Ein Glückspilz

Ruhig? Pustekuchen! Ruhig kann ja auch irgendwie jeder. Um es schon vorweg zu nehmen: der Tag war extrem anstrengend und bis jetzt einer der besten Tage hier. Zudem habe ich eine Landschaft und Orte gesehen, von der ich nicht dachte, dass es sie gibt.

Nachdem ich mich spontan mit einer anderen Freiwilligen verabredet hatte, wussten wir schnell, wo die Reise hingehen soll: nach Kojori. Einem Ort, der irgendwie nicht in unserem Reiseführer steht, aber auf Google maximale Ruhe, frische Luft und eine Ruine versprach. Was will das Spießerherz mehr? Eine halbe Stunde waren wir damit beschäftigt, herauszusuchen, wie man überhaupt dahin kommt. Marshrutka? Nö, gibt’s dort nicht. Zug erst recht nicht. Taxi? Nee, zu teuer. So viel Geld bekommen wir dann auch nicht. Bus? Man höre und staune, aber tatsächlich: quasi von meiner Haustür fährt ein Bus nach Kojori. Wenn man einen Fahrplan und ein Liniennetz gehabt hätte, hätte man das sicher leichter herausgefunden…

Allein die Fahrt war den Aufwand aber schon wert: wir hatten einen fabelhaften Ausblick über Tbilisi. Hatte ich mich vorher gewundert, wie man für elf Kilometer eine Stunde benötigen konnte, wurde mir der Grund schnell klar: Tbilisi liegt in einem Tal, und auf die Berge kommt man natürlich nur durch Serpentinen. Sehr viele, sehr steile Serpentinen. Teilweise fragte ich mich echt, wie die Busse das geschafft haben.

In Kojori angekommen, sahen wir… nichts. Dorf halt. Ein kleiner Dorfladen, wo wir uns mit Brot und Keksen eindeckten (mangels Restaurant). Mehr nicht. Aber wo war die Ruine? In weiter Entfernung war eine zu sehen, aber so weit weg…?

Nach einer weiteren Suche auf Google Maps wurde ich fündig, es war die entfernte Ruine, der Weg sah auch gar nicht weit aus.

Nun ja. Mehr als eine Stunde später, nachdem wir das Dorf ausgiebig besichtigt hatten, über Stock, Stein und Schlammstraße gewandert waren, mehrere nette Hunde kennengelernt hatten, waren wir am Ziel. Die Ruine von Kojori: Aragani. Leider habe ich trotz Recherche nicht herausfinden können, was das ursprünglich war. Vermutlich ein Schloss, jedenfalls stammen die ältesten Teile aus dem elften Jahrhundert.

Mit Worten kann ich gar nicht ausdrücken, was man dort oben empfindet: es war für mich einer der schönsten Orte, an denen ich je war. Kilometerweite Sicht, Ruhe, absolute Freiheit. Abgründe, die nicht gesichert waren, Kletterpartien inklusive. Abenteuer. Wie gesagt, ein Gefühl, dass ich nicht beschreiben kann.

Auf die Ruine kommt nicht jeder Mensch, der Zugang ist so schmal, dass selbst wir überlegt haben, ob wir da durch passen. Haben wir, gerade so. Weitere waghalsige Klettermanöver, das Gefühl, etwas geschafft zu haben. Den ganzen Weg bezwungen. Die Aussicht phänomenal, eigentlich wäre ich am liebsten dort geblieben.

Die Bilder konnten den Ausblick nicht wirklich einfangen. Auch wenn der Ort nicht im Reiseführer steht, empfehle ich jedem, der nach Georgien fährt, diesen Ausflug. Wir waren auch eine ganze Weile die einzigen beiden Menschen, anders als am Tag zuvor in Mtskheta.

Irgendwann mussten wir zurück, denn wir wussten nicht wirklich, ob und wo ein Bus fährt. Letztendlich haben wir herausgefunden, dass wir uns einen Großteil des Hinweges hätten sparen können, aber hey, Shit Happens. Zeitlich machte es keinen Unterschied, da der klapprige Bus durch das ganze Dorf fuhr, und gefühlt auch jede mögliche Schleife mitnahm…

Für mich war es ein ganz besonderer Tag. Vor einem Jahr hätte ich nie in Betracht gezogen, mal alleine in einem Land mit fremder Sprache und Schrift zu wohnen, alleine. Und jetzt bin ich hier. Ich glaube, ich beginne erst jetzt zu realisieren, was das bedeutet.

Was für ein Glückspilz ich bin, in dieses Land geschickt worden zu sein!

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Eine Antwort zu Ein Glückspilz

  1. Mama sagt:

    Das sind ja Erlebnisse, die auch in einem oder zwei Monaten hätten passieren können. Ganz tolle Bilder.
    Mama :o)

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