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„Abenteuer Armenien“ – Alles kommt anders

Hallo zusammen! 😊

Ich hatte ja im letzten Eintrag schon anklingen lassen, dass einiges Unerwartetes passiert ist, und heute möchte ich passend zum Meilenstein der ersten zwei Monaten hier (krass!) etwas auf die größten Überraschungen zurückblicken:

Meine Mitbewohnerin.

Sie war die erste Überraschung noch vor meiner Ankunft hier. Wir haben uns kurz vor dem Vorbereitungsseminar das erste Mal live und in Farbe gesehen und kennengelernt. Natürlich ist es super aufregend, mit jemandem zusammenzuziehen, den man nicht kennt. Und dann auch noch gleich in einem fremden Land. Nervenaufreibender ist da nur, wenn sie sich nach drei Wochen aus gesundheitlichen Gründen dazu entschließt, ihren Freiwilligendienst abzubrechen. Auch wenn es natürlich super schade ist, war es für sie definitiv die richtige Entscheidung. Am 7. Oktober ging ihr Flug zurück nach Deutschland. Plötzlich stand ich alleine da. Die anderen Freiwilligen sind zwar auch noch hier, aber eben nicht in Gyumri. Doch wenn ich ehrlich bin, waren die Tage der Unsicherheit, wo nicht klar war, ob sie bleibt oder geht, noch schlimmer. Sobald die Entscheidung gefallen war, konnte ich mich nämlich wegen der Wohnung, des Sprachkurses und so weiter kümmern. Ich hatte Planungssicherheit, was sich für mich als unfassbar wertvoll herausgestellt hat. Ich habe mich mit meinem Vermieter getroffen, der mir bei der Miete entgegen gekommen ist, sodass ich in der Wohnung bleiben kann. Damit fiel ein großer Stressfaktor weg, da ich mich in der Wohngegend und der Wohnung selbst super wohl fühle und so nicht nach einer neuen Wohnung suchen, geschweige denn umziehen musste. Dennoch bedeutete diese „Überraschung“ eine weitere:

Alleine wohnen.

Ich lebe in meiner Wohnung jetzt alleine und werde wohl auch keine neue Mitbewohnerin oder Mitbewohner bekommen. Das bedeutet, dass ich mich alleine versorgen muss: Einkaufen, Wäsche waschen, putzen, kochen, abwaschen. Gerade die Essensplanung und der Wocheneinkauf gehen mir ganz schön auf den Zeiger. Da wird einem erst richtig bewusst, wie viel die Eltern Zuhause im Haushalt eigentlich machen. Vor dem Kochen hatte ich erst große Sorge, aber es ist tatsächlich nicht so schlimm wie befürchtete und bis jetzt hat es fast immer geschmeckt. Außer das eine Mal, wo ich ausversehen anstatt saurer Sahne Schlagsahne gekauft und in meinen Auflauf gehauen habe. Das ist das Lehrgeld, was man zahlen muss, wenn man in einem Land lebt, in dem man die Sprache nicht lesen kann und die Supermarkt-Mitarbeitenden meistens auch nicht sehr hilfreich sind. Dennoch grenzt es fast an ein Wunder, dass das das (bisher) einzige Mal war, wo ich etwas Falsches eingekauft habe. Genauso wie es an ein Wunder grenzt, dass die Gerichte in meinem Backofen tatsächlich klappen. Angeblich soll er 300 Grad können, aber wenn ihr mich fragt, schafft er maximal 110. Naja, Kochen läuft aktuell wirklich gut, also will ich mich nicht beschweren.

Der Übeltäter.

Wobei ich dabei doch ein Problem habe: Portionsgrößen einschätzen. Meistens will ich nämlich gleich für mehrere Tage kochen, aber mir fehlt einfach noch das Gespür dafür, wie viel ich dann kochen muss. Als ich letztes Wochenende abends aus Yerewan zurück war und eine Käse-Hack-Lauch-Pfanne gekocht habe, habe ich viel zu viel gekocht:

Das ist so viel zu viel für mich alleine gewesen (wenn ich nicht fünf Tage in Folge das Gleiche hätte essen wollen), dass ich spontan meinen russischen Nachbarn abgefangen und ihm etwas abgegeben habe. Er hat sich sehr gefreut und wir haben noch nett miteinander geplaudert. Was lernen wir daraus? 1. Wenn etwas nicht wie geplant läuft, versuchen, das Beste daraus zu machen. Im Zweifelsfall kann man jemand Anderem eine Freude machen. Und 2.: Das halbe Rezept hätte auch locker gereicht. Er hat sich ein paar Tage später übrigens mit Gebäck revanchiert, als er mir die Tupperdose zurückgebracht hat. Und er meinte, dass er vermutlich verhungert wäre, wenn ich ihn an dem Abend nichts abgegeben hätte. 😂

Hobbys.

Auch was meine Freizeitaktivitäten hier in Gyumri angeht, musste ich kreativ werden: Ich hatte mich im Vorfeld auf Instagram umgeschaut und zwei Accounts eines „Basketball-Clubs Gyumri“ entdeckt. Kaum hier angekommen musste ich allerdings feststellen, dass absolut niemand irgendetwas von einem Basketball-Club wusste. Ich habe rumgefragt, aber anscheinend gibt es den einfach nicht. Schwer enttäuscht musste ich mich nach Alternativen umgucken und das Einzige, was ich gefunden habe, war Yoga. Also heißt es jetzt für mich ein- bis zweimal die Woche: „Enjoy your pain with a smile!“ Diesen Satz sagt der Yoga-Guru so regelmäßig zu mir, dass ich mich mittlerweile echt frage, wie ich wohl gucken muss. Ich habe Yoga trotz der Erfahrungsberichte meiner Mutter vollkommen unterschätzt. Es ist sehr viel anstrengender als erwartet und ich lerne durch die Schmerzen Muskeln kennen, von deren Existenz ich bisher nicht wusste. Ich komme überraschend häufig an die Grenzen meiner Kraft und kann den „Entspannungsteil“ meistens kaum erwarten.

Auch in die Gruppe werde ich mehr und mehr integriert und neben dem Yoga-Guru übersetzen auch immer mal wieder einige der Frauen (bisher waren die Teilnehmenden immer nur Frauen) für mich, da meine Armenischkenntnisse immer noch sehr zu wünschen übrig lassen. Auch nach den Stunden unterhalten sich immer mal wieder einige mit mir und ich fühle mich in der Gruppe langsam angekommen.

Ebenso wie das Yoga ist auch der Kauf einer Gitarre nicht geplant gewesen: Ich hatte meine Geige bewusst in Deutschland zurückgelassen, doch musste hier schon nach kurzer Zeit feststellen, dass es mir unglaublich fehlt, Musik zu machen. Und so bin ich in das einzige Musikgeschäft hier in Gyumri gestiefelt und habe mir eine Akustik-Gitarre gekauft. Das Gitarre spielen lerne ich mithilfe eines Online-Kurses und  freue mich schon sehr, bei meiner Rückkehr nach Hause vielleicht das ein oder andere Lied vorspielen zu können. 😊

Die Arbeit.

Ich weiß nicht, wie ich mir meine Arbeit vorgestellt habe, aber ich habe sicherlich nicht damit gerechnet, dass ich so viele Freiheiten habe. Während ich im Unterricht selbst weniger Gestaltungsmöglichkeiten als erwartet habe, kann mir ansonsten mehr oder weniger aussuchen, was ich den Tag über machen möchte und wann ich eine Pause brauche. Das ist super praktisch, da ich so die Dinge machen kann, die gerade dringend anstehen (z.B. Tests korrigieren) oder die mir am meisten Spaß machen (z.B. im Unterricht bei meiner Lieblings-Neunten-Klasse dabei sein). Außerdem stehen immer wieder Projekte an und so habe ich vorletzte Woche mit Nila gemeinsam zum „Tag der deutschen Sprache“ einen Workshop geleitet. Auch sonst bin ich ziemlich frei in dem, wobei ich mitmache oder was ich auslasse. Dazu zählt auch das „Ukraine-Projekt“, wo ich unter keinerlei Zwang oder Druck stehe (zumindest nicht von außen). Wichtig ist vor allem das „proaktive Denken und Handeln“: Wenn ich eine Idee habe oder etwas unbedingt machen möchte, muss ich selbst die Initiative ergreifen und mich kümmern. Das klappt bisher wirklich  gut und fällt mir erstaunlich leicht.

Freunde finden.

Ich glaube, das war das, wo ich mich am meisten „verschätzt“ habe. Die anderen Armenien-Freiwilligen hatte ich per Face-Time und dann auf dem Vorbereitungsseminar schon vorab kennengelernt, aber ich habe die Entfernung nach Yerewan unterschätzt. Wie im letzten Eintrag bereits geschrieben waren es vielleicht auch meine Kapazitäten. Allein in Gyumri und „so weit weg“ von den Anderen zu sein, war am Anfang sehr herausfordernd und ist es manchmal immer noch. Aber ich habe mir selbst Zeit gegeben und auch hier Menschen kennengelernt. So habe ich eine Freundin aus Dilijan gefunden und mich auch mit dem Russen aus dem Shuttle mit dem platten Reifen nochmal getroffen und nett gequatscht. Dazu kommen ganz frisch zwei andere Freiwillige aus dem YCI: Der eine heißt Marc und ist US-Amerikaner, während der andere aus Frankreich kommt. Ich war zur Halloween-Feier im YCI und habe mich sofort prima mit den beiden verstanden. Umso schöner, dass ich plane, bald regelmäßig dort zu sein und etwas mit den Jugendlichen zu machen. Außer den beiden „ausländischen“ Freiwilligen arbeiten dort auch viele armenische Freiwillige und ich bin sehr gespannt, auch sie näher kennenzulernen. Das YCI ist wirklich ein besonderer Ort voller Leben und Freude und ich freue mich sehr darauf, in Zukunft ein Teil davon zu sein.

Heimweh und Kontakt nach Hause.

Zum Schluss wird es noch einmal sehr persönlich und hierzu kommt irgendwann auch noch ein eigener Beitrag. Aber es hier nicht zumindest zu erwähnen, wäre falsch: Es ist diese bittersüße Mischung aus Vermissen und Verbundenheit, die mein stetiger Begleiter ist. Man lernt erst richtig zu schätzen, was und vor allem wen man Zuhause eigentlich hat, wenn man hunderte Kilometer davon entfernt ist. Ich telefoniere oft mit meinen Eltern und auch mit vielen Freunden, Bekannten und Familienmitgliedern stehe ich in Kontakt. Für mich ist es unfassbar wertvoll zu wissen, dass so viele Menschen an mich denken und ihr durch Telefonate, Nachrichten oder das Lesen von diesem Blog Teil meiner Reise sein könnt. Ich genieße die Zeit hier und würde nirgendwo anders sein wollen, da die Zeit hier wirklich einmalig und ganz besonders ist. Dennoch trage ich euch jeden Tag in meinem Herzen bei mir und freue mich bei all dem Schönen, was ich hier erleben darf, gleichzeitig darauf, euch alle wiederzusehen und endlich wieder in die Arme schließen zu können. ❤️

Mit diesem schönen Gedanken soll es das für heute auch schon wieder gewesen sein und ich melde mich demnächst wieder.

Bis bald! 🙂