In der kleinen Straße unter uns dampft es aus den Baozi-Schüsseln, es blinkt ein Plastikweihnachtsbaum, und um uns herum die hell erleuchtete Skyline. Aber hier oben ist es ruhig. Die Befürchtung, von Shanghai überrumpelt zu sein, einer Millionenmetropole ohne Charme und Atmosphäre, hat sich schon nach wenigen Tagen als völlig unberechtigt herausgestellt. Auf der Terasse der Roof-Top Bar unseres Hostels in Mitten Shanghais stehen wir Freiwillige zu später Stunde, und starren in den Nachthimmel, an dem sich das Naturschauspiel zeigt. Begeistert von den guten Ubahnverbindungen, den sauberen Straßen, gepflegten Grünanlagen, den vielen weihnachtlich geschmückten Buchläden und Cafés ist mir selbst die Kälte egal, die jetzt durch meinen Wollpulli kriecht. Die Modernität (auch in Folge der Olympischen Spiele 2008) und Internationalität macht die hohe Lebensqualität dieser Stadt aus, wie man sie, abgesehen von Peking, sicherlich nirgendwo anders in China finden kann.
Konzentriert versuche ich, eine passende Einstellung für das Objektiv zu finden, halte die Kamera ganz ruhig in den Händen,- und drücke ab. Wieder nichts. Der schwach orange leuchtende Fleck am Himmel ist unscharf und verwischt. Ich gebe auf, manchmal sind die einzigartigen Erlebnisse einfach nicht mit einem Foto festhaltbar, gestehe ich mir ein, und genieße einfach den Moment. Sogar der Blick am Bund hinüber auf die berühmte Skyline Pudongs, dem Finanzviertel Shanghais, scheint idyllisch, da die Luft hier so sauber ist. In Shanghai kann man sogar – wie so selten in Wuhan – das Ende der Brücken und die scharfen Konturen der markanten Hochhäuser am anderen Ufer erkennen.
Einen richtigen Überblick über die Stadt verschaffen wir uns mit einem Besuch des Jin Mao Towers in Pudong. Nach dreimaligem Umsteigen in den Aufzügen des Towers stehen wir plötzlich da, im 86. Stockwerk des Skyscrapers, der „Cloud 9“. Die Stimmung in der Bar ist abgehoben: Das Schokoladeneis schmeckt fantastisch – noch besser aber der Blick aus den dicken Glasscheiben. Neben uns blinkt das World Financial Center, das aussieht wie ein Flaschenöffner, und auch die neongelb erleuchtete, runde Glaskugel des Oriental Pearl Tower ist auf Augenhöhe. So bunt Shanghai aus der Vogelperspektive blinkt, so vieles hat diese Stadt da unten auch zu bieten.
Besonders gut gefällt mir zum Beispiel das französische Viertel, mit seinen kleinen Kunst- und Kleidungsläden, wo ich zwei schöne dicke Pullover fand, die in der Garderobe für den chinesischen Winter in meinem Apartment dringend gefehlt hatten. In einem Café französischen Stils haben Nuri, Franz und ich in Hochlaune einen unglaublich leckeren Nuss-Karotten-Kuchen gegessen, der ziemlich weihnachtlich schmeckte.
Das Hostel, in dem wir während des ersten Seminars für Deutschlehrende in Shanghai untergebracht sind, hat eine super Lage. Nur wenige Straßen weiter liegt die Nanjing Lu, die Haupt-Shoppingmeile Shanghais mit ihren großen Leuchtreklamen, GUCCI, Prada, H&M, an denen regelmäßig eine Touri-Bimmelbahn vorbeirollt. Langsam schiebt sich nunder Mond vor die Sonne, der Kellner der Roof-Top Bar nutzt die Gelegenheit, und schießt heimlich ein Foto von seinen faszinierten ausländischen Gästen.
Ebenfalls nur wenige Minuten vom Hostel entfernt liegt der People’s Square und das Shanghai Museum. Wie schon ein Besuch einer kleinen Kunstaustellung im französischen Viertel mit Nuri, genieße ich es, dort einfach mal wieder Kultur zu tanken, durch die großen Ausstellungsräume zu streifen, Steinfiguren, Malereien, chinesisches Mobilar und Jadesteine zu betrachten, so lange ich will. Aber mit diesem Museum ist es genauso wie mit der Stadt Shanghai selbst. Ein einziger Besuch genügt nicht, um alles zu sehen.
Eins ist mir schon nach einer Woche klar: Shanghai ist Aushängeschild und Vorzeigemetropole dieses Landes, sozusagen der Ferrari vor dem Chinarestaurant, und jede andere chinesische Stadt, ganz besonders natürlich Wuhan, will einmal so sein wie diese große Schwester. Aber zugleich repräsentiert die Stadt natürlich ein völlig anderes China, als man es in den übrigen, weniger entwickelten Regionen erlebt. Fröstelnd ziehen wir uns nach dem Naturschauspiel auf der Roof-Top Bar zurück in das warme Hostelzimmer – mit dem sicheren Gefühl, Shanghai bald wieder einen Besuch abstatten zu müssen.
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