Demokratieversagen und Verdauung

Demokratieversagen und Verdauung

Gestern am 24.09. hatten alle wahlberechtigten Deutschen die Möglichkeit das nationale Parlament neu zu wählen und reagierten mehrheitlich geschockt über das Erstarken der rechtspopulistischen Partei AfD, die von nun an als drittstärkste Kraft im Parlament vertreten sein wird. Bei einem Glas kalten Kaffee an einer Straßenecke mitten in Saigon versuche ich das Geschehene Revüe passieren zu lassen.

Denn auch hier in Vietnam ging das Thema Bundestagswahl an uns Freiwilligen selbstredend nicht spurlos vorbei. Auf Einladung des deutschen Generalkonsulats in HCMC verfolgten wir mit vielen anderen Deutschen in einem deutschen Lokal ab 23 Uhr Ortszeit die Auszählung der Stimmen. Ja, das war einige häufige Verwendung des Wortes „deutsch“ in einem Satz, mit guten Grund, denn das Konsulat hatte viel dafür getan, dass sich alle Gäste hier in Fernost möglichst „deutsch“ fühlen konnten. Schwarz-Rot-Goldene Fähnchen auf den Tischen, Weißbier aus Tonkrügen, CurryPommes und vietnamesische Kellner*innen mit Namen wie „Vanessa“, „Laura“ oder „Phillip“.

Zurück zur Wahl. Der relative Gewinner der Saal Wahl, die zuvor abgehalten wurde, war eindeutig die FDP, die auf fast 30% kam. Kurzes Umschauen, grinsende Gesichter an den anderen Tischen verrieten mir, dass einige Wirtschaftsvertreter*innen, anwesend sein mussten. Die AfD bekommt keine Stimme, was im weiteren Verlauf des Abends bekanntermaßen nicht so blieb. Die Ergebnisse, die nun in den folgenden Prognosen folgten sind ebenso bekannt, sie gaben den Nährboden für alle folgenden Diskussionen und beeinflussen meine Gedanken.

Schrecklich ist ohne Zweifel, dass die AfD nahezu 13% erreicht hat. Das Erstarken dieser Partei lässt sich vereinfacht zum einen auf das Gefühl des „von der Globalisierung abgehängt seins“, aber zum anderen auch auf das verlorene Vertrauen in die etablierten Parteien zurückzuführen, die sich folglich selbst hinterfragen müssen.

Schlecht für die Demokratie ist, dass die „Elefantenrunde“ vor der Wahl nie in einer solchen Intensität und Offenheit stattgefunden hat, wie augenblicklich nach der Wahl. Insbesondere ist damit Kritik an der Kanzlerin gemeint, die sich vor einem zweiten Kandidat*innenduell gedrückt hat und überhaupt selten an öffentlichen Diskussionsrunden teilnimmt, um keine Angriffsfläche zu bieten. Diskussionen müssen wieder öffentlich ausgetragen, Standpunkte markiert und Kompromisse eingegangen werden. Konstruktive Konfliktkultur ist ein Kernmerkmal unserer Regierungsform. Schlecht für die Demokratie ist, dass eine demokratische Partei sich aus Angst um die eigene Parteiexistenz augenblicklich nach der Wahl, also offensichtlich geplant, in die Rolle der Opposition drängt. Natürlich muss auf ein Rekordtief reagiert werden, natürlich wurden die politischen Erfolge in der letzten Regierung nicht vom Wähler wahrgenommen und natürlich wäre eine weitere GroKo, die in dieser Prozentzahl den Namen nicht verdient hätte, förderlich für die Feinde der Demokratie und darauf muss reagiert werden. Trotzdem bedeutet diese Entscheidung, dass die anderen rechtsstaatlichen Kräfte dazu gezwungen werden ein Bündnis einzugehen, das sich keine dieser Parteien wirklich gewünscht hat. Dies bietet eine sehr schlechte Basis für Koalitionsverhandlungen und somit ist das kompromisslose Flüchten in die Opposition schlicht undemokratisch. Schlecht für die Demokratie ist, dass eine Partei mit den gleichen, nahezu unveränderten Konzepten, allerdings mit einer neuen Marketingabteilung, einem jungen, attraktiven Gesicht, Wortgewandtheit und schönen Plakaten den Wähler die Augen so waschen kann, dass sie ihre Prozentzahl zur letzten Wahl mehr als verdoppeln konnte. Wahlen sollten inhaltlich nicht personenbezogen gewonnen werden. Schlecht für die Demokratie ist, dass eine ursprünglich tendenziell linke, grüne Partei immer mehr in die Mitte rückt, um sich den Wunsch des Mitregierens zu erfüllen und damit Gefahr läuft im Einheitsbrei der Parteien zu verschwinden. Sie muss sich für die Zukunft fragen, für welche Werte sie einstehen möchten und was ihre Partei ausmacht. Schlecht für die Demokratie ist, dass eine demokratische Partei für fast alle anderen Parteien als unkoalierbar gilt. Die Partei muss sich selber fragen, ob sie nicht offener dafür sein sollte Kompromisse einzugehen und dass politische Positionen abgesehen von den Menschenrechten nie unabdingbar sind. Jede demokratische Partei sollte zumindest die Möglichkeit des Mitregierens in Betracht ziehen und nicht sturr und demokratiefremd auf ihren Ansichten beharren.

Mein Fazit dieser Wahl ist logischerweise, dass die eigentlichen Demokraten wieder demokratischer handeln und miteinander auf Augenhöhe diskutieren müssen. Auf die, sich selbstzerfleischenden Populisten muss mit dem Finger gezeigt, ihr Rassismus und Faschismus im Parlament nicht ausgehalten, sondern aufgezeigt und ihre Provokationen als inhaltsleer entlarvt werden. Dazu sollte der Bundestag im Stande sein. Geschieht das in dieser nun folgenden Legislaturperiode nicht, so graut es mir vor der Prozentzahl der AfD bei der nächsten Wahl.

Und hier in Vietnam? Geht das Leben weiter. Ich könnte nun etwas humoristisch sagen, dass zeitgleich zur Wahl ein Sack Reis umgefallen ist und es wäre sinnbildlich richtig. Die Welt dreht sich immer noch weiter, ohne Social Media und Internet wäre die Bundestagswahl auch für mich wahrscheinlich kein Thema mehr. Doch auch im Ausland sollten wir – Freiwilligen und Bürger – uns unserer demokratischen Verantwortung bewusst sein. Genug, ich schalte mein Internet aus, lausche dem Lärm der Mofas und trinke meinen kalten Kaffee weiter. Dieser soll bekanntermaßen bei der Verdauung helfen. Vielleicht auch bei der Verdauung schlechter Nachrichten.

https://www.bundeswahlleiter.de/bundestagswahlen/2017/ergebnisse/bund-99.html

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