen, Johanna zur Eile antreiben, aber dann in Didube (dem Marshrutka-Zentrum) die Feststellung, dass die Marshrutka erst eine Stunde später abfährt. Also angeblich. Aber zufällig ist ja hier ein Taxi, dass uns für fünf Lari mehr sofort nach Kutaissi bringen würde… Naja, gut, besser als eine Stunde in der Kälte stehen. Angekommen dann ein Empfang mit Spaghetti Carbonara.

Am nächsten Tag Wandern nach Sataplia, ein Nationalpark, der für seine Dinosaurier bekannt ist. Die Führung brachte uns vorbei an Fußspuren von Pflanzenfressern und Fleischfressern……ein paar traurigen Plastikdinos… …am Namensgeber des Parks (In einem Berg wohnten früher Bienenvölker, auf Georgisch heißt Honig თაფლი – tapli, à Sataplia), durch eine Grotte mit einem steinernen Herzen ……bis zur Glasbodenbrücke. So verkratzt, dass man nicht mehr hindurch blicken kann, dabei ist sie noch gar nicht so alt. Schade. Dann wieder sieben Kilometer zurück. Abends noch ins Restaurant und schon ist der Tag vorbei.

Tags darauf schon wieder Hektik, ich muss gegen Mittag in Tbilisi sein, da ich eine Führung durch die Humboldt-Bibliothek bekomme. Also die Zehntklässler meiner Schule, aber ich darf mit. Eigentlich ist es nur ein Lesesaal, aber komplett mit deutschen Büchern bestückt! Der Ausweis macht mir leider noch Probleme, aber ich bleibe dran.

Dann begann auf einmal die letzte Woche in der Altstadt, und ehe ich mich versah, war ich auch schon umgezogen und in meinem neuen Zimmer eine ganze Wand mit Fotos versehen. Schnell noch die Lieben in Deutschland vom Essen abgehalten, damit sie das Zimmer in all seiner Pracht bestaunen können, und danach ab zurück in die Altstadt, die ich mit jedem Tag vermisse. Dort ging es in eine kleine Galerie, wo handgemachtes Allerlei verkauft wird. Lieber nicht auf die Preise gucken, aber die Sachen sind so schön, und einen neuen Beutel brauch ich ja sowieso… Am schönsten aber die Buntglasfenster, deren Strahlen man auf den Fotos gar nicht einzufangen vermag.

Am nächsten Tag, nach einer eher miesen ersten Nacht (hoffentlich geht nicht wirklich in Erfüllung, was man in der ersten Nacht träumt), Einladung zu einem sehr, sehr guten Frühstück, danach Wandern. Tbilisi liegt in einem Tal, drum herum Berge, nur wusste ich nicht, dass man da tatsächlich herumspazieren kann. Somit folgte mein erster Besuch am Schildkrötensee, naja, mit dem Seddiner See nicht zu vergleichen (warum gibt es in dieser Stadt keinen einzigen Badesee?), und dann hoch hinaus auf die Berge. Schöne Aussichten, sogar die Schule habe ich erkannt, steile Aufstiege, Diskussionen über das georgische Schulsystem. Wir können es nicht ändern. Über Stock und Stein, durch Wälder, vorbei an verlassenen Wasserreservoirs, deren Funktionsweise uns sich nicht erschließen mag, schließlich angelangt am Ziel: über einen Zaun („Das ist erlaubt, seht mal, die Streben sind doch bestimmt extra zum Klettern gemacht“) klettern wir auf das Gelände des Mtatsminda-Parks. Vorbei an Gewächshäusern, verlassenen Karussells und ausgemusterten Seilbahnwagen kommen wir zum Herzen des Vergnügungsparks. Dort picknicken wir. Dann geht es wieder runter in die Stadt, mit der Zahnradbahn, hinter uns Deutsche. Die sind aber auch überall ? Unten warten auf das Taxi, ach nein, die Marshrutka Nr. 4 fährt ja auch hier, also sehen, was schneller kommt. Die Marshrutka. Wieder in der Wohnung angekommen, bin ich fix und fertig.

Am nächsten Tag ab in die Schule, ich bin extra früher gekommen, nur damit mir gesagt wird, dass mein vorbereiteter Unterricht später (also nie) stattfinden muss, aber dafür gibt’s Torte. Da ich dann drei Freistunden habe, biete ich mich an, eine Übungsprüfung zu kopieren. 34 Mal zehn  Seiten. Und doppelseitig kopieren wäre zu ökologisch. Relativ fix bin ich fertig, von den Freistunden ist noch zu viel übrig, „Kannst du das dann noch tackern?“. Sicher. Danach etwas Entspannung bei den Viertklässlern, die es immer voll toll finden, dass ich Deutsch sprechen und sogar ohne Rechtschreibfehler an die Tafel schreiben kann. Ich habs halt drauf…

Abends schmuggeln wir uns noch (ohne Karten) in einen Dokumentarfilm über das Leben von mehreren Menschen in der Stadt Telavi, der mich sehr nachdenklich stimmt. Wieder mal wird mir bewusst, dass es hier Probleme gibt, die ich bis jetzt nicht mal im Ansatz erfassen kann. Geschweige denn, etwas zur Lösung beizutragen.

Am Dienstag Geburtstag der Lieblingskollegin, die geplante Geburtstagsüberraschung fällt flach, weil die Kinder weder Torte noch Ballons besorgt haben. Hatten wir auch nur 3928 Mal besprochen, aber na gut. Ein in der Fünf-Minuten-Pause gezeichnetes Tafelbild muss reichen. Und singen. Abends dann noch ins Restaurant, Bauch vollschlagen mit Khinkali und Chatschapuri, ich schlemme selig vor mich hin, bis mir auffällt, dass die Runde gerade dabei ist, meinen Geburtstag zu planen. Och nö.

Mittwoch will ich wieder den Unterricht von Montag machen, aber guess what: „Heute lieber nicht. Später irgendwann.“ Na danke. Dann halt zu meinen liebsten, nettesten kleinen Drittklässlern, die ich zwar nicht verstehe und die mich auch nicht verstehen, aber sie sind so süß. Und motiviert. Und freuen sich wieder über mein Schriftbild und meine Rechtschreibung. Hach. Immer, wenn ich mies gelaunt bin, gehe ich zu denen, danach komme ich immer mit einem breiten Grinsen raus.

Nachmittags ein kleiner, spontaner Ausflug zum Lisi Lake, der viel schöner ist als der Schildkrötensee. Drumherum kann man spazieren, Fahrrad fahren und joggen, die Landschaft ist ein Traum. So gar nicht versmogte Großstadt. Plötzlich sieht Johanna ein paar Cowboys. Also Kuhhirten. Und die sitzen auf Pferden. „Die müssen wir uns angucken!“ Na gut… Zehn Minuten später, ich will weiter. „Ob man mit denen reiten kann?“ Weiß ich nicht, ist mir auch ziemlich egal, ich will los. Den Männern ist Johannas sehnsüchtiger Blick nicht entgangen, und so stehen wir zwei Minuten später (nachdem sie noch ein ausgebüxtes Rindvieh gefangen haben) auf der Weide. Und Johanna auf dem Pferd. Um es abzukürzen, ich saß auch drauf, es war schon cool, nein, ich will es erstmal nicht noch Mal machen. Ein Erlebnis war es allemal. Krass, so ein Freiwilligendienst, in dem man vormittags Kinder bespaßt, in einer Großstadt wohnt, und nachmittags einfach so auf einem Pferd sitzt und in die Ferne sieht. *und alles, ohne die Sprache zu beherrschen.

Nächster Tag, B-Gruppe (also die nicht so guten) der Zehntklässler, von denen genau vier Personen mich verstehen. Aber ich lass mich zum ersten Mal drauf ein, auch englisch mit einer Schülerin zu reden, und, naja, ich hätte es früher tun sollen. Wir haben uns gut verstanden. Einer der Jungs spricht aus irgendwelchen Gründen Französisch, und die Klasse ist fasziniert, dass wir uns in einer so schweren Sprache unterhalten können. Und mein (grauenhafter) Akzent sei ja so toll. Schließlich wird mir die Fragerei (mein All-Time-Favorit: Sind dein Zwillingsbruder und du identisch?) in vier verschiedenen Sprachen allerdings zu viel, die Lehrerin fragt auf Deutsch, ein paar Schüler auf Englisch, einer auf Französisch und ein paar ignorieren auch konsequent meine Unkenntnis der georgischen Sprache. Außerdem geht es wie immer nur darum, warum ich eigentlich in Georgien bin, ob ich studiere (wie denn?) und wo ich wohne. Aber auch dieses Chaos geht vorbei. Nachmittags noch ein Plakat mit den Kindern basteln, warum man lesen sollte. Aus Zeitmangel übertrage ich einem Mädchen die Aufgabe, doch zeitgleich die Landeshauptstädte auf die Deutschlandkarte an der Wand zu schreiben (die ist da so aufgemalt), und sage nur, dass sie alles mit Bleistift vorschreiben möge. Als Hilfe lege ich ihr eine Karte MIT Hauptstädten daneben. Ich kontrolliere sie nicht, bevor sie alles mit Edding schreibt, und somit haben wir plötzlich die Stadt Rockstock, statt Bremen Oldenburg und statt Hamburg Bremen an der Wand. Ups.

Und ganz plötzlich, ohne das es besonders auffällt, ist der Freiwilligendienst schon zur Hälfte vorbei.

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2 Antworten zu Halbzeit

  1. Steffen sagt:

    Jule!
    Es ist ein Genuss, Deine Zeilen zu lesen.
    „Hast es eben drauf“

    Elternteil

  2. Peter sagt:

    Hallo Julia, nach der unfreiwilligen Funkstille, nun doch noch mein Kommentar. Vorab: Was Du in zwei Wochen erlebt bzw. gemeistert hast „Chapeau“. Dafür brauchen die meisten Leute einige Wochen. Spannend zu lesen war der Teil über Kutaissi. Der Besuch der Dinos und der Grotte war sicher eindrucksvoll. Erstaunlich für mich ist auch die enge Beziehung zur deutschen Sprache (Humboldt – Bibliothek). Dass Du „Deine Altstadt“ vermisst, kann ich verstehen. Sehr schön fand ich Deine Beschreibung Deiner Erfahrung als Jockei und des normalen Schulalltags. Schön, dass Du Deine Sprachkenntnisse einbringen konntest. Deine Wanderungen durch und um Tbilisi herum solltest Du gesondert zu Papier bringen. Zum Schluss: Die Fotos waren auch wieder ganz toll.

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