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Rumänien II

Meine letzte große Reise – 9 Tage (07.02. – 16.02.), 4 Länder (Slovenien, Kroatien, Bosnien, Serbien), 5 Städte (Ljubljana, Zagreb, Sarajevo, Belgrad, Subotica) – ist ziemlich genau 2 Monate her. Zeit für die Nächste.
Am Freitag, den 11. April begannen Antis und meine durch Urlaubstage leicht gestreckten Osterferien. Früh morgens fuhren wir mit den Zug nach Budapest, um nochmals bei ‚Jugend Debattiert International‘ zu jurieren. Sehr früh morgens. Und es kam uns nochmal ein bisschen früher vor als ohnehin schon, weil wir am Vorabend mit anderen Freiwilligen und Studenten an einem Wine Tasting teilgenommen hatten, bei dem (vorraussehbarer Weise) nicht nur getasted wurde. Die Gegend um den ca. eine Stunde von Pécs entferntne Ort Villany ist nämlich ein in ganz Ungarn und auch international bekanntes Weinanbaugebiet, mit dessen Produkten wir jetzt bestens vertraut sind.

Von Budapest aus wollten wir noch einmal nach Rumänien, das Land, das wir aufgrund des Zwischenseminars schon bereist hatten. Reisestops waren die Städte Sighishoara, Constanta, Bukarest und Timisoara.
Freitag nahmen wir also an Jugend Debattiert teil, was bedeutete, dass wir uns auf deutsch geführte Debatten von ungarischen Schülern anhörten, diese bewerteten und das Buffet im Goethe-Institut ausnutzten. Und um halb 12 Uhr abends saßen wir dann ein bisschen aufgeregt in einem etwas ranzigen Zugabteil des Nachtzuges nach Rumänien.

imm005_4_1024Sighishoara ist eine kleine Stadt in Transilvanien mit einem hübschen mittelalterlichen Stadtkern voller kleiner bunter Häuschen. Hier wurde Vlad Tepes, der als Vorbild für die Romanfigur ‚Dracula‘ diente, geboren. Am beeindruckendsten fand ich den an einem Hügel liegenden großen Friedhof der Stadt. Alte verwitterte Gräber stehen dort kreuz und quer zwischen großen Kiefern, dessen Wurzeln sich über die Gräber und Wege ranken. imm014_13_1024Alles ist ein bisschen verwildert und im Dunkeln wahrscheinlich ziemlich gruselig, aber im Sonnenschein unseres ersten richtigen Ferientages sieht der Friedhof verwunschen und wunderschön aus.

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Nachdem wir einen Tag lang die Stadt erkundet hatten, ging es in der nächsten Nacht mit dem Bus weiter nach Constanta, wo wir Sonntag um 9 Uhr morgens ankamen. Leider hatte uns zu diesem Zeitpunkt das gute Wetter verlassen. Bereits in Sighishoara hatte es am Abend zu regnen begonnen. Auf der Busfahrt nach Constanta konnte ich kaum schlafen, weil es total kalt war, und als ich zwischendurch aus dem Fenster schaute, fuhren wir allen Ernstes durch Schneelandschaften. Schnee! Nachdem wir in Pécs schon in kurzen Klamotten durch die Gegend gelaufen waren und unsere Rucksäcke optimistisch für Badewetter am Schwarzen Meer gepackt hatten!

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So aber liefen wir Sonntag mit unseren dicksten Pullovern und Jacken bekleidet durch den Nieselregen und versuchten, das Stadtzentrum Constantas zu finden. Dabei stellten wir fest: Constanta ist eine ziemlich abgefuckte Stadt.

imm031_30_1024Die Häuser sind heruntergekommen und verfallen und die Stadt ist übersäht mit Baustellen, denen man ansieht, dass schon lange nicht mehr daran gearbeitet wurde. Wenn man durch die Straßen läuft muss man aufpassen, dass man nicht in eins der zahlreichen tiefen Löcher fällt, über lose herumliegende Abflussrohre stolpert oder an Stromleitungen gerät, die auf die Straße herabhängen.

Es gibt ein paar wirklich schöne Gebäude, denen man den ehemaligen Glanz der Stadt anmerkt, aber sie sind nicht restauriert oder an vernünftige Wege angebunden. Am Strand liegen Straßenhunde. Und der Bürgermeister der Stadt sitzt zurzeit im Gefängnis, berichtete uns der Couchsurfer Ovidiu, bei dem wir übernachteten. Irgendwas mit Korruption.

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Etwas schockiert von den ersten Eindrücken und genervt vom schlechten Wetter beschlossen Anti und ich, schon am nächsten Tag weiter nach Bukarest zu fahren. Bereits um halb 10 Uhr abends legten wir uns in das von Ovidiu bereitgestellte Bett und schliefen, erschöpft von den letzten im Zugimm005_4_1024
bzw. Bus verbrachten Nächten, erst einmal 12 Stunden durch.
Am nächsten Tag schien die Sonne, deshalb konnten wir das Schwarze Meer doch noch ein bisschen ausnutzen. Zum Schwimmen gehen reichte es zwar lange nicht, aber Anti und ich lagen lange am Strand in der Sonne und kriegten Sommersprossen, bevor wir uns mit dem Bus auf den Weg nach Bukarest machten.

Um das noch einmal klarzustellen: Bukarest ist nicht gleich Budapest. Budapest ist die Hauptstadt von Ungarn, Bukarest die Hauptstadt von Rumänien. Durch Budapest fließt die Donau, durch Bukarest die Dambovita. Budapest ist um einiges touristischer und um einiges westlicher als Bukarest. Dafür gibt es in Bukarest mehr schöne Parks (finden wir). In Budapest gibt es viele coole alternative Bars, in Bukarest viele Stripclubs.
Aber die Bukarester sind Verwechslungen gewöhnt. Michael Jackson beispielsweise, der 1992 die Ehre hatte, das erste große Popkonzert nach dem Fall des sozialistischen Diktators Ceaucescu zu spielen, begrüßte die begeisterten Fans mit „Hello Budapest!“

In BuKaRest erkundeten Anti und ich in den nächsten Tagen den Teil der Altstadt, der nicht Ceaucescus größenwahnsinnigen Bauprojekten zum Opfer gefallen ist. Hier säumen kleine Cafés, Bars und Restaurants die nur für Fußgänger zugänglichen Straßen. Bei der ‚Free Walking Tour‘ wurden uns jede Menge interessante Geschichten erzählt. Die hübsche kleine Kirche am Straßenrand stand zum Beispiel eigentlich in einem ganz anderen Teil der Stadt. Weil Ceaucescu dort jedoch alle Häuser abreißen lassen wollte, um Platz für gigantische Straßen und Regierungsgebäude zu schaffen, wurde sie von einem Architekten „gerettet“, indem sie auf Bahnschienen an den Standort transportiert wurde, an dem sie sich heute befindet.

Wir wurden auch über den Grund für die Existenz der rumänischen Plastik-Geldscheine aufgeklärt, die man beim Waschen ruhig in der Hosentasche vergessen kann (ich spreche aus eigener Erfahrung): Nachdem in den 90er Jahen eine Organisation die rumänische Wirtschaft genauer unter die Lupe genommen hatten, erhielt das Land den Tipp, mehr ‚plastic money‘ zu benutzen – gemeint war das bargeldlose Bezahlen mit Bankkarten. Infolge dessen ersetzte Rumänien sein Papiergeld durch Geldscheine aus, naja, Plastik.

Im Kontrast zur gemütlichen Altstadt steht der Teil Bukarestes, den Ceaucescu nach seinen Vorstellungen gestalten ließ und in dem man sich fühlt, als wäre man auf die Größe einer Maus geschrumpft.
Das wohl beeindruckendste Gebäude ist der auf einem kleinen Hügel stehende Parlamentspalast, das größte Gebäude Europas. Es ist einfach gigantisch. Anti und ich haben für die Umrundung bestimmt eine Stunde gebraucht.

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Der Parlamentspalast wurde in den 80er Jahren in Auftrag gegeben, um Ceaucescus Größe und Macht zu demonstrieren. Von den Rumänen wurde das im klassischen Stil erbaute „Haus des Volkes“ ironisch in „Haus des Sieges über das Volk“ umbenannt. Es ist unglaublich, wie viel Zeit, Geld und Energie in dieses Bauprojekt gesteckt wurde und wie viel Zerstörung es durch die Zwangsräumung großer Teile der Altstadt mit sich brachte. Mindestens genauso unglaublich ist, wie viel Zeit, Geld und Energie tagtäglich investiert werden muss, um den Riesenklotz in Stand zu halten. Die Ineffektivität und Sinnlosigkeit des Gebäudes, das zu größten Teilen einfach leer steht, ließ uns auf der Tour durch das Parlament oft ungläubig den Kopf schütteln.
Die breiten Straßen und riesigen Plätze um das Parlament herum zeugen von demselben Größenwahn und derselben Ineffektivität: Trotz der vielen Spuren herrscht durchgegend Stau und Chaos auf den Bukarester Straßen, begleitet vom wütenden Gehupe der Rumänen, die uns temperamentvoller und lauter vorkommen als Ungarn.

 Es ist einfach alles viel zu groß: Wenn unsere Fußgängerampel auf grün springt und wir losgehen wollen, werden wir fast von den Autos überfahren, die noch bei grün auf die Kreuzung gefahren sind, aber einfach so lang zur Überquerung der 6 Fahrspuren gebraucht haben.
Eine verrückte Stadt.

Freitag, den 18. April – einen Tag nach meinem 20. Geburtstag, in den wir in einem sehr coolen Bukarester Club reingefeiert haben – ging Antis und meine Tour weiter nach Timishoara. Im Gedränge vor der Abfahrt wurden von unseren Mitreisenden noch schnell Handys verkauft und mit Mundharmonikas oder (nicht ganz so artistisch) nervigen Handyklingeltönen versucht, den Wer-macht-am-meisten-Lärm-Wettbewerb zu gewinnen.

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Timisoara ist eine sehr schöne, gemütliche kleine Stadt. Hier ist uns erst richtig aufgefallen, wie laute und anstrengend die Tage in Bukarest waren. Wir verbrachten unsere Zeit damit, durch die Innenstadt zu laufen, uns schnuckelige Kirchen anzugucken und im gemütlichen Hostel herumzuhängen, zu essen und Palinka mit den dort arbeitenden Rumänen und anderen Hostelgästen zu trinken.

Und dann ging es auch schon wieder zurück. Am Tag unserer Ankunft in Pécs schien die Sonne und es war warm – wir hatten das schönste Wetter seit Beginn der Osterferien. Die Bäume unter meinem Fenster sind jetzt so grün, dass ich nicht mehr auf die Straße gucken kann. In Springbrunnen plätschert wieder Wasser. Die Bimmelbahn, die Touristen durch Pécs beförderdert, fährt wieder. Und ich bin irgendwie froh, nach den regnerischen und kalten Tagen im wilden Rumänien wieder hier zu sein. Zuhause ist es halt doch am Schönsten.

Februar / März.

Was im letzten Monat so passiert ist:

Es wurde verabschiedet:

Jacqueline, deren Freiwilligendienst nur ein halbes Jahr andauert, kehrte zurück nach Deutschland. Der Pécser Freiwilligenclan wurde also um eine Person dezimiert und wir mussten uns schweren Herzens verabschieden. Auch für die Ungarn-Freiwilligen Aliena und Julius ist die Kulturweit-Zeit jetzt leider vorbei. Eine gute Seite hatte das Ganze aber auch: Anti und ich wurden mit diveren Nahrungsmitteln und Haushaltsgegenständen beglückt.

Es wurde rumgetanzt:

Auf der Straße wurden zwei Freiwillige und ich angeprochen, ob wir nicht für das Happy-Video in Pécs tanzen wollen, in dem wir jetzt für ungefähr 2 Sekunden zu sehen sind. Antis Hochhausdach wurde als Location für das „Kulturweit bewegt“-Tanzvideo genutzt, das hoffentlich bald im Internet auftaucht. Und ansonsten wurden die Wochenenden dazu verwendet, sämtliche Clubs in Pécs zu erkunden, in denen wir noch nicht waren.

Es wurde Bekanntschaft mit aufdringlichen Fellmonstern geschlossen:

Jedes Jahr findet in Mohács, einer kleinen Stadt in der Nähe, das Busójárás-Fest statt. Das ist eine Art Karneval, bei dem sich Männer mit aus sehr viel Schaffell und selbstgeschnitzten Holzmasken bestehenden Kostümen als Monster verkleiden. Angeblich wurden den Türken zur Zeit der osmanischen Okkupation Ungarns durch diese Kostümierung ein solcher Schreck eingejagt, dass sie aus der Stadt flüchteten. Eine andere Theorie führt das Busójárás-Fest auf ein altes Fruchtbarkeits-Ritual zurück, das von den Germanen zelebriert wurde, um den Winter zu vertreiben. Das erklärt den etwas gewöhnungsbedürftigen Umgang der Fellmonster mit dem weiblichen Teil der Zuschauer: Während dem Umzug wurden wir unfreiwilligen Monster-Gruppenumarmungen ausgesetzt, mit Mistgabeln und zum Kostüm gehörenden Ruten in den Po gepiekt, mit Hühnerfedern und Mehl beworfen und mit Ruß beschmiert. Naja, warum auch nicht. Ansonsten gab es auf dem Fest jede Menge Essen, Glühwein und ein bisschen Musik und ungarischen Volkstanz.

Ganz lustig war auch die Hinfahrt nach Mohács. Mit einem sehr alten, klapprigen und überfüllten Bus brausten Anti und ich durch die ungarische Landschaft, und Anti erzählte, wie letztens auf ihrem Weg zur Schule so ein Bus den Geist aufgegeben hatte und alles aussteigen und auf den nächsten Bus warten mussten. Pünktlich zum Ende dieser Geschichte fing es merkwürdig an zu stinken, dann gab es ein sehr lautes Knackgeräusch, das so klang, als wäre etwas direkt unter unseren Füßen durchgebrochen, und dann sehr viel Qualm. Glücklicherweise hielt nach nur wenigen Minuten Wartezeit auf der grünen Wiese ein anderer Bus und nahm uns Gestrandete auf.

Es wurde debattiert:

16 Schulen in Ungarn hatten sich mit jeweils 2 Schülern für die Schulverbunds-Qualifikation von ‚Jugend Debattiert International‘ (JDI) qualifiziert. Diese fand an 2 Tagen in Budapest statt und wir Freiwilligen saßen dabei mit in der Jury und hörten uns auf deutsch geführte Debatten an. Die Fragestellungen: ‚Soll das Wahlalter bei den ungarischen Parlamentswahlen auf 16 herabgesetzt werden?‘ und ‚Soll der ungarische Staat gleiche Preise für Männer und Frauen in Vergnügungslokalen gesetzlich verordnen?‘  Das war eine wirklich interessante Erfahrung und ich fand es ziemlich beeindruckend, dass sich so viele Schüler trauen, in einer fremden Sprache vor Publikum über die teilweise komplexen Pro- und Contraseiten der Themen zu diskutieren.

Die Debatten fanden an verschiedenen Schulen in Budapest und auf dem Weg zu diesen Schulen (plus jeweils eine Extrarunde Verlaufen) sahen wir noch einmal ganz andere Ecken von Budapest.

Insgesamt verbrachten wir 5 Tage in Budapest, die wir neben unserem JDI-Einsatz nutzten, um uns das Sisi-Schloss im Vorort Gödölö anzugucken und auf den Gellert-Berg zu klettern, von wo aus man den schönsten und weitesten Ausblick auf Budapest hat. Außerdem trafen wir uns mit Ayla, der neuen Kulturweit-Freiwilligen in Budapest, und hingen mit den JDI-Alumni rum, die es in den letzten Jahren in die Endrunden des Wettbewerbs geschafft hatten und jetzt mit uns in der Jury saßen. Auch die andere Mascha, mit der ich in Slowenien, Bosnien und Serbien unterwegs war, habe ich wiedergetroffen, bei ihr durften wir nämlich netterweise übernachten.

Es wurde (und wird) gefastet:

Meine Mitbewohnerin Conny und ich haben beschlossen, uns in der Fastenzeit vegan zu ernähren. Bis jetzt sind wir sehr motiviert dabei und starten des öfteren spontane Experimentier-Aktionen in der Küche. Mir fällt das vegan essen viel leichter als gedacht, was aber auch daran liegen kann, dass wir erst seit 2 Wochen dabei sind. Nur in der Schule, wenn mal wieder jemand Geburtstag oder Namenstag feiert oder wenn in der Stadt an sonnigen Tagen 90% der Leute mit einem riesigen Eis in der Hand herumlaufen (denn die Ungarn lieben Eis!) ist es ein bisschen fies.

Es wurde (und wird) die Sonne genossen:

Denn wir haben hier die ganze Zeit super Wetter! Ich kann wieder stundenlang in kurzer Hose und T-Shirt auf meiner Fensterbank in der Sonne sitzen und lesen, schlafen, Musik hören, essen oder Aufsätze für die Schule korrigieren. Und ich war letztens das erste Mal im Mecsek joggen, einem kleinen waldigen und sehr schönen Gebirge, das direkt an die Stadt grenzt.

Es wurde (und wird) gearbeitet:

Jaa. Ich gehe jeden Tag zur Schule, höre mir auswendig gelernte Vorträge von Schülern über ihre Haustiere oder Lieblings-Computerspiele an, lerne mit meinen Erstklässlern Obst- und Gemüsesorten und halte Unterrichtsstunden zu Themen wie ‚Der deutsche Karneval‘ oder ‚Deutsches Essen‘. Außerdem wird weiter fleißig Ungarisch gelernt und wir haben Hörverstehenstexte für Deutschlerner aufgenommen.

 .

Und das wars.

Winterreisen.

Heute scheint die Sonne und alles wirkt gleich viel frühlingshafter. Leute glitschen über die Eisschichten, die sich auf Gehwegen und Straßen durch das Antauen und Wieder-Einfrieren des Schnees gebildet haben. Schneemassen rutschen von Hausdächern und landen mit einem Rums auf der Erde. Von den Bäumen tropft glitzerndes Eiswasser. Kleine Bäche rinnen über den von der Sonne gewärmten Asphalt. Der Schnee schmilzt.

Freitag, den 24. Januar, der Tag an dem es morgens anfing zu schneien und bis abends nicht mehr aufhörte, hatten Anti, Jacqueline, meine Mitbewohnerin Conny und ich uns ziemlich spontan für einen Wochenendtrip nach Zagreb auserkoren. Internationale Zugtickets kaufen ist immer ein bisschen wie eine Wundertüte auspacken – niemand weiß, was dabei herauskommt. Man wartet am International-Ticket-Schalter und versuchet dann dem Personal in einem wüsten Chaos aus englisch, deutsch und ungarisch zu erklären, dass man gerne 4 Zugtickets hätte, für die Strecke Pécs – Zagreb und wieder zurück, von Freitag bis Sonntag. Dahinter wird noch ein „We are students! Egyetemistak vagyunk!“, geschoben und in dann heißt es hoffen. In den nächsten Minuten klickt die Frau hinterm Schalter auf ihrem Computer herum, druckt verschiedene Papiere aus, ruft eine Mitarbeiterin zu sich an den Tisch, diskutieret eine Weile mit ihr herum, wir müssen unsere Freiwilligen-Ausweise vorzeigen, die von den beiden misstrauisch beäugt und nach weiteren, für uns unverständlichen Diskussionen kommentarlos zurückgegeben werden, jetzt wird ein Formular ausgefüllt, „Pay together?“, wir kriegen ein handbeschriebenes Ticket zugeschoben, schielen auf den Preis, über dessen Höhe wir im Internet keine Informationen finden konnten, sind verwirrt (25.000 Forint! Ist das jetzt für eine Person? Eine Strecke? Wie viel Euro sind das überhaupt?) und dann erleichtert: 25.000 Forint sind 80 Euro, das Ticket gilt für die Hin- und Rückfahrt für 4 Personen – macht 10€ pro Person pro Strecke. Studentenrabatt haben wir auch bekommen. Sogar (warum auch immer) 60 statt den üblichen 50%. Dann kann es ja losgehen!

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Zunächst geht es mit einer aus 3 Waggons bestehenden, nicht ganz wasserdichten und sehr klapprigen Uralt-Bimmelbahn nach Gyékenyes direkt an der Grenze zu Kroatien. 2 1/2 Stunden soll die Fahrt dauern. Wir zuckeln durch tief in Schnee versunkene Landschaft, halten ab und zu an kleinen Orten, die kaum als solche zu erkennen sind und fahren dann, während es draußen schnell stockduster wird, sehr lange durch dichten Wald. Hier ist viel mehr liegen geblieben als in Pécs und die Bäume beugen sich durch die Last des Schnees so dicht auf die Fahrbahn, dass sie Fenster und Dach unseres kleinen Zuges streifen. Wir erschrecken uns jedes Mal aufs Neue über dieses kreischende Geräusch, wenn gefrohrene Äste und Zug miteinander in Berührung kommen.

Schließlich wird stark gebremst und wir halten an, mitten im Nirgendwo. 2 Frauen laufen durchs Abteil und suchen nach ferfi, Männern, die helfen, den auf die Gleise gefallenen Baum irgendwie abzutransportieren. Wir sind zwar keine Männer und auch sonst keine Hilfe, klettern aber begeistert über dieses Osteuropa-Abenteuer wie aus dem Bilderbuch mit hinunter, stapfen durch den knietiefen Schnee, quietschen rum und posieren für Fotos vor dem umgestürzten Baum und dem Zug. Um dem dumme-deutsche-Touristen-Verhalten die Krone aufzusetzen lassen wir dann noch ein Handy im Schnee liegen und weiter geht die Fahrt.

Dieselbe Sitation bietet sich uns noch einige Male und wir müssen auf Feuerwehrmänner mit Kettensägen warten, damit wir die Fahrt fortsetzen können. Unseren Anschlusszug haben wir aufgrund der entstandenen Verspätung leider auch um mehrere Stunden verpasst, glücklicherweise gibt es aber noch einen späteren Zug, der uns ohne weitere Probleme von Gyékenyes nach Zagreb bringt, wo Nils, ein Freiwilliger aus Kroatien schon auf uns wartet. Vervollständigt wird Reisegruppe Olga schließlich durch Daniel, einen spanischer Studenten, der mit uns im Zug saß und eigentlich Freunde in Split besuchen wollte, allerdings durch das Winterchaos seine Weiterfahrt verpasst hat.

Samstag erkundeten wir bei strahlendem Sonnenschein die kleine, hübsche Altstadt von Zagreb mit ihren vielen Cafés, dem großen Markt und der Kathedrale.

imm031_31_1024 Wir lieferten uns mit kroatischen Kindern eine wilde Schneeballschlacht, machten eine Menge Fotos und hatten viel Spaß zusammen. Abends fuhr Nils wieder nach Hause, Daniel weiter nach Split, Anti und Jacqueline gingen ins Bett und Conny und ich tanzten bis 4 Uhr nachts in einem kroatischen Club zu Hip-Hop-Musik, die mich an mein Highschool-Jahr in Texas erinnerte.

Am nächsten Morgen besuchten wir das „Museum of Broken Relationships“, in dem Gegenstände mit dazugehörigen Trennungs-Geschichten ausgestellt wurden, die von Leuten aus der ganzen Welt an das Museum gespendet wurden. Später ging es dann wieder zurück nach Hause.

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Die nächste Woche war sehr, sehr kalt. Ich musste mich mit eiskalten Wohnungen, eingefrorenen Fahrradschlössern und spiegelglatten Straßen herumschlagen, nutzte aber auch die positiven Seiten des Kälteeinbruchs zum Schlittenfahren und heißen Kakao trinken.

Donnerstag den 30. Januar machte die Ungarn-Freiwilligenfamilie schon wieder auf den Weg, diesmal nach Budapest. Hier fand am nächsten Tag die Jurorenschulung von „Jugend Debattiert International“ statt, aus der ich eine schicke Urkunde und das Wissen mitnahm, keine besonders begabte Debateurin zu sein. Gottseidank muss ich Anfang März, wenn die besten Debattier-Schüler Ungarns gegeneinander antreten, nur in der Jury sitzen und Punkte für Kategorien wie Sachkenntnis, Ausdrucksvermögen, Gesprächsfähigkeit und Überzeugungskraft vergeben, wobei ich mich dafür auch nicht sehr qualifiziert fühle.

Nach dem Seminar fuhren Julius, Kilian, Jacqueline, Anti und ich nach Bratislava (Hauptstadt von der Slowakei, nicht von Slowenien), nachdem wir wieder die oben beschriebene Internationale-Tickets-Prozedur durchliefen – ebenfalls mit guten Ergebnissen: ca. 8 € pro Strecke. Von den 2 Tassen Kaffee irgendwie ziemlich aufgekratzt verbrachten Anti, Kilian und ich die Fahrtzeit damit, Lieder auf unseren ipods laut mitzusingen, bis die anderen errieten, welches Lied wir gerade hörten und Jacqueline aus unserem Abteil flüchten musste. Gut gelaunt kamen wir in Bratislava an, stapften zu unserem Hostel, gingen Essen und bewunderten den Blick auf Burg und Altstadt von der Bratislaver „Sky Bar“ aus, für den wir jedoch auch teuer bezahlen mussten: 6 € pro Cocktail, sowas bin ich gar nicht mehr gewohnt.

Der Rest des Wochenendes wurde von den beiden miteinander konkurierenden Bedürfnissen bestimmt, möglichst viel von der Stadt zu sehen und nicht zu erfrieren. Ich glaube mir war schon lange nicht mehr so kalt wie in diesen Tagen in Bratislava. Es lag zwar weniger Schnee als in Pécs, dafür kroch uns die feuchte Kälte und der eisige Wind bis in die Knochen. Dennoch schlitterten wir tapfer durch die vereiste Altstadt und hielten die Wahrzeichen der Stadt (das alte Stadttor, die Bratislavaer Burg, die blaue Kirche, der Martinsdom usw) auf unseren Kameras fest – wobei die Technik in meiner Kamera irgendwann einfror, sodass ich den Film nicht mehr weiter drehen konnte. Naja.

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Alles in allem finde ich Bratislava sehr schön, in vielen Teilen hat mich die Stadt an Prag erinnert. Allerdings wirkte die Innenstadt tagsüber ziemlich ausgestorben, was wohl am Wetter lag. Erst abends, wenn aus den vielen Bars und Clubs Musik schallte und bunte Lichter über die Straßen tanzten, kam Leben in die kleine Stadt.

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Mit vielen neuen Eindrücken und Impressionen starte ich nun in den Februar. Für mich bedeutet das Halbzeit, für viele andere Freiwillige das Ende ihres Freiwilligendienstes. In 2 1/2 Wochen verlässt die Hälfte der derzeitigen Ungarn-Freiwilligen das Land und wir sind nur noch zu 3. in Pécs – eine Tatsache, die mich ziemlich traurig macht. Gleichzeitig freue ich mich auf meine nächsten Reise-Abenteuer. Denn für mich ist das gottseidank noch lange nicht vorbei.

Jahreswechsel.

Wir schreiben jetzt das Jahr 2014. Ein Jahr, von dem ich später vielleicht mal zu meinen Kindern oder zu sonst irgendwem sagen werde „Mensch, 2014, das war ein super Jahr. Mein Freiwilligendienst in Ungarn ist genauso toll weitergegangen wie es angefangen hat, nein, sogar besser! In der Schule war ich nun nicht mehr die neue, unerfahrene Freiwillige, sondern komplett integriert und von Schülern und Lehrern sehr geschätzt. Mit den anderen Freiwilligen und neuen Freunden habe ich jede Menge spannende Reisen durch den gesamten Balkan unternommen und beeindruckende neue Erfahrungen gemacht. Dann das Studium. Ich habe mich für genau das richtige Fach entschieden: Etwas, was mir Spaß macht, mich interessiert und für das ich gerne tagelang in der Unibib sitze und lerne. Eine neue Stadt, in der ich mich sofort wohlgefühlt habe. Und jede Menge nette Kommilitonen, mit denen ich viel Spaß hatte. Ja, 2014, da ist echt alles richtig gelaufen!“ Vielleicht kommt es aber auch anders. Vielleicht wird 2014 mein Jahr des großen Scheiterns. „2014 Kinder, das war der Anfang allen Übels. Pécs hatte ich bald satt. Die Stadt, die Arbeit an der Schule, meine Freunde hier, das alles hat mich irgendwann nur noch angeödet. Ich war froh als mein FSJ endlich vorbei war. Mit dem Studium ist auch nichts so gelaufen, wie es sollte. An der Traumuni nicht angenommen, Studieninhalt, der mich nicht interessiert hat, nicht bestandene Prüfung, unfreundliche Professoren und langweilige Studienkollegen. Monatelang quälte ich mich, dann gab ich schließlich auf und brach das Studium ab. Ich zog entmutigt wieder zurück zu meiner Familie und seitdem arbeite ich an der Kasse bei Lidl. Dann noch die ungewollte Schwangerschaft, die gescheiterte Beziehung und die chronische Krankheit. Dabei begann ich das Jahr 2014 noch so optimistisch und voller Ziele…“

Naja, wie auch immer es dieses Jahr für mich laufen wird, mir ist bewusst, dass ich selbst dafür verantwortlich bin. Ich kann selber entscheiden, welchen Weg ich einschlage, wofür ich mich einsetze, wie ich mit den Situationen umgehe, die mir wiederfahren.

Ich weiß noch wie ich Silvester 2013 auf das neue Jahr anstieß und dachte „wow, keine Ahnung, wo ich mich in einem Jahr befinde und wie und mit wem ich dann ins neue Jahr reinfeiere.“ Ein irgendwie beunruhigender, aber vor allem aufregender Gedanke.

Irgendwas scheine ich im Verlauf der letzten 12 Monate auf jeden Fall richtig gemacht zu haben (und eine große Portion Glück war auch dabei), denn das Jahr 2014 hat so angefangen, wie es sein sollte – chaotisch, lustig und aufregend.

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Nachdem ich etwa eine Woche zuhause war, viele Freunde wiedersehen und endlich wieder die Nervigkeit (und einige positive Eigenschaften) meiner Familie erleben konnte, ging es am 31. Dezember mit meinen besten Freundinnen Hannah und Rosa zurück nach Ungarn zum „Silvesterfest in Budapest“, wie Aliena das Ganze liebevoll titulierte. Zusammen mit ca. 20 anderen Freiwilligen und Freunden wurde in ihrer Wohnung mit Blick auf Donau, Margaretenbrücke und Parlament mit Luftschlagen, Vuvuzelas, Speis und Trank in das neue Jahr hineingefeiert. Später ging es ins Corvintetö, einen Club, den ich schon von unserem letzten Budapest-Besuch kannte, und in dem wir bis zum Morgen rumtanzten. Die Rückfahrt zum Hostel gehört nicht zu einen meiner Meisterleistungen: Am nächsten Morgen fand ich heraus, dass wir mit dem Bus, in den wir einfach mal eingestiegen war, genau eine Runde im Kreis gefahren sind, bis ich irgendwann ausstieg, weil mir der Name der Haltestelle so bekannt vorkam – komisch, es war ja schließlich dieselbe Haltestelle wie die, bei der wir eingestiegen sind. Danach fand ich mein Hostel glücklicherweise ohne Probleme und war nur mit dem Klingel- und Tür-aufdrück-System minimal überfordert. Das ist aber auch schwierig bei den alten Häusern in Budapest mit ihren komischen Freisprechanlagen!

Die nächsten Tage verbrachte ein Großteil der anderen Freiwilligen, meine beiden Freundinnen und ich noch in Budapest. Wir fuhren Schlittschuh auf einer riesigen Eislaufbahn direkt vor dem Vajdahunyad-Schloss, entspannten uns in den riesigen heißen Außenbecken des Széchenyi-Bads, gingen shoppen und, nachdem wir uns von der Silvesternacht halbwegs erholt hatten, noch einmal in einem sehr coolen Club namens „Instant“ feiern, hingen in tollen Cafés und Bars rum, die Aliena uns zeigte, und besuchten die Budapester Oper. Obwohl wir von der Oper nicht so richtig viel verstanden (Gesang auf italienisch, Untertitel auf ungarisch) war das ein beeindruckendes Erlebnis. Von unseren Plätzen aus hatten wir zwar nicht die beste Bühnensicht (bei Kartenpreisen von 300 Ft, also einem Euro, ist das aber verzeihbar), aber die pompöse Innenausstattung der Oper bot schon genug zu sehen. Ich habe mich gefühlt wie eine Adlige in einer Szene aus „Krieg und Frieden“ oder irgendeinem anderen der alten russischen Romane, die mein Papa so gerne liest. Nur Ballkleid und Fernglas zum Beobachten der anderen Operngäste haben gefehlt.

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Sonntag den 5. Januar ging es dann wieder zurück nach Pécs, denn Montag sollte die Schule wieder anfangen. Nach vollgepackten Tagen in Deutschland und der ereignisreichen Zeit in Budapest musste das entstandene Schlafdefizit erstmal wieder durch riesige Mittagsschläfe kompensiert werden. Ansonsten nervte ich meine Schüler, indem ich sie über ihr Weihnachten und Silvester ausfragte und sie gute Vorsätze fürs neue Jahr formulieren ließ. Ich habe da natürlich mitgemacht. Dabei ist meine Vorsatz-Top-3 entstanden:

  1. Weniger essen, mehr Sport treiben -> noch nicht so richtig geglückt…

  2. Weniger unproduktiv rumgammeln, mehr reisen und neue Dinge erleben -> da gibt es immerhin schon jede Menge Pläne für die nächsten Wochenenden!

  3. Aufhören, wichtige Dinge (z.B. Unterrichtsplanung, Wohnung putzen oder mein Freiwilligenprojekt) vor mir herzuschieben -> kein Kommentar.

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Außerdem besuchten wir den Freiwilligen Julius in der verschlafenen aber schönen Kleinstadt Baja und ich sah bei der Bandweihe-Zeremonie unserer Schule zu. Hierbei kriegen die Zwölftklässler von ihren Klassenlehrern feierlich ein Band an ihre Pullis geheftet, das aussieht wie eine AIDS-Schleife, aber zeigen soll, dass die Schüler jetzt zum Abitur zugelassen sind. Außerdem werden Reden gehalten und die Klassen führen einen eigenen Tanz auf. Ich habe zwar nicht ganz verstanden, was die Schüler eigentlich feiern (ihr Abitur haben sie ja schließlich noch nicht), aber es war trotzdem eine ganz witzige Veranstaltung, die mich irgendwie an unsere Abiturzeugnisvergabe erinnert hat. Ich bin sogar ein bisschen wehmütig geworden. Die Abizeit war schon cool. Und obwohl das alles noch gar nicht so lange her ist habe ich das Gefühl, hier unendlich weit weg davon zu sein. Mein Besuch zuhause und die vielen vertrauten Menschen haben alles wieder ein bisschen aufleben lassen.

Trotzdem ist es mir leicht gefallen, zurück in den Flieger nach Ungarn zu steigen. Ein gutes Zeichen, denke ich, das zeigt, dass ich hier noch lange nicht fertig bin. Es gibt noch viel zu erleben in den nächsten 7 Monaten. Und darauf freue ich mich.

Budapest / ein neues Zuhause / fremde Tradition.

Heute mittag habe ich bei strahlendem Sonnenschein meinen neuen Lieblingsplatz eingeweiht: Die breite Fensterbank meines neuen WG-Zimmers bei geöffneten Fenstern. Seit Montag wohne ich jetzt mit den deutschen Medizin- bzw. Zahnmedizin-Studentinnen Conny, Isa und Julia im ersten Stock des wirklich schönen Altbaus mit 4m hohen Wänden und altem Fischgrätenparkett. Im Erdgeschoss des mitten in der Innenstadt liegenden Hauses befindet sich eine Bar namens ‚Nappali‘ und gegenüber unserer Wohnung gibt es ein kleines Hostel. Ich fühle mich hier total wohl und bin froh, endlich aus dem Zimmer im Schülerwohnheim ausgezogen zu sein – daran gab es zwar nichts auszusetzen, aber es hat sich nicht wirklich nach einem Zuhause angefühlt. Jetzt dagegen bin ich endlich richtig angekommen und ich merke, wie viel schöner ein WG-Leben im Vergleich zum Alleine-Leben ist. Auch über die Existenz einer vollständig eingerichteten Küche freue ich mich sehr – ab jetzt wird gesund gekocht und Fertigsoße aus der täglichen Nahrungszufuhr verbannt!

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Fortschritte sind auch beim Erlernen der ungarischen Sprache zu vermelden: Montags und Donnerstags besuchen die anderen Freiwilligen und ich jetzt immer einen Sprachkurs an der Uni, ich gebe fleißig Vokabeln in mein ‚Phase 6‘-Programm ein und konjugiere in meiner Freizeit Verben – dabei fühle ich mich nur minimal in den Französischunterricht der 7. Klasse zurückversetzt. 😉 Wenn ich dann bei den Gesprächen im Lehrerzimmer einzelne Wörter aufschnappe oder meine Kollegen mit „Jó napot kívanok! Hogy vagy?“ (= Guten Tag! Wie geht’s?) begrüße, bin ich immer unglaublich stolz auf mich. Das Ganze hat aber auch Nachteile – beim Unterrichten höre ich mittlerweile ständig ein gemurmeltes „nem tudom“ (= versteh ich nicht) aus den Schülerreihen. Das kann nach dem 10. Versuch, den Arbeitsauftrag zu erklären, schon ein bisschen frustrierend sein.

In den letzten Wochen habe ich einiges von einer faszinierenden, mir aber auch irgendwie suspekten Gruppe Menschen mitgekriegt: Diese Leute wirken sehr nett, interessiert und sprechen ziemlich gut deutsch. Sie scheinen ganz normal – und auf einmal schmeißen sie sich in eine unglaublich unvorteilhafte, vor-dreihundert-Jahren-vielleicht-mal-coole Trachtenmode und hüpfen zu Blaskapellen-Musik, die selbst Omma und Oppa altbacken finden würden, im Kreis herum. Ich spreche von den Donauschwaben.

Die Vorfahren dieser Minderheit sind vor einigen hundert Jahren aus Deutschland nach Ungarn emmigriert, und legen seitdem sehr viel Wert auf den Erhalt von Traditionen und der deutschen Sprache. Oft wird in ungarndeutschen Familien noch Deutsch gesprochen, es gibt eine deutsche Lokalzeitung und es gehört zum guten Ton, wenn man sich in kulturellen Vereinen wie traditionellen Tanzgruppen, Blaskapellen oder Chören engagiert.

Am 27. September feierte die Tanzgruppe des Löwey-Gymnasiums hier in Pécs 40-jähriges Bestehen. Aus diesem Grund gab es eine große Aufführung, die ich mit meiner Ansprechperson Erszi und einer 10. Klasse besuchte. Sowohl an der Anzahl der Besucher (der Saal mit insgesamt 1.000 Plätzen war voll belegt) als auch an der Art, wie sich die Zuschauer teilweise für den Abend aufgebrezelt haben (so wie man es sich in Osteuropa vorstellt: Zu viel Makeup, zu wenig Stoff, zu hohe Schuhe, zu tiefer Ausschnitt) merkte ich, um was für ein wichtiges gesellschaftliches Event es sich hier handelte.

Ja, und dann kam 3 Stunden lang das, was ich etwas platt im ersten Abschnitt geschildert habe: Deutscher Volkstanz, Volkslieder, Trachtenmode, Blaskapellenmusik. Das Ganze wirkte auf mich so merkwürdig, weil ich mich ÜBERHAUPT NICHT mit irgendetwas von dem auf der Bühne Vorgeführtem identifizieren konnte. Gut, die Trachten erinnerten etwas an die Dirndl- und Lederhosenmode aus Bayern, und Blaskapellenmusik hört man auch ab- und zu mal an Karneval oder auf irgendwelchen Dorffesten, aber mich persönlich hat solcher Traditionskram immer abgeschreckt und ist daher auch nicht in meinem Deutschlandbild verankert.

Verwirrend fand ich auch den Kontrast zwischen den eine-Millionen-Jahre-alten Volkstänzen, -liedern und -trachten auf der Bühne und dem überwiegend jungen und überhaupt nicht traditionsorientiert aussehenden Publikum – beeindruckend, wie die Ungarndeutschen es schaffen, auch ihre jungen Generationen für solche alten Traditionen zu begeistern.

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Zum Schluss noch ein ganz anderes Thema: Vom 9. bis zum 13. Oktober waren wir Freiwilligen aus Pécs und Baja (Ann-Kathrin, Jacqueline, Kilian, Julius und ich) in BUDAPEST. Grund war eine Einladung der Deutschen Botschaft zum sogenannten Mittlertreffen, welches jährlich für die „neu in Ungarn eingetroffenen Mitarbeitern der deutschen Sprach- und Kulturförderung“ stattfindet – ich kam mir ganz schön elitär vor, als ich die Einladung in meinem E-Mail-Posteingang gefunden habe.

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Das Treffen bestand aus ca. 20 Anzugträgern, die ihre Institutionen und deren Arbeitsfelder vorgestellt haben (was teilweise in 45-minütige Vorträge ausuferte) – und uns. Obwohl wir mit Abstand die Jüngsten und Unqualifiziertesten in der Runde waren, wurden wir mit Interesse und Freundlichkeit aufgenommen und beim Essen (sehr lecker!!) entstanden viele nette Gespräche. Außerdem wurde uns eine Ausbildung zum Juror bei „Jugend debattiert“ angeboten – wir können also bald öfter nach Budapest fahren, Kindern beim sich streiten zuhören und sie danach mit Punkten bewerten, voll cool!

In den restlichen Tagen haben wir uns den ganzen Touri-Kram angeguckt (Fischerbastei, Matthiaskirche, Schloss, Parlament, jüdisches Viertel und Synagoge, Markthalle und Margaretheninsel), wir waren in coolen Bars (besonders empfehlenswert: Szimpla und Macska Miau), einem Thermalbad und Aliena und ich haben einmal bis 6 Uhr morgens im Corvintetö rumgetanzt, einem Club, der in einem ehemaligen Kaufhaus liegt und von dessen Dachterasse aus man einen tollen Ausblick auf die Stadt hat. Nichts kann jedoch den Ausblick auf Budapest bei Nacht von einer der Donaubrücken aus toppen – so schön!

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Außerdem haben wir Kürtös Kalacs und Pallatschinken gegessen, zwei typisch ungarische Süßspeisen. Jetzt steht nur noch Langos (ein rundes, fettiges Teigstück mit Schmandt, geschmolzenem Käse und Zwiebeln oben drauf – nicht an die Kalorienzahl denken!) und Palinka (ungarischer Schnaps) auf meiner To-Do-Liste. Oh, und Gullasch, die ungarische Nationalspeise, habe ich auch noch immer nicht probiert – shame on me.

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Faszit: Budapest ist super und ich bin etwas neidisch auf Aliena. Allerdings werde ich für die schlappen 6€ Fahrtkosten bestimmt öfter mal nach Budapest fahren, und in Pécs fühle ich mich auch total wohl. Außerdem ist die Markthalle in Pécs cooler als die in Budapest: Hier verkaufen noch süße Omis aus den umliegenden Dörfern ihre Riesenkürbisse und man wird weder auf englisch noch auf deutsch verstanden – das hat zwar dazu geführt, dass ich 250 statt 25 Forint für meine Möhren bezahlen wollte, ich habe aber auch einen super Dialog auf Ungarisch geführt: „Bocsánat, nem beszelek magyar.“ – „Honnan jöttél?“ – „Némétorszagbol jöttem. Beszelek németül.“ Viel Spaß beim google-translaten. 🙂