Filmecke: Queimada

Filmecke: Queimada

“You said that civilisation belongs to the white man. But, what civilisation and until when?” (“Du hast gesagt, dass die Zivilisation dem weißen Mann gehört. Allerdings was für eine Zivilisation und für wie lange?”)

 

SPOILERWARNUNG:

Wer sich den Film selber einmal anschauen möchte, sollte dies unbedingt machen, bevor er oder sie weiterliest.

Den Link zum Film könnt ihr hier finden:

Queimada, 1960 von Gillo Pontecorvo

Mit diesen eindrucksvollen Worten endet der Film Queimada. Der Film aus dem Jahr 1969 ist, meiner Meinung nach, einer der besten Kommentare über das große Thema des Kolonialismus und des Strebens nach Freiheit, was sich in uns allen verbirgt. Der Direktor Gillo Pontecorvo ist bekannt für seine treffend genauen und überaus politischen Filme. Schon in 1965 erregte er eine öffentliche Kontroverse mit dem Film “The battle of Algiers” (übrigens ebenfalls einen Abend wert).

In dem Film Queimada geht es um das Schicksal des fiktiven Inselstaates Queimada in den Antillen. Der zwielichtige Sir William Walker gelangt auf die Insel mit dem Ziel eine Revolte unter der versklavten Bevölkerung zu starten, die die portugiesischen Kolonialherren aus Queimada vertreiben soll. Es gelingt ihm den Afrikaner Dolores für sein Unterfangen zu gewinnen und ihn zum Aufstand gegen die Obrigkeit anzustacheln.

Doch auch unter der wirtschaftlichen Elite von Queimada findet Walker Unterstützung für seine Pläne die portugiesische Regierung zu stürzen. Vor allem der idealistische Industrielle Sanchez ist von Walker überzeugt. Das führt dazu, dass die afrikanischen Sklaven auf den Zuckerrohrplantagen rebellieren und im politischen Zentrum des portugiesische Gouvernement geputscht wird. Walkers Ziel ist es die rebellierende afrikanische Bevölkerung für sich und so für die britische Krone zu gewinnen. Das geschieht letztendlich dadurch, dass Dolores, Anführer der Revolte, die Regierung von Sanchez anerkennt, die Waffen niederlegt und dafür die Abschaffung der Sklaverei erhält.
Der zweite Teil der Handlung findet 10 Jahre später statt, als erneut Aufstände auf der Insel aufflammen und Walker wieder nach Queimada bestellt wird, um britische Interessen durchzusetzen. Er setzt die Puppenregierung der Siedler unter Sanchez ab und installiert an dessen Stelle eine militärische Regierung, die das Land zu einer britischen Kolonie erklären lässt. Mit einer direkten Intervention der Briten, macht sich Sir Walker nun auf der Suche nach dem Rebellenanführer Dolores, der sich immer noch auf der Insel versteckt hält.
Mit einer brutalen Kampagne gelingt es ihm schließlich Dolores in den Bergen aufzuspüren und festzunehmen. Letztendlich wird Dolores zum Tod durch den Strick verurteilt, aber lehnt jegliches Hilfsangebot von Sir Walker ab. Stattdessen entscheidet er sich für seine Ideale zu sterben.

Sir Walker und José Dolores sind Anfangs noch gute Freunde.

Der Film hat ehrlich gesagt in mir einige interessante Gedanken hervorgerufen, die ich hier an dieser Stelle mit euch teilen will.
Ein zentrales Motiv des Films waren die wirtschaftlichen Interessen, die immer wieder im Film eine zentrale Bedeutung im Film spielen. Nicht zuletzt sind die Britten an Queimada interessiert, weil es dort Zuckerrohr gibt. Zu der Zeit, in der die Handlung spielt, das mittlere 19. Jahrhundert, ist Zucker sehr wichtiges ein Exportprodukt. Das führt dazu, dass mächtige Unternehmen durch den Handel mit dem Süßstoff ihr Geld verdienen. Zwar wird es nur am Rande erwähnt, allerdings ist der Wille der Unternehmen zu einem besseren Zugang zum Zuckerrohr von Queimada entscheidend für die britische Intervention. Der einzige Grund, warum sich Sir Walker nach Queimada begibt, ist, dass er die portugiesische Konkurrenz schwächen soll und die britischen Zugangsmöglichkeiten zum Rohstoff durch die Revolte verbessern soll. Was der Film also dadurch verdeutlicht, ist, dass die Handlungen des Staates durchaus durch die Wirtschaft bestimmt und korrumpiert werden können.
Dazu kommt die Rolle der wirtschaftlichen Eliten der Insel. Bereits früh im Film wird die Bevölkerung Queimadas als sehr gespalten dargestellt. Auf der einen Seite stehen die versklavten Arbeiter, die auf den Plantagen unter Schwerstarbeit die Zuckerrohrfelder bewirtschaften und in tiefer Armut leben. Auf der anderen Seite befinden sich die Kolonialisten, denen die Plantagen gehören, auf denen das Zuckerrohr angebaut wird. Was interessant daran ist, ist die Tatsache, dass beide Gruppen durch die gemeinsame Unfreiheit verbunden sind. Während die versklavten Arbeiter von einer Befreiung von den Ketten träumen und deshalb unter Dolores gegen die Portugiesen rebellieren, träumen die Besitzer der Plantagen, verkörpert durch Sanchez, von der Freiheit eines Nationalstaates. Dieses Streben nach Freiheit führt letztendlich nicht zur tatsächlichen Freiheit, sondern nur noch weiter in die Unfreiheit. Sie resultiert darin, dass die Arbeiter ihre Waffen niederlegen, nur um trotzdem auf den Plantagen schuften zu müssen und darin, dass die Besitzer die Annektierung durch die Briten zustimmen und ihren Nationalstaat aufgeben.

Der Film konfrontiert den Zuschauer mit der Erkenntnis, dass bei der vermeidlichen “Dekolonialisierung” oft nur ein Kolonisator durch den nächsten Kolonisator ausgetauscht wird und von einer wahrhaftigen Unabhängigkeit gar nicht die Rede sein kann.
Anders herum gefragt, stellt der Film allerdings auch die Frage, ob eine Gruppe, die sich unabhängig macht, jemals wirklich komplett unabhängig sein kann? Mit dieser Herausforderung wird Dolores auf dem Höhepunkt seiner Macht konfrontiert. Zwar besitzt er eine schlagkräftige Armee und die politische Anerkennung der Übergangsregierung, aber er ist überhaupt nicht in der Lage das Land zu führen. Es mangelt ihm an Lehrern, Ärzten, Händlern usw., die alle notwendig sind, um einen Staatsapparat zu führen. Ähnlich können auch die Herausforderungen eines neuen unabhängigen Landes sein: Wenn die politische Unterdrückung durch die Obrigkeit beendet wurde und die Revolution geglückt ist, stehen die Länder oft vor dem Problem, dass das notwendige Know-How fehlt. Das führt viele Länder wieder zurück in die Hände der ehemaligen Kolonisatoren und somit in die Unfreiheit. Auch im Film ist das der Fall. Die Rebellen entscheiden sich dem Deal zuzustimmen, der ihnen die Abschaffung der Sklaverei unter der Bedingung der Niederlegung der Waffen verspricht.
Auch von der Sicht der wirtschaftlichen Eliten ist diese Änderung sehr spannend zu betrachten, denn die Beendigung der Sklaverei ist überhaupt nicht verbunden mit den Hoffnungen der Plantagenarbeiter auf tatsächliche Freiheit. Vielmehr verdeutlicht die Allegorie Sir Walkers diesen Aspekt, als er versucht die wirtschaftliche Elite für seinen Putsch zu gewinnen. Er vergleicht die Situation der Sklaven mit der Wahl zwischen einer Ehefrau und einer Prostituierten. Während, laut Walker die Ehefrau lebenslange Zuwendung und Unterstützung benötigt, wird die Prostituierte nur “benutzt”, wenn das Verlangen dazu besteht.

Der britische „Berater“ Sir Wiliam Walker, gespielt von Marlon Brando, befindet sich auf der Insel, um die Interessen der britischen Krone durchzusetzen.

Natürlich handelt es sich dabei um eine überaus sexistische Allegorie, die nebenbei auch noch völlig ethnisch verwerflich ist, denn Menschen werden nicht als Individuen gesehen, sondern als ein Produkt bzw. eine Dienstleistung. Allerdings verdeutlicht genau dieser Punkt auch, weshalb die wirtschaftlichen Eliten im Film der Abschaffung der Sklaverei letztendlich zustimmen. Dadurch, dass eine Leibeigenschaft nicht mehr besteht, befreien sich die Plantagenbesitzer von der moralischen Bürde sowie den wirtschaftlichen Kosten, die mit der Haltung von Sklaven einherkommt. Stattdessen entscheiden sie sich dafür die Arbeiter von fortan einzustellen und sie wirtschaftlich auszubeuten. Dadurch, dass die Plantagenbesitzer den kompletten Arbeitsmarkt auf Queimada kontrollieren, bleibt den aus der Versklavung befreiten Arbeitern nichts anders übrig, als wieder auf die Plantagen zurückzukehren und zu Hungerlöhnen zu arbeiten. Die Parallelen, die der Film zu den Situationen in Ländern zieht, die sich von der Kolonialherrschaft befreit haben, sind vielschichtig.
Der Film geht überaus düster in seiner Skizzierung der Ausbeutung und des Kolonialismus vor. Allerdings, wird im Film auch deutlich, dass die Fremdbestimmung sich nie gänzlich auf die Afrikaner übertragen lässt. So zeigt die Charakterentwicklung von Dolores, die Transformation des gesamten Volkes auf der Insel. Während er anfangs in seiner Misere nur auf sich bedacht ist, fängt er an nicht nur sich, sondern auch seine Gemeinschaft zu verteidigen. Das führt schließlich so weit, dass er schließlich jeglichen Egoismus ablegt, den Tod am Galgen wählt und für seine Ideale stirbt. Erst im Angesicht des Todes ist er völlig frei von der Manipulation Walkers.
Dadurch wird er nicht mehr nur die Heldenfigur der Rebellion, sondern ein Märtyer bzw. ein Mythos in der Bevölkerung. Er wird zu einem Symbol des Strebens nach Freiheit. Somit sendet der Film die klare Botschaft, dass die Kolonialherren zwar alles Land niederbrennen und alle Personen töten können, aber nie gänzlich die Ideale und den Traum der Freiheit verbannen können. Der Samen der Freiheit lässt sich nicht durch die Kolonialherren austreiben, wie Sir Walker letztendlich erkennen muss.
Anstelle der Anerkennung dieser Wirklichkeit, versucht Sir Walker bis zuletzt Dolores von sich zu überzeugen und dazu bewegen zu fliehen. Er redet sich so ein, dass dadurch Dolores die Freiheit erlangen kann, obgleich die wahre Freiheit im Denken und Handeln besteht. Immer wieder versucht sich Sir Walker für die Taten zu rechtfertigen, die er auf der Jagd nach Dolores begangen hat. Die massakrierten Menschen, die abgebrannten Dörfer, die zerstörte Insel, alles das versucht er zu rechtfertigen. Allerdings erfährt er diese Vergebung nicht. Für solche Taten gibt es keine Entschuldigung.
Stattdessen wird er mit der Frage Dolores konfrontiert:
“Du hast gesagt, dass die Zivilisation dem weißen Mann gehört. Allerdings was für eine Zivilisation und für wie lange?”
Diese Frage richtet sich auch an uns als Zuschauer*innen. Können wir uns überhaupt noch als Vorbilder sehen, wenn unser vermeidlicher Vorteil, sei es in wirtschaftlicher, politischer oder kultureller Hinsicht, nur auf der Unterdrückung anderer beruht? Können wir dies überhaupt noch moralisch gesehen dulden oder sind wir nicht selber an einem Punkt von unseren eigenen Werten wie der Würde des Menschen oder Liberté, Égalité, Fraternité abgewichen?

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