Panamericana
Es mag etwas vermessen oder auch überheblich erscheinen, gut einen Monat nach Ende meines Freiwilligendienstes hier noch einen Beitrag hochladen zu wollen, doch ich bin der Meinung, dass einmal begonnene Projekte auch abgeschlossen werden sollten. Und dieser Blog „Im hohen Norden“ ist, wie bereits angekündigt, noch nicht ganz vorbei. Zwei Beiträge fehlen noch. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland standen natürlich erst einmal andere Dinge im Vordergrund, es gab viel zu organisieren, sodass ich erst jetzt Zeit und Muße finde, durchaus mit Wehmut zurückzudenken an die Zeit, als damals, vor gut drei Monaten jetzt schon, sich unser Bus auf kurvigen Andenpfaden bergabwärts in Richtung Pazifik bewegte: in die Wüste nach Nazca.
Gäbe es die berühmten Líneas de Nazca, die Sandbodenlinien von Nazca, nicht, so wäre Nazca ein kleines, weltvergessenes Dorf. So aber schaffte es dieses Kaff (wie so viele Dinge) in den Lehrplan des Bayerischen Gymnasiums, und wie ich an anderer Stelle bereits mehrmals geschrieben habe, muss ich ja nachprüfen, ob das alles stimmt, was die uns damals erzählt haben.
Das wäre eigentlich recht schnell erledigt. Einmal aus dem Bus raus, Aussichtsturm hoch, Fotos machen, Aussichtsturm runter und wieder in den Bus rein. Zwanzig Minuten. Ich jedoch entschied mich aus fahrplantechnischen Gründen (es sprang dadurch eine Nacht mehr in Lima raus), eine Nacht dort zu bleiben. Das verschaffte mir die Möglichkeit, das gefühlt 500millionste Tonscherbenmuseum in Perú anzusehen, und – viel interessanter – das Planetarium von Nazca zu besuchen.
Das Planetarium von Nazca
Wenn ich „Planetarium“ höre, dann denke ich immer sofort an das Carl-Zeiss-Planetarium zu Jena. Dort leben Verwandte von mir[1]. Für mich ist es „mein“ Planetarium. Mit entsprechend hohen Erwartungen ging ich in das Planetarium von Nazca, das sich sich im Hinterhof eines Fünf-Sterne-Luxushotels befindet. Das mag ungewöhnlich klingen, hat aber einen Grund. Denn es ist nach Maria Reiche benannt. Kennen Sie nicht? Sollten Sie aber. Die gebürtige Dresdnerin gilt als die „Mutter von Nazca“ und wichtigste Entdeckerin und Kartographin der Wüstenlinien. Ihr halbes Leben widmete sie der Erforschung der geheimnisvollen Strukturen. Entgegen ihres Nachnamens sprang dabei zwar viel Ruhm, aber nicht allzu viel Reichtum heraus, weswegen ihr der Besitzer des Hotels ein lebenslanges kostenloses Wohnrecht in einem seiner Apartments einräumte.
Hier entwickelte sie ihre spezielle Theorie vom Zweck der Nazca-Linien: ein astronomischer Kalender seien sie gewesen, die Übereinstimmung mit den Sternbildern am Horizont verblüffend. Wissenschaftlich bewiesen wurde das nie. Das fällt auch schwer, da die Erbauer der Linien, die Nazca-Kultur, keinerlei schriftliche Zeugnisse hinterlassen haben. Nach dem Tod Reiches beschloss man, ihr zu Ehren ein Planetarium zu errichten. Das lockt Touristen an, natürlich. Darunter auch mich.
Im Eintritt inbegriffen ist ein Blick mit dem Fernrohr in den Nachthimmel, und da es in der Wüste so gut wie nie bewölkt ist und es eigentlich auch nie regnet, haben wir hier eine fast so gute Sicht wie in San Pedro de Atacama (Chile). Eigentlich. Denn an jenem Tag hatte uns die Wüste ein besonderes Geschenk versprochen: Wolken. Nun gut. Gehen wir eben erst mal ins Planetarium hinein, die Wolken werden sich wohl schon noch verziehen.
Das Planetarium entpuppte sich von Innen jedoch als ein schlechter Witz. Kein Vergleich mit Carl Zeiss. Einfach nur eine nackte Betonwand, auf die ein Beamer eine Windows-Vista-PowerPoint-Präsentation warf. Von Zeit zu Zeit schob der Hotelangestellte, der uns begleitete, einen Pappkarton vor den Beamer und schmiss eine gewöhnliche Glühbirne an, über die eine schwarze Folie gespannt war. Die Glühbirne drehte sich, und durch die Löcher in der Folie erschienen die Sterne des südlichen Nachthimmels an der Wand des „Planetariums“. Das war alles.
Ich gebe zu, anfangs wollte ich mich an dieser Stelle lustig machen über dieses primitive Konzept eines Planetariums. Dann aber schienen die zahlreichen kulturweit-Seminare zum Thema Single Story ihre Wirkung bewiesen zu haben: ich erinnere mich zwar immer noch lächelnd an den Moment zurück, als das Licht ausging und die Glühbirne an, aber man muss den Versuch ehren. In Nazca haben sie versucht, auf ansprechende Weise die besondere Geschichte ihres kleinen Dorfes darzustellen, und das ist ihnen gelungen: man kann nicht behaupten, dass der Vortrag schlecht gewesen wäre. Und außerdem: über Maria Reiche erfahren Sie im Carl-Zeiss-Planetarium zu Jena wahrscheinlich nichts.
Bleibt nur noch das versprochene Fernrohr. Als wir das „Planetarium“ verließen, geschah das unglaubliche: es regnete. In der Wüste. Unser Hotelangestellter-Guide meinte verwundert, das habe er im Leben noch nie erlebt, während zwei, drei Tropfen vom Himmel vielen. Dann war es auch schon wieder vorbei. Die Wolken verzogen sich, und so war immerhin ein Blick auf die Ringe des Jupiter möglich. Oder war’s Saturn? Ich hab’s vergessen.
Die Panamericana und die berühmten Linien von Nazca
Nachdem ich nun schon so oft von ihnen gesprochen habe, am nächsten Tag dann endlich der eigentliche Höhepunkt: die Wüstenlinien von Nazca. Es wäre auch möglich gewesen, die Bodenzeichnungen, die man nur aus der Luft erkennen kann, mit einem kleinen Segelflieger zu überfliegen, doch erstens war das teuer und zweitens die Warnungen vor der mangelnden Sicherheit des Aeropuerto María Reiche zahlreich. Dann also ganz bequem, unkompliziert und billig zum Aussichtsturm in die Wüste, auf der Panamericana entlang.
Doch wie da hinkommen? Ich habe bereits einmal erklärt, wie Taxifahren in Perú funktioniert: nicht nach gefahrener Strecke, sondern nach verhandeltem Preis. Nachdem also der Taxifahrer meiner Wahl zuerst seinen kranken Sohn von der Schule heimgefahren hatte, ging’s raus Richtung Aussichtsturm.
Dieses Türmchen ist erstaunlich sinnvoll angelegt: aus Richtung Nazca kommend, befindet sich links die Plattform, in der Mitte davon die Autobahn und rechts der Parkplatz. Beim Überqueren raune ich meinem Taxifahrer zu: „Ich wollte schon immer mal die Panamericana zu Fuß überqueren!“
Weil diese paar Linien dann doch recht schnell angeguckt waren und mein Taxifahrer ein guter Geschäftsmann war, fuhr er mich gleich weiter in das Museum María Reiche. Dort trifft man einmal mehr auf die Spuren deutscher Auswanderer in Südamerika: ein alter VW-Bus und Maria Reiche höchstselbst, die sich, eine Deutschlandflagge vor sich, über ihre Aufzeichnungen beugt…
Es gab übrigens noch eine Hochkultur in Nazca, weit früher als die bekanntere Nazca-Kultur selbst. Sie hieß – wenn ich mich richtig erinnere – Paracas und hinterließ ebenfalls Spuren im Sand. Da mussten wir bei der Gelegenheit natürlich auch gleich noch hinfahren. Meiner Meinung nach sind diese Wüstenbodenzeichnungen sogar schöner als die Linien von Nazca, aber der Leser urteile selbst:
Auf der Panamericana bei Nazca erfuhr ich also einmal mehr, was Perú trotz aller historischen Sehenswürdigkeiten und des guten Essens wohl am meisten für mich ausmacht: seine freundlichen, hilfsbereiten Taxifahrer.
[1] Also nicht im Planetarium, natürlich, aber in Jena.