Noch bis nach Mitternacht sind die Baukräne zu hören, Hammerschläge, die aus der Ferne klingen. Langsam ziehen sich in der Stadt neben modernen Glasbauten weitere Hochhäuser in die Höhe, an Elektromopeds düsen knatternd die vollbesetzten und stinkenden Linienbusse vorbei. Drei Feuerwerke habe ich an meinem ersten Tag in Wuhan gehört, und man erklärte mir auf Nachfragen, dass immer, wenn ein Bauwerk fertig gestellt worden sei, ein Feuerwerk veranstaltet würde. So also hört sich eine „Boomtown“ an, dachte ich mir, und, na klar, diese „Boomtown“ will ich erleben! Also, raus aus der gewohnten Umgebung, denn in meinem näheren Umfeld kenne ich mich nach den ersten 5 Tagen schon ganz gut aus. (Zur Schule brauche ich nur wenige Minuten und etwas zum Essen kann man sich bei einem der vielen Straßenstände günstig kaufen. Teigtaschen, gebratene Nudeln und Reis – oder Fleischspießchen, an die ich mich bisher noch nicht getraut habe.)
Ich brauchte Bettwäsche, Putzmittel, Seife und andere Dinge, weshalb ich mich nach dem Chinesisch-Unterricht am Mittwochnachmittag dafür entschied, mit dem Bus ins nächstgelegene Stadtzentrum zu fahren. Dorthin war ich schon einmal mit meiner Mentorin gefahren, die mir erklärt hatte, dass es in dem großen Einkaufszentrum dort auch einen „Carrefour“ geben würde. Ich stieg aus dem Bus, als die meisten Menschen ausstiegen, und tatsächlich – Orientierungssinn hin oder her – war ich vor einer riesigen Shoppingmall gelandet. Eine Zeit lang irrte ich darin herum, bis ich es endlich schaffte, mich mit einem Einkaufswagen bewappnet zum Eingang des „Carrefours“ zu schieben.
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass dies der längste Einkauf meines Lebens werden würde. Im Nachhinein schätze ich, waren es etwa 3 Stunden, in denen ich durch die unzähligen Regalreihen schlenderte, überwältigt von den Waren, die sich bis zu den Decken stapelten, lange Kühlregale mit unbekanntem Essbaren und einem Ordnungssystem, dass ich nicht verstand. Zum ersten Mal wurde hier also mein Point-It Wörterbuch sehr effektiv eingesetzt, sodass ich mich mit den hilfsbereiten Verkäuferinnen verständigen konnte, die auf mich einredeten, als ob ich Chinesisch verstehen könnte. Schließlich stärkte ich mich nach einem erfolgreichen Einkauf bei McDonalds, mit einer Cola (nach 3 Tagen Wasser!) und einem Burger, der sehr scharf war. Ich unterhielt mich dort noch mit zwei Schweden, die sich an meinen Tisch setzten (gibt es auch eine europäische Blase?) und in Wuhan unterwegs waren, um ihr „Buisness“ zu machen. Gegen sieben stellte ich fest, dass es schon dunkel geworden war, und ich mich nun besser auf die Suche nach meinem Bus zurück machen sollte.
An den Wolkenkratzern der Stadt blinkten und leuchteten die bunten Reklamebildschirme und LED-Lämpchen wie am Dubaier Flughafen (Zwischenstopp auf dem Hinflug), und ich schob mich vorbei an qualmenden Essensständen und durch das Summen und Brummen des belebten Platzes zur Straße. Vor allem zu dieser Zeit treibt es wohl sehr viele Chinesen in das Stadtzentrum, zum Shoppen, um das 4D Kino in der Mall zu besuchen oder geschäftig zu wirken. An der Straße angekommen, drängte ich mich, wie es sich gehört vorbei an Fahrrad-, Taxi- und Mopedfahrern zur Straßenmitte, und klemmte ich mich vollbepackt mit meinen Einkäufen in einen Bus von vielen, der mir der richtige zu sein schien. Der Bus stampfte, knatterte, hupte und wackelte wie verrückt (kann ein Bus eigentlich noch fahren, wenn eine Achse gebrochen ist?) und schaukelte mich bis zur Endstation, an der mich der Busfahrer freundlich rausschmiss.
Zum Glück hatte ich den richtigen Bus genommen, denn ich lief nur ein Stück geradeaus und fand überraschend schnell einen kurzen Weg zu den Lehrerappartements der Schule, wovon ich eines bewohne. Dort nahm ich auch auf Anhieb sogar die richtige Tür, sodass ich mich nun eine wahre Boom-Town Tramperin nennen darf! An diesem Abend fiel es mir nicht schwer, müde in den Schlaf zu fallen, während ich von draußen das Summen und Brummen der Stadt hörte. Denn jetzt weiß ich, wie es in der Stadt aussieht, wenn sie nicht schläft.