Wie ich unfreiwillig und unwissend die argentinische Staatskasse gefüttert habe
Aus aktuellem Anlass möchte ich eine alte Tradition auf diesem Blog wiederbeleben: meine Anmerkungen zur argentinischen Politik. In dem Fall zur argentinischen Steuergesetzgebung und zu den diplomatischen Beziehungen zwischen Argentinien und Uruguay. Eigentlich wollte ich ja nur einmal mehr ein Fährticket nach Buenos Aires kaufen. Ein Routinevorgang, tausend Mal ausgeführt und nicht der Rede wert, wenn der Fähranbieter ColoniaExpress nicht sein Online-Buchungsformular geändert hätte, und das neue Formular akzeptiert meine Kreditkarte nicht mehr. Natürlich. Die Karte, mit der ich schon seit einem dreiviertel Jahr den halben Kontinent bereise, funktioniert jetzt auf einmal nicht. técnica uruguaya halt, aber das kann hier öfters mal vorkommen, zum Beispiel auch bei einer Busbuchung zum Zwischenseminar.
Also fahre ich eben nach Colonia del Sacramento und kaufe das Ticket ganz altmodisch am Schalter persönlich und in bar. Und dann die große Überraschung: vor Ort am Schalter zu kaufen ist ausnahmsweise billiger, als online zu kaufen! Das Ticket kostet so nur die Hälfte. Dazu muss man wissen, dass ColoniaExpress zwei Webseiten hat: eine uruguayische und eine argentinische. Auf der uruguayischen Seite kann man jedoch nur buchen, wenn man auch Uruguayo ist. Ausländern verweigert das Formular die Buchung und verweist auf die argentinische Seite. In Argentinien jedoch gilt die argentinische Steuergesetzgebung. Während ein Uruguayo mit niedrigen uruguayischen Verbrauchssteuern nur ungefähr 1300 uruguayische Pesos hinlegen muss, bezahlt ein Argentinier und jeder Ausländer 1300 argentinische Pesos, und das ist in Euro glatt das Doppelte. Das hatte ich bisher als gottgegeben hingenommen, bis ich nach Colonia fuhr und feststellte: wenn man persönlich am Schalter kauft, kann man auch als Ausländer in den Genuss der uruguayischen Steuervorteile kommen.[1] Mist. Wenn ich das früher gewusst hätte, hätte ich nicht nur einen Haufen Geld gespart, sondern wäre eventuell sogar öfter nach Buenos Aires gefahren und hätte in Summe wohl mehr Geld dort gelassen, als mir der argentinische Staat so eben aus der Tasche gezogen hat.
Doch warum sind die argentinischen Steuern so viel höher als die uruguayischen? Das wiederum liegt an der Außenpolitik der alten Kirchner-Regierung, die man in den Vereinigten Staaten wohl getrost als „isolationism“ bezeichnet hätte. Alle ausländischen Einflüsse, insbesondere US-amerikanische, wurden von der argentinischen Regierung bis vor kurzem noch als negativ betrachtet. Importe und Exporte wurden zum Schaden der heimischen Wirtschaft mit überhöhten Steuern und Zöllen künstlich verteuert, der Kauf von stabilen Fremdwährungsdevisen war allen Staatsbürgern verboten und einfach mal so zu den bösen, bösen Uruguayos rüberzufahren war auch nicht im Sinne der Regierung. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Argentinien und seinem kleinem Nachbarn Uruguay waren lange Zeit eine Katastrophe, man stritt sich um weltbewegende Nichtigkeiten wie die Frage, wer den besseren Mate hat oder wo denn nun wirklich der Geburtsort von Tangoikone Carlos Gardel ist. Als Argentinien vor Jahren den Tangosong La Cumparsita, dessen Uraufführung die Stadt Montevideo für sich reklamiert, zum Aufmarsch seiner Nationalmannschaft bei einer Olympiade verwendete, löste das eine handfeste diplomatische Staatsaffäre zwischen den beiden Ländern aus. Auch deswegen, so vermute ich, sind die Steuern auf den sinnvollsten Weg, nach Uruguay einzureisen, in Argentinien so hoch.
Doch mittlerweile, mit der neuen Macri-Regierung, laufen die Dinge anders. In uruguayischen Leitmedien wie der Tageszeitung El País häufen sich die Interviews mit argentinischen Top-Politikern wie dem Wirtschaftsminister Alfonso Prat-Gay, die eine neue Linie der argentinischen Regierung verkünden: die Rückkehr auf die Bühne der Staatenwelt. Dazu gehört auf internationaler Ebene die Einigung mit den „Geierfonds“ und – damit verbunden – die erstmalige Ausgabe von Staatsanleihen seit über zehn Jahren, ergo die Rückkehr auf die internationalen Kapital- und Finanzmärkte. Und auf der Ebene der Beziehungen zu Uruguay Vorschläge wie eine Ausweitung der Flugverbindungen zwischen Montevideo und Buenos Aires, ein Revival der Idee, den Río de la Plata mit einer Brücke zu überspannen, eine Förderung des Tourismus und die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums nach dem Vorbild der EU sowie, last but not least, eine gemeinsame Bewerbung der beiden Länder für die olympischen Sommerspiele 20irgendwannmal. Gleich einen Monat nach Amtsantritt fuhr der argentinische Präsident Mauricio Macri selbst rüber nach Colonia, um mit seinem uruguayischen Amtskollegen Tabaré Vazquez ein Asado auf dessen Amtssitz zu verspeisen – eine Freundschaftsgeste, die bis vor wenigen Monaten noch unmöglich gewesen wäre.
Anstatt sich also bis aufs Blut wegen Nichtigkeiten zu bekriegen, besinnen sich die beiden Länder endlich auf ihr gemeinsames Erbe. Es bleibt zu hoffen, dass auch die Steuern auf Fährschiffen nach Uruguay für Argentinier und Ausländer bald sinken werden. Ansonsten meine Empfehlung für alle Uruguay-Freiwilligen, die nach mir kommen: kauft eure Fährtickets vor Ort im Hafen. Das ist billiger.
Wen’s interessiert: Das Interview mit Prat-Gay in El País findet sich hier (auf Spanisch):
http://www.elpais.com.uy/economia/noticias/afrontar-uruguay-algo-inaudito-pratgay.html
[1] In der Tat hat Uruguay in gewissen Bereichen den Status einer Steueroase und war auch bei den PanamaPapers-Enthüllungen ganz vorne mit dabei. Bloß das weiß in Deutschland mal wieder niemand.