Es gibt auch Fisch in Uruguay…
Dieser Blogbeitrag beginnt mit einer großen Erkenntnis: in Uruguay, dem Land, welches das beste Rindfleisch (sorry, liebe Argentinier) der Welt produziert und den Worten des deutschen Botschafters zufolge zu Fleischgerichten als Beilage am liebsten Fleisch konsumiert, in diesem Land also essen sie auch Fisch. In Punta del Este nämlich, dem mondänen Strandbadeort am Atlantik und Ziel des internationalen Jetsets (wenn man nicht, wie ich, erst am Ende der Hauptsaison kommt), wo das Faschingsmeer endlich ein richtiges Meer sein darf und nach Salz riecht, kommt auch Fisch auf den Teller. Außerdem zu besichtigen: die weltweit größte Seelöwen-Kolonie außerhalb Alaskas, das meiner Meinung nach bisher zweitbeste Museum des Landes und den 400-Meter Berg Cerro de Pan de Azúcar, auf den ich diesmal sogar draufgeklettert bin.
La complainte du phoque
Beginnen wir mit den Seelöwen. Ungefähr 30.000 Exemplare leben frei und wild auf der einsamen Isla de Lobos im Atlantik vor Punta del Este, rund 1.000 Tiere kommen dort jedes Jahr neu zur Welt. Wie jede Geschichte von frei lebenden Tieren ist auch diese Geschichte natürlich die eines Blutbades, angerichtet von uns Menschen. Früher wurden die Seelöwen wegen ihres Fettes und ihrer Haut, interessanterweise nicht jedoch wegen ihres Fleisches, gejagt. Mörderische Schlachten fanden auf dieser Insel statt, von der noch heute ein Hinweisschild im Museo del Mar zeugt, auf dem extra aufgeklebt steht: „Warnung! Der Inhalt dieses Textes kann leicht empfindliche Seelen verletzen!“ Willkommen in Amerika. Die Tiere verteidigten sich hart, denn wer ihre Insel zu betreten wagt, wird noch heute tätlich angegriffen. Am Ende siegte, wie so oft, der Mensch, und dezimierte den natürlichen Bestand. Die (An)klage der Robbe, die Überschrift dieses Absatzes auf Französisch nach einem Québécer Chanson, ist also durchaus berechtigt.
Heute jedoch sind die Jagd und das Betreten der Insel streng verboten, man hat festgestellt, dass lebende Seelöwen dem Tourismus viel mehr nutzen als tote. Stattdessen fahren für 1500 Pesos (knapp 43 Euro, aber man kommt sonst nicht so oft nach Alaska, da kann man das ja mal machen) jeden Tag Boote an die Insel heran, wo sie einen Rettungsring zu Wasser lassen, damit man, falls gewünscht, mit den Seelöwen im kalten Atlantik baden kann. Das sei, im Gegensatz zum Betreten der Insel, ungefährlich. Ich habe mir tatsächlich überlegt, das zu machen, aber letztlich war mir an dem Tag das Wetter zu kalt zum Baden. Zuverlässig wie immer ist genau in diesem Moment der Akku meiner Kamera leer gegangen, einige unscharfe Bilder sind mir dennoch gelungen. Aber was ich sowieso nicht in Bilder einfangen kann, sind zwei ganz neue Erkenntnisse über Seelöwen: erstens: sie machen Geräusche. Und zwar laute. Und zweitens: sie stinken. Und zwar stark.
Auf dem Rückweg werde ich Zeuge einer interlingualen Verständigung. An Bord befindet sich ebenfalls ein brasilianisches Ehepaar, das nur portugiesisch spricht. Unser Kapitän spricht jedoch nur Spanisch. Wer denkt, das sei nun ein Problem, ist allerdings auf dem Holzweg. Beide Sprachen sind sich so ähnlich, dass, wenn der Kapitän auf seinen uruguayischen Akzent verzichtet und der Brasilianer ganz langsam spricht, sich beide ohne größere Probleme verständigen können, als würden sie die gleiche Sprache teilen. Mein Spanisch, muss ich feststellen, ist dann leider doch nicht so gut, dass ich deswegen schon gesprochenes Portugiesisch voll verstehen kann, vielleicht hat der Kapitän im Zuge seiner Arbeit ja auch einige Brocken dieser Sprache aufgeschnappt, nach Punta del Este kommen viele Brasilianer. Ich verstehe immerhin, dass das Boot zwei Motoren à 600 PS hat, und erfahre den Grund für den teuren Ausflugspreis: wir haben auf der gesamten Reise, hin und zurück, insgesamt 300 US-Dollar an Sprit verbrannt.
Dann werde ich seekrank, zum ersten Mal in meinem Leben. Die Wellen schaukeln immer höher, es beginnt zu regnen, gestern hatte man die Tour sogar wegen zu starkem Seegang abgesagt. Ich verziehe mich unter Deck und erinnere mich gottseidank an das, was ich einmal über die Entstehung von Übelkeit gelesen habe: sie entsteht, wenn nicht durch schlechtes Essen oder eine Krankheit, immer dann, wenn die Sinneseindrücke von Auge und Gleichgewichtssinn nicht übereinstimmen. Soll heißen, das Auge liefert ein ruhiges Bild vom scheinbar unbeweglichen Boden des Schiffs, während der Gleichgewichtsinn gleichzeitig einen schwankenden Boden, also ein Erdbeben, ans Gehirn meldet. Dieses kann die gegensätzlichen Sinneseindrücke nicht miteinander vereinbaren und dreht durch: dem Menschen wird schlecht. Um dem Gehirn wieder ein einheitliches Bild der Lage zu verschaffen und die Übelkeit zu beenden, muss man also eine der beiden Sinnesquellen ausschalten. Am Seegang kann ich nichts ändern, also schließe ich die Augen. Und tatsächlich: mein Magen beruhigt sich, sodass ich am Ende, begleitet von portugiesisch-spanischen Gesprächsfetzen, fast einschlafen. Wenn Sie’s nicht glauben, probieren Sie’s aus.
Das Meeresmuseum
Neben Seelöwen soll man an Uruguays Atlantikküste auch Wale beobachten können, allerdings nur im Winter (erinnere: auf der Südhalbkugel herrscht immer noch Sommer!). An die – zumindest ehemalige – Anwesenheit der Wale erinnert das Museo del Mar (Museum des Meeres), das seltsamerweise nicht im Reiseführer erwähnt wird. Das ist schade, denn es ist – nach dem Museo de la Memoria in Montevideo – in einem Land, dessen Einwohner die hohe Kunst der Museumskuration leider nicht beherrschen, das meiner Meinung nach bisher beste Museum. Hier werden riesige Walskelette ausgestellt, deren kleinster Wirbelknochen so groß ist wie ein Kaffeeunterteller, ein Delfinembryo, die bereits erwähnten Seehunde und gefühlt Millionen von Muscheln in allen Farben und Formen. Mir als BNE-geprüftem kulturweiter gefällt natürlich ganz besonders, dass für sämtliche Ausstellungsstücke kein einziges Tier sterben musste, sondern alle Exemplare eines Tages als Strandgut angeschwemmt und von fleißigen Sammlern gefunden wurden. Auch wenn ich das angesichts der schieren Fülle der Exponate nicht so ganz glauben kann.
Fisch(markt)
Im Museum lerne ich auch ein neues spanisches Wort: aguaviva, wörtlich „lebendes Wasser“, eine sehr poetische Umschreibung für die Tatsache, dass das damit bezeichnete Meerestier, die Qualle nämlich, zu 95 Prozent aus Wasser besteht. Ein weiteres Wort lerne ich abends beim Blick auf die Speisekarte: mejillones, Miesmuscheln. In Punta del Este wird also endlich auch mal Fisch gegessen, den ich nach einem halben Jahr doch schon sehr vermisst habe. Zusätzlich kenne ich jetzt auch noch die Namen einiger Fischsorten und Meerestiere auf Spanisch, brótola (die es auch als brótola negra, also in – sorry – schwarz gibt), pejerrey, salmón und camarones, auch wenn ich immer noch nicht ganz genau weiß, was damit gemeint ist. Mein Langenscheidt-Miniwörterbuch verlässt mich an dieser Stelle, geschmeckt hat’s trotzdem immer. Denn in Punta del Este wird der Fisch nicht nur gegessen, sondern auch frisch geangelt. Im Hafen gibt es einen kleinen Fischmarkt, bestehend aus elf Kiosken mit absolut identischem Angebot zu absolut identischen Preisen. Da frage ich mich schon, wo da der Wettbewerb sein soll bzw. wozu man dann gleich elf Kioske braucht, wenn der Lachs doch bei allen genau 700 Pesos das Kilo kostet. Vielleicht schmeckt’s bei einem bestimmten Kiosk besser? Nebenan kann man den Fischern nach ihrer Rückkehr dabei zuschauen, wie sie ihre Netze säubern und den Fisch per Hand mit einem großen Messer aufschneiden, köpfen und das Filet herausholen. Eine zum Beobachten sehr lehrreiche, aber zum Ausführen sicher sehr harte Arbeit.
Wie der Fisch auf den Teller kommt
Auf der Suche nach dem Piratenschatz…
Bevor ich nun zu den Bergen übergehen kann, nun noch mal zurück zu einer einsamen Insel. Punta del Este hat nämlich noch eine zweite Insel zu bieten, die Isla Gorrití, historisch bedeutsam, weil hier 1806 die Unabhängigkeit der Río-de-la-Plata-Region gegen britische Eroberungsversuche verteidigt wurde. Und weil es dort Piraten gab. Noch heute kann man in der Mauer des Wirtschaftsministeriums in Buenos Aires die Einschusslöcher britischer Kanonenkugeln beobachten. Auf der Insel selbst befinden sich einige alte Festungsanlagen und, was Wunder, rostende Kanonenrohre, stumme Zeugen einer kriegerischen Vergangenheit. Für Besucher eigentlich leicht zu finden, wenn man gleich am Eingang links läuft. Ich jedoch laufe fünfzig Meter weiter in das Inselinnere hinein, wo sich ebenfalls ein Schild befindet, das ebenfalls auf die historischen Ruinen verweist. Dass dieser Weg ein Umweg ist und erst einmal um die halbe Insel am Strand entlang herumführt, stand dort leider nicht ausgeschrieben, aber ich finde die eher bescheidenen Festungsanlagen dann doch noch. Nur einen Piratenschatz, den habe ich nicht gesehen.
…und dem richtigen Weg nach unten
Uruguay ist, was Wegweiser, ausgeschilderte Touristenhighlights und Fahrpläne an Bushaltestellen angeht, eine einzige Katastrophe. Das touristische Potenzial dieses Landes könnte viel besser ausgeschöpft werden, wenn man ab und zu mal auch ein Schild aufstellen würde, wo die Sehenswürdigkeiten denn zu finden sind.
Warum ich das alles schreibe? Weil ich mich mal wieder auf einem Berg verirrt habe. Eine knappe Stunde Busfahrt von Punta del Este entfernt befindet sich der Cerro de Pan de Azúcar. Aufmerksame Leser werden sich erinnern: dort war ich schon einmal (siehe hier). Aber beim ersten Besuch handelte es sich nur um einen Tagesausflug, bei dem nicht viel Zeit blieb. Nun habe ich mehr Zeit und betrete also einmal mehr die Estación de Cría, den kleinen Zoo am Fuße des Berges. Hier gibt es einige einheimische Tiere zu beobachten, die man mit etwas Glück und wenn man, wie ich, ein ganzes Jahr durch dieses Land reist, auch in freier Wildbahn antreffen kann, darunter auch den uruguayischen Nationalvogel Ñandu, das größte Nagetier (spanisch: roedor) der Welt namens Caprincho und mein absolutes Lieblingstier, den kleinen, putzigen Quati, der mir in Iguazú schon das Essen weggeklaut hat.
Dann beginnt der Aufstieg auf den Berg. Kein Vergleich zum Cerro Wank in La Cumparsita, der 1500 Meter hoch war, denn hier geht es nur 423 Meter in die Höhe. Der dritthöchste Berg des Landes also. Im Gegensatz zu seinem argentinischen Kollegen weisen hier auch gelbe Pfeile, die auf die Felsen aufgemalt sind, den besten Weg nach oben, und einige Steine sind so angeordnet, dass sie eine Treppe bilden. An der Spitze angekommen, kann man sogar bis Punta del Este herüberschauen. Hier befindet sich ebenfalls ein Gipfelkreuz, das innen hohl ist und mittels einer Wendeltreppe bestiegen werden kann. Dort oben herrscht ein unglaublich starker Wind, aber: waren Sie jemals schon im Querbalken eines Kreuzes?
Ich schaffe es dennoch, mich zu verirren, und zwar auf dem Rückweg. Das Spielchen ist ja altbekannt, man nimmt irgendwo eine falsche Abzweigung, und schwuppdiwupp, befindet man sich nicht mehr auf dem schönen Trampelpfad, sondern mitten im Gebüsch. Ich hoffe, dass der durch die Pfeile markierte Weg allein aufgrund seiner Begehbarkeit gewählt wurde und nicht auch noch wegen der Giftigkeit der stechenden Pflanzen abseits davon (im Ernst: eine andere Freiwillige hat sich bei so was mal eine ordentliche bakterielle Entzündung zugezogen) und halte mich ansonsten an die bewährte Strategie: Hauptsache nach unten. Zumal ich bald auch wieder die Schlange der anderen Touristen entdecke, auf diesem Berg war ich nämlich nicht alleine. Zusammen mit einigen Kratzern komme ich heil wieder unten an. Der Ausblick an der Spitze aber, der hat die Klettertour sicher gelohnt.
Eine Murga!
Zum Abschluss belohnt mich Punta del Este noch mit einer kleinen Überraschung. Uruguay hat ja, neben dem brasilianischen Karneval, auch einen politischen Karneval zu bieten. Dieser nennt sich Murga, ich hätte ihn gerne einmal gesehen, aber als der Aschermittwoch vorüberzog, ging ich davon aus, dass ich diese Chance verpasst hatte. Weit gefehlt, denn hier gibt es nicht nur einen uruguayischen Karneval, sondern auch eine uruguayische Zeit, und so kommt es, dass an meinem letzten Tag ich abends spontan Zeuge einer öffentlichen Murga unter freiem Himmel auf der zentralen Plaza Artigas (wo denn sonst?) werde.
Eine Murga ist im Prinzip eine Mischung aus Männerchor, Sprechgesang, rhythmischem Tanz, Kabarett und Poetry Slam. Zwischen den einzelnen Liedern politischen Inhalts lieferten sich zwei einzelne Sänger eine Art Sprechduell, welches in das Thema des nächsten Liedes überleitete. Um politische Satire in einer Fremdsprache verstehen zu können, muss man diese schon sehr gut beherrschen. Ich freue mich deswegen umso mehr, dass ich bei fast jedem Lied sagen konnte, worum es ging und was die Murga-Gruppe kritisierte. Ein Lied habe ich sogar Wort für Wort komplett verstanden. Ich bin mir sicher: vor einem halben Jahr hätte ich das noch nicht gekonnt.
Na den Fisch hätte ich auch gerne probiert. Ich bin ja nur bis Parilla mit Fleischbeilage gekommen.
Aber das mejillones Miesmuscheln sind habe ich gewußt. Auf Grund einiger Reisen nach Südeuropa lernt man das auch ohne Spanisch zu können.
Und übrigens man braucht kein Spanisch oder gar Spanisch Wörterbuch um zu wissen was salmon ist. Hätte gereicht, wenn Du im Englisch Unterricht aufgepasst hättest. Lachs: im englischen salmon. 🙂
Aber weiterhin guten Apettit. Dulche de leche ist auch lecker…
Jaja, das weiß ich schon lange, das Lachs auf Englisch „salmon“ heißt. Das haben wir gelernt. Ich habe das Wort einfach nur in der Auflistung als Beispiel erwähnt und den Rest stillschweigend übergangen…