Die Tür zur Welt aufmachen. So umschrieb ich gleich am Anfang meiner Zeit in Togo, was ich darunter verstehe, Freiwillige zu sein. Die letzten Wochen waren turbulent und großartig. Und einmal mehr spüre ich, wie ich Blicke hinter Türen werfen konnte. Wie ich Dinge verstehe. Wie ich über Dinge nachdenke, über die, wie ich finde, nachgedacht werden muss. Und noch viel wichtiger: Wie viele Menschen ihre Türen für mich öffnen.
Was mich schockiert.
An einem Tag Anfang Juli sitzen Sebastian und ich mit einem togoischen Freund in der BoBar an der Lagune von Bè. Die Sonne geht gerade unter, wir trinken Palmwein und unterhalten uns angeregt. Wenige Tage zuvor habe ich einen Artikel gelesen. Darüber, dass vierzehn westafrikanische Länder, und Togo ist eines davon, noch immer koloniale Schulden an Frankreich für die damals errichtete Infrastruktur abzahlen. Darüber, dass sie 85 Prozent ihrer Währungsreserven in Frankreich lagern und, sollten die verbleibenden Reserven nicht ausreichen, sich die Mittel von Frankreich zu marktüblichen Zinsen leihen müssen. Darüber, dass es Fremdenlegionäre waren, die den ersten Präsidenten Togos nach dessen Weigerung, den Pakt zur Fortsetzung der Kolonialisierung zu unterzeichnen, ermordeten und dafür umgerechnet 550 Euro von der französischen Botschaft vor Ort erhielten (https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/03/15/frankreich-kann-seinen-status-nur-mit-ausbeutung-der-ehemaligen-kolonien-halten/). Unser togoischer Freund bestätigt alles mit einem Kopfnicken. Er wirkt gar nicht so wütend, irgendwie vielmehr resigniert. Keine Bitterkeit, vielleicht Pragmatismus stehen in seinem Gesicht. Kurz vorher sind Sebastian und ich noch gefragt worden, was uns seit unserer Ankunft in Togo am meisten schockiert hatte. Wir hatten keine Antwort. Nun habe ich sie gefunden.
Eine Woche darauf besuche ich abends das Institut Français Lomé, wo ein ausgezeichneter togoischer Kurzfilm gezeigt wird. La Douloureuse. Der Saal ist bis zum letzten Platz belegt. Im Film erzählt der Regisseur, der selbst anwesend ist, vom Leiden einer erkrankten Frau. Deren Ehemann versucht vergeblich das Geld für Medikamente aufzutreiben. Er packt den Fernseher auf sein Moto, fährt los, doch niemand möchte das Gerät kaufen. Seine Frau – die Mutter des jungen Filmemachers – stirbt. Der Film schließt mit einer traurigen Botschaft: Täglich sterben 39 Menschen in Togo, weil sie sich die nötige Medikation nicht leisten können. Ich verlasse das Institut Français, dieses schöne Gebäude, die schicke Kulturinstitution der französischen Botschaft. Am Freitag diskutieren wir beim Stammtisch mit Deutschen und Togoern im Goethe-Institut über eine Aussage von Emmanuel Macron. Am Rande des G20 Gipfels sagte dieser, die Frauen in Afrika bekämen zu viele Kinder. Das Problem Afrikas sei zivilisatorisch. Aha. Ist das so?
Was mich glücklich macht.
Zum letzten Mal durfte ich im Juli eine Kulturveranstaltung des Goethe-Instituts miterleben. Im Rahmen des Togoville Jazz Festivals treten eine nigrische und eine togoische Musikgruppe auf der Bühne im Innenhof des Instituts auf. Die Stimmung ist toll und als der große Regen einsetzt, suchen alle Gäste unter den Vordächern und auf der Terrasse Schutz. Meine Zeit im Goethe ist eine großartige Erfahrung für mich. Die Bibliothek, die Terrasse, der Hof, die Klassenräume sind immer bevölkert mit Studierenden und deutschlernenden Menschen jeden Alters. Das Kulturprogramm ist bunt: Konzerte, Theater, Konferenzen, Tanz, Kunst. Und es ist das Team vor Ort, das dem Institut den Atem einhaucht und ihm eine so lebendige und spannende Atmosphäre verpasst. Ich bin dankbar für alles, was ich hier lernen darf und für jede Begegnung.
Am vergangenen Freitag macht sich der togoische Freund, mit dem wir in der BoBar waren, auf den Weg nach Deutschland. Er hat ein Stipendium für eine Sommerschule der Universität Heidelberg bekommen und kann sich dort mit Studierenden der Geisteswissenschaften aus aller Welt austauschen. Wir haben es geschafft, eine Gastfamilie für ihn zu finden. Er kann bei der Mutter einer kulturweit-Freiwilligen, die gerade in Namibia ist, wohnen. Dinge wie diese fühlen sich gut an für mich.
Was mich bewegt.
Am Montag nun kam lange erwarteter Besuch in Lomé an: Die in New York lebende kleine Schwester meiner Gastmutter Nicole ist für ein paar Wochen in der Heimat. Sie wohnt mit einer weiteren Verwandten auf Heimatbesuch, die nach acht Jahren in Deutschland nun bereits neun Jahre in London lebt, und deren zwei Söhnen in einer großen Ferienwohnung. Nicole hat eine Menge typisch togoisches Essen vorbereitet. Viele Familienmitglieder kommen zusammen. Mein Kopf schwirrt, da ich abwechselnd Französisch, Englisch, Deutsch und Ewe spreche. Ich unterhalte mich kurz mit dem etwa zwölfjährigen Sohn mit sehr, sehr britischem Akzent. Ein Onkel, der seit über dreißig Jahren in Frankreich lebt und ebenfalls zum Sommerurlaub hier ist, lädt mich zu seiner Silbernen Hochzeit am Sonntag ein. Ein anderer Onkel erzählt mir von der Zeit der togoischen Fußballnationalmannschaft in Deutschland während der WM 2006. Alle erzählen mir vom Oktoberfest in München, das sie bereits besucht haben. Ich nicht. Ich frage, ob sie auch bayerische Tracht getragen haben. Nein, meint die Londonerin. Eine Schwarze Freundin habe einmal Dirndl getragen und wurde mehrfach beschimpft. Das wolle sie nicht auch erleben. Ich muss schlucken.
Was ich gelernt habe.
Wenn ich etwas gelernt habe, dann dass die Welt sehr klein ist und sehr verbunden. Kulturweit hat meinen Horizont erweitert. So sehr, wie ich es mir nicht hätte vorstellen können. Ich sehe jetzt noch mehr Dinge, die unangenehm sind, die mich in eine wütende, auch auf mich selbst wütende, Schockstarre versetzen.
Nun weiß ich aber auch, wie ich besser damit umgehen kann. Ich weiß, dass ich nie mehr aufhören will, Türen zu öffnen und durch offene Türen zu treten. Ich weiß, dass ich mich immer und immer weiter dafür einsetzen will, dass wir nicht in abgeschlossenen Räumen sitzen.
Denn in meinen Augen ist die Begegnung von Menschen der richtige Weg. Der einzig richtige Weg in dieser vielfach verbundenen Welt.
Ach ja!!! Sehr lehrreich. Wenn du so viel gelernt hast, dann bist du selber offen, kontaktfreudig, du hast viele Grundkenntnisse.
Ja so ist es mit Frankreich. Sie plündern unser Reichtum aus. Aber dafür sind unsere Regierenden auch schuldig.
Ich freue mich auch für B., meinen Freund.
Man muss selber seine Welt schaffen, indem man für sich weitere Türe eröffnet.