Politik

‚They would have been friends‘

‚They would have been friends‘

Männer mit schweren Waffen schauen ein bisschen überrascht, aber ansonsten neutral in die Linse der Kamera. Sie stehen am Rande eines unbetonierten Weges, hinter ihnen lässt sich eine grüne Landschaft auf dem Schwarz-Weiß-Bild erahnen. Unter ihnen liegen ihre Gefangenen auf dem Bauch im Dreck. Die einen haben verloren, die anderen gewonnen. Wäre die Situation eine andere, wäre die Rollenverteilung umgekehrt. Sie kennen einander nicht und doch sehen sie in ihrem Gegenüber nur den Feind. Getrennt durch die Uniformen, die sie tragen. Vielleicht ist der Blick doch nicht neutral, er ist auch unsicher, weniger souverän, jugendlich. Die offensichtliche Frage ist: ‚Was machst du da eigentlich und warum?‘ Alle Männer sind Vietnamesen in ihren Anfang Zwanzigern zu Zeiten des grausamen Vietnamkriegs.

‚Had it been a peace time, they would have been friends.‘

Schreibt der Fotograf zu diesem Bild.

Das Bild in Verbindung mit der Unterschrift hat mich seit meinem ersten Besuch im Kriegsmuseum in Sai Gon im September 2017 verfolgt und nicht mehr losgelassen.

Was trennt uns? Was unterscheidet dich und mich? Wieso tun Menschen Menschen menschenverachtende Gräuel an?

Menschen, gerade dem Jugendalter erwachsen ziehen für Ideologien, Religionen, Regierungen oder Geld überall auf der Welt in den Krieg mit dem Vertrauen, dass das eigene Handeln das Richtige sei. Das war nicht nur während des grausamen Vietnamkriegs so, als sich Nord-und Südvietnamesen unterstützt von Amerikanern, Koreanern, Australiern und anderen Nationen gegenseitig für die Vorstellungen der jeweiligen Anführer bekriegt haben.

Der Vietnamkrieg ist in dieser undetaillierten, unwissenschaftlichen Betrachtung kein einmaliges Ereignis.

Schon seit Menschengedenken – zu Zeiten der Römer, der Kreuzzüge, des Kolonialismus, der Weltkriege und auch heute – führen Menschen Krieg.

‚Man is wolf to man.‘ – Thomas Hobbes

Das Menschenbild Hobbes ist allgemein bekannt und nachvollziehbar.

Wie wertvoll ist deshalb Frieden?

Wie einfach kann es sein, wenn man sich frei von irgendwelchen – durch ideologische Führer*innen erstellten – Barrieren kennen lernen kann? Wenn es lediglich darum geht, ob man sich gerade versteht oder eben nicht. Es egal ist: An was du glaubst, wen du liebst oder woher du kommst.

Junge Vietnamesen wissen heute, dass auf diesem Bild im Kriegsmuseum auf der einen Seite der eigene Großvater schwer bewaffnet stehen und auf dem Boden möglicherweise der Vorfahre eines Kommilitonen liegen könnte. In Friedenszeiten können die Enkel zusammen einen Kaffee trinken gehen.

Aber der Vietnamkrieg gehört ja nicht zu meiner Geschichte.

Natürlich nicht. Und doch natürlich! Er erinnert wieder einmal mahnend daran, wozu Menschen fähig sind und in jeder Ahnengeschichte gab es Zeiten von Krieg, Blutvergießen und Grausamkeiten. An dieser Stelle könnte ohne eine Parallele zu ziehen der Genozid des deutschen NS-Regimes an der jüdischen Bevölkerung genannt werden.

Wäre ich 70 Jahre früher geboren, könnte ich nicht in einem Land auf der anderen Seite der Welt zusammen mit einem aus Israel stammenden, jungen Mann die Nacht durchfeiern. Wäre ich 70 Jahre früher geboren wären wir uns wahrscheinlich gar nicht erst begegnet. Ich hätte auch nicht erst spät nach einer verlorenen Partie Billard, vielen gemeinsamen Lachern und geteilten Getränken herausgefunden, was seine Herkunft ist. Es wäre das erste und das einzige gewesen, was uns getrennt hätte.

Wir wären die Männer auf dem Bild. Er Jude. Ich Deutscher. Alles andere wäre egal gewesen.

Aber niemand will sich vorstellen, was wäre, wenn…

Und doch können wir uns vorstellen, was sein wird, wenn… Dazu benötigt es keine Kreativität, sondern nur eine kleine Portion gesunden Menschenverstand und ein kurzen Blick in die Geschichte.

Was wird passieren, wenn sich die Militär Haushalte aller Staaten auf der Welt weiter erhöhen? Wenn Destabilisierung statt Stabilisierung die Lösung ist. Wenn Staatsoberhäupter auf Machtdemonstrationen, Provokationen, Einschüchterungen und Gewalt setzen; Diplomatie zur Seltenheit wird, Nationalismus wächst, Mauern gebaut, Drohnenkriege gerechtfertigt und Gespräche nicht geführt werden?

Dann – ja dann sind unsere Nachfahren auf dem Bild zu sehen. Meine Kinder auf der einen, deine auf der anderen Seite.

Wollen wir das?

Demokratieversagen und Verdauung

Demokratieversagen und Verdauung

Gestern am 24.09. hatten alle wahlberechtigten Deutschen die Möglichkeit das nationale Parlament neu zu wählen und reagierten mehrheitlich geschockt über das Erstarken der rechtspopulistischen Partei AfD, die von nun an als drittstärkste Kraft im Parlament vertreten sein wird. Bei einem Glas kalten Kaffee an einer Straßenecke mitten in Saigon versuche ich das Geschehene Revüe passieren zu lassen.

Denn auch hier in Vietnam ging das Thema Bundestagswahl an uns Freiwilligen selbstredend nicht spurlos vorbei. Auf Einladung des deutschen Generalkonsulats in HCMC verfolgten wir mit vielen anderen Deutschen in einem deutschen Lokal ab 23 Uhr Ortszeit die Auszählung der Stimmen. Ja, das war einige häufige Verwendung des Wortes „deutsch“ in einem Satz, mit guten Grund, denn das Konsulat hatte viel dafür getan, dass sich alle Gäste hier in Fernost möglichst „deutsch“ fühlen konnten. Schwarz-Rot-Goldene Fähnchen auf den Tischen, Weißbier aus Tonkrügen, CurryPommes und vietnamesische Kellner*innen mit Namen wie „Vanessa“, „Laura“ oder „Phillip“.

Zurück zur Wahl. Der relative Gewinner der Saal Wahl, die zuvor abgehalten wurde, war eindeutig die FDP, die auf fast 30% kam. Kurzes Umschauen, grinsende Gesichter an den anderen Tischen verrieten mir, dass einige Wirtschaftsvertreter*innen, anwesend sein mussten. Die AfD bekommt keine Stimme, was im weiteren Verlauf des Abends bekanntermaßen nicht so blieb. Die Ergebnisse, die nun in den folgenden Prognosen folgten sind ebenso bekannt, sie gaben den Nährboden für alle folgenden Diskussionen und beeinflussen meine Gedanken.

Schrecklich ist ohne Zweifel, dass die AfD nahezu 13% erreicht hat. Das Erstarken dieser Partei lässt sich vereinfacht zum einen auf das Gefühl des „von der Globalisierung abgehängt seins“, aber zum anderen auch auf das verlorene Vertrauen in die etablierten Parteien zurückzuführen, die sich folglich selbst hinterfragen müssen.

Schlecht für die Demokratie ist, dass die „Elefantenrunde“ vor der Wahl nie in einer solchen Intensität und Offenheit stattgefunden hat, wie augenblicklich nach der Wahl. Insbesondere ist damit Kritik an der Kanzlerin gemeint, die sich vor einem zweiten Kandidat*innenduell gedrückt hat und überhaupt selten an öffentlichen Diskussionsrunden teilnimmt, um keine Angriffsfläche zu bieten. Diskussionen müssen wieder öffentlich ausgetragen, Standpunkte markiert und Kompromisse eingegangen werden. Konstruktive Konfliktkultur ist ein Kernmerkmal unserer Regierungsform. Schlecht für die Demokratie ist, dass eine demokratische Partei sich aus Angst um die eigene Parteiexistenz augenblicklich nach der Wahl, also offensichtlich geplant, in die Rolle der Opposition drängt. Natürlich muss auf ein Rekordtief reagiert werden, natürlich wurden die politischen Erfolge in der letzten Regierung nicht vom Wähler wahrgenommen und natürlich wäre eine weitere GroKo, die in dieser Prozentzahl den Namen nicht verdient hätte, förderlich für die Feinde der Demokratie und darauf muss reagiert werden. Trotzdem bedeutet diese Entscheidung, dass die anderen rechtsstaatlichen Kräfte dazu gezwungen werden ein Bündnis einzugehen, das sich keine dieser Parteien wirklich gewünscht hat. Dies bietet eine sehr schlechte Basis für Koalitionsverhandlungen und somit ist das kompromisslose Flüchten in die Opposition schlicht undemokratisch. Schlecht für die Demokratie ist, dass eine Partei mit den gleichen, nahezu unveränderten Konzepten, allerdings mit einer neuen Marketingabteilung, einem jungen, attraktiven Gesicht, Wortgewandtheit und schönen Plakaten den Wähler die Augen so waschen kann, dass sie ihre Prozentzahl zur letzten Wahl mehr als verdoppeln konnte. Wahlen sollten inhaltlich nicht personenbezogen gewonnen werden. Schlecht für die Demokratie ist, dass eine ursprünglich tendenziell linke, grüne Partei immer mehr in die Mitte rückt, um sich den Wunsch des Mitregierens zu erfüllen und damit Gefahr läuft im Einheitsbrei der Parteien zu verschwinden. Sie muss sich für die Zukunft fragen, für welche Werte sie einstehen möchten und was ihre Partei ausmacht. Schlecht für die Demokratie ist, dass eine demokratische Partei für fast alle anderen Parteien als unkoalierbar gilt. Die Partei muss sich selber fragen, ob sie nicht offener dafür sein sollte Kompromisse einzugehen und dass politische Positionen abgesehen von den Menschenrechten nie unabdingbar sind. Jede demokratische Partei sollte zumindest die Möglichkeit des Mitregierens in Betracht ziehen und nicht sturr und demokratiefremd auf ihren Ansichten beharren.

Mein Fazit dieser Wahl ist logischerweise, dass die eigentlichen Demokraten wieder demokratischer handeln und miteinander auf Augenhöhe diskutieren müssen. Auf die, sich selbstzerfleischenden Populisten muss mit dem Finger gezeigt, ihr Rassismus und Faschismus im Parlament nicht ausgehalten, sondern aufgezeigt und ihre Provokationen als inhaltsleer entlarvt werden. Dazu sollte der Bundestag im Stande sein. Geschieht das in dieser nun folgenden Legislaturperiode nicht, so graut es mir vor der Prozentzahl der AfD bei der nächsten Wahl.

Und hier in Vietnam? Geht das Leben weiter. Ich könnte nun etwas humoristisch sagen, dass zeitgleich zur Wahl ein Sack Reis umgefallen ist und es wäre sinnbildlich richtig. Die Welt dreht sich immer noch weiter, ohne Social Media und Internet wäre die Bundestagswahl auch für mich wahrscheinlich kein Thema mehr. Doch auch im Ausland sollten wir – Freiwilligen und Bürger – uns unserer demokratischen Verantwortung bewusst sein. Genug, ich schalte mein Internet aus, lausche dem Lärm der Mofas und trinke meinen kalten Kaffee weiter. Dieser soll bekanntermaßen bei der Verdauung helfen. Vielleicht auch bei der Verdauung schlechter Nachrichten.

https://www.bundeswahlleiter.de/bundestagswahlen/2017/ergebnisse/bund-99.html

Über die „kulturweit-Blase“ und Privilegien

Über die „kulturweit-Blase“ und Privilegien

Vom 1. bis 10. September trafen sich 320 junge Erwachsene in Brandenburg am Werbellinsee, die von dem Freiwilligendienst kulturweit in die Welt hinausgeschickt werden. In ihren Einsatzländern sollen sie den Menschen sowohl die deutsche Sprache und deutsches Kulturgut vermitteln, als auch die andere Kultur kennenlernen. Die Freiwilligen werden in Schulen, an Universitäten, in Büros deutscher Auslandsvertretungen und im Auslandsradio arbeiten.

In dem Seminar zur Vorbereitung auf diesen Einsatz wurden die Werte Vielfalt, Toleranz und Weltoffenheit großgeschrieben und wahrhaftig gelebt. Alle jungen Menschen, die sich in der Nähe von Berlin versammelten, teilen diese Werte in einem überdurchschnittlichen Maße. Sie setzten sich kritisch mit bewussten und vor allem auch unbewussten Rassismus, Sexismus, Homophobie, (Post-)kolonialismus und interkulturellen Kompetenzen auseinander. Abseits der Workshops wurde der Small Talk über den Einsatzort, Heimatstadt und den eigenen Namen (in dieser Reihenfolge) schnell überwunden und eben noch Fremde offenbarten sich gegenseitig ihre politischen, gesellschaftlichen und privaten Meinungen, Träume und auch Ängste. Die Freiwilligen engagierten sich vor ihrem Freiwilligendienst meist auf verschiedene Art für ihre Mitmenschen: Beispielsweise in der Flüchtlingsarbeit, in politischen Gremien oder für soziale Organisationen. Am Sonntagabend war für alle Freiwilligen ohne es zu hinterfragen ein Pflichttermin im Fernsehen: Das Kanzler*innenduell stand an.

Warum erzähle ich das?

Kulturweit ist ein Stipendium, finanziert durch das Budget des Auswärtigen Amtes für das es sehr viel Bewerber*innen gibt und die Glücklichen, die am Ende ausreisen dürfen, haben meistens folgendes gemeinsam: Sie sind gut gebildet (min. „gutes“ Abitur), sie stammen aus bürgerlichen bis wohlhabenden Familien und sie waren oder sind zivilgesellschaftlich/ehrenamtlich aktiv. Ich persönlich habe darüber hinaus, wie viele anderen männlichen Freiwilligen auch, als weißer Mann in Deutschland, der evangelisch-lutherisch getauft ist, nie Diskriminierungserfahrungen erleiden müssen. Es ist wichtig sich diesen meist unbeeinflussbaren Privilegien bewusst zu sein, sowohl vor der Ausreise, als auch in der Einsatzstelle vor Ort.

Handelt es sich bei kulturweit also um eine ungerechte Elitenförderung?

Ja und Nein. Allein dieser Eintrag, der auf der Basis von Gesprächen mit Trainer*innen und Teilnehmer*innen entstanden ist, zeigt, dass sich die allermeisten Freiwilligen spätestens seit dem Vorbereitungsseminar ihren Privilegien bewusst geworden sind und diese kritisch hinterfragen. Kulturweit möchte mit diesem Programm das Engagement junger Menschen honorieren, die sich unentgeldlich abseits vom Schul-, Berufs- oder Studienleben für andere einsetzen. Insbesondere aber wird die Idee dieses Programmes durch den Austausch der Kulturen bestimmt, der zu kulturellen Vielfalt Deutschland und dem jeweiligen Partnerland beitragen soll. Dieser Gedanke soll bei allen Überlegungen im Vordergrund stehen.

Insgesamt betrachtet ist es meiner Meinung nach wichtig, sich sowohl der existierenden „kulturweit-Blase“, als auch den Privilegien in dieser Form bewusst zu sein. Gleichzeitig dürfen wir nicht müde werden, uns und unsere Umwelt mit den manchmal unumstößlich wirkenden Werten und Systemen weiter zu hinterfragen. Diese Förderung wertzuschätzen hilft insbesondere auch dann, wenn wir selber das nächste Mal über die immer größer werdende Soziale Ungleichheit diskutieren.

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