Über Proteste gegen die polnische Regierung. Ein Interview.

Proteste gegen die polnische PiS Regierung gibt es seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2015. Doch seit der Selbstverbrennung des Mannes Piotr Szczensy im Oktober 2017, welcher damit auf die Demokratiefeindlichkeit der polnischen Regierung aufmerksam machen wollte, haben sich kleinere Protestgruppen in ganz Polen zusammengefunden. Eine dieser protestiert wöchentlich auf dem Marktplatz in Cieszyn, um ein Zeichen gegen die derzeitige polnische Regierung zu setzen.

Agnieszka K., Tomek G. und Jerzy B. sind ein Teil der Gruppe, im Oktober 2022 habe ich mit ihnen über ihre Demonstrationen und die politische Situation in Polen gesprochen.

Warum protestieren Sie?

Agnieszka K.: Da die PiS Partei schon kurz nach Regierungsantritt begann, unseren Rechtsstaat abzubauen und verfassungsrechtlich gesicherte Grundrechte einzuschränken.

Was ist das Ziel Ihrer Proteste?

Agnieszka K.: Unser Ziel ist es, unsere Freiheiten, unsere zivilen Rechte und Frauenrechte wiederzuerlangen. […] In den Medien wird über uns Protestierende häufig beleidigend berichtet, wir werden als Verrückte bezeichnet, dabei sind wir diejenigen, die ihren Verstand einsetzen und sich der politischen Lage im Land bewusst sind. […] In den letzten Jahren hat die Regierung Gesetze erlassen, die sich stark an kirchlichen Werten orientieren, dazu gehört auch das Abtreibungsverbot.

Die Forderungen der Protestgruppe.

Warum konnten religiöse Werte Ihrer Meinung nach solch einen bedeutenden Standpunkt erlangen?

Agnieszka K.: Während des Kommunismus, als die Kirche von der Regierung verfolgt wurde, war die gesellschaftliche Unterstützung sehr groß, vor allem weil sich die Kirche, wie viele Polen und Polinnen, gegen die kommunistische Regierung positionierte.

Tomek G.: Die Kirche war sehr hilfreich im Kampf gegen den Kommunismus. Die kirchliche Haltung war damals deutlich moderater und der Gesellschaft wurden keine religiösen Werte und Regeln aufgezwungen. Aber nach den großen Erfolgen der katholischen Kirche wurde diese arrogant. Zeitweise kamen der Papst sowie einer von fünf Priestern aus Polen. Die Kirche positioniert sich gegen Säkularisierung und sieht sich als Mittelpunkt des katholischen Glaubens in Europa, von dem aus der Katholizismus wiederbelebt werden soll.

Agnieszka K.: Einige Abgeordnete der PiS Partei im EU-Parlament erklärten nach ihrer Wahl, dass sie gewählt wurden, um Europa zu rekatholisieren.

Wie reagiert die Gesellschaft auf Ihre Proteste? Konnten Sie während der letzten 5 Jahre eine veränderte Reaktion ausmachen?

Tomek G.: Am Anfang gab es viele negative Reaktionen auf unsere Proteste. In den ersten zweieinhalb Jahren protestierten wir täglich. Wir kamen mit Feindseligkeit und sogar physischen Übergriffen in Kontakt und es gab Menschen, die uns bei der Polizei anzeigen wollten. Allgemein war die Polizei während unserer Proteste häufig vor Ort, sie belästigte uns dauerhaft, nahm unsere Personalien auf und drohte mit Anzeigen gegen uns.

Agnieszka K.: Die ersten positiven Veränderungen konnten wir etwa im Oktober 2018 ausmachen, nachdem wir ungefähr ein Jahr protestiert hatten. Zu dieser Zeit war die Bürgermeisterwahl, der nationalistische Kandidat verlor die Wahl und die liberale Kandidatin gewann. Wir sind der Meinung, dass unsere Proteste einen positiven Einfluss auf diese Wahl hatten, wir konnten durch unsere Präsenz ein Bewusstsein für die akuten Probleme der polnischen Politik schaffen. Aber es kam auch häufig zu Diskussionen mit Bürger*innen und wir wurden oft nach dem Grund unserer Proteste gefragt. Nach der Bürgermeisterwahl beendete die Polizei auch endlich ihr belästigendes Verhalten.

Was motiviert Sie weiter zu protestieren?

Agnieszka K.: Es gibt so viele Probleme und andauernd kommt es zu neuen Attacken, seitens der Regierung, auf gesellschaftliche Gruppen und Minderheiten. So werden beispielsweise Ärzte, Lehrer*innen und Frauen schlecht behandelt. Derzeit ist es inakzeptabel nichts zu tun, da das polnische System unglaublich destruktiv ist und zur Zerstörung der Demokratie führt. Ich würde eher sterben, als meinen Protest zu beenden, solange diese Regierung an der Macht ist.

Seit dem Fall der Berliner Mauer lebten wir in Freiheit, aber nun müssen wir wieder um unsere Rechte bangen. Ich protestiere in Gedanken an meine Kinder und in Gedanken an die Zukunft, wird unsere Freiheit erhalten bleiben oder wird sich unsere Situation verschlechtern?

Tomek G.: Viele Menschen fühlen sich eingeschüchtert, weil es eine Art sanfter Repressionen gibt. Manche sehen es nicht gerne, wenn ihre Angestellten sich an oppositionellen Protesten beteiligen. Menschen, die sich in solch einer Position befinden, werden dadurch vom Protestieren abgehalten. Viele der Mitglieder unserer Protestgruppe befinden sich nicht in dieser Position, da sie in Rente sind oder als Selbstständige arbeiten.

Außerdem gibt es nicht nur in Cieszyn Proteste, wir sind Teil einer größeren Bewegung, auch wenn viele nicht so regelmäßig protestieren wie wir, gehen doch viele Menschen gegen neue Gesetze und politische Geschehnisse auf die Straße. In Polen gab es auch immer eine Opposition, die ungefähr 30 Prozent der Zustimmung erlangen konnte und die oppositionellen Medien. Wir sind der Meinung, dass es wichtig ist, die Zivilgesellschaft zu mobilisieren.

Was ist im Moment das größte Problem der polnischen Politik?

Agnieszka K.: Das Bildungssystem, unter dem konservativen Bildungsminister der PiS kam es während der letzten Jahren zu rückschrittlichen Veränderungen. Nützliche Fähigkeiten, wie kritisches Denken, werden weniger gefördert, dafür kommt es mehr und mehr zur Indoktrination von Wissen. Zudem wird die Geschichte anders und verfälscht dargestellt.

Jerzy B.: Der Austritt Polens aus der EU und die rücksichtslose Aushöhlung der EU von innen.

Tomek G.: Ich sehe den Abbau der Gewaltenteilung als größtes Problem der aktuellen Politik. Die Regierung begann schon kurz nach dem Amtsantritt mit der Aushöhlung des Justizsystems und diese schreitet weiter voran. Erst wurden im Verfassungsgericht, regierungstreue Richter*innen eingesetzt. Doch dabei blieb es nicht und das Verfassungsgericht wurde weiter verändert. In den letzten Jahren wurden illegale Prozesse entwickelt, um die Interessen der Regierung durchzusetzen. Das führte zu den aktuellen Konflikten mit der EU. Diese Entwicklung macht mir Angst, weil ich aus der Geschichte weiß, was Hitler tat und wie sein Regime die Gewaltenteilung in Deutschland außer Kraft setzte. Der Prozess schreitet langsam voran, aber er führt zum Abbau der Rechtsstaatlichkeit. Dazu baut sie u.A ein paralleles Justizsystem auf, bestehend aus regierungstreuen Richter*innen. Die Aufklärung und der Rückbau dieser Prozesse wird Jahre dauern und es ist extrem schmerzhaft, all diese Verletzungen der Verfassung zu beobachten.

Gibt es Hoffnung auf Veränderungen?

Agnieszka K.: Die Menschen werden sich der politischen Situation immer bewusster. In der Berichterstattung der unabhängigen Medien kann man außerdem Anzeichen von Panik und Nervosität in der Regierungspartei beobachten. Die PiS hat derzeit niedrige Zustimmungsraten und Umfragen zeigen, dass die Opposition bei Wahlen gewinnen würde. Die nächsten Wahlen finden in einem Jahr statt und es scheint mir, als ob das System langsam auseinanderbrechen könnte.

Tomek G.: Die PiS hat versagt, ihre Ideologie ist nicht in den Köpfen der Menschen angekommen. Zu Beginn bestand die Gefahr, dass sie ihre Agenda umsetzen könnten, dass Polen zu einem autokratisch regierten Land wird, genau wie Russland oder Ungarn. Aber die Oppositionsparteien hatten immer hohe Zustimmungsraten und Lokalregierungen wurden weiterhin oppositionell geführt. Deshalb, aufgrund der Proteste und den unabhängigen Medien blieb die Opposition immer präsent. Polen ist ein großes Land, ein pluralistisches Land und nun, seit der Covid-19 Pandemie, dem Krieg in der Ukraine und der Energiekrise, geht es für die Regierung bergab. […] In einem Jahr, falls die Opposition die Wahlen gewinnt, planen wir ein großes Fest auf dem Marktplatz. Dann werden hoffentlich auch die Prozesse gegen die PiS und all die verfassungsrechtlichen Verletzungen beginnen.

Trotz der Hoffnung auf eine neue Regierung mit den nächsten Wahlen, besteht auch die Angst vor einer Wahlfälschung. Während des Interviews wurden wir von einem Mann unterbrochen, der diese Befürchtung auch teilte. Im Falle dessen wird die Cieszyner Protestgruppe ihre wöchentlichen Demonstrationen fortsetzen.

Agnieszka K.: […] solange wir protestieren dürfen, werde ich protestieren. Ich habe keine Wahl.