Vom 01. bis 17. Oktober fand das 14. Internationale Literaturfestival der Internationalen Elias Canetti Gesellschaft unter dem Thema „Der Atem Europas“ statt (Bilder der Eröffnung hier). Es ist das größte seiner Art in Bulgarien. Fast jeden Tag wurden Lesungen gehalten oder Ausstellung eröffnet, auch eine szenische Lesung (die man hier anschauen kann) und ein Film waren dabei. Es kamen internationale Gäste aus Tschechien, Ungarn, Österreich und Deutschland. Da fast alle Veranstaltungen auf bulgarisch gehalten wurden konnte ich leider inhaltlich nicht viel mitnehmen. Dennoch habe ich die kreative und intellektuelle Atmosphäre genossen. Osteuropäische Literatur ist in Deutschland kaum bekannt und wird auch kaum übersetzt. Ein Gast meinte, es sei unmöglich osteuropäische Literatur gewinnbringend ins Deutsche übersetzen zu lassen – es kauft einfach niemand. Interessant, dass die „Weltliteratur“ eigentlich schon an der deutsch-polnischen Grenze aufhört.
Das Festival steht auch in Zusammenhang mit dem Nationalen Literaturpreis Elias Canetti, der jährlich verliehen wird. Alle sieben Nominierten waren eingeladen ihre Werke zu präsentieren, darunter zwei Frauen. Ich war während der bulgarischsprachigen Präsentationen geistig meist nicht anwesend, außer bei der von Rusana Bardarska („Опитът“, übersetzt Versuch, Experiment, Erfahrung). Sie hatte auf mich eine so interessante Ausstrahlung, dass ich ihr gern zugehörte, auch ohne ein Wort zu verstehen. Ich würde ihr Buch lesen, gäbe es das in einer mir verständlichen Sprache. Durchaus anwesend war ich bei den Präsentationen auf (teilweise) deutscher Sprache von Margret Kreidl, Amanda Lasker-Berlin, Max Czollek und Thomas Perle. In meinem Chemnitzer Alltag habe ich außerhalb der Arbeit im Weltecho nicht so oft kulturelle Veranstaltungen besucht. Dabei merke ich immer wieder, wie gut es mir eigentlich tut. Es bildet mich, konfrontiert mich mit Themen und Gedanken, die ich selbst nicht aufsuchen würde, und ich habe danach meist das Gefühl etwas gelernt zu haben, auch wenn ich es nicht immer benennen kann.
Meine Aufgaben während des Festivals bestanden in, wie es jemand mal zusammengefasst hat, „Eventmanagement“. Mit Kunstschaffenden kommunizieren und sie begleiten, Veranstaltungen vorbereiten und betreuen, Öffentlichkeitsarbeit im Web und vor Ort, Papierkram. Es waren drei anstrengende Wochen ohne Wochenende, und obwohl ich manchmal nur um die Veranstaltungen herum mit Arbeit beschäftigt war, habe ich immer den ganzen Tag für Arbeit blockiert und bin nicht wirklich raus gekommen. Die berühmten „last minute changes“ haben auch häufig meine Reaktionsschnelligkeit gefordert. Das ist aber nichts im Vergleich zu meinen Kollegen, die meist von früh bis spät verantwortlich und ansprechbar waren und auch während der Veranstaltungen auf der Bühne standen. Am Ende waren alle froh, dass es problemlos verlief und verhältnismäßig gut besucht war! Die Organisation im vornherein habe ich jedoch auch als sehr chaotisch und zu kurzfristig empfunden. Öffentlichkeitsarbeit konnte daher kaum bzw. viel zu spät stattfinden. Und alle waren sehr gestresst.
Die Veranstaltungen fanden im Дом Канети, dem Canetti-Haus statt, das eines der tollsten Orte der Stadt ist. Das Haus gehörte dem Großvater des Literatur-Nobelpreisträgers Elias Canetti (nachdem auch die Organisation benannt ist), wurde Ende des 19. Jhd. gebaut, und ist jetzt quasi entkernt. Es ist in einem desolaten Zustand – aber gerade das macht es so interessant. Es dient als Veranstaltungsort für kulturelle Ereignisse der Stadt und bietet in seiner Unperfektion unglaublich viel Raum für Möglichkeiten. Auf drei Etagen wurden zu Zeiten des Festivals Ausstellungen präsentiert, und auf der untersten fanden die Veranstaltungen statt. Im Keller hat eine Skate-Crew eine Halfpipe gebaut, mein persönliches Highlight dieses Hauses!
Seit dem Festival habe ich deutlich mehr Zeit. Also rein theoretisch. Praktisch bringe ich immer noch super viel Zeit damit zu mein tägliches Leben zu organisieren, Freizeitbeschäftigungen zu finden, Busfahrpläne zu verstehen (auf die ist wirklich kein Verlass), meine Zeit hier zu planen, die Sprache zu lernen. Ich konnte mittlerweile auch die ersten längeren Ausflüge ins Land machen und die anderen Freiwilligen kennen lernen und seitdem bin ich wieder sehr gut beschäftigt. Fast jedes Wochenende bin ich unterwegs, unter der Woche arbeiten, Kakao trinken und Sport machen (aus Ermangelung einer geöffneten Kletter- oder Schwimmhalle, und weil ich mich schon immer mal prügeln wollte, habe ich Thaiboxen angefangen… eine anstrengende und schmerzhafte Angelegenheit :D). Ich könnte sehr viel mehr Text schreiben, aber ich will erleben, und das tue ich gerade auch. Nächste Woche geht‘s nach Istanbul, da freue ich mich sehr drauf. Noch nie war ich so weit von Deutschland weg, und noch nie in einer solch riesigen Stadt. Istanbul ist zwei mal Bulgarien, zehn mal Estland und 62 mal Chemnitz. Wild.