Mo, 13.09.21 – Di., 14.09.21
Als mich nach über 30 Stunden Anreise meine Kontaktperson meiner Partnerorganisation in Ruse, Bulgarien, fragte, wie meine Zugfahrt war, sagte ich „entspannt“. Wie gut, dass sie nicht nur aus dem Weg zum Bahnhof bestand, denn der war alles andere als entspannt. Meinen Weg würde ich, in chronologischer Reihenfolge, ungefähr so beschreiben: viel zu früh aufstehen – Zug fällt aus – Autopanne – per Anhalter zum Bahnhof (wie gut, dass ich so zeitig aufgestanden bin) – viel Zug fahren – Tram – Bus – noch mehr Zug fahren – Auto – da sein.
Nachdem ich auf bahn.de gerade noch erspäht hatte, dass mein geplanter Regionalzug nach Dresden heute ausfallen sollte, sind mein Bruder und ich mit dem Auto los zur nächsten S-Bahn in Meißen. Zum Glück war noch genug Zeit, um den Anschluss in Dresden zu erreichen. Leider schaffte es das Auto nur bis irgendwo auf der B6 und entschied sich dann, nicht mehr weiter zu fahren. Da kam dann Stress auf. Da habe ich kurzerhand den Daumen raus gehalten. Ein netter pensionierter Handwerker hat mich dann bis zur S-Bahn gebracht. Ich war erleichtert, doch wollte den Tag nicht vor dem Abend loben. Von Dresden nach Budapest war es kein Problem. Dort musste ich durch die Stadt zu einem anderen Bahnhof (Budapest hat drei Hauptbahnhöfe), wobei mir ein anderer Fahrgast mit dem öffentlichen Nahverkehr weiterhelfen konnte.
Der Zug Budapest – Bukarest war ein Schlafwagen, und ich fand ihn klasse. Darauf hatte ich mich schon gefreut! Ganz im Stil des RE6 Chemnitz – Leipzig. Vielleicht ein Höhepunkt meiner Zugfahrkarriere. Mit dem hätten auch meine Eltern vor 40 Jahren in den sozialistischen Jugendaustausch fahren können. Es holperte und schaukelte, aber die Liegen waren bequem und die Atmosphäre unkompliziert. Es gab nichts zu essen oder zu trinken, zum Glück hatte ich noch eine Packung Dinkel-Doppelkekse dabei, die bis zum nächsten Abend reichen sollte. Meine Abteilgenossin war fest davon überzeugt, dass eine andere Mitfahrende auf den Zugstrich gehen würde. Als ebendiese Abteilgenossin auf die nächtliche Pass- und
Zollkontrollen an der ungarisch-rumänischen Grenze mit einem äußerst genervten „blablabla“ reagierte, sah ich uns schon in 25 Kilogramm verteiltem Reisegepäck bei einer Stunde zusätzlichem Aufenthalt am Übergang stehen. Aber der Gott der Grenzbeamten und -beamtinnen war uns wohlgesonnen und ließ uns passieren. Der Zug verkehrte die meiste Zeit mit einer gefühlten Durchschnittsgeschwindigkeit von 50 km/h – was aber das Schaukeln so angenehm machte, dass es mich immer wieder in den Schlaf wiegte. Eine wunderbare Zugfahrt.
In Bukarest wurde ich von Pavel, dem Taxifahrer, mit dem die Internationale Elias Canetti Gesellschaft zusammen arbeitet, abgeholt und nach Ruse gebracht. Auch eine sehr angenehme Fahrt. In Ruse nahm mich meine Kontaktperson Viktor in Empfang und zeigte mir die Wohnung. Leider ist meine Mitbewohnerin zuvor ausgezogen, sodass ich jetzt allein auf 100qm wohne. Trotzdem habe ich mich gleich wohl gefühlt. Ich habe aber eine wenig Bammel vor dem Winter und der Holzheizung.
Soweit so gut, ich war entspannt und voller Vorfreude – dann machte sich doch ein wenig Panik breit, als ich allein war. Mit Kings of Leon und Nudeln mit Tomatensauce versuchte ich sie im Zaum zu halten. Ich hatte das Bedürfnis nach Geborgenheit und Vertrautheit, was unerfüllt bleiben musste. Aber so ist das nun mal – die Leber wächst mit ihren Aufgaben. Und was nicht vertraut ist muss ich mir vertraut machen, also gehe ich abends noch ein wenig um den Block. Die Wohnung ist gleich in der Nähe des zentralen Platzes, es ist noch warm und die Stadt belebt. Zwischen ausgelassenen Menschen schleichen streunende Katzen durch die Dämmerung. Es ist ein schönes Gefühl, ich bin einfach da und fühle mich trotzdem in Gesellschaft.