Am Ende der Welt
Wir trafen uns mitten auf einer breiten, unbefahrenen Straße, zwischen Wohnblock, Bushaltestelle und zehn Meter hohen Hochspannungsmasten. Eine irreale Situation: das Abi in derselben Stufe bestanden, aufgebrochen in die weite Welt und dann ein Wiedersehen im Industriegebiet Wuhans, einer mehr als 10 Mio. Einwohner zählenden Metropole Chinas. Annina hatte es tatsächlich noch geschafft, ein Ticket in der Ferienzeit der Chinesen zu ergattern und von ihrer Einsatzstelle in Shanghai nach Wuhan zu reisen. Mit dem Handy fanden wir am Sonntagmorgen heraus, an welcher Stelle der Taxifahrer sie abgesetzt hatte, der Annina von einem der Wuhaner Bahnhöfe mitgenommen hatte.
Ostseewanderung und chinesischer Erlebnispark
Unser Plan war einfach: Wuhan in 4 Tagen erleben. Die Vorfreude auf das Abenteuer war groß, zumal ich selbst die Stadt bis zu diesem Zeitpunkt, abgesehen von meinen spontanen Bus- und Taxiausflügen, kaum kannte. Ausgangspunkt wurde deshalb das Stadtzentrum Guanggu, bekannt durch mein 3-stündiges Supermarkterlebnis im dortigen Carrefour. In einem kleinen Shop schaffte ich es sogar, ein paar Fotos zu bestellen, die ich in meinen Deutschstunden einsetzen will. Die Ladeninhaber waren über ihre Kunden aus dem Westenbegeistert und zeigten Annina und mir breitwillig auch die richtige Buslinie, mit der wir zum Ostsee fahren wollten. Das Provinzmuseum dort war leicht zu finden, da sich rund um das Gebäude eine lange Menschenschlange gebildet hatte. Spontan entschieden wir uns daher aber, auf Porzellanteller und Figuren allter Handynastien zu verzichten, und machten uns auf zum Seeufer.
Zum ersten Mal sind wir dort auf ein sehr beliebtes, chinesisches Phänomen, den Freizeitpark gestoßen. Äußerst kitschige Tret- oder Holzboote Mieten, Karussel- und (sehr langsames, aber auch sehr klappriges) Achterbahnfahren, Seifenblasen Pusten, gesüßte Wiener-Würstchen Essen und Zielschießen waren die Renner… Annina und ich freuten uns hingegen besonders, in diesem Park auch einen echten chinesischen Tempel zu entdecken! Aber leider konnten wir uns nirgendwo besonders lange zum Fotografieren aufhalten, weil die meisten Chinesen nach einiger Zeit dann doch den verloren geglaubten Mut finden, uns anzusprechen und um ein gemeinsames Foto zu bitten, oder heimlich das IPhone zu zücken, zwecks Beweises, einen Westler getroffen zu haben. Kein Wunder, denn Ausländer trifft man in Wuhan äußerst selten, nur auf den Werbebannern der großen Modemarken strahlen blonde, europäische Models auf die Straßen und Plätze hinab. Ein befremdendes Gefühl.
Nachdem wir meinten, genug vom chinesischen Freizeitpark gesehen zu haben, machten wir uns auf und wanderten zwei Stunden lang entlang des Ostsees. Der stetige Straßenlärm war zwar nervenreibend, aber der Ausblick über den weiten See auf die Skyline der Stadt hat sich gelohnt. Vorbei an einer weiteren Tempelanlage fanden wir eine Bushaltestelle und einen Bus, der uns unendlich (!) langsam, im Schneckentempo, zurück nach Guanggou kutschierte.
(Wir vermuteten, dass der Busfahrer Anfänger in seinem Business war und darum diese Uraltkarre fahren musste, die nur bergab schneller als 20 km/h wurde). Der Kontrast zwischen dem klapprigen Gefährt auf der einen und dem neonbeleuchteten Platz mit ihren Shoppingmalls auf der anderen Seite zeigte, wie sehr sich diese Nation spaltet zwischen Aufschwung und Rückständigkeit.
Kolonialstadt Hankou
In Hankou haben wir zu dritt (Annina, David und ich) den Strand Wuhans besucht, ein weiteres typisches Ausflugsziel dieser Stadt. Die Eindrücke dieses Ortes am Yangtsefluss ergaben wieder einen völlig neuen Blickwinkel auf diese Metropole: Am Himmel kreisten bunte Drachen, die man überall in allen Variationen kaufen konnte, zwischen den Steinen hatten sich viele Menschen niedergelassen, auf der „Promenade“passierten Menschen über Menschen und viele Kinder mit einer Drachenschnur in der Hand, und hinter dem Fluss erhoben sich, soweit das Auge blicken konnte, Hochhäuser und Baukräne in den dunstigen Himmel. Man hatte zwischen dem „Strand“ und der Straße sogar eine kleine Grünanlage eingerichtet, in dem wir mindestens drei Brautpaaren bei ihrem Fototermin begegneten.
Nachdem wir eine Straße überquert hatten, befanden wir uns aber auch schon wieder zurück im Großstadtdschungel. Ein besonders abstruses Bild ergaben inmitten der Baustellen neuer Hochhäuser und alter Wohnblöcke die alten Bauwerke der Engländer, die früher einmal in Wuhan einen Handelspunkt ihrer Kolonialmacht errichtet hatten. Jetzt zieren rote Lampions die mächtigen Steinbauten, die von steinernen Löwen bewacht werden.
Abseits der Fußgängerzone, die einfach nur übervoll und auch überlaut war, sind wir auf ein paar aufregende Gässchen gestoßen, in denen ich mir für umgerechnet einen Euro einen Zweitschlüssel machen lassen konnte. Einen wirklich schönen Abschluss konnte unser Tag in Hankou noch einmal am Yangtsefluss finden. Am Zusammenfluss des Yangste- und Hanflusses fanden wir uns hinter der Stadtmauer zufällig genau unter den gewaltigen Lichtanlagen wieder, die gegen acht Uhr eine tolle Show über die Flüsse
produzierten. Als wir uns über das Geländer lehnten, begann es plötzlich über uns zu scheppern und surren, und dann sprangen die Scheinwerfer an! Über den Stromverbrauch der Leuchtreklamen an den Hochhäusern, den beleuchteten Brücken und die Lichtkegel, die über das Wasser glitten, brauchen wir an dieser Stelle nicht zu reden, aber der Effekt war beeindruckend.
Auf alten Spuren
Am letzten Tag haben wir uns auf den Weg zu den zwei anderen wichtigsten Sehenswürdigkeiten, neben dem Museum am Ostsee, der Provinzhauptstadt Wuhan gemacht, den Turm des Gelben Kranichs (das Wahrzeichen der Stadt) und den Tempel des Ewigen Frühlings.Zuerst haben wir uns auf die Suche nach dem Tempel des Ewigen Frühlings gemacht. Zwischengelandet sind wir unter anderem in der Wuhan University (endlich weiß ich, wo die ist!), einer total vereinsamten aber scharf geschützten Hotelanlage in Mitten der Stadt undauch in einer Military Zone, aus der wir nur noch ganz schnell weg wollten. Bevor wir das richtige Stückchen Grün in der staubigen Stadtluft betraten, haben wir uns noch gebratene Nudeln in einer der unzähligen kleinen Essenstände gegönnt – wiederrum zur Aufregung aller anderen Händler und der Einheimischen.
Der Tempel oder besser die Tempelanlage des Ewigen Frühlings war sehr schön: Räucherstäbchen, buddhistische Klänge, sonnengelbe Tempelwände und natürlich die hübsch geschwungenen Dächer ließen uns lange verweilen. Außerdem haben wir in der Anlage einen unheimlich engen, alten Turm bestiegen (nichts für Menschen mit Platzangst!), wie wohl auch schon die Mönche vor vielen hundert Jahren, und von einem der vielen Balkone den Ausblick auf die brummende Stadt erlebt.
Anschließend sind wir noch zum Turm des Gelben Kranichs gefahren, aber da uns der Eintrittspreis zu teuer war (wegen der Ferienzeit), beließen wir es vorerst bei einigen Schnappschüssen von weitem. Die Geschichte zu diesem Turm ist aber so schön, dass ich sie in diesem Blog noch notieren werde.
Die Geschichte vom gelben Kranich
… erscheint bald an dieser Stelle