Eine Woche Einsamkeit?
Eine Woche Zwangsurlaub, wegen der uruguayischen Frühjahrsferien (jaja, liebe Daheimgebliebenen, hier ist noch Frühjahr!). Was nun anfangen mit der unverhofft vielen freien Zeit? Reisen, zum Beispiel. Nach San José de Mayo de Mayo, einem kleinen Ort in Richtung Montevideo.
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Paradies für Biokühe: Land(wirt)schaft in Uruguay
In diesem Fall ist schon die Busfahrt übers Land einen kleinen Bericht wert. Uruguay ist ein sehr agrarisch geprägtes Land mit nur 3,5 Millionen Einwohnern, von denen die meisten in Montevideo leben. Das Hinterland ist folglich durchaus mit Irland oder Nordschottland vergleichbar: über weite Strecken nichts als grünes Gras und glückliche Kühe darauf. Nur Berge gibt es keine. Die Kühe haben riesige Flächen für sich, auf denen sie den ganzen Tag und oft auch die ganze Nacht frei herummuhen könnten. Tun sie aber nicht, die meiste Zeit liegen sie faul herum oder fressen das saftige Gras. Ob sie auch Antibiotika bekommen wie in der Bundesrepublik, weiß ich nicht. Bio ist nichts dagegen, aber in Deutschland wäre für diese Art von Landwirtschaft gar kein Platz. Dort werden die Kühe 24 Stunden am Tag in einen engen, künstlich beleuchteten Stall gesperrt und fressen abgetrocknetes Heu. Den Unterschied kann man schmecken: das uruguayische Rindfleisch ist das Beste der Welt. Während der Fahrt sehe ich außerdem ein Schwein mit ebenfalls großzügigem Platz. Ich kann mich kaum erinnern, wann ich zum letzten Mal ein lebendes Schwein gesehen habe.
Eine Busfahrt, die ist lustig
Die Ruta 1 ist die wichtigste Autobahn des Landes und verbindet Montevideo im Osten mit Colonia del Sacramento im Westen. Trotzdem gibt es kaum Verkehr. Autofahren in Uruguay muss sehr angenehm sein, denn mangels Bergen, Ortschaften oder sonstigen geographischen Hindernissen geht die Straße quer geradeaus, wie im australischen Outback. Offiziell gilt zwar ein Tempolimit von 90 Stundenkilometern, aber da unser Bus die zweispurig ausgebaute Fahrbahn praktisch für sich alleine hat, legt er diese Vorschrift zumindest meinem Gefühl nach sehr individuell aus. In Uruguay sind Busse so wichtig wie Züge in Deutschland. Mit dem Zug fährt hier nämlich niemand, da nur ein Bus auf offener Strecke nach Bedarf anhalten und Fahrgäste einladen- und ausladen kann. Es ist die Aufgabe der Busse, die vielen versprengt liegenden kleinen Dörfer miteinander zu verbinden, um dort zum Beispiel Schulkinder abzuholen und zur weit entfernten Schule oder wieder nach Hause zu bringen. Ein Zug, der auf einem einspurigen Gleis immer dem Fahrplan gemäß geradeaus fahren müsste, könnte das nicht leisten. Dementsprechend komme ich aber auch 15 Minuten zu spät an. Macht nichts, ich habe ja Zeit.
Alles ist relativ – Ein wirtschaftstheoretischer Exkurs
Meine Gastfamilie hat übrigens den Preis von 282 Pesos, umgerechnet nicht einmal neun Euro, für die gut 160 Kilometer lange doppelte (!) Strecke als viel zu teuer kritisiert. Wenn ich daran denke, dass die Bahn in Deutschland allein für die ca. 30 Kilometer lange einfache (!) Strecke zu unserem Nachbarkaff im Nahverkehr schon mindestens zehn Euro verlangt, erscheint mir das jedoch recht billig. Der Grund liegt auf der Hand: Deutschland ist ein Hochlohnland, in dem Personal sehr viel kostet. Dementsprechend höher sind dort aber auch die Lebenshaltungskosten. Der uruguayische Busfahrer verdient zwar sicher weniger, aber relativ zu seinem Einkommensniveau sind die uruguayischen Preise teuer. Geht man jedoch mit einem deutschen Einkommensniveau in ein solches Land, erscheinen die Preise dagegen recht billig – auch, wenn sie es für die örtliche Bevölkerung vielleicht gar nicht sind. Alles ist relativ, sagte schon Einstein.
Architektonische Betrachtung der Kathedrale von San José de Mayo
Genug der Wirtschaftswissenschaften. In San José de Mayo angekommen, bin ich eigentlich ganz froh über die Verspätung, denn allzu viel gibt es hier nicht zu sehen. Meine Gastmutter hatte mich gewarnt, aber das Wenige ist allenfalls besser, als faul im Bett herumzuliegen. Die Kathedrale ist von der Innenarchitektur her sehr mit dem Petersdom in Rom vergleichbar: zwar können die Wandgemälde es mitnichten mit einem Michelangelo aufnehmen und die Decke wurde bei der Ausgestaltung irgendwie vergessen. Aber dieser frische, moderne Malstil ist eine willkommene Abwechslung zum Altbekannten. Die übermäßige Verwendung von Carreramarmor, der Grundaufbau als antike römische Basilika und die künstliche Kuppel im Hochaltar eifern jedoch ganz klar dem päpstlichen Vorbild nach. Zumal ein Foto von Franziskus draußen an der Tür hängt.
Eine Geschichtsstunde in historischer Stadtplanung
Neben den architektonischen Studien an der Kathedrale soll hier einmal die Gelegenheit genutzt werden, um ausführlicher über den städteplanerischen Grundriss einer uruguayischen Stadt zu sprechen. Städte in Europa sind meistens historisch gewachsen: das führt zu verwinkelten kleinen Gässchen und ungeordneten, chaotischen Straßenzügen.
Uruguayische Städte jedoch sind zumeist koloniale Gründungen, die von den spanisch-portugiesischen Kolonialherren nach dem damals vorherrschenden Ideal der Renaissancestadt auf dem Reißbrett geplant worden sind. Ein europäisches Beispiel dafür wäre Richelieu in Frankreich. Diese Planung hat nicht überall in Lateinamerika geklappt, rund um den Río de la Plata jedoch sehr gut. Die Folge ist ein typischer Aufbau der Straßenzüge im quadratischen Schachbrettmuster mit der zentralen Plaza Mayor (in San José de Mayo Plaza de los Treinta y Tres genannt) in der Mitte. Dort befindet sich oft entweder ein Denkmal an die Gründer der Stadt oder eine Erinnerung an den unvermeidlichen José Artigas. Auch die Benennung der Straßen ist oft etwas unkreativ, gibt es doch in jeder Stadt eine Straße Battle y Ordoñez, eine Treinta y Tres und eine José Artigas. Wobei letzterer ja etwas Besonderes ist und deswegen meist eine avenida, also was Besseres, verdient. Um die Plaza herum gruppieren sich die katholische Kirche (es gibt durchaus noch viele weitere, aber nur der Religion der spanischen conquistadores wird so eine zentrale Stellung im Stadtbild zuteil) sowie alle wichtigen öffentlichen Einrichtungen, vom Rathaus über die Banco República bis hin zur Polizeidienststelle. Eigentlich sollte die Orientierung in so einer Stadt denkbar einfach sein. Eigentlich. Mein Problem ist jedoch, dass ich nicht immer genau weiß, in welche Richtung ich gerade laufe, und deswegen sehr dankbar bin für die freundliche Hilfe der Einheimischen.
Hohe Konditorkunst
Nach erfolgreicher Stadtbesichtigung also noch ein kleines Törtchen und einen Alfajor de Dulce de Leche im Café des Teatro Macció. Ich bin überrascht, als die nette Kellnerin mich mit einem Lächeln um Geduld bittet, weil das bestellte Törtchen vom hauseigenen Koch frisch zubereitet werde. Kein Vergleich zu Deutschland!, auch wenn ich nicht weiß, ob das überall so gemacht wird. In der Bundesrepublik bekommt man in sogenannten „Konditoreien“ nur Erdbeerkuchen vom Blech mit roter Gelatine obendrauf (oder mit weißer, wenn die rote alle ist). Wer in der Nähe unserer französischen Nachbarn wohnt, weiß, wovon ich rede: eine schier unglaubliche Auswahl an Kuchen, Torten, richtigen Backkunstwerk erwartet den Besucher, der leider gar nicht alles aufessen kann. So ähnlich ist Uruguay auch, und ich war nur in einem kleinen Café. Was in Frankreich der Macaron ist, ist hier der Alfajor de Dulce de Leche, ein kleiner und (auch nach deutschem Preisniveau) leider ziemlich teurer Doppelkeks, gefüllt mit einer Art Karamellcreme namens Dulce de Leche, die hier überall zu haben ist. Nach genussvollem Verzehr beschließe ich: eine Woche Einsamkeit, die habe ich sicherlich nicht.