„Dieses Weihnachtsfest wird unvergesslich für euch sein (…), auf der ganzen Welt, sei es unter Palmen, in der Wüste oder im tiefsten Schnee (…)“ hieß es in den „Kulturweit-Weihnachtsgrüßen“. Mal im Ernst: Wüste – okay, viele verwüstete Baustellen, die haben wir hier. Aber Palmen – nein, die gibt’s hier nicht. Schnee – auch nicht. Wetter hier: Luftverschmutzung schlimmer als je erwartet. Ausblick: karge Bäume, z.Zt. ungeduscht da keine Blätter mehr. Temperatur: kalt da keine Heizung in nicht isolierten Räumen. Wie kann ich hier nur mein „unvergessliches Weihnachtsfest“ retten???
Nur selten gab es während der deutschen Woche Augenblicke, in denen ich überhaupt Zeit hatte, mich an die Weihnachtszeit zu erinnern. Es waren da nur ein paar Momente, in denen ich unbeschäftigt war, dem „Stille Nacht“ meiner Deutschschüler zuhören und ihre eigene Interpretation des Krippenspiels sehen konnte, „Markt und Straßen“, dem Gedicht von Joseph von Eichendorf, lauschen konnte oder eine selbst gebackene Waffel von einem stolzen Schüler überreicht bekam. Ich bewunderte die Weihnachtskostüme der Schüler, ihre Ideen beim Malwettbewerb und ihre coole Schülerband – hatte aber immer viel zu tun.
Erschöpft hatte ich mich am Ende der Woche gerade selbst in einen der rot gepolsterten Sessel des großen Theatersaales unserer Schule fallen gelassen, als sich plötzlich Elisa und David für Heilig Abend anmeldeten. Im Organisieren bin ich ja jetzt trainiert, dachte ich mir, und lud sie kurzer Hand ein. Das war am 23., und da glaubte ich noch immer nicht, dass es wirklich möglich wäre, auch in China ein unvergesslich schönes Weihnachtsfest zu erleben. Trotzdem packte ich im Theatersaal das Waffeleisen, etwas Weihnachtsschmuck und ein paar Kekse ein, die von unserer Deutschen Woche übrig geblieben waren, legte den großen Lichtschalter um und fuhr in der Dunkelheit mit dem Fahrrad den kurzen Weg zu meinem Apartment.
Am Vormittag des 24. ging alles ganz schnell. Wie ein Engel schneite ein amerikanischer Lehrer vorbei, um mir seinen Plastikweihnachtsbaum und eine Lichterkette auszuleihen. Kurz darauf nahm ich den Bus zum nächstgelegenen Shoppingcenter, um ein paar kleine Geschenke zu besorgen. Zum zweiten Mal, seit der goldenen Woche, erlebte ich in Wuhan chinesischen Massenkonsum.
Von überall her waren die Menschen gekommen, um das beste Weihnachtsschnäppchen zu ergattern. Wie ich erwartet hatte: hier war keine Rede von weihnachtlicher Besinnlichkeit. Die kleinen Geschäft überboten sich mit ihren Sonderangeboten – für die Rückfahrt im Bus nahm ich drei Joghurts zum Preis eines halben. Ich nahm mir vor, in meiner chinesischen Metropole zumindest etwas weihnachtliches zu entdecken. Mein Blick strich vorbei am überschmückten Drahtweihnachtsbaum, und da fiel mir plötzlich auf, wie ruhig und friedvoll die vielen, abertausenden Menschen, trotz langer Warteschlangen und überfüllter Busse, einfach blieben. Mit den großen und kleinen Plastiktüten in der Hand, den rot-blinkenden Teufelshörnern oder just erworbenen Rentiergeweihen auf dem Kopf, schienen sie mir an diesem Tag einfach alle sehr zufrieden mit sich selbst und der Welt zu sein.
Auch ich war zufrieden mit den Geschenken, die ich noch für Elisa und David gefundenhatte, und freute mich dann zumindest doch schon auf ihre Reaktionen am Abend in meiner kleinen Wohnung. Nach demgemeinsamen, ganz chinesischen Hot-Pot Essen, nahmen wir den Bus zu mir. Als wir bei Kerzenlicht unterm geschmückten Weihnachtsbaum saßen, wurde es auf einmal richtig weihnachtlich.
Der selbst gemachte Glühwein von David war großartig, die klebrigen Kekse von Elisa auch, und noch nie ist es in meinem schlecht isolierten Apartment so warm und gemütlich gewesen. Es dufteten die Räucherstäbchen aus dem Longhuatempel und auch das schwer beschäftigte Waffeleisen, wir lasen uns die Weihnachtsgeschichte und ein paar Gedichte vor.
Es war kein Weihnachtsfest unter Palmen, im tiefsten Schnee oder in der Wüste – aber es war ein wunderbares Weihnachtsfest, das so plötzlich kam, dass ich es sicher nie vergessen werde.