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Sommer im Winter

Seit Anfang November befindet sich Griechenland im harten Lockdown. Vor ein paar Wochen wurde die Strategie des Landes überall gelobt. Das Ende schien allen in Reichweite und auf einmal war es soweit, die Fallzahlen waren nahezu null, die Schulen wurden landesweit geöffnet und sogar der Skicenter in Kalavryta durfte wieder Tickets verkaufen. Während wir noch planten, wann und wie wir Skifahren gehen, war alles wiedervorbei. Die Infektionszahlen stiegen und grade einmal 14 Tage nach den Öffnungen war alles wieder zu.

Passend dazu kann sich auch das Wetter nicht so richtig entscheiden. Hatten wir die Wochen nach Neujahr noch Schnee, so erinnerte das letzte Wochenende mit seinen 21 Grad schon fast an den deutschen Sommer. Die Griechen schauten uns aus ihren Jacken zwar an, als seine wir verrückt nur im T-Shirt rumzulaufen, aber wir genossen das Wetter mit einer ausführlichen Wanderung vorbei am Kloster Agia Lavra bis zum Denkmal der griechischen Revolutionäre gegen die türkischen Unterdrücker.

Kloster Agia Lavra

Das Agia Lavra Kloster spielt eine bedeutende Rolle in der griechischen Geschichte. Seit der Eroberung von Konstantinopel durch das Osmanische Reich im Jahre 1453, forderten immer mehr Griechen Widerstand gegen die Eroberer. Nach mehreren Jahren Planung, beschlossen die griechischen Revolutionäre an drei verschiedenen Orten Revolte zu starten, um Verwirrung unter den Türken zu stiften und somit das Land zu befreien. Die Revolten wurden für den 25. März 1821 geplant. Die osmanischen Behörden entdeckten jedoch die Pläne der Revolutionäre. Einige der Revolutionäre, die sich auf dem Peleponnes befanden, flüchteten zu dem Kloster Agia Lavra, in der Nähe von Kalavryta und beschlossen mit der Erklärung der Revolution fortzufahren.

Am 21. März fand die erste erfolgreiche Operation statt, als 600 Griechen die Türken angriffen, die sich in den drei Türmen von Kalavryta eingeschlossen hatten. Nach fünf Tagen ergaben sich die Feinde schließlich. Dies war der erste bedeutende Sieg im Unabhängigkeitskrieg gegen das Osmanische Reich.

Am 25. März 1821 wurde vom Erzbischof Germanos III von Patras die Revolution ausgerufen, indem der das Banner der Revolution im Kloster Agia Lavra hisste. Dieses Datum markiert den Beginn der Revolution und wird von den Griechen als Unabhängigkeitstag gefeiert.

Auf dem Weg dorthin begegneten wir außer einer ganzen Schafherde, die die Straße für sich beanspruchten, fast niemanden. So genossen wir de Ruhe, das wunderbare Wetter und die atemberaubende Aussicht auf den noch schneebedeckten Gipfel des Chelmos.

Lange konnten sich die T-Shirts allerdings nicht halten, dieses Wochenende hat es schon wieder Minusgrade, den ganzen Sonntag sind dichte Schneeflocken vom Himmel gefallen, die alles weiß gepudert haben und so jeder Gedanke an Sommer verdrängen.

Unser Freiwilligendienst nähert sich in rasenden Schritten dem Ende zu. Dies ist uns erst diese Woche so richtig klar geworden, als uns nach einem Gespräch noch schöne restliche 4 Wochen gewünscht wurden. Auf der einen Seite fühlt es sich an, als wären wir schon seit Ewigkeiten hier, auf der anderen Seite wollten wir noch viel sehen, erleben und besuchen sobald der Lockdown vorbei ist. Es fühlt sich absolut noch nicht nach Ende an. Diese Vorstellungen wichen auf einmal der Realität. Die Rückreise muss geplant werden, die Projekte sollten fertig gestellt werden und auch der Übergang mit den neuen Freiwilligen steht noch in den Sternen. Eigentlich möchte man gar nicht gehen, es kommt einem vor, als hätte man sich gerade erst eingelebt, Kontakte geknüpft und eine gewisse Routine entwickelt. Auch haben die Griechisch-Kurse erst begonnen und jetzt, als man sich endlich an kleinen Alltagsgesprächen beteiligen kann, soll man schon wieder gehen? Auf der anderen Seite ist es schon über 4 Monate her, dass man von zu Hause weggefahren ist, Weihnachten und Silvester haben wir weit weg von zu Hause verbracht, man freut sich auch alle wieder zu sehen. Man freut sich auf die Familie, Freunde, Brötchen und) Brezeln, aber man vermisst jetzt schon den Feta, die neuen Freunde, Orangen, die atemberaubende Landschaft und die Georges.

Eins ist sicher, die letzten Wochen werden wir auf jeden Fall genießen!

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καλά Χριστούγεννα

Frohe Weihnachten euch allen,

Seit dem 13. Dezember ist hier viel passiert, eigentlich hat sich schon am selben Abend einiges getan: Sind am Morgen noch wichtige Würdenträger Griechenlands durch das mit schwarzen Fahnen geschmückte Kalavrtya zur Gedenkstätte gefahren, so hat sich die Stimmung am Abend schlagartig verändert:

Wie aus dem nichts ist die ganze Stadt von Menschen, die Weihnachtsschmuck aufhängen, gefüllt. Denn Kalavryta wird erst nach den Gedenkveranstaltungen weihnachtlich geschmückt. Inzwischen sind die Straßen voller Lichter, auf dem Dorfplatz steht eine Krippe und vor dem Bahnhof wurde sogar ein Weihnachtsbaum aufgestellt.

Chelmos

Obwohl es durch den Lockdown auf den Straßen sehr leer ist, ist die weihnachtliche Stimmung deutlich zu spüren. Getoppt wird das Ganze nur noch durch den Blick auf den 2500 m hohen Chelmos Berg, auf dem schon der erste Schnee liegt. Diesen dürfen wir nächste Woche hoffentlich hautnah erleben, denn George, der Professor hat einen Ausflug geplant und gefragt, ob wir nicht mitkommen möchten.

Bis dahin wünschen wir euch einen guten Rutsch ins neue Jahr.

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13.12.1943 – Massaker von Kalavryta

Heute ist der 77. Jahrestag des Massakers von Kalavryta. Hier sind die Opfer nicht in Vergessenheit geraten, in Deutschland hört man jedoch nur wenig über die Verbrechen des 13. Dezembers. Anlässlich des 77. Jahrestages, möchten wir in diesem Blogbeitrag mit euch unsere Gedanken zu dem Kriegsverbrechen teilen und erklären, was an diesem Tag vorgefallen ist.

Als 1941 deutsche Soldaten Griechenland brutal eroberten, brachte dies viele Opfer mit sich. Anfangs konnten die Griechen noch Widerstand leisten, nachdem jedoch mehrere Orte erobert wurden, teilten die Sieger (Italien, Deutschland und Bulgarien) Griechenland unter sich auf. Griechische Organisationen, wie die Nationale Befreiungsfront, bildeten sich, um gegen die Wehrmacht vorzugehen. Auch in Kalavryta schlossen sich mehrere Menschen zusammen, um ihr Land von der NS-Führung zu befreien. Die deutschen Soldaten gingen von Kalavryta als Zentrum der Unruhen aus. Um weitere Widerstandshandlungen zu verhindern, ordnete der Kommandeur der 117. Jäger-Division die „Operation Kalavryta“ an. Bereits am darauffolgenden Tag, dem 9. Dezember 1943 begann die Operation. Die Wehrmachtstruppen brannten auf ihrem Weg nach Kalavryta Dörfer und Klöster in der Region nieder und erschossen Zivilisten.

Vier Tage später, am 13. Dezember 1943, erreichten die Soldaten der 117. Jäger-Division ihr Ziel und verhafteten die unbewaffnete Bevölkerung. Die Frauen und Kinder wurden in ein Schulgebäude gedrängt und eingesperrt. Alle Männer und Jungen über 15 Jahren, welche mögliche Widerstandskämpfer sein könnten, wurden auf ein Feld über dem Dorf getrieben. Auf dem Hügel von Kappi wurden 498 Männer und Jungen von den Deutschen mit Maschinengewehren hingerichtet. Nur 13 von ihnen überlebten, weil sie unter den Körpern der Toten versteckt waren.

Währenddessen hörten die Frauen und Kinder die Schüsse, mit denen ihre Männer, Brüder und Väter hingerichtet wurden.

Nachdem die Soldaten alle Wertgegenstände und Lebensmittel auf die Zahnradbahn geladen hatten, zündeten sie die Stadt an, einschließlich des Schulgebäudes. Den Frauen und Kindern gelang es jedoch zu fliehen. Wie sie dem Feuer im Schulgebäude entkommen sind, ist unklar. Eine Theorie besagt, dass ein österreichischer Soldat der 117. Jäger-Division den Frauen dabei half, zu entkommen, bevor die anderen Soldaten mit der Zahnradbahn zurück fuhren.

Statue der Frauen am Platz der Hinrichtung https://theplacesihavebeen.com/site_ao/kalavryta-sacrifice-memorial/

Heute befindet sich auf dem Hügel von Kappi, wo die Männer ermordet wurden,  das Denkmal „der Platz der Hinrichtung“. Oben auf dem Hügel steht ein großes, weißes Kreuz und der Eingang des Denkmals ist von vier Betonwänden umrandet, wo die Namen der Oper eingraviert sind. Außerdem wurde dort eine Skulptur errichtet, welche das Leid der Frauen symbolisiert. Zudem wurde 1992 das Schulgebäude, in welchem die Frauen und Kinder gefangen waren, zu dem Museum des „Holocaust der Stadt Kalavryta“ umgebaut.

Normalerweise findet jedes Jahr, am 13. Dezember ein Trauerzug von dem Stadtzentrum bis zum Denkmal statt. Aufgrund von der Corona-Pandemie, musste dieser jedoch abgesagt werden. Stattdessen wird dazu aufgerufen, auch ohne Trauerzug den Opfern des Massakers zu gedenken.

Lara und ich leben nun schon zwei Monate in Kalavryta. Als wir das erste mal Kalavryta in unserer Stellenbeschreibung lasen, konnten wir zunächst nicht viel damit anfangen. Bei den Griechen ist das anders: obwohl die Stadt mit seinen 2000 Einwohnern recht klein ist, ist er im ganzen Land als Märtyrerort bekannt. Natürlich ging uns anfangs viel durch den Kopf, ob uns die Menschen hier aufgrund unserer Herkunft wohl anders behandeln würden. Bis jetzt können wir aber nur die griechische Gastfreundschaft bestätigen. Wir fühlen uns sehr wohl und werden von allen sehr freundlich und offen behandelt. Vergessen kann man die Ereignisse des 13. Dezembers hier jedoch nicht. Das Kreuz des Denkmals sieht man fast überall von der Stadt aus und auch das Museum des Holocausts in Kalavryta erinnern die Besucher an die Geschehnisse.

Museum des Holocaust der Stadt Kalavryta https://www.gedenkorte-europa.eu/de_de/kalavryta.html

Wir haben bereits mit einigen Leuten über das Thema geredet. Ein sehr interessantes Gespräch hat sich mit unserem Kollegen George ergeben, nachdem wir zusammen das Kloster Mega Spileo besucht hatten, wo die Wehrmachtstruppen am 9.12.1943 mehrere Mönche umgebracht hatten. Nachdem er merkte, wie sehr uns das Thema als Deutsche bedrückt, meinte er, dass es nicht unsere Schuld sei, dass so viele Menschen durch die Nazis starben. Er habe das Gefühl, dass man stattdessen die Zusammenarbeit unter den jungen Menschen weiterhin fördern sollte. Heute sei es nicht mehr von Bedeutung, ob man aus Deutschland oder Griechenland kommt, ihr seid meine Freunde, wir kommen aus Europa. Trotzdem sollten die Kriegsverbrechen nicht in Vergessenheit geraten. Auch wir müssen daran arbeiten, dass solche Ereignisse in Zukunft verhindert werden.

1961 zahlte die Bundesrepublik an Griechenland 115 Millionen D-Mark als „Wiedergutmachung“. Dieses Geld war an die Opfer der Kriegsverbrechen zu zahlen, viele gingen jedoch leer aus. Über diese Zahlung hinaus verweigert Deutschland Griechenland bis heute weitere Schadensersatzleistungen, da dies weltweit viele ähnliche Forderungen nach sich ziehen könnte. Es gibt bislang unzählige Klagen von Opfern und deren Familien, die von den Folgen der Kriegsverbrechen betroffen sind. 2012 wurde von dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag entschieden, dass die Bundesrepublik nicht vor ausländischen Gerichten für NS-Verbrechen verurteilt werden könne.

Als Geste der Versöhnung besuchte im Jahr 2000  Bundespräsident Johannes Rau Kalavryta. Er legt einen Kranz nieder und sagte: „Ich empfinde hier, an dieser Stätte, tiefe Trauer und Scham.“ Trotz dessen, empfinden viele, vor allem die betroffenen Generationen, dass von deutscher Seite mehr Anerkennung und weitere Entschädigungen kommen müssen.

Wenn man als Deutsche/r an Griechenland denkt, denkt man an Sommerurlaub, Meer und Sonnenschein. Die Kriegsverbrechen der Deutschen in griechischen Städten geraten beim Entspannen am Strand eher in den Hintergrund. Vielen ist oft nicht klar, dass auch die typischen Urlaubsorte wie z.B. Kreta von der tragischen Geschichte betroffen sind. Unter Urlaub stellen wir uns etwas anderes vor.

An dem heutigen Tag möchten wir den Opfern von Kalavryta gedenken und euch dazu aufrufen das die Geschehnisse nicht in Vergessenheit geraten.

 

Das Kreuz des Denkmals