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Tage in Tbilissi – Ein krönender Abschuss

Hallo zusammen! 🙂

Heute kommt die kleine Reihe „Tage in Tbilissi“ zu ihrem Abschluss: Nachdem wir in den ersten freien Tagen viel erlebt haben und die Möglichkeit hatten, uns die Stadt anzugucken, vergingen auch die Seminartage wie im Flug. Wir schliefen meistens erstmal aus, da das Seminar aufgrund der Zeitverschiebung für uns erst um 12 Uhr startete und bis 19 Uhr ging. Anschließend frühstückten wir gemeinsam und dann es ging an die Laptops. Meisten saßen Lilly und Nila vor einem Gerät und auch Mia und ich teilten uns eins. Dass das Seminar nur digital stattfand, war für unsere Seminargruppe (genannt „Homezone“) super schade, da wir uns gerne in Präsens wiedergesehen hätten. Es war nämlich die gleiche Gruppe wie beim Vorbereitungsseminar und wir haben uns schon da super verstanden.

Unsere Homezone 2 mit unserem Trainer Qassem. ❤️

Unsere Homezone ist dabei eine kleine Besonderheit, da die meisten „Homezones“ Freiwillige aus ein oder zwei Ländern umfassen, während die Freiwilligen unserer Homezone in fünf Ländern eingesetzt sind: In Ägypten, Tunesien, Aserbaidschan, der Türkei und Armenien. Bei 14 Freiwilligen, von denen schon alleine fünf in Armenien leben, sind das ziemlich viele Länder. Trotzdem war es schön, die Anderen auf dem Bildschirm zu sehen und sich mit ihnen über ihre und unsere Erfahrungen austauschen zu können. Besonders wertvoll war das für mich bei der Arbeit zu den länderspezifischen Themen, also in unserem Fall zur Lage im Südkaukasus und dem Bergkarabach-Konflikt, wo wir Armenien-Freiwillige mit den drei Aserbaidschan-Freiwilligen zusammengearbeitet haben. Wir haben uns über die Darstellung des Konflikts in unseren jeweiligen Ländern unterhalten können und viel dazugelernt. Dazu später mehr.

Auch die Themen „Rassismus im Bildungssystem“ und „weiße Privilegien“ wurden im Seminar behandelt und ich habe außerdem an einem Workshop zur Unterrichtsgestaltung von Deutsch als Fremdsprache teilgenommen. Natürlich blieb auch Raum zur Reflexion unseres bisherigen Freiwilligendienstes und unsere Trainerin* Hanna hat das Seminar unterhaltsam gestaltet und unseren Wünschen angepasst. Abwechslungsreich war auch der Ausflug ins Georgische Nationalmuseum am Mittwochnachmittag. Allerdings hat mir im Museum selbst ein Abriss der georgischen Landesgeschichte gefehlt, da es eher aus vier Sonderausstellungen zur Evolution des Menschen, Flora und Fauna im Kaukasus, Schätze eines Sammlers (dessen Namen ich leider vergessen habe) und Georgiens Zeit unter der Sowjetherrschaft bestand. Trotz allem war das Seminar insgesamt gut, aber nicht mit dem Vorbereitungsseminar in Präsens zu vergleichen.

Die Seminarzeiten hatten zur Folge, dass wir immer erst abends ins Stadtzentrum von Tbilissi fahren konnten, was wir aber dafür auch jeden Abend taten. Dort trafen wir uns meistens mit den Georgien-Freiwilligen und gingen zusammen essen sowie im Anschluss in eine Bar. Besonders schön war der letzte Abend, der Freitagabend, wo wir uns nach dem Seminar bei Johannes, Ines und Hannah in der Wohnung getroffen haben. Dort haben wir Pizza gebacken (oder zumindest ein paar von uns, da wir mit zwölf Leuten ansonsten ein ziemliches Chaos veranstaltet hätten), „Werwolf“ gespielt und ganz viel gequatscht. Es war ein entspannter Abend mit Freunden, den wir alle sehr genossen haben, bevor es dann ans Verabschieden ging.

Ein paar von ihnen haben wir am nächsten Tag beim Mittagessen noch gesehen, doch dem Großteil mussten wir schon da „Tschüss“ sagen. Es hat sich komisch angefühlt, nach der Woche, in der wir uns nahezu täglich gesehen haben, plötzlich zurück in ein anderes Land zu müssen. Aber es ist nur für eine kurze Zeit, da Nila, Lilly und ich planen, über Weihnachten wieder in Tbilissi zu sein (Samuel und Mia fliegen in der Zeit nach Deutschland).

Ein besonderes Highlight war auch das eben schon angesprochene Mittagessen: Nicht nur wir Armenien-Freiwillige hatten uns nämlich auf der Weg nach Georgien gemacht, sondern auch die Aserbaidschan-Freiwilligen, die sich am Samstag, also unserem Abreisetag, in den Flieger gesetzt hatten. Sie mussten fliegen, da der Landweg zwischen Aserbaidschan und Georgien seit ein paar Jahren geschlossen ist. Aber so hatten wir immerhin die Möglichkeit, uns doch noch kurz zu sehen. Es hat sich ein bisschen surreal angefühlt, Eva, Janek und Simon in die Arme schließen zu können, nachdem wir sie die letzten vier Tage nur auf dem Bildschirm gesehen hatten.

Doch es war sehr schön und wir waren uns alle einig, dass wir uns nun noch mehr auf Silvester freuen. Da treffen wir uns nämlich mit allen aus unserer Homezone, die Zeit und Lust haben, um gemeinsam in Istanbul ins neue Jahr zu feiern. Dieser Plan ist auf dem Vorbereitungsseminar am Werbellinsee entstanden und mittlerweile sind die Flüge gebucht. Nach dem Essen, bei dem auch ein paar Georgien-Freiwillige dabei waren, hieß es dann aber auch schon wieder Abschiednehmen und auf zum Shuttle nach Armenien. Die Zeit in Tbilissi war wirklich schön und es sich gelohnt hat, rüber zu fahren.

Die Rückfahrt verlief genauso ereignislos wie die Hinfahrt und das Passieren der Grenze(n) war nichts Aufregendes mehr. Lediglich eine Sache habe ich zu berichten: Dieses Mal habe ich stärker als beim letzten Mal auf das Grenzgebiet zu Aserbaidschan geachtet und mir ist tatsächlich etwas aufgefallen. Die Grenze ist durch einen hohen Stacheldrahtzaun gekennzeichnet und dort, wo wir entlang gefahren sind, verläuft sie in einem Tal. Auf beiden Seiten der Grenze gibt es in regelmäßigen Abständen oben auf den Hügeln Grenzposten, also kleine Hütten. Im Dämmerlicht der Abendsonne konnte ich neben den Hütten auf beiden Seiten jeweils zwei Soldaten stehen sehen. Sie stehen sich dort also direkt gegenüber. Und das vermutlich täglich. Dieser Gedanke hat in mir ein mulmiges Gefühl ausgelöst. Vor allem mit dem Wissen im Hinterkopf, dass der Bergkarabach-Konflikt und damit der Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien keinesfalls für immer beendet ist, sondern lediglich auf Eis liegt.

Beim Seminar haben wir viel über die Hintergründe gelernt und diese reichen weit zurück, sind tief in der Geschichte beider Länder verankert und mit so viel persönlichem, aber auch Volkstrauma verbunden, dass Frieden für immer in dieser Region für mich aktuell nur schwer vorstellbar ist. Die Menschen leiden, auch wenn derzeit kein offener militärischer Konflikt herrscht. Hinzukommt, dass es bei diesem Konflikt nicht nur Armenien und Aserbaidschan geht, sondern dass weitere Länder großen Einfluss haben. Doch darauf näher einzugehen, würde hier zu weit führen, zumal ich keine Expertin in diesem Thema bin. Ich kann lediglich wiedergeben, was mir Menschen hier erzählen oder was ich mir an Wissen angelesen habe.

Prägend ist für mich neben den persönlichen Erzählungen und Schicksalen bei diesem Thema auch, dass ich vorher nur wenig darüber wusste. Der Kaukasus war leider einer von viel zu vielen „blinden Flecken“ auf meiner Weltkarte, was sich durch mein Leben hier verändert hat. Der Bergkarabach-Konflikt war in den deutschen Medien zwar präsent, aber nicht in der Tiefe, die es eigentlich (wie so oft) gebraucht hätte. Meine Erfahrungen hier regen mich zum Nachdenken an, wie viele „blinde Flecken“ ich wohl noch habe. Es müssen viele sein. Natürlich kann niemand alles wissen, besonders nicht im Hinblick auf all die zahlreichen Konflikte weltweit. Doch vielleicht würde es uns allen gut tun, einmal mehr über den eigenen Tellerrand  in andere Weltregionen zu gucken. Beispielsweise auf den Bürgerkrieg im Sudan oder den Militärputsch im Niger letztes Jahr.

Mit diesem schweren Thema möchte ich euch aber nicht entlassen, sondern das schöne Gefühl vom Anfang meines Beitrags wieder hervorrufen. Wir lesen tagtäglich so viele schlimme Nachrichten aus aller Welt, dass das manchmal zum Verzweifeln sein kann. Denkt also jetzt bitte einmal an eure Liebsten und an all die Marmeladenglasmomente mit ihnen. Für mich war der letzte Abend unserer Woche in Tbilissi ein solcher Marmeladenglasmoment. Ich habe mich super wohl und von Freunden umgeben gefühlt. Die Zeit ist nur so gerannt und es war schon drei Uhr nachts, als wir uns auf den Heimweg gemacht haben. Freunde und Familie zu haben, ist unglaublich wertvoll und ich bin für jeden einzelnen von euch dankbar. Seid euch sicher, dass ich an euch denke. Und ihr tut es auch, wenn ihr diesen Blog hier lest. 😉

Auf den nächsten Beitrag dürft ihr übrigens gespannt sein, denn da wird es darum gehen, was wir nach unserer Rückkehr in Armenien erlebt haben. Es gab nämlich einen ganz bestimmten Grund, warum wir bereits am Samstag zurückgereist sind und nicht erst am Sonntag. Also:

Bis bald! 😊