Die Stadt am Bosporus

Istanbul war ein Erlebnis. Gemeinsam mit vier anderen kulturweit-Freiwilligen war ich Ende November dort. Noch nie habe ich so viele verschiedene Geräusche, Gerüche, Menschen, Dinge, Aktivitäten an einem Ort erfahren. Es war überwältigend, beeindruckend, eng, laut, lecker, spannend. An jeder zweiten Ecke ins Restaurant oder Geschäft gequatscht werden. Nicht mal fünf Minuten in Ruhe auf der Straße gehen können, weil man vor Menschen, Mofas oder Autos ausweichen muss. Der Verkehr ist der Tod für die Stadt, ständig sind die Straßen verstopft, immer muss man aufpassen nicht überfahren zu werden. Gegensätze liegen hier sehr nah beieinander – nur zwei Ecken neben DER Touristenstraße Istanbuls vom Taximplatz zum Galaturm, voll mit teuren Geschäften, Essen und Menschen ist niemand mehr. Da treffe ich streunende Katzen im Gebüsch, es riecht nach Exkrementen, ist schlammig und voll Müll. Irgendwo schlafen zwei Kinder auf einem Treppenabsatz vor einem warmen Lüftungsschacht. Zwei Ecken weiter finde ich ein hippes Studierendencafe mit vielen Grünpflanzen aber leider ohne Essen, und ich habe Hunger. Also gehe ich weiter. Nach drei Straßen ist es wieder belebt, wird Kebab verkauft. Daneben übergibt sich eine Touristin an einen Baum, Passanten schlängeln sich an ihr vorbei. Vielleicht esse ich doch woanders was…

Wie lange man zu Fuß durch die Stadt bräuchte? Tage? Zu viel, und das macht sie für mich nicht fassbar. Denn ich kann sie nicht erlaufen. Kann noch nicht mal von einer der vielen Anhöhen der Stadt an ihre Ränder schauen. Mit dem Nachtbus, der mich in 12 Stunden von Ruse nach Istanbul und auch wieder zurück gebracht hat, fahre ich über eine Stunde lang auf der Schnellstraße vom Omnibusbahnhof aus Richtung Zentraleuropa – und bin immer noch nicht aus der Stadt raus. Dass in Istanbul ungefähr 62 mal so viele Menschen wohnen wie in Chemnitz leben (ich liebe diese Vergleiche), habe ich schon das letzte Mal festgestellt. Jetzt weiß ich auch, dass die Nord-Süd-Ausdehnung etwa 50 km beträgt, und Ost-West etwa 100 km – etwa so viel wie von Dresden nach Leipzig. Ist schon ’n Stück. Die Stadt hat in den letzten hundert Jahren ein immenses Bevölkerungswachstum hingelegt, weswegen unkontrolliertes Bauen, Wohnen und allgemeine Überlastung der Infrastruktur ein Problem ist, das aber hauptsächlich an den Stadträndern existiert, die ich nie gesehen habe. Stattdessen habe ich mich im Touristengewühl der Altstadt getümmelt. Ich konnte die Hagia Sophia (türkisch Ayasofya) besuchen, und eine unglaublich angenehme, murmelnde Ruhe fühlen. Ihre Architektur ist ohne Zweifel beeindruckend, zentraleuropäische Gotteshäuser standen ihr sehr lange Zeit nach. Sie wurde um 500 n. Chr. als Kirche gebaut, um 1500 zur Mosche

Hagia Sophia, jetzt wieder eine Moschee. (Foto: Friedrich)

e umfunktioniert, diente 1935 bis 2020 als Museum, und ist seitdem wieder eine Moschee. Dieses Gebäude hat viel gesehen. Ich stehe in Bewunderung vor ihrer Geschichte, so wie vor der Geschichte der gesamten Stadt. Mich fasziniert die Schnittstelle zwischen Europa und Asien und die Bedeutung dieses Ortes in den Geschicken der Weltgeschichte.

In der Moschee am Taximplatz habe ich still und heimlich einem Gebet beigewohnt. Auf Basaren habe ich mich mit Süßigkeiten, gezuckertem Tee und getrockneter Mango vollgestopft, in der Hoffnung, diesmal den besten Preis verhandeln zu können. Naja, dass ich abgezogen werde, damit musste ich rechnen. Für wenige Stunden war ich auf der asiatischen Seite, das erste Mal außerhalb von Europa. Auch ein türkisches Hammam habe ich besucht, und mich noch nie zuvor in meinem Leben so sauber gefühlt! Eine andere Freiwillige hat sich leider eine Lebensmittelvergiftung eingefangen und die ganze Nacht gekotzt. Es war wohl das Hähnchen auf dem Salat. Nebenbei hattet wir noch das Zwischenseminar von kulturweit online. Jeden Tag saßen wir einige Stunden in unserer Unterkunft vor den Laptops und haben pädagogisches Begleitprogramm genossen – und das meine ich ernst. Es ist zwar anstrengend, aber ich bin jedes Mal wieder überrascht, wie wohltuend und bereichernd es ist.

Eine Woche lang war ich im Herzen Istanbuls und habe dabei alle erdenklichen touristischen Dinge getan, kann aber nicht behaupten, die Stadt irgendwie zu kennen. Dafür ist sie einfach zu groß. Ich hätte vorher nicht gedacht, dass es mich so beeindrucken würde. Tatsächlich wäre ich überhaupt nicht auf die Idee gekommen, hier hin zu fahren, wenn es nicht eine andere Freiwillige vorgeschlagen hätte, aber ich bin sehr froh darüber. Eine kurze Zeit, dich mich nachhaltig beeindruckt hat. Auch Wochen später noch.

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