Tsagaan Sar

Das „Jahr des Wasserdrachen“ hat begonnen. Und zwar mit einem beeindruckenden, sehr rituellen Fest: Tsagaan Sar („Weißer Mond / Monat“). Dieses Jahr haben die Lamas es geschafft: Pünktlich zu Tsagaan Sar, dem buddhistischen Neujahrsfest, das den Frühlingsanfang markiert, ist es tatsächlich wärmer geworden!

Mehrere Wochen beschäftigten sich Lamas mit der genauen Berechnung des Jahresbeginns. Die geografische Lage der Mongolei ist zu berücksichtigen, deshalb weicht der mongolische Mondkalender vom indischen oder chinesischen um Tage ab. In der Regel wird Neujahr aber am zweiten Neumond nach der Wintersonnenwende begangen.

Alles an den Feiertagen ist symbolisch für Glück, Freude und Reichtum im neuen Jahr. Und die meisten dieser Riten wird durch Essen repräsentiert. Deshalb starten schon Wochen zuvor die Vorbereitungen im ganzen Land: In jeder Familie wird gekocht, um eine auch noch so große Zahl von Gästen bewirten zu können. Tausende Buuz werden vorbereitet und dies per Hand. (Ich habe herumgefragt und die Schüler bestätigen, tatsächlich zwischen 1000 und 3000 Buuz gemacht zu haben!) Das Fleisch wird kleingeschnitten, der Teig geknetet und geformt. Eine anstrengenden, zeitaufwendige Arbeit, die meist von den Frauen der Familie ausgeführt wird. Zum Aufbewahren werden die Buuz dann einfach auf den Balkon gestellt oder in Plastiktüten aus dem Fenster gehängt! Während der Feiertage werden die Buuz dann von der Familie und ihren Gästen gegessen. Es gilt als Garantie für ein glückliches Leben im neuen Jahr, während der Festtage den Bauch bis an die äußerste Grenze gefüllt zu haben..

Traditionell befinden sich so genannte „weiße“ Speisen auf dem Tisch, meistens eine Schüssel Reis mit Rosinen und z.B. getrockneten Quark („aaruul“) oder „schar tos“ (eine Art Butter mit Rosinen). Das zentrale Essen ist das größte Schaf, das eine Familie sich leisten kann, besonders wichtig ist dabei das Fett. Überall steht der gekochte Hammelrücken bereit, die dicke Schwarte glänzt, am unteren Ende seines schweren, fetten Schwanzes bilden sich Fetttröpfchen, die von einem kleinen Tellerchen aufgefangen werden.

Während Tsagaan Sar ist Essen sogar Teil der Dekoration: Das Zentralstück besteht aus Lagen großer Gebäckstücke (Neujahrsbrote), die „ul boov“ genannt werden. Sie werden in flachen, länglichen Formen hergestellt und auf ihrem Teig sind Mandalas eingepresst. Die Gebäckstücke werden zu einem kleinen, kreisförmigen Turm aufgetürmt und mit Milchprodukten, Weichkäse und geronnenem Schmand (auch „weiße“ Speisen) verziert. Außerdem schmücken bunte Bonbons und Würfelzuckerstücke den Aufbau. Die Zahl der Gebäcklagen ist immer ungerade, das soll Glück bringen. Junge Leute haben drei Lagen, Ehepaare fünf Lagen und Großeltern sieben Lagen des Gebäcks.

Der letzte Tag des Jahres (diesmal 21.2.2012) wird zunächst einmal zum absolut gründlichen Putzen der Wohnung genutzt (vergleichbar mit unserem Frühjahrsputz). Wenn dies erledigt ist, bildet der Neujahrsabend („bituun“) den Auftakt für das mehrtägige Fest. Er wird mit einem Essen im familiären Kreis gefeiert. Dabei schneidet traditionell das älteste männliche Mitglied der Familie den Hammel an und überreicht jedem ein Stück.

Am Neujahrstag („schinijn negen“) versammelt sich viele Familie mit den ersten Sonnenstrahlen draußen, um mit offenen Armen das neue Jahr zu begrüßen. Viele besuchen auch einen“ovoo“ (heiliger Steinhaufen) und umrunden ihn dreimal im Uhrzeigersinn, dabei werfen sie je Runde einen Stein auf den Haufen und wünschen sich etwas. Meine Gastfamilie hat dies jedoch nicht getan. Wir sind am Morgen einfach zur Oma gefahren, um sie als ältestes Familienmitglied zuerst mit dem Neujahrsgruß („zolgokh“) zu begrüßen. Bei dem Gruß bezeugen sich Familienmitglieder, Freunde, Kollegen usw. dem Alter nach Respekt. Außerdem soll die Geste unterstreichen, dass die Älteren den Jüngeren vertrauen können. Beim „zolgokh“ geht man mit geöffneten, nach vorne gehaltenen Händen von Anwesendem zu Anwesendem, der Jüngere greift mit nach oben gerichteten Handflächen unter die Arme des Älteren, um ihn zu stützen. Man beugt sich vor, doch statt sich auf die Wangen zu küssen, wird die Luft durch die Nase gezogen, man „beschnüffelt“ sein Gegenüber. Dabei tauscht man auch einen traditionellen Gruß aus. Für mich vereinfacht auf: „Amar baina yy?“ „Amar baina yy? Saikhan shinelj baina yy?“ „Saikhan, saikhan. Ta saikhan shinelj baina yy?“ „Saikhan, saikhan.“

Nach dem Alter vorgehen bedeutet: Der Zweitälteste überreicht dem (sitzenden) Ältesten einen khadag, ein blaues Seidentuch, und wünscht ihm als Erster „Gesundheit und Glück“. Danach setzt sich auch der Zweitälteste und der Drittälteste begrüßt die beiden älteren Personen usw. Wenn man selbst alle älteren Anwesenden gegrüßt hat, setzt man sich und wartet darauf, von den Jüngeren gegrüßt zu werden. Ausnahme 1: Gleichaltrige grüßen sich im Stehen, ein Arm stützt, der andere wird gestützt. Ausnahme 2: Ehepartner begrüßen sich nicht, da sie als eine Einheit angesehen werden.

Nach dem Neujahrsgruß setzt man sich. Der Gastgeber schenkt Vodka ein und spritzt etwas davon in die vier Himmelsrichtungen, außerdem opfert er einige Buuz den Göttern. Einige werden in den buddhistischen Schrein gelegt, andere auf den Hammelrücken. Danach beginnt das Essen. Man nimmt sich zunächst ein wenig von den weißen Speisen, dann erhält der Gast  eine kleine Scheibe vom fetten Hammelrücken und dazu eine Tasse gesalzenen Milchtee.  Danach kann man sich reichlich am restlichen Essen (Buuz, verschiedene Salate, Wurst und mehr) bedienen. Wenn man etwas von dem Gebäckturm naschen möchte, ehrt man diesen zuerst, indem man ihn mit der rechten, nach oben gerichteten, ausgestreckten Hand antippt.  Oft gibt es auch Airag (fermentierte Stutenmilch) und/oder Vodka und man trinkt auf Gesundheit und Erfolg im neuen Jahr. Der Alkohol wird in kleinen Schalen oder Gläsern gereicht und wird mit der rechten Hand entgegengenommen. Mit der linken Hand stützt man seinen Ellenbogen.

Innerhalb der gesamten ersten Woche des neuen Jahres reist man herum, um die gesamte Familie und möglichst viele Freunde und Nachbarn zu besuchen. Auch dabei geht man nach Verwandschaftsgrad und Alter vor. Tsagaan Sar ist vor allem auf dem Land oft die einzige Gelegenheit im Jahr, bei der sich die ganze Familie trifft. Und so werden an diesen Tagen alle Neuigkeiten ausgetauscht: Wer hat geheiratet, wer hat ein Kind gekriegt usw..

Traditionell werden auch Schnupftabakflaschen herumgereicht, die man nach einer bestimmten Abfolge annimmt, öffnet, an ihr riecht und dann wieder zurückgibt.

Ein beliebter Zeitvertreib ist das „Schicksalwürfeln“. Man hat vier Schafknöchel („shagai“) und wirft diese dreimal. Jedes Mal deutet man die Kombination der gefallen Knöchel. Jeder Mongole scheint deren Bedeutung zu kennen. Laut der Knöchel steht mir ein anstrengendes,  sehr erfolgreiches Jahr bevor.

Am Ende eines jeden Besuches bekommt der Gast ein kleines Geschenk überreicht. Denn wer freigebig gibt, dessen Glück wird sich vermehren.

 

Natürlich wurde Tsagaan Sar auch in der Schule gefeiert. Neben verschiedenen Feiern (Klasse 7g, deutsche Präsentation, Empfang bei der Direktorin, Fremdsprachenlehrer-Resteessen) kamen die Kinder und Lehrer aber auch einfach so in der Nationaltracht „deel“ gekleidet in die Schule. Ein sehr schöner Anblick!