Kaffeezimmer in Tiflis

Heute ist mein Zuhause ein kleines Café in einer Seitenstraße von Tiflis. Es ist unscheinbar, fast hätte ich es übersehen. Begrüßt werde ich von einer jungen Frau hinter dem Bartresen, die eine Gelassenheit ausstrahlt, welche fast schon an Gleichgültigkeit grenzt. Ich fühle mich, als würde ich ihre Wohnung betreten und bin mir noch nicht sicher, ob ich hier willkommen bin. Vor dem Tresen sitzt ein Freund von ihr mit seinem Hund. Die beiden sind ein lustiges Paar und sind sich auf genau die Weise ähnlich, auf die sich nun mal Haustier und Besitzer ähneln. Sie sind groß und schlank und mustern mich mit dem gleichen zurückhaltenden Blick. Der Freund hat mit feinen Linien einen Knochen auf seinen Unterarm tätowiert, der dem Hund gefallen muss und mich belustigt. Das Paar bleibt stumm, doch unsere Augen sprechen dennoch schüchtern miteinander als ich eintrete.

Ich nehme am hinteren Ende des Cafés Platz, von wo aus ich fast den gesamten Raum überblicken kann, und lasse meine Umgebung auf mich wirken. Die hohe Decke mit einfachem Stuck, die länglichen, bogenförmigen Fenster und das helle Fischgrätenparkett erinnern mich an Altbauten in Berlin. Die Einrichtung im Raum, die Bilder und Fotos an der Wand, die Tassen und Gläser auf den Tischen wirken bunt zusammengewürfelt, sind Sammlerstücke von da und dort, und passen doch zusammen, scheinen an keinen anderen Ort zu gehören als hier. Die Sonne scheint und erfüllt den Raum mit Licht und Wärme. Eine sanfte Brise weht durch ein halbgeöffnetes Fenster herein und lässt die Blätter des Baumes vor dem Café, die langen weißen Vorhänge und das gläserne Windspiel tanzen. Auf einem Tisch stehen lilafarbene Blumen dessen Namen mir auf der Zunge liegt in einer porzellanenen Gießkanne, deren Anblick mich lächeln lässt. Mein Blick wandert langsam an den pastellfarbenen Wänden des Cafés entlang, die mit kleinen Zeichnungen, Postkarten, Polaroid Fotos und zwei langen Bücherregalen geschmückt sind und mich an mein eigenes Zimmer erinnern würden, wenn ich eines hätte.

Tk, tk, tk. Ich lasse meinen Kuli ein paar Mal klicken, halte inne und höre den Klängen des Cafés zu. Vor dem Fenster nähern und entfernen sich Gespräche von Passanten, die sich mit dem Rauschen vorbeifahrender Autos vermischen. Im Radio vorne am Tresen läuft zuerst Ed Sheeran und dann Lady Gaga, fast schon aus der Zeit gefallene Popmusik die nicht ganz zu den jungen, kultigen Besuchern des Cafés zu passen scheint. Der Gast hinter mir tippt seinen Fuß gleichwohl hin und wieder zum Takt der Musik, während er sich eine französische Sprachnachricht anhört. Die beiden Co-Worker am Tisch neben ihm nicken leicht mit ihren Köpfen zu den bekannten Rhythmen des Radios, heben den Blick jedoch nicht von ihren Sticker-bedeckten Laptops auf denen sie klickend und klackend herumtippen. Die verschiedenen Klänge wechseln sich ab, überlappen sich und verschwimmen zu einer ganz neuen Musik, die mir allzu bekannt vorkommt.

Ein Stuhl wird verrückt und der Franzose hinter mir steht auf. Er verabschiedet sich von den Co-Workern, die ihm eine gute Besserung wünschen und dabei seine rechte Hand meinen, die in einem dünnen Verband steckt. Er bedankt sich und wünscht ihnen viel Glück mit ihrem Französisch. ‚Merci beaucoup‘ sagen sie und lachen herzlich. Ein paar Münzen fallen klirrend in die Trinkgelddose auf dem Tresen und der Franzose hinterlässt eine augenblickliche Leere, war er doch ein fester Bestandteil des kleinen Raumes geworden. Neue Besucher lassen nicht lange auf sich warten und ich fühle, dass es auch meine Zeit ist weiterzuziehen um dem Kommen und Gehen seinen natürlichen Lauf zu lassen. Das Zuhause der jungen Café-Besitzerin ist heute auch mein Zuhause geworden und es fällt mir ungewöhnlich schwer aus dem so vertraut gewordenen Zimmer zurück auf die fremde, laute Straße hinauszutreten.