Einigkeit und Recht und Freiheit

Eine der am häufigsten genannten Kritikpunkte an kulturweit, der auch auf dem Vorbereitungsseminar diskutiert wurde, lautet, dass kulturweit letztlich nichts weiter als Elitenförderung sei. Der heutige Tag ist vielleicht der beste Beweis dafür. Denn die zahlreichen Einladungen in die jeweilige Deutsche Botschaft vor Ort, die, dem Blog zufolge, wohl an ziemlich alle Freiwilligen ergingen, haben natürlich bei Weitem nichts mehr mit der „Entwicklungshilfe“ zu tun, als die kulturweit offiziell in Berlin in den Kassenbüchern steht (wenn übrigens, der Ankündigung der Bundeskanzlerin folgend, Deutschland seine Entwicklungsausgaben künftig auf 0,7 (ach, so viel!) Prozent des BIP steigern möchte, wäre es sehr zu begrüßen, wenn dann auch ein paar Cent mehr für den kulturweit-Blogserver übrigblieben… Der stürzt nämlich ständig ab). Fügen wir der Reihe an „Ich-war-in-der-Botschaft!“-Artikeln also noch einen weiteren hinzu.
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Very impörtant!

In Uruguays Hauptstadt kann ich es mir natürlich nicht nehmen, einen auf Wichtig zu machen in meinem aus der Heimat mitgenommenem Abiturfeieranzug – und den Taxifahrer hochoffiziell anzuschnauzen: „¡A la Embajada de la República Federal de Alemania, per favor!“ Zur Bundesrepublik Deutschland. Einfach nur „Alemán“ hätte auch gereicht, aber das muss man halt auch mal gemacht haben. Ich fühle mich wie der Vorstandsvorsitzende der Banco República persönlich, bloß fährt der wohl Mercedes. Aus Sicht des Auswärtigen Amtes sind wir Freiwilligen ja auch ohne Diplomatenpass „Botschafter“, und zwar der deutschen Sprache und Kultur. Ich war trotzdem noch nie auf so einer hochoffiziellen Feier, umgeben von diversen gut dekorierten Militärs aus Uruguay und Deutschland sowie allerlei wichtigen Persönlichkeiten, die ich leider nicht kenne. Folglich hat sich’s auch etwas mit dem elitären Kontakteknüpfen.

Erinnerungen an die deutsche Nationalhymne

Gottseidank sind ja noch ein paar andere Freiwillige da, ein Haufen weltwärts-Leute und meine kulturweit-Mitfreiwillige aus Colonia del Sacramento. Gemeinsam lauschen wir zuerst den Klängen der uruguayischen Nationalhymne, die ich mittlerweile sehr gut kenne, und singen dann die deutsche, beide interpretiert von Schulkindern. Wann habe ich eigentlich zum letzten Mal die Nationalhymne gesungen? Das muss während der FIFA-U20-Frauen-WM 2010 in Deutschland gewesen sein, als im Sommer unserer Schulklasse langweilig war und wir kurzerhand beschlossen, unseren allhalbjährlichen Wandertag ins Fußballstadion zu verlegen. Deutschland gewann 4:0 gegen Frankreich, das von einer kümmerlichen Truppe an eigens angereisten Fans unterstützt wurde, die es sich natürlich nicht nehmen ließen, dieses welthistorisch bedeutsame Spiel live anzusehen. Der Rest des Stadionpublikums bestand ebenfalls hauptsächlich aus Schülern der umliegenden Schulen, die ebenfalls nichts Besseres zu tun hatten, als Fußball zu gucken. Am Ende wurden die Frauen mal wieder Weltmeister und die Männer nicht. Tja.

Rede ohne Flüchtlingshelfer

Es folgt die obligatorische Rede des Botschafters, die für meinen Geschmack zu diplomatisch und ohne rhetorische Höhepunkte ausfällt. Er vergisst bei der Aufzählung der Flüchtlingshelfer in Deutschland neben Bund, Ländern, Städten und Gemeinden leider die ehrenamtlichen Helfer, was mir als immer noch aktivem Ehrenamtler sehr missfällt. Der Empfang endet mit kulinarischen Köstlichkeiten aus der Küche, ausgedehnten Gesprächsrunden unter den Freiwilligen sowie der Ankündigung, uns irgendwie irgendwann mal wieder zu treffen. Das sehr gerne!

Very impörtant II

Auf der Rückreise verpasse ich den nächsten Bus nach Nueva Helvecia natürlich um fünf Minuten und handele mir dadurch eine Stunde Aufenthalt im Busbahnhof Tres Cruces ein. Diesem ist ein Einkaufszentrum angeschlossen, weswegen ich beschließe, zur Erhöhung des Tagesumsatzes einer lokalen Eisdiele beizutragen – ein Entschluss, für den ich eindeutig zu overdressed bin (um zu beruhigen: es ging nichts daneben!). Ich bin sogar besser angezogen als die Security. Haben Sie so schon mal ein Eis gegessen?

Doppelt hält besser

Wieder angekommen, liegt eine Sonderbeilage der uruguayischen Tageszeitung „El País“ auf dem Küchentisch. Thema: 25 Jahre Deutsche Einheit. Das ist wirklich sehr wichtig hier. Ich schlage sie mehr oder weniger interessiert auf und finde, gleich auf der ersten Seite: exakt die Rede des Botschafters, die er heute gehalten hat! Wort für Wort. Frage: hat er nun die Rede einfach an die Zeitung gescickt – oder seinen Zeitungsartikel als Rede genutzt?

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