Die Zeit, die ich hier in Bulgarien verbracht habe, mittlerweile schon über einen Monat, hat mich nahezu vergessen lassen, dass Corona immer noch ein Ding ist. Als gäbe es das hier nicht. Ich glaube, dass in geschlossenen öffentlichen Räumen eine Maskenpflicht gilt. Die interessiert 50% der Menschen nicht, und jene mit Maske tragen diese zumeist unter der Nase. Auch ich bin deutlich nachlässiger geworden in der Einhaltung der Regeln, auch in der Hoffnung, dass die Impfung mir schon helfen wird. Dass ich mich darauf nicht verlassen kann, und es auch Impfdurchbrüche gibt, ist mir bewusst. Ich ärgere mich über die laschen Regeln und deren Missachtung. Bulgarien ist ein Schlusslicht in der europäischen Impfquote, ungefähr 16% der Bevölkerung sind geimpft. Verantwortlich dafür wird mangelnde Aufklärungsarbeit gemacht, die auch sich verbreitende Verschwörungstheorien im Netz nicht eindämmen können. Öffentliche Behörden und Ärzt*innen trafen zudem unterschiedliche Aussagen bezüglich der Impfempfehlung, viele Fachleute lehnen diese selbst ab. Es herrscht wenig Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung und deren Versprechen, zudem befindet sich Bulgarien dieses Jahr in einer politischen Ausnahmesituation. Zwei Mal wurde ein neues Parlament gewählt und zwei Mal ist eine Regierungsbildung gescheitert, im November wird ein drittes Mal gewählt. Für Corona-Maßnahmen ist da kein Platz. Die machen sich nicht gut im Wahlkampf. Das alles ist in den letzten vier Wochen an mir vorbei gegangen. Es hat
mir ein Gefühl der Behaglichkeit gegeben, ein „ach wie schön, dass so viele Menschen unterwegs sind“, ein unbeschwertes Sitzen in Restaurants und Cafeś. Fremde treffen und Hände schütteln. Keiner der sich für Tests oder Impfungen interessiert. Jetzt kommt mir dieses Gefühl wie eine Lüge vor.
Das alles würde mich vielleicht weniger stören, wenn ich nicht die Erfahrung von mehreren Erkrankungswellen und zwei Lockdowns im Nacken hätte. Ich glaube nicht, dass Bulgarien einen Lockdown verhängen wird, da die Maßnahmen schon im letzten Winter weniger streng waren als in Deutschland. Trotzdem bin ich hier in einem fremden Land, in dem ich mich durchaus noch allein fühle, dessen Sprache ich gerade erst anfange zu lernen (was nebenbei gesagt aber sehr viel Spaß macht!) und ohne stabiles soziales Netz. Öffentliche Aktivitäten sind immer noch eingeschränkt, und so sind es die Möglichkeiten Kontakte vor Ort zu knüpfen. Gleichzeitig genieße ich das krasse Privileg überhaupt hier sein zu können, trotz einer immer noch andauernden weltweiten Pandemie. Während nebenan in Rumänien die Corona-Inzidenz explodiert und das Gesundheitssystem kollabiert. Aufgrund der geringen Impfquote und der bereits steigenden Zahlen halte ich das auch in Bulgarien für möglich.
Corona hat in den letzten vier Wochen kaum eine Rolle für mich gespielt. Ich fühle mich insgesamt sehr gut, stabil, ausgeglichen. Ich wollte heute eigentlich mit Thomas Perle, dem momentanen Artist in Residence bei der Canetti Gesellschaft, in die benachbarte rumänische Grenzstadt Giurgiu fahren. Jedoch brauchen wir lt. Aussage des Fahrers jetzt zu einer Impfung noch einen negativen aktuellen PCR-Test, wenn wir wieder nach Bulgarien einreisen wollen. Das war in der kurzen Zeit nicht machbar. Also sind wir nicht gefahren. Da sind sie wieder, die Grenzen.
Das nächste Mal geht‘s um was positiveres, dann werte ich endlich Mal das mittlerweile vergangene Festival meiner Organisation aus.